Empfehlungen Eva Rieger: Friedelind Wagner: Die rebellische Enkelin Richard Wagners.
Eva Rieger: Friedelind Wagner: Die rebellische Enkelin Richard Wagners.
München: Piper 2012. 502 Seiten. 24,99 EUR.
Rezension von Luise F. Pusch
Die Bayreuther Festspiele sind eine einzigartige Kulturinstitution und erfreuen sich seit fast 150 Jahren weltweiter Beliebtheit. Sogar die deutsche Kanzlerin ist eine begeisterte Wagnerianerin und besucht jedes Jahr mit ihrem Mann die Festspiele.
Friedelind Wagner (1918-1991), deren Biografie nun erstmals vorliegt, war die älteste Tochter von Winifred und Siegfried Wagner, Richards einzigem Sohn und „Thronerben“. Friedelinds Brüder Wieland und Wolfgang prägten nach dem zweiten Weltkrieg die aus dem Nazisumpf wiedererstandenen Festspiele. Wie die beiden ihre hochbegabte, eigenwillige, einsatzbereite und als Erbin gleichberechtigte Schwester Friedelind dabei ausbooteten und mit Hilfe Winifreds und der braunen, finanzstarken „Gesellschaft der Freunde Bayreuths“ austricksten, das ist einer der spannendsten Erzählstränge des Buchs.
Friedelind war zu Zeiten der Nazidiktatur die Einzige des Wagner-Clans, die Hitler, den Wagner-Fan, Freund Winifreds und Förderer der Festspiele, noch rechtzeitig durchschaute. Sie ging ins Exil und nutzte dort ihren berühmten Namen (ähnlich wie Thomas, Klaus und Erika Mann), um Widerstand gegen Hitlerdeutschland zu leisten. Nach dem Krieg war sie somit die Einzige, die politisch unbelastet war und schien deshalb prädestiniert, die Leitung der kompromittierten Festspiele zu übernehmen. Ihre beiden Brüder aber waren entschlossen, endlich Schluss zu machen mit der Bayreuther „Weiberherrschaft“: Nach Richards Tod hatte seine Witwe Cosima die Festspiele jahrzehntelang geleitet, und nach Siegfrieds Tod stand seine Witwe Winifred 15 Jahre an der Spitze des Familienunternehmens. Cosima wie auch Winifred fanden pikanterweise jedoch eine männliche Leitung der Festspiele angemessener und bedienten sich ethisch mehr als fragwürdiger Methoden, um ihren Töchtern und deren Nachkommen ihr Recht vorzuenthalten.
Eva Rieger, ausgewiesene Wagnerkennerin und Pionierin der Musik-und-Gender-Forschung, hat eine ausführliche und die meisten Quellen erstmals erschließende Biografie der rebellischen Wagner-Enkelin vorgelegt, die sich spannend, ja geradezu süffig liest und Friedelinds unfriedliches, immer leidenschaftlich für Kunst, KünstlerInnen und Wagners Musik engagiertes Leben empathisch vor uns ausbreitet. Rieger ergreift Partei für die in Deutschland (ähnlich wie Marlene Dietrich) als Verräterin Geschmähte, sieht aber die im Ausland Bewunderte und Gefeierte auch durchaus kritisch. Friedelind Wagner ist eine angenehm ausgewogen urteilende Biografie von profunder Sachkenntnis, die die aufregende, oft auch enervierende Geschichte der „deutschen Royals“ rechtzeitig vor Beginn des Wagner-Rummels zu Richards 200. Geburtstag im kommenden Jahr um die bisher vernachlässigte Perspektive der Außenseiterin, des „enfant terrible“ Friedelind ergänzt.
Die biografischen Fakten werden auf 450 Seiten breit aufgefächert und auf 50 Seiten akribisch belegt. Müssen wir aber etwa unbedingt wissen, dass sie mal neben Peter Ustinov saß und Elisabeth Bergner nach Hause fuhr? (S. 399). Dass Friedelind aufgrund ihres Namens und ihrer Ausstrahlung mit zahllosen bekannten Künstlerinnen und Künstlern und anderen VIPs bekannt und überhaupt erstklassig vernetzt und eine Netzwerkerin erster Güte war, wissen wir da schon. Die Freude am Detail und am „Name-Dropping“ scheint bisweilen übertrieben. Diese Ausführlichkeit macht das Buch für die Wagnerforschung allerdings umso wertvoller. Sie wird um Friedelind Wagner und ihren Beitrag nicht mehr herumkommen, dafür hat Eva Rieger gesorgt.
Das Buch enthält viele erstmals veröffentlichte, aussagekräftige Fotos. Ein Stammbaum der weit verzweigten Familie fehlt leider, soll aber in der nächsten Auflage nachgeliefert werden.
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