„The Voice of America“ - warum Frank Sinatra und nicht Doris Day?
Sonntag abend wollte ich mir Anne Wills x-te Corona-Talkshow ansehen, geriet aber stattdessen in eine Sendung über Frank Sinatra. An Sinatra gefällt mir außer seiner Tochter Nancy eigentlich nur die Stimme und seine schauspielerische Leistung in „Verdammt in alle Ewigkeit“, für die er auch den Oscar bekam. Weshalb also blieb ich an dieser Sendung hängen? Wegen Doris Day. Sie und Sinatra lebten gleichzeitig und lange im selben Milieu, aber meist strikt aneinander vorbei. Nur einmal sind sie zusammen aufgetreten, 1954, in dem Film Young at Heart. Sinatra und Day waren darin und auch sonst wie Night and Day.
Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit Doris Day, es hat so was angenehm Coronafremdes. Der tatsächliche Grund ist allerdings, dass Day 1922 geboren wurde und somit im Jahre 2022 einhundert Jahre alt geworden wäre. Fast hätte sie es auch geschafft: Sie wurde immerhin 97. Zum Hundertsten soll sie im Kalender „Berühmte Frauen 2022“ ein Porträt bekommen, genau wie Judy Garland, die nur zwei Monate jünger war als Doris Day, aber 50 Jahre weniger Lebenszeit bekam. Das lag vermutlich an den Drogen. Doris Day, in Deutschland gerne als „Sauberfrau“ Hollywoods geschmäht, nahm im Gegensatz zu Judy Garland weder Drogen noch trank sie.
An dem Sinatra-Porträt mit dem pompösen Titel: „Frank Sinatra - Die Stimme Amerikas“ interessierten mich die möglichen Parallelen zur Laufbahn von Doris Day. Geboren im Dezember 1915, war Frankieboy nur 6 Jahre und 4 Monate älter als Day. Beider sängerische Karrieren entfalteten sich in der Big-Band-Zeit der dreißiger und vierziger Jahre, in den fünfziger Jahren hatten beide Erfolge in Hollywood, Anfang der sechziger Jahre waren beide weltberühmt und verdienten Unsummen mit ihren Platten. Aber mit dem Aufkommen der Beatles, der Stones und anderer Boy Groups, Aretha Franklins, Diana Ross’ und anderer schwarzer Sängerinnen waren ihre Musik und ihr Gesangsstil passé. Doris Day arbeitete noch einen Fünfjahresvertrag für die Doris-Day-TV-Show ab, den ihr verstorbener Gatte und Manager für sie abgeschlossen hatte. Frank Sinatra zog sich aus dem Showgeschäft zurück, um bald darauf wieder aufzutauchen und als „the Voice (of America)“ ganze Stadien zu füllen. Er verkörpere das amerikanische Jahrhundert, resümierte die TV-Sendung. Immerhin durchlebte er es tatsächlich fast komplett, von 1915 bis 1998.
Während also Sinatra mit seinen Konzerten die ganze Welt, und vor allem nostalgisch gestimmte Angehörige der „Greatest Generation“ beglückte, die den Zweiten Weltkrieg mitgemacht und gewonnen hatten, widmete sich Doris Day mit ganzer Seele ihrem zweiten Beruf als Tierschützerin und Tierrechts-Aktivistin. 50 Jahre lang setzte die „Sauberfrau“ sich unermüdlich für Tiere ein und rettete mit ihren Stiftungen Millionen von ihnen das Leben.
Sinatra war ein notorischer Womanizer; er liebte nicht nur die Frauen, sondern auch den Alkohol und meldete dazu stolz, lange bevor der „final curtain“ fiel: „I did it my way“.
Auch Doris Day „did it her way“, aber erst in ihrer zweiten Karriere als Tierschützerin. Bis dahin war sie dem Männerbetrieb Hollywoods und ihren männlichen Managern ausgeliefert. Mit dem schlimmsten von ihnen, Marty Melcher, war sie auch noch verheiratet. Er brachte ihr gesamtes Geld durch, viele Millionen, und verhökerte seine Frau zunehmend an Projekte, die ihm Geld einbrachten, aber weit unter ihrem Niveau waren.
Beide, Doris Day wie auch Frank Sinatra, besaßen ein gehöriges Quantum an Resilienz. Rückschläge wie die totale Veränderung des Musikgeschäfts durch die Generation der Beatles etc., die ihren Gesangsstil obsolet machte, verkrafteten sie auf bewunderswerte, allerdings sehr unterschiedliche Weise. Doris Day kehrte diesem Teil ihres Lebens entschlossen und für immer den Rücken, während Sinatra das Fossil durch seine Kunst zu neuem Leben erweckte.
Beide besaßen eine phantastische Stimme, große Musikalität und große schauspielerische Begabung. Warum also verließ Day die Welt des ShowBiz, während Sinatra sich (immerhin erfolgreich) daran klammerte? Warum gilt Sinatra als „Stimme Amerikas“ und nicht Day?
Sinatra-Biographien versichern: Die Frauen schwärmten für Sinatra, und die Männer wollten so sein wie er. Day-Biographien sagen, mutatis mutandis, fast dasselbe: Die Männer begehrten Doris Day nicht nur, sondern wollten sie sogar ihrer Mutter vorstellen, und die Frauen wollten so sein wie Doris Day.
Aber zwischen „schwärmen“ und „begehren“ besteht ein Unterschied im Verfallsdatum. Männer als Sexobjekt sind quasi alterslos, Frauen als Sexobjekt haben spätestens ab 45 ausgedient. Mit 50 beendete Doris Day ihre Karriere im ShowBiz und begann eine ganz neue.
Ihre größten Film-Triumphe feierte Doris Day zwischen 1955 und 1965, also zwischen ihrem 33. und 43. Lebensjahr. Damit die „amerikanische Sauberfrau“ in Deutschland nicht so steril rüberkam, wurden die Titel ihrer Filme auf zweideutig bis schlüpfrig getrimmt: Aus „Pillow Talk“ (Kopfkissengeplauder) wurde „Bettgeflüster“, „Lover come back“ wurde zu „Ein Pyjama für zwei“, aus „The Glass Bottom Boat“ drechselte mann „Spion in Spitzenhöschen“, und „Move over darling“ wurde „Eine zuviel im Bett“. Ohne eindeutige Hinweise auf Bett oder Reizwäsche war Doris Day in Deutschland nicht zugelassen.
Doch zurück zu der Frage: Warum wurde Sinatra die „Stimme Amerikas“ und nicht Doris Day?
Blöde Frage. Der Mann kann für die Gesamtheit stehen, also auch für beide Geschlechter. Die Frau kann nur für die Gesamtheit der Frauen stehen, nie für beide Geschlechter.
Dieses eherne Gesetz ändert sich zwar gerade, besonders in der Sprache, aber im ShowBiz zur Zeit Doris Days galt es noch uneingeschränkt.
Soweit die „feministisch verbissene“ Antwort auf die blöde Frage. Es gibt auch eine positive: Doris Day hatte mehr Pfeile in ihrem Köcher als Frank Sinatra und zog es in der zweiten Hälfte ihres langen Lebens vor, nur noch das zu tun, was ihr wirklich am Herzen lag. Und diesmal sollte kein Mann ihr mehr dreinreden.
7 Kommentare
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13.05.2020 um 08:18 Uhr Monika Jarosch
Wunderbar, liebe Luise Pusch
eine uralte Verehrerin ihrer Schriften und Glossen
Monika Jarosch aus Innsbruck
07.05.2020 um 00:36 Uhr ute x
Liebe Luise,
wie schön, dass Frauen mit Einfluss um dich sind und du tun kann, was dir wirklich am Herzen liegt - und mit uns teilst. Ob es erstrebenswert ist, die Stimme Amerikas zu sein, bleibt offen. Stimmig ist, das zu tun, was einer wirklich am Herzen liegt. Danke!
06.05.2020 um 16:12 Uhr Joey
Brava, Luise! Once again an idea that no one else would have thought of – to compare these two entertainment personalities. And you make many fascinating observations. Thank you!
06.05.2020 um 09:17 Uhr Barbara
Made my day!
Und der schöne Film!
Danke dafür,
liebe Grüße aus dem spanischen Total-lockdown
Barbara
05.05.2020 um 21:18 Uhr Daniel Elmiger
Das ist aber schön, dass Ihre Kolumne zurück ist: Das freut mich sehr! Und vielen herzlichen Dank für den neuen Text: ich bin schon gespannt auf die kommenden.
05.05.2020 um 19:47 Uhr Ingrid Steinmeister
Liebe Luise,
interessant die Gegenüberstellung. Ja, Sinatra wurde allseits begehrt, allerdings sicher nicht immer wegen seiner Persönlichkeit, sondern mehr wegen seiner tollen Stimme. Und das ermöglichte ihm auch einen zweiten Start.
Doris Day war ein Star der Zeit, Kriegs/Nachkriegszeit, alberne Geschichtchen, unemanzipierte Frauenrolle. Ihre Persönlichkeit war nicht faszinierend wie die anderer Stars, die auch im Alter noch große Rollen oder Auftritte hatten: da fallen mir vielleicht nicht von ungefähr andere Nationalitäten ein: Simone Signoret, Jeanne Moreau…
Ich habe übrigens auch in die Sendung gezappt und verweilte ein bisschen, weil mich - wie früher - die Songs begeisterten und mich interessierte, wie er das Comeback schaffte.
Doris Day hätte ich mir sicher nicht angesehen. Die Filmsujets und ihre Rolle sagten mir schon früher nichts.
Einige persönliche Gedanken…
Schreib weiter deine Glossen, du bist eine Frau, die jung und älter, in ihrem Metier aerfolgreich ist…
Viele Grüße
Ingrid
05.05.2020 um 19:33 Uhr Ebel Bärbel
Liebe Frau Professor Pusch!
Ich freue mich, wieder von Ihnen Lesenswertes zu lesen. Bleiben Sie resistent und resilient, mit freundlichen Grüßen Bärbel Ebel