Strategische Ignoranz und männliche Imagepflege
Am 9. Mai war ich in Mönchengladbach auf Einladung der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) im Diözesanverband Aachen. Anlass war die "Rosenstraße 76", eine Wander-Ausstellung der ev. Kirche zum Thema "häusliche Gewalt", die vom 22. April bis zum 13. Mai 2012 in der Citykirche Mönchengladbach lief. Gezeigt wird eine „ganz normale“ Wohnung als typischer Ort „häuslicher Gewalt“. Die BesucherInnen können darin herumgehen und sich durch Hinweistafeln über die Mechanismen der männlichen Gewalt gegen Frauen und Kinder aufklären lassen.
Die Ausstellung hat nichts mit den historischen Rosenstraße-Frauen zu tun, die 1943 die Nazis zur Herausgabe ihrer jüdischen Männer aus den Foltergefängnissen zwangen, und auch nichts mit dem Film „Rosenstraße“, den Margarethe von Trotta über diese „stillen Heldinnen“ drehte . Es scheint, dass die Leute, die sich die Ausstellung ausgedacht haben, von den Frauen der Rosenstraße nichts wussten. Den Namen „Lindenstraße“, auch sehr harmlos klingend und daher passend für die wohl angestrebte Doppelbödigkeit, haben sie gekonnt vermieden, aber für die Vermeidung des ebenfalls schon besetzten Namens „Rosenstraße“ reichten offenbar die Kenntnisse in Frauengeschichte nicht.
Wenn wir nur Wikipedia zu Rate ziehen und dort nur den Anfang des Eintrags „Rosenstraße“ lesen, erfahren wir auch nichts über Heldinnentaten von Frauen. Es heißt dort:
Der Rosenstraße-Protest war die größte spontane Protestdemonstration im Deutschen Reich während der Zeit des Nationalsozialismus. Ende Februar und Anfang März 1943 verlangten „arische“ Ehepartner aus „Mischehen“ und andere Angehörige von verhafteten Juden in Berlin deren Freilassung.
Diese Art der Textgestaltung nenne ich Konfusion durch Fusion (*): Die Retterinnen werden mit den Geretteten sprachlich in denselben Topf geworfen, alle werden im angeblich neutralen Maskulinum aufgeführt, damit auch ja niemand erfährt, dass die „größte spontane Protestdemonstration“ im Deutschen Reich - und m.W. auch die einzige, die erfolgreich war - keine Heldentat, sondern eine Heldinnentat war. Um nicht alt auszusehen gegen die Frauen, schafft mann „Konfusion durch Fusion“. •••••••• Zurück zu der Wander-Ausstellung gegen „häusliche Gewalt“ in Mönchengladbach. „Im parallel stattfindenden Rahmenprogramm“ hieß es in dem Einladungsschreiben an mich, „möchten wir nicht nur auf häusliche, sondern auch auf strukturelle Gewalt gegenüber Frauen eingehen. Auch auf die Gewalt durch Sprache.“
Ich begann meinen Vortrag zu dem Thema mit einer Analyse des Einführungstextes zu der Ausstellung, den Sie hier nachlesen können. Und hier das Ganze noch mal mit Bildern. Die „häusliche Gewalt“ wird darin so diskret und allgemein behandelt, dass die Stoßrichtung der Gewalt - wer gegen wen? - nirgends erkennbar ist. Der Einführungstext ist damit selbst ein Musterbeispiel struktureller Gewalt.
90-95 Prozent der „häuslichen Gewalt“ geht von Männern aus; Opfer sind Frauen und Kinder. Diese Tatsache wird in der Ausstellung auch keineswegs verschwiegen, sondern klar herausgestellt. Nur nicht im Einführungstext. Da wird die Gewalt eher wie eine Naturgewalt behandelt. Sie „passiert“ einfach, niemand ist vor ihr sicher. Vor allem gibt es anscheinend keine Täter. Die Wörter „Männer“ und “Frauen“ kommen in dem Text nicht vor. Diese konsequente Aussparung des Wesentlichen kann frau fast schon als Kunstfertigkeit bewundern. Sind Männer so zartfühlend, dass sie, wenn Klartext geredet würde, verschreckt das Weite suchen würden? Können sie nur durch gezielte Verharmlosung und Verschleierung der Fakten in die Ausstellung gelockt werden?
Wer ist denn für diesen Text verantwortlich, fragte ich die Veranstalterinnen während meines Vortrags. „Thomas Knödl“, erfuhr ich.
Schon merkwürdig, dass mit der Gestaltung dieser Ausstellung ein Mann beauftragt wurde. Das heißt doch, den Bock zum Gärtner zu machen. Konnten dafür wirklich keine Frauen gefunden werden? Zum Beispiel Frauennotrufe oder Wildwasser?
Als ich am nächsten Morgen durch die Ausstellung ging, legte sich mein Zorn etwas. Die Informationstafeln waren klar und deutlich und ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Männer die Täter sind. Ich glaube, die Texte auf den Informationstafeln stammen von Frauen, die sich mit dem Thema „Männergewalt gegen Frauen und Kinder“ auskennen. Allerdings kann ich das nur vermuten, denn es wurden keine Verfasserinnen-Namen genannt.
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Und jetzt etwas völlig anderes - oder doch nicht? Mönchengladbach war früher, zusammen mit seiner Nachbarstadt Krefeld, das Zentrum der niederrheinischen Textilindustrie. Das erfuhr ich bei meinen Recherchen zum Vortragsort, vor Ort und schließlich in einem TV-Film des WDR, der am 11. Mai ausgestrahlt wurde, über das Krefelder Familienunternehmen Moese, das seit 1908 feine Seidenkrawatten herstellt. Ich sah mir das an, weil ich wissen wollte, wie mann einen solchen Namen (er)trägt, noch dazu, wenn er ausgerechnet Krawatten, Inbegriff und Symbol korrekter Männlichkeit, herstellt. Die Krawatten heißen nicht „Moese“, sondern „Ascot“. Im Übrigen aber gab es zu dem immerhin auffälligen Familiennamen gar keinen Kommentar. Der Name wurde behandelt, als sei er völlig normal - und am Ende hatte mann mich fast überzeugt.
Die imageschonende Strategie des sturen Ignorierens entfaltete ihre volle Wirkung.
Schon Goethe empfiehlt den Habitus der Ignoranz, den ich hier an vier Fällen vorgeführt habe, als sicheren Weg zum besseren Leben:
Willst du dir ein gut Leben zimmern, Mußt ums Vergangne dich nicht bekümmern Und wäre dir auch was verloren Erweise dich wie neugeboren.
Ich habe die Organisatorinnen der Mönchengladbacher Ausstellung dafür bewundert, mit welchem Aufwand an Zeit und Energie und mit welchem Engagement sie der Ignoranz die Stirn bieten. Mögen die Männer tun „wie neugeboren“ - die Frauen werden es ihnen schon austreiben. Die Zeit, als das Ignorieren noch geholfen hat, ist vorbei. ________________ * Mehr zu diesem Begriff in meinen Aufsatz aus dem Jahre 1990: "Wie mann aus seiner Mördergrube ein Herz macht: Strategien männlicher Imagepolitik", in: Luise F. Pusch. 1990. Alle Menschen werden Schwestern: Feministische Sprachkritik. Frankfurt/M. edition suhrkamp 1565. S. 112-120
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32 Kommentare
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30.05.2012 um 18:32 Uhr anne
weltweit zeigt sich ein männl. gewaltpotential gegenüber frauen, mädchen - wie hier z.b. in afrik. ländern; jahre nach ende der schrecklichen kriegsereignisse sind es die ehemänner , die für frauen zu einer weiteren bedrohung werden…
http://www.rescue.org/domestic-violence-info?ms=em_cltv_nodr_dvrp_a1_120522&utm_source=SilverpopMailing&utm_medium=email&utm_campaign=Domestic+Violence+Report&utm_content=Domestic+Violence+Report+Non+Donors+(1)&spMailingID=4271718&spUserID=MTM1MzQzOTQzNQS2&spJobID=44227173&spReportId=NDQyMjcxNzMS1
30.05.2012 um 12:25 Uhr Nicole
@lfp:
fair enough. Allerdings finde ich es etwas befremdlich, dass sich Ihre Sensibilität nicht auf die Verspottung männlicher Gewaltopfer zu erstrecken scheint - jedenfalls habe ich unter dem entsprechenden Kommentar von Ricky D. keinen diesbezüglichen Hinweis Ihrer Redaktion entdeckt.
29.05.2012 um 13:25 Uhr lfp
@Nicole
Die FemBio-Redaktion behält sich vor, Ihre Kommentare demnächst zu redigieren oder gar nicht erst zu veröffentlichen.
Spott über Frauen, die von dem Männer-Ansinnen, Pornographie zu imitieren, schockiert waren, finden wir gar nicht lustig.
29.05.2012 um 08:44 Uhr Nicole
@anne:
ich habe keine Ahnung, was in rechtslastigen blogeinträgen zu finden ist, denn so etwas lese ich nicht. Natürlich ist es ein Wort, das Hass udn Verachtung zum Ausdruck bringt. Aber diese Emotionen sind zunächst einmal völlig legitim; entscheidend ist nur, wer sie gegenüber wem und aus welchen Gründen empfindet. Und - Stichwort Gewalt - ob man sich davon hinreißen lässt oder nicht. Wenn jemand einen Obdachlosen als Abschaum beschimpft, dann bringt er damit ein Menschenbild zum Ausdruck, das die meisten von uns wohl hoffentlich inakzeptabel finden. Wenn ich aufgrund bestimmter Taten bestimmte Menschen so bezeichne, dann bringe ich meinen Hass gegenüber diesen Personen zum Ausdruck - nicht für das, was sie SIND (ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht, ihre sexuele Orientierung, ihr sozioökonomischer Status etc), sondern für das, was sie GETAN haben. So empfinde ich nunmal, und so drücke ich es aus. Wenn DIch das entsetzt - tja… ich persönlich bin viel eher entsetzt von RIckys Einstellung gegenüber männlichen Gewaltopfern - obwohl sie kein einziges anstößiges Wort verwendet hat.
Und was Pornographie angeht: viel zu komplex, um hier am Rande abgehandelt zu werden, und nicht alles, was in ideologischen Kampfschriften veröffentlicht wurde, ist die Wahrheit. Nur zwei Dinge: es sollte einem vielleicht zumindest zu denken geben, dass es trotz massiv gestiegener Verfügbarkeit von Pronographie zu keinem entsprechenden Anstieg sexueller Gewalt gekommen ist; im Gegenteil, dieser Anstieg korreliert sogar mit einem Rückgang von Sexualstraftaten. Und dann dieses Zitat:
“25 % der weibl. personen (...) berichteten, daß sie schwer schockiert wurden durch aufforderungen (von männern), pornographie zu imitieren”
Um Himmels willen! Frauen wurden schockiert! Mein Riechsalz, mein Riechsalz…
28.05.2012 um 22:21 Uhr anne
“abschaum” ist eine wortwahl, die auch heute noch zumeist in `polit. rechtslastigem raum und blog-einträgen` zu finden ist - menschen einer anderen kultur, religion, hautfarbe, homosexuelle, polit. verfolgte und andersdenkende etc. wurden nicht nur von polit. hasspredigern als `dreck oder abschaum` bezeichnet. als `abschaum` wurde kürzlich in unserer stadt ein obdachloser beschimpft und von hass-erfüllten männern zu tode getrampelt. ich bin entsetzt, diese wortwahl hier von einem user zu lesen, wo es darum geht, gewalt und ursachen aufzuzeigen.
28.05.2012 um 18:11 Uhr anne
schon 1979 veröffentlichte die feministische soziologin kathleen barry zu `sexuelle versklavung von frauen`, das ergebnis jahrelanger, weltweiter forschung und kam zu dem schluß: “angesichts der großen zahl von männern, die zuhälter, zulieferer, mitglieder von syndikaten und gangs, betreiber von bordellen, massage-salons sind, die vergnügungsbetriebe mit sexueller ausbeutung betreiben, pornografie herstellen, verkaufen und kaufen , der grossen zahl der schläger, die frauen misshandeln, der kinderschänder, inzest-verbrecher , frauenkäufer (prostituierer, kunden oder freier genannt) und vergewaltiger, ist frau schockiert über den enormen teil der männlichen bevölkerung , der an der weibl. sex-sklaverei beteiligt ist. die tatsache der grossen zahl von männern , die dabei mitmacht, müsste dazu führen, den nationalen und internationalen ausnahmezustand auszurufen.”
zu pornographie und verGewaltigungen:
ich zitiere aus foltern, vergewaltigungen, frauenmorde (hannelore schröder): ” die international bekannte professorin Diana Russel erforscht seit 25 jahren `the politic of rape` zu definitionen III) theorie: ... anschließend entwickelt Russel, ausgehend vom konzept `multibler verursachung`, ein theoret. modell von pornographie als ursache von vergewaltigung.
relevante ursachen sind :
männl. sozialisation, sexueller missbrauch im knabenalter, anpassungsdruck der peergruppe, pornographie-konsum, klischees von frauen i.d. massenmedien. diese bewirken unter männern d. usa
die tendenz zu vergewaltigungen. *25-60 % sagen selbst aus, dass sie mit einiger wahrscheinlichkeit vergewaltigen ..., wenn sie nicht gefaßt würden. *25-30 % werden sexuell erregt von gewalttätigen abbildungen von vergewaltigungen (d. horror d. opfer, von beginn bis ende d. vergewaltigung , ist deutlich sichtbar) hinzu kommt der konsum von pornographie ; daraus ergeben sich insg. 4 hauptfaktoren (mit 15 subfaktoren).....
russel verifiziert ihre komplexe theorie mittels gesicherter empirischer daten, u.a. diese
- ein hoher prozentsatz nicht-inhaftierter vergewaltiger und kinderschänder gibt an, daß pornographie sie zur begehung d. verbrechen aufgestachelt hat;
- ausgesucht normale, gesunde (männl.) studenten sagen nach nur einer konfrontation mit gewalt-pornographie aus, daß sie mit erhöhter wahrscheinlichkeit eine frau vergewaltigen werden;
- ein hoher prozentsatz (männl.) oberschüler und erwachsener berichtet (...) , daß sie innerhalb weniger tage imitieren, was sie zuvor in filmen (ab 18 jahren) gesehen haben. hunderte von frauen haben in öffentl. hearings ausgesagt, daß - und in welcher weise - sie zu opfern von pornographie gemacht worden sind.
25 % der weibl. personen (...) berichteten, daß sie schwer schockiert wurden durch aufforderungen (von männern), pornographie zu imitieren; viele prostituierte berichten von ihren erfahrungen mit sexuellen angriffen in zusammenhang zu pornographie;
die gesetze sozialen lernens , die allgemein für massenmedien gelten, gelten mit sicherheit in gleichem, wenn nicht in höherem masse für pornographie…” (alles nachzulesen: hannelore schröder - foltern, vergewaltigungen und frauenmorde zu Diana E.H. Russel `against pernography, the evidence of harm )
28.05.2012 um 17:13 Uhr Nicole
@anne:
keine Sorge, über das Wort “Abschaum” habe ich schon nachgedacht - ich arbeite mit Sprache, ich bin mir in der Regel schon bewusst, was ich wie ausdrücke. Und es ist eben leider so, dass Väter oder Mütter, deren ureigenste Aufgabe es ist, ihre Kinder zu schützen, und die dann einen so abscheulichen Vertrauensbruch begehen, so ziemlich genau meiner ganz persönlichen WÖrterbuchdefinition von Abschaum entsprechen.
@ Joey:
it is a complex question indeed. I think - and that’s only a theory - that maybe the preponderance of male violence is some sort of “side-effect” of the fact that males have always been used to dole out (and receive!) violence on behalf of the leaders, governments, society as a whole. That must do something to your psyche, I’d imagine…
AS vor VAWA - isn’t that just one of the things that adds to ignoring male victims of violence, by its very name? I think maybe it’s about time for a Violence against People Act, or Intimate Partner Violence Act or something like that.
28.05.2012 um 15:52 Uhr Joey Horsley
@Nicole and others:
Certainly the victimization of boys received lots of attention with the scandal of Catholic (and other) priests’ and teachers’ decade-long sexual abuse of those in their charge. The attention was important and raised public awareness of a terrible problem that had largely been invisible.
In the US, where we have had a federal Violence Against Women Act since 1994 (http://en.wikipedia.org/wiki/Violence_Against_Women_Act), some of us felt that the public was in fact so shocked and alarmed precisely because a majority of victims were male. One was “used to” girls being abused, but not boys, hence these crimes were taken all the more seriously. Moreover, the boys’ violation by male priests was seen by some as more dreadful than the abuse of girls, given the homophobia still rampant in US society.
I agree that the media and public discourse need to call attention to all forms of abuse and violence in order to combat them. In this vein, however, society could do worse than to ask the question why such a preponderance of violence is committed by its male members. Surely a complex question, but asking it seems a necessary prerequisite to finding answers.