Empfehlungen Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spass
Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spass
So macht Kommunismus Spass. Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret von Bettiina Röhl. Deutsche Verlagsanstalt 2006. 677 Seiten, EUR 29,90
Vorgeschichten und Mutationen
Rezension von Helke Sander
Wenn die Mutter Ulrike Meinhof hiess, der Vater Klaus Röhl ist, SIE lange Chefredakteurin, ER Herausgeber der Zeitschrift Konkret war, für die das Geld aus der DDR kam, wenn beide sowohl Mitglieder der Kommunistischen Partei (Meinhof bis zu ihrem Tod) als auch Teil der Hamburger Mediengesellschaft waren, bis die Mutter die Kinder zugunsten eines Lebens im Untergrund verliess und sich mit spätpubertierenden und grössenwahnsinnigen und in ihren Geschlechterrollen sehr verunsicherten jungen Männern und Frauen zusammentat, die den Umsturz der bundesrepublikanischen Gesellschaft planten, um sie besser zu machen und am Ende eine Spur von Leichen hinter sich liessen sowie verschärfte Gesetze für alle, wenn also eins der Kinder dieses Paares ein Buch schreibt über die eigenen Eltern, dann greift man mit einer gewissen Furcht danach. Weil man selber zur Elterngeneration gehört, ein paar Hintergründe und einige der Protagonisten des Buches kennt oder kannte. Wird die Tochter die Eltern verherrlichen oder verdammen, wird sie von Anekdote zu Anekdote eilen, wird nur das verletzte, sich endlich rächende Kind sprechen, will sie auch noch ihren Schnitt beim Thema RAF machen, wenn schon andere Spiel-und Dokumentarfilme darüber machen? Nichts war vorher ausgeschlossen, alles war zu befürchten und für alles wäre sogar Verständnis da gewesen.
Aber Bettina Röhl hat etwas Erstaunliches geleistet: Sie hat ein überaus materialreiches Buch über deutsche, hauptsächlich Hamburger Intellektuelle in den fünfziger und sechziger Jahren geschrieben, indem sie die Geschichte des Entstehens und Werdens der Zeitschrift KONKRET verfolgt, alte noch lebende Mitarbeiter aufsucht und befragt und dabei fast zwangsläufig DIE Intellektuellen dieser Zeit beschreibt. Dabei entsteht für mich ein noch gut erinnertes aber selten beschriebenes Nachkriegsbild. Bettina Röhl ist eine besessene Rechercheurin, mit vielleicht ein bisschen zuviel Hinwendung zum Hamburger Prominentenklüngel. Anderseits gehören diese Namen zum Inhalt des Buches. Ob sie nun Heinemann oder Enzensberger oder Rau oder Rühmkorf hiessen; Wenn sie berühmt waren, berühmt werden wollten, Männer waren, etwas zu sagen hatten oder dies von sich glaubten, dann sagten sie das seinerzeit in KONKRET oder sie wurden wenigstens dort das Objekt von Kritik. Die einzige Königin im Bau war Ulrike Meinhof und offenbar duldete sie auch keine andere Frau neben sich.
Das Buch beschreibt den Hintergrund zum späteren Vordergrund:
Die Familien Meinhof und Röhl, die Kindheiten der Eltern, beider Jugend und Engagement. Ulrike Meinhof erlebt ihre ersten Erfolge als Aktivistin bei den Ostermärschen, wo sie als kommende Rosa Luxemburg gefeiert wird bis hin zur Glanzzeit von Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl in der Hamburger Gesellschaft, zu der sich beide bald zählen durften mit Geld, Ruhm, Sylt-Urlauben an der richtigen Buhne (16), bei gleichzeitiger, heimlich genossener Wichtigkeit über ihre Untergrundarbeit, sich auf der richtigen Seite wissend, weil ausgehalten durch die DDR, das Schillernde, Anrüchige auch geniessend.
Die vielen Leute in Hamburg haben Namen, die später in Berlin wichtigen dann kaum mehr. Sie bleiben merkwürdig blass. Die Berliner setzten sich ganz anders zusammen: bis auf die späteren RAF-Leute waren es normale, nicht berühmte, eher arme, oft sehr junge WG-Mitglieder, Kinderladenleute, Politstudenten- und Studentinnen, (mit denen Meinhof bei Vorträgen z.B. die Kasse klaute), unter ihnen immerhin einige, die das Leben für die Meinhof-Kinder erträglich machten, als die Mutter schon im Untergrund war. Diese Leute sind offenbar nicht im Bewusstsein der Autorin, was ich nur feststelle und nicht bewerte. Das Fehlen dieser Namen schafft aber doch ein Problem, wie mir scheint. Nämlich das Problem, diese Zeit zu erfassen und jenseits der berechtigten Röhl-Kritik an der Anfälligkeit für den Maoismus beispielsweise und an allen Auswüchsen und Blödsinnigkeiten, die sich auch mit der Studentenbewegung verknüpfen lassen, die kurze Zeit zu begreifen, in der radikales Fragen erlaubt war und sich gegenseitig förderte. Die sektiererischen späteren fundamentalistischen Gruppen, seien sie nun RAF, KPD/AO, ML oder was immer, waren ja der unglückliche Versuch, die aufgebrochenen Fragen einzuschränken und zu einfachen Lösungen zu finden.
Auch heute noch haben die Zeitschrift und der Name Meinhof einen solchen Klang, dass es Bettina Röhl offenbar ohne Schwierigkeiten gelang, auf allen offiziellen Ebenen, sei es beim früheren Bundespräsidenten oder bei Kommunistenführern Zugang zu bekommen und lange Gespräche führen zu können. Dabei fällt dann auf, dass es über Leute wie Jan Carl Raspe, Holger Meins oder Horst Mahler, Männer also, die auch am Anfang der RAF standen, praktisch keine ernsthaften Bücher gibt, über Ulrike Meinhof, die ja schon ein Star war, als sie dazu stiess, aber massenhaft. Es ist hier offenbar noch etwas anderes am Werk, das Patty-Hearst-Syndrom, die Faszination der Prinzessin, die zum Aschenputtel wird, wobei sich Patty Hearst wieder rückverwandelt hat in die Prinzessin, die Dollar-Millionärin, während ihre Kampfgenossen z.T. noch heute im Gefängnis sitzen, wenn sie nicht schon dort gestorben sind. Das Drama von Ulrike Meinhof war, dass sie nicht mehr zurück konnte, es vielleicht nicht wagte, sich mit den Scherben ihres Lebens und ihres Irrtums zu konfrontieren.
Bettina Röhl interpretiert wenig, sie sammelt Fakten. Das ist sehr wohltuend und muss für die schreibende Tochter schwer gewesen sein, aber auch ein Anreiz. Sie hat eine Mutter, die sie nur als kleines Mädchen kannte, die aber gewissermassen bei jedem ihrer Gegenüber präsent ist. Das lässt sich fast nicht vermeiden und ist eine Bürde. Am Schluss bleibt jedenfalls die Erkenntnis, dass die Tochter ihren eigenen Ton singt und sich nicht mehr an der Mutter abstrampeln oder messen muss. Sie ist für sich genommen einfach eine interessante Autorin.
© Helke Sander Juni 2006
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