Sterben ist gesund: Gedanken zur Geburt des Herrn
In diesen Tagen feiern wir wieder mal die Geburt Jesu. Sie ist eines der christlichen Mysterien, denn Maria, die Mutter des Jesuskindes, war bei seiner Geburt noch Jungfrau. Vater des Kindes war nicht Marias Ehemann Josef, sondern Gott selber, vertreten durch den Heiligen Geist. So steht es geschrieben im Lukas-Evangelium.
Maria wird nicht etwa gefragt, ob sie das Jesuskind austragen und gebären will. Die Zumutung wird ihr vielmehr als „Gnade“ durch den Erzengel Gabriel „verkündet“, und die Christenheit feiert auch dieses Ereignis jedes Jahr als „Mariae Verkündigung“, chronologisch korrekt genau neun Monate vor dem Geburtstermin, am 25. März.
Lukas-Evangelium, Kapitel 1: 28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. (Quelle hier)
Was bleibt Maria übrig als sich zu fügen? Begeisterung über die „Gnade“, die ihr widerfährt, ist nicht überliefert. Vielmehr erklärt sie in Vers 38 „gottergeben“: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Zeus, der Göttervater, vergewaltigte und schwängerte seine irdischen Opfer noch selber, und ließ sich nicht durch einen Heiligen Geist vertreten. Auch machte er sich nicht die Mühe, seine Untaten durch einen Untergebenen vorher zu „verkündigen“. Vielmehr überrumpelte und überlistete er die Objekte seiner Begierde in der Regel, indem er verschiedene Gestalten annahm. Zu Leda kam er als Schwan, zu Danae als Goldregen, zu Kallisto als Artemis, Europa entführte er als Stier.
Das christliche Europa ist also benannt nach einer von Zeus vergewaltigten Frau, und das Christentum selbst gründet ebenfalls auf einer Vergewaltigung, wenn sie auch als „göttliche Gnade“ verbrämt wird.
Gott oder die Götter selbst als Vergewaltiger - eine bessere und perfidere Rechtfertigung männlicher Schandtaten ist kaum denkbar. Dass Vergewaltigung noch immer epidemisch ist, mag auch daran liegen, dass sie in die Gründungsmythen (nicht nur) unserer Kultur so tief eingeschrieben ist.
Mit der Aufklärung trat für viele „die Natur“ an die Stelle der männlichen Götter oder des männlichen Gottes. Obwohl weiblich, meint es „die Natur“ mit den Frauen auch nicht gerade gut. Die Frau ist dazu da, Kinder zu kriegen, so will es schließlich die Natur. Oder Gott. Oder, noch schlimmer: Alle beide!
An diese Zusammenhänge wurde ich erinnert, als ich vor einigen Wochen Thomas Manns erstaunliche Erzählung „Tristan“ las (ich werde in der nächsten Glosse genauer auf sie eingehen). Er schrieb sie 27jährig im Herbst 1902. Thomas Mann, der fast ausschließlich über Männer und Knaben geschrieben hat, sie lagen ihm nun mal mehr, bewies als junger Schwuler im Versteck eine außerordentliche Sensibilität für die Folter des Gebärzwangs, den gewissenlose Hetero-Männer (mit Namen wie Klöterjahn) den Frauen auferlegen. In seiner Erzählung, die ein flammendes Plädoyer gegen den dumpfen Zeugungstrieb der Klöterjahne und für Verhütung und Geburtenkontrolle ist, lässt er eine „Pastorin Höhlenrauch“ herumgeistern:
„Eine fünfzigjährige Dame, die Pastorin Höhlenrauch, die neunzehn Kinder zur Welt gebracht hat und absolut keines Gedankens mehr fähig ist, gelangt dennoch nicht zum Frieden, sondern irrt, von einer blöden Unrast getrieben, seit einem Jahre bereits am Arm ihrer Privatpflegerin starr und stumm, ziellos und unheimlich durch das ganze Haus.“
Die arme „Pastorin“ ist nicht umsonst Pastorin (heute würden wir sagen: Pfarrfrau), denn die protestantischen Pfarrer trieben den Gebärzwang auf die Spitze. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich stamme aus einer evangelischen Pfarr- und Missonarsfamilie. Meine Urgroßmutter, Pfarrfrau, starb 1890 im Alter von 45 Jahren nach der Geburt von sechzehn Kindern, von denen nur acht überlebten. Ein Schicksal ganz ähnlich dem der unglücklichen Pastorin Höhlenrauch (lies: Höllenrauch, denn was sie lebt, ist die Hölle).
Die zeugungsfreudigen Pfarrherren wurden angefeuert von keinem Geringeren als Martin Luther, der befand: „schwach und ungesund die unfruchtbar weyber sind, die aber fruchtbar sind, sind gesünder, reinlicher und lustiger. Ob sie sich aber auch müde und zuletzt todt tragen, lass nur tod tragen, sie sind drumb da. Es ist besser, kurtz gesund, denn lange ungesund leben.“
Um es mit Luther kurz und knapp zu sagen: Sterben ist gesund. Jedenfalls für Frauen.
Und was meinen nun die Frauen dazu? Seit sie überhaupt etwas meinen dürfen, reagieren sie kompromisslos: Je emanzipierter die Frauen sind, umso mehr sinkt die Zahl der Geburten. Nix da mit „Magd des Herrn“!
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7 Kommentare
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22.12.2015 um 23:20 Uhr Gudrun Nositschka
Die Natur befähigt Frauen, neues Leben in sich wachsen zu lassen, zu gebären und aufzuziehen, die Natur zwingt Frauen nicht dazu. Dieser Zwang kam erst mit der Durchsetzung des Patriarchats, in dem Frauen und Mädchen das Eigentum von Männern wurden. In der Zeit davor regelten Frauen die Kinderzahl in ihrer Sippe. Sie hatten nie mehr Kinder als sie zusammen mit den anderen Frauen ernähren konnten. Das regelten sie dank der Erkenntnis ihrer fruchtbaren Tage im Zusammenhang mit dem Mondzyklus, sehr schön zu erkennen an der Darstellung der Frau von Lauselle vor 23.000 Jahren. Mosuo Frauen, die heute noch nach matriarchalen Regeln leben, haben nicht mehr Kinder als wir “aufgeklärten” Frauen in Deutschland, auch weil die Männer diese Naturbefähigung respektieren. Liebe Lena Vandrey: Das Wort “unbefleckt”, auch im Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens der kath. Kirche, hat nichts mit männlichen Spermien zu tun, sondern mit der Vorstellung von Kirchenmännern, dass “Gottes Geist” nur in und durch einem “reinen” Gefäß der Frau als Junge auf die Welt kommen kann, also darf diese Frau sich nicht durch ihr eigenes Blut (Menstruation bzw. Geburtsblut) beflecken. Maria musste also schon im Leib ihrer Mutter von Eierstöcken befreit werden. Sehr schön nachzulesen in Gyn/Ökologie von Mary Daly. Theologisch verbrämt wird aber von der Befreiung Mariens von der Erbsünde gesprochen.
Das Datum der Verkündigung Mariens ist chronologisch nicht korrekt, da die patriarchalen Herren nicht in Mondzyklen dachten, sondern im Sonnenkalender. Eine Schwangerschaft dauert 280 Tage, dass sind zehn Mondzyklen abzüglich des halben Mondzyklus bis zum Eisprung. Ein Mondzyklus beträgt 29,5 Tage und ein paar Minuten. Diese Zusammenhänge sind sehr schön bei Gerda Weiler in der aufrechte Gang der Menschenfrau nachzulesen. Hallo Amy: Martin Luther konnte bei seinen frauenfeindlichen Sprüchen voll aus dem AT schöpfen, so auch die Aussage, “du sollst die Zauberinnen nicht leben lassen”. Diese Aussage wurde auch als Rechtfertigung in der Hexenverfolgung herangezogen.
22.12.2015 um 15:26 Uhr lena Vandrey
Das ist wahr! Ein scharfsinniger, reicher und durch seine Ironie auch tröstender Text!
Ein deutscher Pastor in France sagte uns, dass alle Männer in der Religion krank seien. Meine Meinung über Mariens Vergewaltigung fand er grauenhaft. Übrigens seien so viele Männer im Orient “unbefleckt” geboren worden! Folgerichtig gab es jungfräuliche Gebärerinnen in rauhen Mengen? Eine von ihnen ist bekannt: Sankta Anna. Ihr Mann, Joachim, befand sich zurzeit in der Wüste und hatte keinen Anteil an Mariens Entstehen. Daher die romanischen Skulpturen von ANNA SELBDRITT. Das mystische Mittelalter sah die Dinge noch so einfach, wie sie waren: Mutter, Tochter und Enkelin, kein Junge! Da gäbe es kein Selbdritt! Ihr Name ist der meistgetragene Vorname der Welt, SIE war die groBe Göttin und Lehrerin! An unserer Hausfassade ist sie zu sehen, wie sie der kleinen Marie das Lesen beibringt. Die vorigen Besitzer wollten die Skulptur abmontieren, aber Anna ließ sich nicht entfernen, sie lehrt weiter. Zu unserer groBen Freude!
22.12.2015 um 14:49 Uhr anne
nun existiert sie aber bis heute, die männliche bibel-auslegung bzw. patriarchale redaktion, die uns seit jahrhunderten auch eine fessel ist. warum sollten wir frauen das verschweigen? denn das hat reale geschichte geschrieben und mio frauen das leben gekostet! siehe Hexenverfolgung/Hexenhammer, Lesbophobie, Homophobie etc.
warum sollten wir das misogyne verhalten vieler religiös motivierter männer der geschichte und der antike heute verschweigen, nur, weil die feministische theologie versucht, einen ausgleich zu finden? das würde ja bedeuten, die untaten der kirche und den frauenabwertenden zeitgeist in zukunft zu verschweigen? und ist letztlich nicht auch der gottes- oder göttinnen-kult nur eine reine fiktion, eine erfindung, eine vorstellung aus dem unbekannten?
zitiert: ” die gesamten schriften wurden von männern in einer von männern dominierten kultur und sichtweise niedergeschrieben. die weitergabe und vermittlung der biblischen texte geschah durch männer . zudem wurden die schriften so ausgewählt, dass die biblischen frauengestalten in eine männliche welt passten. andere wurden ignoriert. bis heute wird die übersetzung und vermittlung der bibelauslegung weitgehend von männern betrieben. während der letzten zweitausend jahre haben fast ausschließlich männer ihre religiösen erfahrungen reflektiert und formuliert.”
http://schwesternschaft-dritter-orden.de/Spirituelles/Feministische.pdf
22.12.2015 um 12:41 Uhr Amy
Einer dieser frühen Kirchenmänner soll gesagt haben: “Die Weiber sind dazu bestimmt, die Geilheit der Männer zu befriedigen.”
Auch der so hochgelobte Luther gab noch weitere Merkwürdigkeiten von sich; mit derartigen Zitaten würde ein `moderner` Luther heute öffentlich zur Rechenschaft gezogen. Ob er und die anderen auch an ihre eigenen Mütter gedacht haben?
“Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, daß die Männer durch sie geboren werden.”
“Will die Frau nicht, so komm’ die Magd!”
“Eine Frau hat häuslich zu sein, das zeigt ihre Beschaffenheit an; Frauen haben nämlich einen breiten Arsch und weite Hüften, dass sie sollen stille sitzen.“
“Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen… Es ist ein gerechtes Gesetz, dass sie getötet werden, sie richten viel Schaden an.”
„Man soll Frauen, wenn nötig, wie Hunde und Säue sterben lassen.“
“Wenn sie sich nicht bekehren, werden wir sie den Folterknechten befehlen.”
“…wer mag alle leichtfertigen und abergläubischen Dinge erzählen, welche die Weiber treiben… es ist ihnen von der Mutter Eva angeboren, dass sie sich äffen und trügen lassen.”
Diese Herrschaften würden für ihre Merkwürdigkeiten heute juristisch belangt werden. Skrupellos, mit Gewalt und Zynismus nahmen sie Besitz von Frauen; von Liebe, Verantwortung, Respekt keine Spur, denn es ging ja überwiegend um die Geilheit der Männer, die den Frauen unendlich viele Schwangerschaften aufbürdete und viele Frauen und Kinder das Leben gekostet hat. Wunschkinder waren darunter eher selten.
Immerhin wurde mit dem extra künstlich erzeugten Marienkult ein Medium geschaffen, auf das die armen Frauen durch zahlreiche Gebete zurückgreifen konnten, wenn ihnen die Peiniger das Leben zur Hölle machten. http://www.theologe.de/maria.htm
Aber Thomas Mann war anfangs auch nicht so begeistert über die Geburt seiner Erika: “Es ist also ein Mädchen: eine Enttäuschung für mich, wie ich unter uns zugeben will, denn ich hatte mir sehr einen Sohn gewünscht und höre nicht auf, es zu thun. Warum? ist schwer zu sagen. Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen. Oder so.”
(Thomas Mann in einem Brief an seinen Bruder Heinrich nach Erikas Geburt, 1905)
22.12.2015 um 12:29 Uhr Ilseluise
Da würde ich besser noch mal nachrecherchieren.
Im Hebräischen und Aramäischen, der Sprache Marias, ist “der” heilige Geist nämlich weiblich :-)
Im Lateinischen und Deutschen leider männlich.
Da war also nix Männliches am Werke bei der Empfängnis Jesu.
Schon “der” Geist Gottes in der Schöpfungsgeschichte ist eine “Geistin” lt. Urtext.
Es lohnt sich die Erkentnisse der feministischen Theologie zur Kenntnis zu nehmen.
Frohe Weihnachten!
21.12.2015 um 13:33 Uhr Lena Vandrey
Ein exzellenter Titel! Für die These der Vergewaltigung Mariens hätten wir früher wohl mit dem Scheiterhaufen bezahlen müssen! WER hat denn Mariens Jungfräulichkeit bei der Geburt Jesu feststellen können? Das Kalb und das Schaf oder der alte stumme Josef? Ein fatales Gefasel, das Ganze!
Was nun “Tristan” betrifft, so habe ich die Novelle genauso empfunden wie Luise, während Ruth Klüger das Antisemitische brandmarkt in ihrer Rezension. Ich konnte nicht wissen, dass Detlev Spinell die gemeine Karikatur eines Juden darstellt. Der junge Thomas Mann beschrieb noch eine Heldin, Tony Buddenbrook, zweimal zwangsverheiratet, zwangsgeschwängert, aber danach verschwinden die Heldinnen aus seinen Werken. Seine Frau war achtmal schwanger und es wäre wohl noch weiter so gegangen, wenn nicht ihre Sterbens-Gesundheit Schranken gesetzt hätte.
Nun aber möchten wir Luise und Joey, allen Fembionistas und allen Kommentatorinnen geruhsame Tage wünschen, und vor allem sichere, mit dieser kleinen Anekdote:
Die deutschen Fernseh-Köche vermännlichen und versächlichen die Nahrung. Beispielsweise: DIE Trüffel, unsere gute Knolle, wird DER Trüffel! Das provenzalische Leib- und Magen-Gericht DIE Ratatouille wird zu DAS Ratatouill, und unserE Fondue, eine Käse-Schmelze, wird DAS Fondue. Da es im Französischen nichts Sächliches gibt, muss ich aufs Männliche übergehen, also von falschem Deutsch auf falsches Französisch kommen…
Das erbost Lena und Mina, DAS Maler und DAS Professor!
Trotzdem guten Appetit!
21.12.2015 um 13:25 Uhr anne
himmel, ist die glosse gut! und mit welcher `verdrehung` von tatsachen hat/te mann versucht, die schändlichen untaten von wichtigen männern an weibl. menschen zu verharmlosen bzw. sie `reinzuwaschen`. nicht einmal vor den männlichen herr-göttern waren frauen sicher - ausgedacht haben sich diese geschichten natürlich männer; sie entspringen also deren geist und der manntasie?
mit kruden vorstellungen wurde all dies den untertanen der k.k. schmackhaft gemacht , die unbefleckte empfängnis musste erfunden werden, um die mutter Maria (die unbefleckte) dieses einen sohnes gottes für alle zeiten auch makellos in die kirchen-geschichte eingehen zu lassen. es ist schon heftig, was uns die kath. kirchenherren mit ihrer frauenfeindlichkeit und ihrer unedlen sexmoral mit sitz in Rom seit anbeginn für märchen auftisch(t)en.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unbefleckte_Empfängnis
aber, da frauen inzwischen göttinseidank über ihre schwangerschaften selbst bestimmen können und emanzipierte frauen nicht mehr die auch heute noch gewünschte hohe kinderzahl erbringen wollen, fehlt natürlich der hiesigen gesellschaft der nachwuchs.. die neuen `zwangerschaften` und einen zahlenmäßigen ausgleich f.d. zukunft erhoffen sich heute etliche politische herr-götter über den zustrom von menschen aus `fremden` ländern..