Wikipedia oder Wikiblödia?
Wie ich aus der Emma erfuhr, wollen deutsche Wikipedia-Mitarbeiter mittels einer Mitgliederbefragung, die noch bis zum 14. Februar läuft, den Gebrauch des generischen Maskulinums endgültig festschreiben (nachzulesen hier. Vgl. auch den Kommentar von Anatol Stefanowitsch).
Die Begründungen für diesen Mannipulationsversuch sind so hanebüchen, dass ich hier nicht mehr darauf eingehen möchte. Ich habe mir gegen dieselbe verbissene Unbelehrbarkeit in den vergangenen 35 Jahren die Finger schon mehr als wundgeschrieben. Für diejenigen, die sich in das Thema einlesen wollen, empfehle ich meine linguistischen Bücher (alle im Buchhandel oder bei Amazon, eine Liste gibt es hier), meine unten abgebildeten 5 Glossenbücher, meinen Blog „Laut und Luise“ oder diese nützliche Zusammenfassung von Anatol Stefanowitsch.
Es handelt sich bei dem Wikipedia-Mannöver um einen bedauerlichen Fall von typisch deutscher und typisch männlicher Verbohrtheit. Die Autoren des Antrags behaupten allen Ernstes:
Das generische Maskulinum ist nicht diskriminierend, es ist geschlechtsneutral. Es verwendet lediglich ein maskulines Genus, ist jedoch in Bezug auf den Sexus (das biologische Geschlecht) indifferent. Eine Diskriminierung liegt nicht vor, da eine Gleichsetzung von Genus und Sexus aus sprachtheoretischer Sicht nicht zulässig ist.[17] Der gedankliche Einschluss von Frauen erfolgt beim generischen Maskulinum so selbstverständlich und automatisch, dass von einer durch Sprache generierten oder gar perpetuierten Diskriminierung oder Nachordnung von Frauen nicht die Rede sein kann.
Mehr Ungereimtheiten dieser Art, wie gesagt, in dem Meinungsbild bei Wikipedia.
Und wie hält es die Mutter von Wikipedia Deutschland, die englischsprachige Wikipedia? Die haben und hatten ja auch ein Problem mit dem generischen Maskulinum. Früher hieß es, das maskuline Pronomen he schließe - bei Verallgemeinerungen - das weibliche Pronomen she ein. Frauen, die sich dagegen auflehnten, nur "mitgemeint" zu sein oder präziser: untergebuttert zu werden, wurde höhnisch „pronoun envy“ (Pronomen-Neid) vorgeworfen - eine Anspielung auf den „Penisneid“, an dem, wie es bis vor kurzem hieß, alle Frauen leiden, die einen Beruf ausüben und selber Geld verdienen wollen. Im aktuellen Heft der Zeitschrift „The New Yorker“ ist zu dem Thema ein langes, wütendes und erhellendes Gedicht der kanadischen Lyrikerin Anne Carson abgedruckt. Eins jedenfalls ist gewiss: Das Thema "Frauen, Sprache und Gerechtigkeit", das es vor 40 Jahren noch gar nicht gab, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und bewegt allenthalben die Gemüter.
Sehen wir uns also mal in der englischen Wikipedia um, wie dort mit dem generischen Maskulinum verfahren wird. Was finde ich im Eintrag für "President of the European Parliament": "He or she (m.H.) also represents the Parliament within the EU and internationally."
Auf Deutsch finde ich hingegen unter dem Stichwort: "Präsident des Europäischen Parlamentes": "Der Präsident des Europäischen Parlaments leitet die Aktivitäten des Europäischen Parlaments und die dem Parlament unterstellten Institutionen. Als Parlamentspräsident hat er den Vorsitz bei den Plenarsitzungen."
Typisches Wikiblödia-Deutsch! Und diese Männersprache soll uns nun auf ewig erhalten bleiben, finden die Antragsteller und Initiatoren des Meinungsbildes.
Geben Sie mal bei Wikipedia-Englisch „he or she“ ein oder klicken Sie gleich auf diesen Link:
http://en.wikipedia.org/w/index.php?search=he+or+she&button=&title=Special%3ASearch.
Sie bekommen folgendes Ergebnis: Die gendersensible bzw. geschlechtergerechte Formulierung „he or she“ kommt insgesamt 145.257 mal vor.
Ich habe mich eben ein wenig auf der Seite des Meinungsbildes umgesehen. Es ist alles sehr unübersichtlich, aber wenn ich richtig verstehe, was da abgeht, ist die Mehrheit gegen oberlehrermäßige Bevormundung und für eine geschlechtersensible Sprache oder mindestens für ein zivilisiertes Laissez-faire.
Na also. Geht doch. Mal abwarten. Vielleicht besinnt sich Wikiblödia in letzter Minute doch noch auf schlichte, international verbindliche Gepflogenheiten sprachlicher Höflichkeit. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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12 Kommentare
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10.02.2014 um 09:05 Uhr Schubidu
Nur mal ein Gedanke dazu:
Die Wiki-Männer werden alles daran setzen, dass die Sprache männlich bleibt (Diskussion sinnlos)
Was hindert Frauen daran, eine eigene Wiki aus weiblicher Sicht ins Netz zu stellen?
Die Saftware dafür ist frei und in wenigen Minuten installiert,
http://www.mediawiki.org/wiki/MediaWiki/de
D.h. nicht, dass ein Geschlechterkampf mit konkurrierenden Wikis ausgefochten werden soll, sondern dass die Wikipedia eigentlich um eine Sichtweise (Sprache) erweitert werden könnte.
Das Gleiche könnten sich auch die LGBTs überlegen.
09.02.2014 um 14:02 Uhr Stephanie Gogolin
... seit Jahren bemühe ich mich mein sprachliches Gerechtigkeitsempfinden zum Ausdruck zu bringen und das ist wahrlich nicht immer leicht…
Was bin froh, dass kluge Frauen und allen voran immer wieder Luise F. Pusch so eine hervorragende und immens wichtige Vorarbeit geleistet haben und nicht müde werden an diesen Themen weiter zu arbeiten.
In meinen (bescheidenen)Texten schreibe ich über soziale, politische und kulturelle Gegebenheiten und Bedingungen in unserer Gesellschaft und zwar im Hinblick auf Männer, Frauen und Kinder.
Aber ich schreibe vor allem ‘für’ Frauen. Also spreche ich mein lesendes Gegenüber prinzipiell weiblich an und schreibe beispielsweise statt „man“ in der Regel „frau“. Diese Intention finde ich beim Schreiben recht hilfreich. Musste ich am Anfang noch oft überlegen, kam ins Stocken oder suchte nach einer anderen, als der gängigen, Ausdrucksweise, fand ich inzwischen einen Stil mit dem ich recht zufrieden bin.
Ich halte nichts vom generischen Maskulinum und weiche sprachlich lieber auf den Plural oder Verallgemeinerungen aus, aus benutzte gelegentlich die Zusammenfassung “wir” und “uns” oder beziehe Beispiele auf meine Person und da ich eine Frau bin, voilà gestaltet sich der Text gleich viel weiblicher. Eigentlich suche keine Sprache nach Gender – Art. Ich sehe mich konkret in einer Welt, die mindestens zur Hälfte aus Weiblichkeit besteht. Wenn wir dann noch den Kniff anwenden, wie das auch in dem üblichen männlichen Sprachstil vorkommt und ‘Frauen und Kinder’ in einem Atemzug nennen, vielleicht noch die Alten und Kranken zu der weiblich gedeuteten Welt hinzuzählen sowie all die Spielarten der Geschlechter einbeziehen, bleibt eine so geringe Anzahl an „rein“ maskulinen Personen übrig, dass ich es einfach nicht für gerechtfertigt halte unsere Sprache nur in deren Sinne zu gestalten. Aber Spaß beiseite!
Es ist, wie gesagt, trotzdem nicht ganz einfach. Aber ich bilde in meinen Texten auch meine persönliche Welt ab und die ist tatsächlich überwiegend weiblich besetzt.
Doch es gilt auch, Gerechtigkeit walten zu lassen. Der Sohn und der Bruder, all die anderen männlichen Anverwandten und Väter sind nun mal da und gehören genau so zu uns, wie unsere Schwestern und Mütter, Großmütter und Muhmen, Freundinnen und Gefährtinnen. Nötigt uns nun die bloße Existenz, Männer sprachlich grundsätzlich zu bevorzugen?
Also warum sollte ich, Mutter von drei Töchtern und Großmutter von 11 Enkeltöchtern, die Welt und die Lebenszusammenhänge mit Ausdrucksformen beschreiben, die dem patriarchalen Maskulinismus geschuldet sind? ‘Never ever’, wie die Kleine immer sagt…
09.02.2014 um 12:03 Uhr Lena Vandrey
Wikiblödia ist ja köstlich! und diese Schelte hat der Laden wahrhaft verdient!
Wikidebilia hatte sich in France Folgendes erlaubt: Meine 3 biographischen Texte, die sich bei Fembio befinden, wurden nicht nur gelöscht, sondern ich wurde der “violation de copyright” angeklagt! Mein Logo, ein orangener Kopf, wurde ebenfalls gelöscht. Ich hatte korrekterweise angegeben, dass die englische Fassung des Textes von Joey Horsley sei und fragte mich, ob ich Fembio das exklusive Copyright zugestanden habe. Keineswegs! Lfp klärte mich darüber auf und nannte Wikidoophia die BESSERWISSER.
Die Anstrengungen, diese infame Behauptung zu löschen, darunter Einschreibe-Briefe nach San Francisco, will ich gar nicht beschreiben. Schließlich wollte der Agent von Wikimistia, dass ich doch bei ihnen sei, fand sich aber zu keiner Entschuldigung bereit. Die irrsinnige Behauptung blieb wochenlang im Netz stehen. Vielen Dank! Ich fühle mich gerächt und gerecht! Dass Wikifaulia eins auf die Nase bekommt, ist ein prima Geschenk zum Sonntags-Frühstücks-Ei!
09.02.2014 um 10:41 Uhr Susanne Wosnitzka
Liebe Frau Pusch,
ich bin selbst Wiki-Autorin, “befraue” und “belesbe” unzureichend ausstaffierte Artikel, in denen Frauen bislang gänzlich fehlten (z.B. auf dem Wiener Zentralfriedhof ruhende Personen - das war bislang scheint’s ein reiner Männerfriedhof) - immer wieder stoße ich in Frauenartikeln an sprachliche Grenzen.
Wo es wirklich fast ausschließlich um Frauen geht, wurden meine Nennungen von Männern UND Frauen wieder rückgängig gemacht - auf das Wiki-“Gesetz” gen. Maskulinum verwiesen. Dabei kommen dann relativ schwachsinnige, auch wahrlich unsinnige Sätze dabei heraus. Die Artikel werden auch hauptsächlich von Männern korrigiert & freigegeben (meine Erfahrung) - daher: Wiki braucht eindeutig mehr Autorinnen/Wiki-Polizistinnen. Ein großer Streitfall war neulich der Artikel über http://de.wikipedia.org/wiki/Royal_Academy_of_Arts - wer sich damit auskennt, weiß, dass unter den Gründungsmitgliedern auch 2 höchst bedeutende Frauen waren, nämlich die Malerinnen Angelika Kauffmann & Mary Moser (wovon Letztere noch gar keinen dt. Artikel hat - nur englisch).
Diese beiden fügte ich hinzu, weil es zur damaligen Zeit etwas Außergewöhnliches darstellte und sie einfach wegen geschichtlicher Richtig- & Wichtigkeit unbedingt in diesen Artikel gehören. Eine halbe Stunde später wurden die beiden wieder (von einem Mann) entfernt mit der Begründung, man solle diesen beiden Frauen “doch nicht so huldigen” (O-Ton).
Dabei steht in AKs & MMs Artikeln eindeutig schon im Haupteingang, dass sie “RA"s sind, also eben Mitglieder der RAoA. Der Mann meinte, ich solle erst “beweisen”, dass sie es wert seien, extra mit genannt zu werden. Schuld war auch hier wieder das gen. Maskulinum, denn es war permanent eben von “Künstlern” die Rede - & ohne die beiden Frauen konnte man wirklich den Eindruck erlangen, dass Frauen dort gar keine Rolle spielten.
Traurig. Mit einer anderen Wikipedianerin fand ich dann eine Möglichkeit, die beiden Frauen wiki-gerecht (kommt auch immer auf die Relevanz an) in diesen Artikel einzubetten.
Uff - aber ich liebe diese Arbeit, auch wenn dafür (unbezahlte) Zeit draufgeht, weil ich sie als höchst wichtig für die Sichtbarkeit von Frauen in dieser wichtigsten Online-Enzyklopädie erachte - auch speziell für nachfolgende Generationen.
Sie haben so recht, wenn Sie die Wiki-“Regeln” teils als “hanebüchen” bezeichnen.
Übrigens: am 8. März (Welt-Frauen-Tag & Tag der Archive) veranstaltet das Archiv Frau und Musik in Frankfurt/Main ein kleines Symposium - darunter auch zum Thema Sichtbarkeit von Komponistinnen im Interet. Dabei kommt genau dieses Problem in Wiki-Artikeln & anderen Suchmaschinen zur Sprache.
Viele Grüße
Susanne Wosnitzka