Wenn der Flüchtling eine Frau ist
Das „Flüchtlingsproblem“ läuft unter falscher Flagge - es ist eines der vielen Probleme, die wir mit Rechtsextremen haben. Solche fehlidentifizierten Probleme sind nichts Neues. Das meistdiskutierte war die sogenannte „Frauenfrage“, die natürlich eine Männerfrage war.
Rein sprachlich gesehen sind aber die „Flüchtlinge“ durchaus ein Problem, denn das Wort „Flüchtling“ ist - wie alle deutschen Wörter, die mit „-ling“ enden - ein Maskulinum, zu dem sich kein Femininum bilden lässt. Bei „Pfifferling“, „Jüngling“, "Engerling", „Bratling“, "Schmetterling" und „Fäustling“ stört uns das nicht weiter, bei „Wüstling“, „Lüstling“ und "Feigling" erst recht nicht, aber bei "Liebling" wünschen wir uns schon manchmal was Weiblicheres, und bei „Flüchtling“, „Lehrling“, „Täufling“ und „Säugling“ wird es echt zum Problem. Diese maskulinen Bezeichnungen verdrängen Mädchen und Frauen aus unserem Bewusstsein; sie lassen in unseren Köpfen automatisch Bilder von Jungen oder Männern entstehen.
Der „Säugling“ wird heute meistens „Baby“ genannt. Prima Lösung!
Kürzlich bekam ich über Facebook folgende Anfrage:
Liebe Frau Pusch, ich bin eigentlich schon recht kreativ, was den Umgang mit gerechter Sprache angeht. Aber hier stoße ich an meine Grenzen: Was ist die weibliche Form von "Täufling"?
Ich schrieb zurück:
Normalerweise würde ich frech für „die Täufling“ plädieren nach der Devise „Wir machen unsere Sprache selber: die Welt gehört feminisiert.“ Allerdings klingt „die Täufling“ wie „die Teufelin“, und im christlichen Milieu kämen da sicher sofort die falschen Assoziationen für die arme kleine Täufling auf. Vielleicht „Taufkind“ in Anlehnung an „Geburtstagskind“? Ich werde weiter nachdenken.
Wenn es nur das Problem mit „dem Täufling“ wäre. Aber da ist eben das viel größere und aktuellere Problem mit „dem Flüchtling“ und den sogenannten „weiblichen Flüchtlingen“, auch „Flüchtlingsfrauen“ genannt oder „Frauenflüchtlinge“ (in der Schweiz).
Der Blogger Sascha Lobo schlug neulich in Maybrit Illners Talkshow vor, statt von „Flüchtlingen“ von „Vertriebenen“ zu sprechen, was der bayrische Innenminister sofort als Beleidigung zurückwies. Offenbar meinte er, die deutschen Flüchtlinge, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden und im mächtigen, staatlich geförderten „Bund der Vertriebenen“ organisiert sind, seien etwas Besseres als die nichtdeutschen Flüchtlinge, die derzeit in Scharen nach Deutschland kommen. Pfui, kann frau da nur sagen.
Lobos Vorschlag hatte noch zusätzlich den Vorteil, dass „die Vertriebenen“ geschlechtsneutral ist und Frauen als gleichberechtigt behandelt, jedenfalls grammatisch. Aber natürlich nur im Plural. Im Singular herrscht wie gehabt das generische Maskulinum: „Vertriebener [!] ist, wer als deutscher [!] Staatsangehöriger [!] oder deutscher [!] Volkszugehöriger [!] seinen [!] Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten … verloren hat. (§1 Bundesvertriebenengesetz (BVFG), zitiert nach Wikipedia).
Dennoch - dieses „Flüchtlingsproblem“ hätten wir mit Hilfe von Sascha Lobo schon mal ansatzweise gelöst.
Sollten die deutschen Vertriebenenverbände gegen die Bedeutungserweiterung ihrer gesetzlich definierten Bezeichnung protestieren, könnten wir statt „Vertriebene“ auch „Geflüchtete“ oder „Geflohene“ sagen. Oder einfach „Willkommene“, nachdem sie den Deutschen doch zu einer nie für möglich gehaltenen „Willkommenskultur“ verholfen haben.
Ebenfalls ansatzweise gelöst, und zwar schon lange, ist das „Lehrlingsproblem“. Die Lehrlinge heißen jetzt „Auszubildende“, was wenigstens im Plural schön geschlechtsneutral ist.
Nun noch einmal zum Täufling. „Der Täufling soll Lena heißen“ - wie hässlich klingt das denn?! Gesucht wird eine weibliche oder zumindest geschlechtsneutrale Bezeichnung.
Bei Wikipedia lese ich: "Das griechische Wort für taufen im Neuen Testament ist baptízein (βαπτίζειν) und bedeutet so viel wie ein- oder untertauchen."
Da hätten wir also schon eine Lösung: Aus allzu maskulin getönten Täuflingen werden - nach dem gelungenen Vorbild der „Auszubildenden“ - geschlechtsneutrale „Einzutauchende“: „Die Einzutauchende heißt Lena, der Einzutauchende Markus“. Und wenn sie fertig eingetunkt sind, ist Lena eine „Eingetauchte“ und Markus ein „Eingetauchter“.
Klingt alles zu sehr nach Dunkin Donuts? Dann ist vielleicht doch das „Taufkind“ noch die beste Lösung.
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Nachtrag am 20.10.15: Rolf Löchel, FemBiograf (vgl. Tori Amos und Clara Viebig) und Experte in Sachen Feminismus und Literatur, schickte uns noch folgenden Hinweis zur uralten Geschichte von Frauen, die vor patriarchaler Gewalt fliehen: "Dann dachte ich nach der Lektüre Ihrer Glosse noch über "Schutzflehende" nach, was zwar wegen des "Flehens" nicht so schön klingt, aber den Vorteil hätte, der deutsche Titel von Aischylos' Tragödie "Hiketides" zu sein. Und eben deshalb gefällt es mir so gut. Denn die Hiketides/Schutzflehenden des Aischylos sind 50 Frauen, die vor einer Zwangsverheiratung aus ihrer Heimat nach Argos fliehen und um Asyl bitten. Aber vermutlich würde kaum jemand bei dem Ausdruck "Schutzflehende" die 50 Frauen der Tragödie und ihren geschlechtsspezifischen Grund zur Flucht assoziieren."
Nachtrag am 19.5.16 Der Berufsverband der RechtsjournalistInnen hat vor kurzem einen umfangreichen Ratgeber zum Thema Asylrecht und Migrationsrecht veröffentlicht.
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16 Kommentare
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19.10.2015 um 15:20 Uhr Lena Vandrey
Im Französischen ist es einfach: die Flüchtlinge heißen “les réfugié(e)s”. Da gibt es dann einE réfugiée oder einEN. Idem für die Taufe, einE Getaufte oder einEN Getauften. Die “Vertriebenen” ist doch das richtige Wort. Vormals hieß es auch die “Evakuierten”.
Wenn wir uns gerecht ausdrücken, wird dann das Problem gerechter behandelt?
Die “Fliehenden” wäre ein Status, nur dass er mit der Ankunft aufhört. Willkommen! für diese Frauen? Aber sie dürfen sich nicht Vertriebene nennen! Es heißt: Am Anfang war das Wort! Welches Wort von wem? Hat es nicht zu einer fürchterlichen Wort-Klauberei geführt? Die Linguistin als neue Sisypha? Und warum sollte ich meine Freundin nicht “Liebling” nennen können? Und eine andere “armes Kerlchen”?
Meine Schwester und ich wurden erst 1947 zwangsgetauft, also 6 und 4 Jahre alt. Wir schrien wie am Spieß zu Füßen des Sterbenden. Es hieß, dass ungetaufte Kinder nicht wachsen würden, dabei war ich für mein Alter schon viel zu groB!
Millionen von Männern wollen nach Deutschland, und somit erfüllt sich die vor Jahren öffentlich ausgesprochene Weissagung eines Islamisten: Wir werden euch kriegen über eure Gesetze selbst und über die Bäuche unserer Frauen!
Hieß es nicht: Wehret den Anfängen???
19.10.2015 um 12:40 Uhr lfp
@Christoph Päper:
An “Zutaufende” habe ich natürlich auch gedacht, es dann aber vorläufig als zu innovativ/gewagt zurückgestellt. Zumal “Taufkind” doch eine akzeptable Lösung ist. “Zutaufende” würde nach deutschen Wortbildungsregeln interpretiert analog zu “Zunehmende”, das auf “zunehmen” zurückgeht. Und ein Verb “zutaufen” gibt es nicht.
19.10.2015 um 12:31 Uhr Katrin Lunde
«Taufkind» scheint mir eine gute Lösung zu sein, wahrscheinlich weil das Wort so heisst im Norwegischen: «Dåpsbarn» («dåp» ist «Taufe», «barn» ist «Kind»). Grammatisches Geschlecht Neutrum.
19.10.2015 um 12:27 Uhr anne
auch den nachtrag von LFP zu den `Schutzflehenden` finde ich sehr gut ! es geht auch hier um die flucht vor zwangsverheiratung. http://www.terre-des-femmes.ch/de/themen/frauenfluechtlinge
eigentlich waren es doch überwiegend frauen, die sich dieser frühen menschenrechtsverletzung widersetzten und gegen ihre unterdrückung kämpften. von männern, die `zwangsverheiratet` wurden oder werden, hört frau so gar nichts. also gingen die initiativen von frauen aus, wie die gesamte frauenbewegung ?
die meisten frauen auf der flucht fliehen vor männergewalt und viele erleben wiederum in angeblich sicherer umgebung weitere geschlechtsspezifische gewalttaten. schwierig ist es, für sie einen speziellen begriff zu finden - als sog. `frauenflüchtlinge` werden sie in der EU seit 1984 als eine eigene soziale gruppe berücksichtigt.
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fluechtlinge-warum-vor-allem-maenner-nach-deutschland-kommen-a-1051755.html
18.10.2015 um 23:04 Uhr Christoph Päper
In welcher Welt ist „Einzutauchende“ besser oder naheliegender als „Zutaufende“? (Das heißt nicht, dass es gut ist.)
18.10.2015 um 18:35 Uhr Judith Rauch
Vielleicht sollte man das mit dem Taufen ganz lassen, nachdem neulich das schwedische Taufkind während der Zeremonie “wie am Spieß” geschrieen hat - so schrieben jedenfalls alle:
http://www.stern.de/lifestyle/taufe-von-nicolas—kleiner-prinz-schreit-wie-am-spiess-6495502.html
18.10.2015 um 13:18 Uhr Amy
Alles sehr interessant! Wieder viel Neues erfahren! Da gibt es auch den Begriff `Getaufte`, die Getaufte, der Getaufte, die Getauften. Das `Taufkind` als Lösung finde ich gut, denn das Taufkind Lena wird dann eine Getaufte sein. Täufling klingt auch so nach Däumling und ist im Märchen eine Gestalt, die nicht größer als ein Daumen ist. Hans Christian Andersen schuf mit seinem Kunstmärchen `Däumelinchen` sogar eine weibliche Figur.
Aber zum Begriff `Willkommene` bin ich mir nicht ganz so sicher , denn die sog. Flüchtlingskrise zeigt auch, dass mit ihr eine Willkommens-Krise einhergeht.
Auch mit der Durchhalteparole - `Wir schaffen das` - , lässt sich die Realität nicht verkennen, dass ein großer Teil der Bevölkerung der unkontrollierten Einwanderungszahl kritisch gegenüber steht.
Ich gebe zu, die vielen Flüchtlingsfrauen mit ihren Kindern sind für mich herzlich `Willkommene`, aber bei etlichen männl. Flüchtlingen habe ich meine Bedenken.
Dass wir sogar einen Forderungskatalog in Sachen Gleichberechtigung aufstellen müssen, zeigt dies einmal mehr. Noch mehr Parallelgesellschaften und integrationsunwillige Männer , die uns evtl. das Patriarchat frei Haus liefern, können wir uns nicht leisten?
Da gibt es eine Vielzahl - tut mir leid das zu sagen - , die ich vor allem als Frau nicht unbedingt willkommen heißen kann.
17.10.2015 um 21:46 Uhr Joey Horsley
Sehr gut – vor allem gefällt mir die Lösung “Willkommene” samt Erklärung!
Das englische Wort “refugee” geht in eine ähnliche Richtung: jemand, der/die Zuflucht (refuge) sucht. “Asylsuchende” wäre also vielleicht auch eine Option, oder “Zufluchtsuchende.”