Empfehlungen Anna Havemann: Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin. Hentrich & Hentrich 2011.
Anna Havemann: Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin. Hentrich & Hentrich 2011.
Von der Schönheit im Alltäglichen
Rezension von Doris Hermanns
Wie schnell eine Künstlerin in Vergessenheit geraten kann, zeigt sich am Beispiel von Gertrude Sandmann. Wer kennt heute noch die 1981 verstorbene Künstlerin, der Anfang des Jahres im Berliner Haus am Kleistpark eine Retrospektive gewidmet war?
Die Kunsthistorikerin Anna Havemann, die auch Kuratorin dieser Ausstellung war, hat mit dieser reich illustrierten Kurzbiografie eine kleine Perle vorgelegt, die die Künstlerin einem breiteren Publikum vorstellt.
Gertrude Sandmann wurde 1893 in Berlin geboren und wuchs dort in einer assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie auf. Ihr Vater war ein begeisterter Kunstsammler.
Ihre Ausbildung begann sie in der Schule des Berliner Künstlerinnen-Vereins, ihrerzeit die zentrale Ausbildungsstätte für Malerinnen und Bildhauerinnen. Weitere berühmte Schülerinnen dieser Schule waren z.B. Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker. In dieser Zeit waren Frauen noch weitgehend von offiziellen künstlerischen Ausbildungsstätten ausgeschlossen. Welche Möglichkeiten Frauen sich trotz aller Widrigkeiten dennoch geschaffen haben, zeigt Havemann fundiert auf.
Als politisch interessierte Frau engagierte sich Sandmann immer wieder, anfangs kurz in der USPD, da diese als einzige Partei gegen den Ersten Weltkrieg gestimmt hatte, später für Frauen und für Homosexuelle. Auch war sie Mitglied des ersten überregionalen Künstlerinnenvereins GEDOK.
Nach Verlassen der Vereinsschule studierte Sandmann in mehreren Privatateliers, so z.B. in München bei Otto Kopp und in Berlin bei Käthe Kollwitz, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verband.
Bereits kurze Zeit nach Beendigung ihres Studiums hatte sie ein eigenes Atelier, 1923 auch schon ihre erste Einzelausstellung, und sie beteiligte sich an diversen Gemeinschaftsausstellungen. Sie verkaufte einige ihrer Werke und arbeitete gelegentlich auch als Illustratorin für Zeitschriften. Ihren Lebensunterhalt brauchte sie jedoch nicht selbst zu bestreiten, da sie vom Erbe ihres Vaters leben konnte.
Ihre Arbeiten lassen sich keiner Kunstform zuordnen. Sie hatte eine sehr eigene künstlerische Handschrift entwickelt, der sie ein Leben lang treu blieb, und die auf dem Erspüren der Gesetzmäßigkeiten und dem Erstaunen über das Leben basierte.
Ihre Arbeiten, die durch ihre Einfachheit bestechen, strahlen Zeitlosigkeit aus, wovon man sich bei den zahlreichen im Buch abgedruckten Werken ein Bild machen kann.
Durch die Machtübernahme der Nazis wurde ihre Arbeit jäh unterbrochen. 1934 wurde sie wegen „nichtarischer Abstammung“ aus dem Reichsverband der Künstler ausgeschlossen. Daher konnte sie keine Malmaterialien mehr kaufen und hatte Mal- sowie Ausstellungsverbot. Infolgedessen konnte sie nur noch im Verborgenen arbeiten.
In ihren Tagebüchern, aus denen Havemann zitiert, spricht sich Sandmann immer wieder gegen den Nationalsozialismus aus und gegen dessen Rassenwahn, der für sie nicht nachvollziehbar ist, sowie gegen die Einschränkungen für Frauen. Sie hatte bereits ein Visum für England, wollte aber ihre alte kranke Mutter nicht alleine in Berlin zurücklassen. Als diese einen Monat nach Kriegsbeginn starb, war es für eine Emigration zu spät. Sandmann überlebte den Krieg in Berlin, indem sie ihren Selbstmord vortäuschte und in den Untergrund ging. Sie wurde über Jahre hinweg von einem befreundeten Ehepaar, einer Freundin und ihrer Lebenspartnerin versteckt. Trotz deren Unterstützung litt sie an Unterernährung und Vitaminmangel. Sie reduzierte ihre Ansprüche an das Leben. Es ist beeindruckend und rührend zu lesen, wie sie sich in dieser Situation immer noch an Kleinigkeiten erfreuen kann: „So hat man kleine Freuden, wenn man sie sich macht.“ Sehr gelungen, wie Havemann immer wieder den zeitgeschichtlichen Hintergrund aufzeigt, deutlich macht , wie die Ausbildungsmöglichkeiten für Künstlerinnen, welches die jeweiligen Kunstströmungen waren, welche Rechte Frauen sich erstritten hatten, wie die politische Situation war und welche Auswirkungen dies alles für Sandmann hatte.
Nach dem Krieg wurde Sandmann, die gesundheitlich stark geschwächt war, gleich wieder aktiv. Sie beteiligte sich sofort wieder an diversen Ausstellungen, unterstützte aber auch Projekte der autonomen Frauenbewegung. Sie war aktives Mitglied von L 74, der ersten Gruppe älterer lesbischer Frauen nach dem Krieg. Für deren Zeitschrift „Unsere kleine Zeitung“ (vielen noch bekannt als UKZ) arbeitete sie als Illustratorin, schrieb aber auch Artikel. Drei Jahre lang war ihre Zeichnung „Die Liebenden“ Titelbild der Zeitung. Zudem war sie Mitbegründerin des Lesbenverlags „Coming Out“.
Gertrude Sandmann starb 1981 im Alter von 88 Jahren nach langer schwerer Krankheit.
••••••••••••••••••••••••••••• Anna Havemann: Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin. Hentrich & Hentrich 2011. Jüdische Miniaturen; Band 106. 88 S., € 9,90.
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