“Studenten” und andere Enten: Ein Plädoyer für “Studierende”
Heute, am 5. November 2016, bringt die FAZ mal wieder einen Artikel über gerechte Sprache. Sie nennt diese allerdings „sogenanntes Gender-Deutsch“:
Professx trifft Student*innen
Politisch korrekt oder unsäglich? Sogenanntes Gender-Deutsch treibt Befürworter und Gegner auf die Barrikaden. Der Ton an den Unis wird rauher.
Der Artikel bringt inhaltlich kaum Neues, bemüht sich aber wenigstens um Ausgewogenheit. Das unterscheidet ihn positiv von früheren gehässigen Verlautbarungen des Blattes zum Thema und liegt vermutlich daran, dass der Artikel von einer Frau, Josefine Janert, verfasst wurde. Immerhin geht es in der Sache also auch um ihre ganz persönliche Teilhabe an der Sprache - und die so einfach für überflüssig zu erklären, nur damit die Chefredaktion happy ist, fällt Frauen offenbar immer schwerer.
Da ich mich zu dem Thema in den vergangenen 40 Jahren schon gefühlte Millionen Mal schriftlich geäußert habe, will ich es heute kurz machen und nur einen Teilaspekt ansprechen, zu dem ich mich bisher nur mündlich geäußert habe. Es handelt sich um ein beliebtes Argument gegen den Gebrauch von „Studierende“ anstelle von „Studenten“. Anlass ist die Idee bzw. der Vorstoß, möglichst bundesweit die Institution „Studentenwerk“ in „Studierendenwerk“ umzubenennen. Das sei nicht nur hässlich, sondern werde auch einen Haufen Geld kosten, zitiert Josefine Janert ihre männlichen Gesprächspartner:
In Berlin wird es nach Angaben eines Sprechers des Studentenwerkes rund 500.000 Euro kosten, dieses in Studierendenwerk Berlin umzutaufen. Die Umbenennung in Studierendenwerk Thüringen schlägt laut seiner Sprecherin mit rund 100.000 Euro zu Buche. Viele Mitarbeiter seien von dem neuen Namen nicht begeistert, erzählt sie: „Studentenwerk“ sei auch in den neuen Bundesländern mittlerweile ein eingeführter Begriff, eine Marke. Der Mitarbeiter eines weiteren deutschen Studierendenwerks murrt: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Name wieder in Studentenwerk geändert wird, wenn in unserem Bundesland eine bürgerliche Regierung übernimmt.
Geschenkt. Wie ich schon 1979 ausgeführt habe, kostet Gerechtigkeit eben manchmal auch Geld. Wofür zahlen wir denn unsere Steuern? Doch wohl auch dafür, dass Frauen, die Mehrheit der Bevölkerung, endlich bekommen, was uns zusteht. Dazu gehört auch gesellschaftliche Teilhabe in Form einer inklusiven statt frauenausmerzenden Sprache.
Nun aber zu dem Punkt, zu dem ich mich eigentlich äußern wollte. Da heißt es bei Josefine Janert unter der herzigen Überschrift „Schlafende, Essende, Blumengießende“
Auf der Seite der Uni Leipzig ist […] häufig von „den Studierenden“ und „den Lehrenden“ die Rede. Dabei drückt diese Form, also das substantivierte Partizip, eigentlich aus, dass jemand gerade jetzt eine bestimmte Tätigkeit ausübt. Dabei haben Studierende und Lehrende auch Freizeit, in der sie zum Beispiel Schlafende, Essende oder Blumengießende sind. Aber solche sprachlichen Feinheiten gehen oft unter in der emotional aufgeladenen Debatte über richtige und falsche, angemessene und diskriminierende Sprache.
Was Janert „sprachliche Feinheiten“ nennt, sind in Wirklichkeit besserwisserische Spitzfindigkeiten, die sich leicht widerlegen lassen. Die Endung -ent in Personenbezeichnungen aus dem Lateinischen, wie Student, Dozent, Assistent, Korrespondent etc. geht zurück auf die lateinische Partizipial-Endung -ens (Nom.), -entis (Gen.). Studens bedeutet "studierend", docens „dozierend“, assistens „assistierend“ usw. Das bemäkelte und verunglimpfte Studierende ist also nichts anderes als die korrekte Wiedergabe des lateinischen Herkunftswortes studentes. Übrigens ist studentes geschlechtsneutral. Es mit die Studenten zu „übersetzen“, ist eine patriarchale Verzerrung. Das Grimmsche Wörterbuch teilt dazu mit:
STUDENT, m. , schüler; hochschüler.
aus der mittellatein. schulterminologie übernommen, in der sich das partic. studens, studentes zum substantiv entwickelt hatte, wohl an dem ausdruck 'fratres studentes', der 'bei den Dominicanern und Franciscanern die jüngeren brüder bezeichnete, die sich mit den wissenschaften abgaben' Quelle: hier.
Sprachgeschichte, sprachliche Feinheit und sprachliches Feingefühl, besonders gegenüber den sprachlich gewohnheitsmäßig untergebutterten Frauen, legen also den Ersatz von „Studenten“ durch „Studierende“ zwingend nahe. Dito für Dozenten, Assistenten, Korrespondenten und all die anderen unnötig maskulinisierten -Enten.
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Dank an Eva Rieger und Rolf Löchel für den Hinweis auf den FAZ-Artikel!
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5 Kommentare
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05.10.2017 um 11:04 Uhr St. Seifert
Mich wundert sehr, wie viel Kraft Mitmenschen darauf verwenden, eine “gerechte” Sprache zu schaffen (und dabei auch deren Verarmung und Verhohnepiepelung in Kauf nehmen), anstatt sich für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft einzusetzen.
Antwort von Luise F. Pusch:
Wieso “anstatt”?? NATÜRLICH setzen wir uns für Gerechtigkeit auf ALLEN Gebieten ein.
21.01.2017 um 16:52 Uhr R. Mattern
Frau Pusch, ich glaube sie merken gar nicht, dass Sie sich der gleichen Argumentationsmuster bedienen, die Sie bei der Gegenauffassung kritisieren.
Sie bezeichnen den Hinweis von Frau Janert auf “sprachliche Feinheiten” als “besserwisserische Spitzfindigkeiten”.
Diese leicht überhebliche Aussage finde ich für eine Sprachwissenschaftlerin doch sehr bemerkenswert. Denn das Argument von Frau Janert hat die Grammatik auf seiner Seite. Im Gegensatz zu Ihren Ausführungen zur Linguistik. Auch wenn das lateinische Ursprungswort “studentes” dort übersetzt “studierend” bedeutet, sind im deutschen weibliche und männliche Studenten nicht das Gleiche wie Studierende. Denn Fremdwörter passen sich in der Regel der Grammatik der aufnehmenden Sprache an. So ist dieses auch bei dem Begriff Studenten geschehen. Jedenfalls meinem Sprachgefühl widerspricht es, wenn für einen Statusbegriff ein substantiviertes Partizip benutzt wird. Und bei dem Begriff Student handelt es sich um einen Statusbegriff. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass jedenfalls die meisten Studenten (und Studentinnen), während ihres Studiums die längste Zeit nicht Studierende, sondern zum Beispiel Schlafende, Essende oder Feiernde sind.
Ihr Argument ist daher mindestens genauso spitzfindig und dazu leider grammatisch einfach falsch.
Das Ärgerlichste an dieser von oben herab angeordneten Umformung der Sprache (im Gegensatz zum immer stattdindenden Sprachwandel durch die Sprecher) finde ich daher, dass wir uns damit einer Ausdrucksmöglichkeit in unserer Sprache berauben und diese damit ärmer machen.
Wenn ich aus einem substantivierten Partizip nicht mehr schließen kann, dass der damit Bezeichnete die Tätigkeit auch gerade ausführt, verliert diese grammatische Form ihren Sinn. Sind Studierende das Gleiche wie Studenten und darf letzteres nicht mehr verwendet werden, kann nicht mehr von studierenden Studenten gesprochen werden, den studierende Studierende geht nicht. Aber auch schlafende Studierende quietscht ordentlich.
Diesen sprachlich korrekten Hinweis von Frau Janert als “sprachliche Spitzfindigkeit” oder lächerlich zu bezeichnen, ist jedenfalls nicht angemessen.
Korrekt ist daher nur die Bezeichnung Studenten und Studentinnen bzw. Studenten- und Studentinnenwerk (meinetwegen auch andersherum), wenn auf das generische Maskulinum verzichtet werden soll. Nur die weibliche Form zu verwenden, wäre natürlich auch albern, da der Spieß nur umgedreht würde. Wir könnten uns selbstverständlich auch alle darauf einigen, dass nunmehr ein generisches Femininum gilt, aber so funktioniert Sprache nunmal nicht!
P.S.: Ist es Ihr Ernst Frau Pusch, dass Sie auch die Verwendung des Begriffs Korrespondierende für Korrespondenten vorschlagen?
06.11.2016 um 14:52 Uhr Amy
Nicht nur als Empathietraining finde ich `Studentinnenwerk` auch passend - die neutrale Form zur gerechten Sprache, wie `Studierende` ebenfalls und auf alle Fälle besser als mit Unterstrichen oder Sternchen etc. in den Schriften herumzuwerkeln. Mit dem Sternchen bei `Student*innen` kann ich mich gar nicht identifizieren; der Student zeigt optische Größe, das Sternchen wie ein undefinierbares Mittelding und ganz am Rande - wie gewohnt - die Studentin abgetrennt - wie enthauptet - auf ein `innen` beschränkt, obwohl die feministische Sprachkritik und LFP aufgrund ihrer starken Aussage und ihres tollen Engagements als Auszeichnung viele `Sterne` verdient hat.
Danke für die guten Hinweise von LFP, die mich immer und immer wieder begeistern..
06.11.2016 um 11:52 Uhr Luise F. Pusch
@ Lena Vandrey
Du hast völlig recht, und mir wäre “StudentInnenwerk” auch lieber, oder noch besser ohne das große I, als Empathietraining für Männer.
In dieser Glosse ging es mir nur darum, das lächerliche Argument mit dem Partizip Präsens aufzuspießen. Keiner der Kritiker scheint da je in Betracht gezogen zu haben, dass diese Worte ja in der lat. Ursprungssprache alle Präsenspartizipien sind.
06.11.2016 um 11:40 Uhr Lena Vandrey
Das “Studierendenwerk” klingt fürs Erste ein wenig schwerfällig und gewöhnungsbedürftig. Auch ist die Beteiligung von Frauen in diesem Begriff nicht eindeutig. Gewissermaßen geht die Studentin in der Studierenden unter. Warum nicht “StudentInnenwerk”, da wäre die Sache doch klar. Und wer das große I nicht mag, kann einfach “Studentinnen- und Studentenwerk” sagen, aber die Frauen zuerst, denn es ist skandalös, dass Männer immer zuerst genannt werden, siehe Schwule- und Lesbenzentrum… Frauen immer Nummer 2. Damit aufzuhören, wird sehr schwierig sein, und kostspielig obendrein… Das Wort Schiffahrt hatte zwei f, jetzt hat es drei, das dürfte auch etwas gekostet haben…