Empfehlungen „Briefe aus dem Gefängnis“: Rosa Luxemburg an Sophie Liebknecht
„Briefe aus dem Gefängnis“: Rosa Luxemburg an Sophie Liebknecht
Karl Dietz Verlag Berlin
Rosa Luxemburg – dies ist in unserem Wissen zunächst der Mord an ihr und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919; das ist ihre politisch extreme Position, irrtümlich immer wieder mit Lenins bolschewistischer Position gleichgesetzt. Lenin hat Rosa Luxemburg zwar den „Adler der Revolution“ genannt, aber schon seit 1904 trennten die beiden unterschiedliche Positionen, die Revolution betreffend. Rosa Luxemburg forderte eine gut informierte, urteilsfähige Arbeiterschaft mit demokratischen Rechten und Freiheiten. Ihre Kritik an Lenins bolschewistischer Revolution formulierte sie in einer knapp 60-seitigen Kampfschrift, noch im Gefängnis in Breslau. Sie fordert darin demokratische Rechte und Freiheiten ein. Berühmt geworden ist der Satz: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“ – und sie sieht in Lenins Weg die Herrschaft einer politischen Clique voraus.
Der Text ist so brisant, dass niemand ihn veröffentlichen will. Erst nach dem Kronstädter Aufstand 1922 und 3 Jahre nach der Russischen Revolution setzt Paul Levi eine Veröffentlichung durch, weil er seinen Irrtum eingesehen hat: „Vielleicht hätte eine Veröffentlichung ihr das Leben gerettet.“ Lenin bietet an, ihre gesamten Schriften zu veröffentlichen, wenn diese eine Schrift, „Die russische Revolution“, verbrannt würde.
Rosa Luxemburg verbrachte fast den ganzen 1. Weltkrieg in Gefängnissen. Für sie war mit dem Einschwenken der politisch starken und informierten deutschen Arbeiterschaft auf die vaterländische Position des Kaisers: „Ich kenne keine Parteien mehr…“ eine Welt zusammengebrochen. Sie soll an Selbstmord gedacht haben. Zunächst brachte eine vor dem Krieg gehaltene Rede über Missbrauch beim Militär sie ins Gefängnis, von März 1915 – März 1916.
Als sie dann mit Karl Liebknecht am 1. Mai 1916 eine Antikriegsdemonstration am Potsdamer Platz in Berlin organisierte, zu der 10.000 Menschen kamen und Karl Liebknecht rief: „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“, wurde auch Rosa Luxemburg erneut verhaftet und war von Juli 1916 bis zum 10. November 1918 in den Gefängnissen Berlin, Wronke und Breslau.
Sie hat in diesen Jahren eine große Korrespondenz geführt. Das kleine Büchlein mit Briefen aus dem Gefängnis an Sophie Liebknecht ist etwas Besonderes. Es sind Trostbriefe an die junge Frau ihres Kampfgefährten Karl Liebknecht, die Trost spenden sollen. Die Frau im Gefängnis tröstet und ermutigt die Frau in Freiheit, die sich um das Schicksal ihres Mannes in politischer Haft sorgt und ängstigt.
Rosa Luxemburg hatte ja zunächst in Zürich Naturwissenschaften / Biologie studiert, ehe sie zur Nationalökonomie wechselte und in dem Fach promovierte. Es sind literarische Kleinode mit einfühlsamen Naturbeschreibungen, z.B. Seite 36/37:
Was ich lese? Hauptsächlich Naturwissenschaftliches: Pflanzengeographie und Tiergeographie. Gestern las ich gerade über die Ursache des Schwindens der Singvögel in Deutschland: Es ist die zunehmende rationelle Forstkultur, Gartenkultur und Ackerbau, die ihnen alle natürlichen Nist- und Nahrungsbedingungen: hohle Bäume, Ödland, Gestrüpp, welkes Laub auf dem Gartenboden – Schritt für Schritt vernichten. Mir war es so sehr weh, als ich das las. Nicht um den Gesang für die Menschen ist es mir, sondern das Bild des stillen unaufhaltsamen Untergangs dieser wehrlosen kleinen Geschöpfe schmerzt mich so, dass ich weinen musste. Es erinnerte mich an ein russisches Buch von Prof. Siber über den Untergang der Rothäute in Nordamerika, das ich noch in Zürich gelesen habe: Sie werden genauso Schritt für Schritt durch die Kulturmenschen von ihrem Boden verdrängt und einem stillen, grausamen Untergang preisgegeben. Aber ich bin ja natürlich krank, dass mich jetzt alles so tief erschüttert. Oder wissen Sie? Ich habe manchmal das Gefühl, ich bin kein richtiger Mensch, sondern auch irgendein Vogel oder ein anderes Tier in misslungener Menschengestalt; innerlich fühle ich mich in so einem Stückchen Garten wie hier oder im Feld unter Hummeln und Gras viel mehr in meiner Heimat als – auf einem Parteitag. Ihnen kann ich ja wohl das alles ruhig sagen: Sie werden nicht gleich Verrat am Sozialismus wittern. Sie wissen, ich werde trotzdem hoffentlich auf dem Posten sterben: in einer Straßenschlacht oder im Zuchthaus. Aber mein innerstes Ich gehört mehr meinen Kohlmeisen als den „Genossen“. Und nicht etwa, weil ich in der Natur, wie so viele innerlich bankrotte Politiker, ein Refugium, ein Ausruhen finde. Im Gegenteil, ich finde auch in der natur auf Schritt und Tritt soviel grausames, dass ich sehr leide.
Die Briefe zeigen eine weithin unbekannte Rosa Luxemburg, jenseits politischer Zuspitzungen. Eindrucksvoll auch die von ihr gemalten Aquarelle, die dem Umschlag dieses lesenswerten Büchleins eine besondere Note geben. – Ich nahm es dieser Aquarelle wegen in die Hand, die mich an die Aquarelle meines Onkels Werner Freist (Jahrgang 1908) erinnerten, Maler und Studienrat in Schöningen am Elm.
Birgit E. Rühe-Freist
Nachtrag: Sie können sich den Text auch als Podcast runterladen: Deutsche Welle: Reihe Deutsche Klassiker [sic]. Schön gelesen von Iris Krüger. Die Reihe "Deutsche Klassiker" enthält tatsächlich etliche Texte von Frauen, z.B. Droste-Hülshoff, Reventlow, Arnim, Andreas–Salome. Sehr hörenswert!
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