Empfehlungen Anni Egösi: Bilder und Texte. Hg. von Karin Dalla Torre (2006)
Anni Egösi: Bilder und Texte. Hg. von Karin Dalla Torre (2006)
Dokumentationsstelle für neuere Südtiroler Literatur im Südtiroler Künstlerbund, Südtiroler Künstlerbund und Edition Rätia, 2006
Gefahrvoll ist’s der Sehnsucht nachzuträumen.....
Rezension von Senta Trömel-Plötz
Mitten in den heissen Sommer an der US-amerikanischen Ostküste kam aus Bozen ein zauberhaftes Buch zu mir: Karin Dalla Torres neuestes Werk, diesmal nicht über eine Dichterin, sondern über eine Malerin, die aber auch dichtete und präzise feine Texte schrieb. Vier sind in dem Buch enthalten, ein Gedicht und drei Prosatexte von jeweils einer Seite. Das Wichtigere aber sind die Bilder, geordnet in drei Themenkreise: Blumen und Früchte, Orte, Menschen.
Und dann ist da Dalla Torres Text, der uns die unbekannte Malerin, Anni Egösi (1894 – 1954) nahebringt, mehr noch: sie uns ans Herz legt. Dies versteht Dalla Torre wie keine andere – sie hat eine seltene Sensibilität, mit der sie Künstlerinnen, Frauen erfassen kann, das Wesentliche an ihnen herausarbeiten und benennen kann, sie uns gleichsam erschließen kann. Sie macht das durch ihre Auswahl der Zitate, der Titel, der Gedichte und Bilder. Durch ihre einfühlenden Worte, die immer schützend bleiben, nie aufdringlich oder verletzend werden. Sie wird zur empathischen Biografin der Malerin oder Dichterin, und am Ende ihrer Einführung haben wir die Künstlerin schon in unser Herz geschlossen, unversehens.
Dalla Torre arbeitet mit ihrer hohen Intellektualität und ihrem hohen ästhetischen Anspruch. Nur mit dieser Ausstattung kann es überhaupt gelingen, Künstlerinnen wie Santifaller* oder Egösi, die beide hochsensibel, ästhetisch streng und dabei extrem klar, logisch und “einfach” sind, zu erfassen. Sich einzufühlen in ihre “Einfachheit,” die täuscht, die keine ist, die frau und mann erst einmal erreichen muss, das ist hier die Aufgabe. Ihre Einfachheit nicht abzutun als Mangel, sondern sie zu sehen als Ergebnis einer intellektuellen Klarheit und Ehrlichkeit, eines guten Lebens, in dem Integrität und Verantwortung zählen, das ist Dalla Torres Verdienst. So trifft sie vielleicht unbewusst ihre Auswahl: Maria Ditha Santifaller*, die Dichterin, und jetzt Anni Egösi, die Malerin, bestechend beide in ihrer Klarheit und Einfachheit sowohl in ihrer Kunst wie in ihrem Leben. Eine Spiegelung dieser Eigenschaften auch dieses Buch, das klar, einfach, sparsam, elegant in der Aufmachung und Strukturierung ist. Es befriedigt unser Bedürfnis nach wenigen Worten, nach klaren Linien, nach heiterer Gelassenheit, nach Ruhe, nach Schönheit.
Was für ein zauberhaftes Geschenk für mich mitten im heißen Sommer: Einen festen Einband halte ich in den Händen, knapp hundert Seiten, schönes, dickes Papier, auf der Titelseite nur die Signatur Anni Egösi unten in der rechten Ecke. Ihre Handschrift nicht groß, gerade lesbar, klar die zwei i-Tüpfelchen unterschieden vom Akzent über dem ungarischen E und dem Umlautzeichen über dem o. Einfachheit.
Ich öffne den Band und lese rechts unten:
Gefahrvoll ist’s der Sehnsucht nachzuträumen! Sie führt dich fort aus den vertrauten Räumen in fernes, unbekanntes Land.
Diese schönen Zeilen von Egösi wählte Dalla Torre als Motto für das Buch.
Danach sehen wir ein Foto von Egösi mit 46 Jahren: ein schönes ruhiges nachdenkliches Gesicht, eine leise Trauer vielleicht, schmucklos, ungeschminkt. Auf der gegenüberliegenden Seite: Anni Egösi: Bilder und Texte. Dalla Torres Name erscheint nicht als Herausgeberin – ein Indikator dafür, um wen es hier geht.
Ein Vorwort der Landesrätin für Familie, Denkmalpflege und deutsche Kultur folgt.
Dann die erste Reproduktion: Pfingstrose, eine kleinformatige Rötelzeichnung in den Farben Ocker, Beige, Rost, die wir vom Einband und der Signatur her schon kennen. Farben, die dann beim Blättern wiedererscheinen in den vergilbten Fotos, in den Bildern von Blumen, Häusern, Menschen.
Pfingstrose - Ich erinnere mich an ein Haiku:
the peonie was THAT big said the little girl opening her arms wide.
Gegenseite: der Inhalt - mit den Bilderthemen gedruckt in Rost. Kleine minimalistische Überraschung.
Und so geht es weiter: Dalla Torres Text ist von einer schmalen Auswahl von Fotos, Bleistiftzeichnungen und Aquarellen begleitet, danach folgen die Bilder (begleitet von ausgewählten Egösi Texten, darunter eine Abhandlung über die notwendige Einfachheit von Vasen – absolut keine Verzierung, keine Ablenkung von den Blumen!): zarteste Blumen, südliche Häuser, einsame Berggehöfte, ein buntes Murnau-Dorf, ein fastabstrakter Garten, zwei Mädchenportraits, die mich an Modersohn-Beckers Kinder erinnern.
Am Ende eine kurze Lebensskizze mit einem Foto von Egösi, als sie über 50 Jahre alt war. Ein leichtes Lächeln, elegant in Hut und Kostüm, Ausstrahlung von Güte.
Neben dem Dank, den Karin Dalla Torre an viele Menschen ausspricht, die letzte Reproduktion: Rosen, fast nicht erkennbar, eine ungewöhnliche spektakuläre Komposition, ein hängender Zweig, hängende Rosen - ein Abschiedsbild.
Anni Egösi stirbt am 6.Sept.1954, einen Tag vor ihrem 60. Geburtstag. Sechzig Jahre ist nicht genug, aber sechzig Jahre ist besser als 25 Jahre, Maria Bashkirtseffs Lebenszeit, besser als 31 Jahre, Paula Modersohn-Beckers Lebenszeit, besser als 34 Jahre, Eva Hesses Lebenszeit.
Anni Egösi hatte vier Monate vor ihrem Tod ihre erste Einzelausstellung - sie kam, wie Dalla Torre sagt, zu spät. Modersohn-Becker hatte während ihrer Lebenszeit keine Einzelausstellung, dafür aber zahlreiche nach ihrem Tod, als ihr Mann und ihre Freunde ihr Werk “entdeckten”. Nun kommen Einzelausstellungen nicht zu spät oder zu früh oder von selbst, sondern sie werden gemacht, zumeist von Männern. EIN Galerist oder EIN Kurator eines Museums muss sich für eine Künstlerin und ihre Arbeiten interessieren, z.B. wenn er sie in einer Gemeinschaftsausstellung sieht. Zunächst muss er sie wirklich SEHEN können. Meistens sieht er nichts. Dabei könnte ihm EIN Kritiker mit einem besonderen Hinweis auf die Bilder einer Künstlerin behilflich sein. Hier lag schon zu Modersohn-Beckers Zeiten das Problem – ein dummer aber damals hochangesehener Kritiker gab eine unsäglich herabsetzende Rezension und Modersohn-Becker hängte ihre paar Bilder in der Bremer Kunsthalle ab – und hier liegt bis heute das Problem. Bis heute werden Künstlerinnen von männlichen Kritikern, Galeristen, Kuratoren, Museumsdirektoren und Sammlern weniger beachtet, weniger positiv bewertet, weniger ausgestellt, weniger gekauft. Egösi hatte ähnlich wie Modersohn-Becker nicht verkaufen können. Das hatte Konsequenzen für ihre Kunst und ihr Leben. Modersohn-Becker ging hauptsächlich um der finanziellen Sicherheit willen zu ihrem Mann zurück und starb kurz darauf im Kindbett. Bei Egösi, die unverheiratet blieb, bat ein Freund den Präsidenten des Südtiroler Künstlerbundes, um Käufer für Egösis Bilder in seinem Bekanntenkreis zu werben. Auf normalem Weg war “mit Bildverkauf nicht zu rechnen.” (S.23) Bei beiden Frauen trug ihre finanzielle Notlage indirekt zu ihrem frühen Tod bei. Wie hätte ihnen der Verkauf von - sagen wir – nur einem Dutzend Bilder und damit der “Durchbruch” als Künstlerin Bestätigung, Sicherheit, Selbstgefühl, Arbeitslust und Lebensfreude gegeben. Bei Modersohn-Becker wissen wir, wie sehr sie durch ein einziges Lob eines älteren Bildhauers, den sie schätzte, an Schaffenskraft und Energie gewann: “ Dass Sie an mich glauben, das ist der schönste Glaube von der ganzen Welt.....Sie haben mir Wunderbarstes gegeben. Sie haben mich selber mir gegeben. Ich habe Mut bekommen.....Ich fange jetzt auch an zu glauben, dass etwas aus mir wird. Und wenn ich das bedenke, dann kommen mir die Tränen der Seeligkeit....Ich danke Ihnen für Ihre gute Existenz. Sie haben mir so wohl getan. Ich war ein bisschen einsam. Ihre ergebene Paula Modersohn” (Paris, 5.Mai, 1906) “Liebe Schwester, ich werde etwas – ich verlebe die intensiv glücklichste Zeit meines Lebens”....(Paris, Mai 1906) “ Ich male lebensgroße Akte und Stilleben mit Gottvertrauen und Selbstvertrauen.”....(Paris, 21. Mai 1906) In den folgenden eineinhalb Jahren bis zu ihrem Tod malte Modersohn-Becker weit über 100 große Bilder.
So manches haben die beiden Künstlerinnen, die nur 18 Jahre im Alter auseinander waren, gemein: die ungenügende Bestätigung der Kunstwelt, die Einsamkeit als Künstlerin, den harten Kampf um ihre Kunst, die finanzielle Notlage – gesellschaftliche Bedingungen für Frauen in der Kunst. Beide wussten sie als junge Mädchen, von Anfang an, dass sie malen wollten und sonst nichts. Mit fünzehn Jahren geht Egösi allein nach München zum Kunststudium, mit sechzehn nimmt Modersohn-Becker ersten Mal- und Zeichenunterricht. Beide folgen nur sich selbst: “Es genügt doch, wenn ich weiß, wer ich bin und was ich als Malerin tun muss. Und das habe ich auch immer gewusst,” sagte Egösi. Beide verfolgen in ihrer Kunst Einfachheit. Modersohn-Becker spricht von der großen Einfachheit der Form. Für beide war Malen das Leben. Wie Egösi sagte: “Aber Malen ist doch das Schönste.” Und beide gelangen am Ende - unbemerkt von der Kunstwelt - zum großen ganz eigenen Ausdruck.
Mein großer Dank an Karin Dalla Torre für eine Künstlerin, die ich ohne sie nicht kennengelernt hätte, und für ein bezauberndes feines neues Buch.
•••••••••••••••• *Karin Dalla Torre: “Blumen aus Blut und Schmerz”: Die Gedichte von Maria Ditha Santifaller (1904 – 1978) IN: Karin Dalla Torre (Hg.): filadressa: Kontexte der Südtiroler Literatur 03:05, Edition Rätia.
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