Zum Tod von Mary Daly
Das Jahr fing gar nicht gut an. Erst starb Freya von Moltke am 1. Januar, zwei Tage später dann Mary Daly. Die beiden wohnten nicht weit voneinander entfernt, die eine in Vermont, die andere in Massachusetts, Neuengland. Beide waren Widerstandskämpferinnen und hatten komplexe Beziehungen zu Deutschland. Moltke und ihr Mann gehörten zur Verschwörung des 20. Juli; Helmuth Graf von Moltke wurde von den Nazis hingerichtet. Daly widerstand dem Patriarchat in all seinen Erscheinungsformen, ganz besonders seiner Extremform, der katholischen Kirche. Sie hatte in der Schweiz studiert und gelehrt, und ihre treusten Anhängerinnen hatte sie vermutlich in Deutschland, nicht zuletzt dank der Vermittlung ihrer Übersetzerin, der feministischen Philosophin Erika Wisselinck.
Während Freya von Moltkes Tod hier breite Resonanz auslöste und sogar in der Tagesschau gemeldet wurde, hörten wir über Mary Dalys Tod zunächst kein offizielles Wort, es kursierten nur entsetzte Emails unter Feministinnen: “Hast du schon gehört?”, “Kannst du das bestätigen?” Da ich nirgends eine Bestätigung las - etwa eine Meldung im Boston Globe oder in der New York Times, schließlich war Mary Daly eine Denkerin von internationaler Statur - lebte ich noch 2 Tage in der Hoffnung, jemand, ein mieser Patriarch vielleicht, hätte sich einen üblen Scherz erlaubt. Aber dann kamen schließlich doch die Nachrufe, und ihr Tod wurde traurige Gewissheit.
Warum bekommt der Tod der einen Widerstandskämpferin so unmittelbare und große Aufmerksamkeit, der Tod der anderen aber nur so zögerliche und widerwillige?
Da gibt es eine ganz einfache Antwort: Das Regime, dem Daly zeitlebens heroischen Widerstand leistete, ist noch an der Macht. Es mochte und mag diese unbequeme, kämpferische Denkerin nicht und würde sie am liebsten ignorieren, auch die Tote noch totschweigen. Wären die Nazis noch an der Macht, gäbe es auch kein Aufhebens von Freya von Moltkes Tod. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Feministin, die von der herrschenden Kultur gefeiert wird, sich fragen muss, ob ihr Widerstand noch Biss hat. Und zweitens folgt daraus, dass die überlebenden Widerständigen im eigenen Interesse die Erinnerung an ihre lieben Verstorbenen wachhalten sollten, bis das Regime überwunden ist. Danach läuft die Sache mit dem gebührenden Gedenken an die einstmals so Unbeliebten ganz natürlich und reibungslos.
Mary Daly wird aber nicht nur in ihren Werken weiterleben, sondern wer weiß wo sonst noch. Vor knapp 5 Jahren erzählte sie fröhlich in einem Interview, sie hätte in letzter Zeit öfter Besuch von Matilda. Damit meinte sie Matilda Joslyn Gage, radikale Feministin und Autorin von Women, Church and State (1893). Wenn Mary Daly uns Matilda nicht 1978 in Gyn/Ecology wieder nahegebracht hätte, wäre sie heute ganz vergessen, denn mit ihr, die übrigens das Wort patriarchy geprägt hat, verfuhr das Patriarchat genau so wie mit Mary Daly. Ich stelle mir vor, dass Mary Matildas freundliche Besuche jetzt erwidert, was sie ja bisher nicht konnte, und dass die zwei gemeinsam Pläne schmieden, wie frau diese Welt endlich auf Vorderfrau bringen könnte. Denn, so Daly: “The world needs to become enGAGEd.”
Genau. Und dazu brauchen wir auch Our Daly Bread.
•••••••••• Zum 80. Geburtstag von Mary Daly am 16. Oktober 2008 habe ich eine FemBiographie geschrieben, in der ich ihr Leben und Werk würdige. Über ihre Wortspiele habe ich 1987 einen Aufsatz aus feministisch-linguistischer Sicht geschrieben (Quelle s. dort).
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5 Kommentare
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12.01.2010 um 08:35 Uhr undine
Ab und an rufe ich die Wikipedia-Seite auf, und lese dort die Rubrik: kürzlich verstorbene. Ich habe ja schon immer gehört, das Frauen länger leben als Männer, aber das scheint nur die halbe Wahrheit zu sein: In der Regel sind die dort geführten ‘kürzlich verstorbenen’ allesamt männlichen Geschlechts. Offensichtlich haben Frauen die Unsterblichkeit bereits im wahrsten Sinne des Wortes erreicht - vielen Dank an die Wikipedia für diese Erkenntnis! (Warnhinweis: Ironie)
Vielen Dank Luise Pusch für die Erweiterung des Blicks aufs Ganze. Denn nicht mit dem zweiten, sondern mit beiden Augen sieht frau besser.
12.01.2010 um 03:14 Uhr Alison
Mary Daly wurde in den USA in eine landesweite Sendung “All Things Considered” anlaesslich ihres Ablebens sehr gewuerdigt. Es hat mich gefreut, dass, wenn wir um sie trauern muessen, ihr Leben auch in (eher weltoffenen) Mainstream doch Eindruck hinterlassen hat.
10.01.2010 um 23:18 Uhr Anne
Die frauenbewegungen haben eine lange und kämpferische tradition und somit geschichte geschrieben - abertausende feministinnen sich unter schwierigsten umständen für frauenrechte und gegen die zahlreichen diskriminierungen eingesetzt, mit mut und courage das frauenfeindliche gesellschaftl. patriarchale system in ihren feministischen schriften demontiert.
Unsolidarisch und frauenfeindlich finde ich, manchmal von jüngeren frauen zu lesen, ältere feministinnen mit ihren feminist. vorstellungen befänden sich im ewig-gestrigen, wären altmodisch, zu radikal.
ich wäre froh, es gäbe unter feministinnen mehr courage - so wie sie Mary Daly ín ihrem radikalen denken besass..
Warum fällt es manchen frauen so schwer, UNSERE geschichte und feministische tradition mit ihren vielen heldinnen anzunehmen, zu würdigen bzw. sichtbarer zu machen?
das patriarchat und die maskulistische männerwelt konfrontiert uns täglich mit ihrer geschichte und männl. heldentum, das mehr unheil über die menschheit gebracht hat, in unzähligen geschichtsbüchern, heroischen filmspektakeln, dokumentationen, porträts etc., etc.
Du hast ja, liebe Luise, in deiner fembiographie zu Mary Daly richtig geschrieben “der fall erinnert an deutschlands grösste feministische theoretikern Hedwig Dohm. sie wurde erst 5o jahre nach ihrem tod wiederentdeckt - und noch 2o jahre später mit der ersten von zwei biografien gewürdigt.”
danke für deine prima und nachdenklichen zeilen zum tod von Mary Daly!
“wenn eine frau zur realität durchdringt, lernt sie ihren zorn kennen, und das heisst,sie ist bereit zu handeln.” M.D.
10.01.2010 um 22:51 Uhr Gudrun Nositschka
Die Frauen der Gerda-Weiler-Stiftung werden die Erinnerung an die widerständige Patriarchatskritikerin Mary Daly und ihr Werk aufrechterhalten. Wir haben ihr eine ausführliche FEMMAGE gewidmet.
Hier einige markante Sätze der Verstorbenen: Wir Webweiber brandmarken den patriarchalen Gebrauch von Frauen und Natur und Wörtern./Phallische Mythen und phallische Sprache schaffen, rechtfertigen und verschleiern die reale Umweltverschmutzung, durch die alles empfindende Leben auf dieser Erde mit Vernichtung bedroht ist./Gott steht für die Nekropholie des Patriarchats./Göttin ist nicht einfach ein feministischer Ersatzbegriff für Gott, weil sie bereits vor ihm da war, sondern das Synonym für das Lebendige-liebende Sei-en von Frauen und Natur./Das Patriarchat erhält seinen Betrug durch Mythen aufrecht./Wenn wir Frauen unsere Schleier, unsere Leichentücher abwickeln, ist das ein Prozess für sich./
Mary Daly hat sich und uns die Mittel in die Hand gegeben, den Irrgarten der Phallokratie hinter uns zu lassen. “So gestärkt werden wir in uns und um uns herum die ungeheuerlich politische Tat wachsen sehen, nämlich uns wieder mit uns selbst, mit der Natur, ihren Tieren und Pflanzen sowie mit dem Kosmos zu verbinden, indem wir selber das Kosmische Gewebe spinnen.” Liebe Mary, ich danke Dir.
Gudrun/Eifel
10.01.2010 um 20:02 Uhr Liane
Hallo Luise,
erstmal vielen vielen Dank fuer diese Worte,
ich wuerde noch gerne hinzufuegen,das sich auch “sogenannte” politische lesbenfrauen foren/organisationen sich schwer tun nur ein wort ueber Mary Daly zu schreiben
und die worte von diesem nachruf sind so treffend
“Da gibt es eine ganz einfache Antwort: Das Regime, dem Daly zeitlebens heroischen Widerstand leistete, ist noch an der Macht. Es mochte und mag diese unbequeme, kämpferische Denkerin nicht und würde sie am liebsten ignorieren, auch die Tote noch totschweigen. Wären die Nazis noch an der Macht, gäbe es auch kein Aufhebens von Freya von Moltkes Tod. Daraus folgt im Umkehrschluß, dass eine Feministin, die von der herrschenden Kultur gefeiert wird, sich fragen muss, ob ihr Widerstand noch Biss hat. Und zweitens folgt daraus, dass die überlebenden Widerständigen im eigenen Interesse die Erinnerung an ihre lieben Verstorbenen wachhalten sollten, bis das Regime überwunden ist. Danach läuft die Sache mit dem gebührenden Gedenken an die einstmals so Unbeliebten ganz natürlich und reibungslos.”