Sprachliche Diskriminierung hat viele Gesichter - welches ist das schlimmste? Teil 1
In der vergangenen Woche entrüsteten sich die Männermedien wieder mal über die feministische Sprachkritik und die sprachkritischen Anregungen der Gender-queer Community. Der SPIEGEL 17/2013 veröffentlichte am 22.4. einen Artikel von Ralf Neukirch, betitelt „Sein Name ist Sie“, und in der BILD-Zeitung empörte sich am 21.4. Hans-Jörg Vehlewald: „Mitarbeita“ „Doktox“ - So soll unsere Sprache entmännlicht werden“, Untertitel: „Wer denkt sich sowas aus?“
Ja wer nur? Ganz normale Mitmenschen wie du und ich. Die BILD-LeserInnen, von Vehlewald schön aufgehetzt, zweifeln allerdings in ihren Kommentaren entweder am Verstand der SprachkritikerInnen oder sie halten sie für KifferInnen - und das Kiffen an den Unis nähme überhand und sollte verboten werden.
Eigentlich bin ich es leid, auf solche Schmähschriften zu reagieren, aber diesmal waren mir die Elaborate des Spiegel und der BILD-Zeitung sogar willkommen. Zufällig arbeite ich gerade an einem Artikelchen über die wichtigsten derzeit kursierenden geschlechtersensiblen Schreibweisen, als da sind: Generisches Femininum, Binnen-I, Unterstrich und Genderstern. Und durch die BILD-Zeitung fand ich immerhin, wenn auch auf Umwegen, die neuste Veröffentlichung zum Thema - und Ursache des BILD-Unmuts, den 54 Seiten starken Sprachleitfaden HU Berlin 2014 - hier zum Herunterladen. Den Link suchen wir bei BILD allerdings vergeblich, BILD verlinkt anscheinend nur zu BILD-Artikeln.
Der Leitfaden wurde veröffentlicht von der AG feministisch sprachhandeln; verantwortlich zeichnen Anna Damm, Evelyn Hayn, Lann Hornscheidt und Sonja Weeber.
Leitfäden werden seit den Anfängen der feministischen Sprachkritik veröffentlicht, zuerst waren da die "Guidelines for non-sexist language", die wir für das Deutsche adaptierten. 1980 veröffentlichten Ingrid Guentherodt, Marlis Hellinger, Senta Trömel-Plötz und ich die ersten deutschsprachigen „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ in der Zeitschrift Linguistische Berichte.
Ob „Guidelines“, „Richtlinien“ oder „Leitfaden“ - diesen Namen haftet etwas Dirigistisches an. Und das war auch beabsichtigt. Wir lehnten die sexistische Sprache ab und wollten nicht nur „Anregungen geben“ und „Vorschläge machen“, wie es besser zu machen wäre. Nein, wir wollten, dass unsere Vorschläge möglichst zu Vorschriften würden. Und im Laufe der Zeit wurden sie es auch. Die Amtssprache wurde dahingehend geändert, dass Frauen genannt werden sollten, wenn Frauen gemeint waren. Wir wollten nicht mehr im Maskulinum „mitgemeint“ bzw. begraben sein.
Die neue Broschüre aus Berlin hat einen anderen Charakter. Zwar wird sie in der online-Adresse „sprachleitfaden“ genannt, aber dies Wort kommt im Titel gar nicht vor. Dort heißt es vielmehr „Anregungen“: „Anregungen zum Nachschlagen, Schreiben-Sprechen-Gebärden, Argumentieren, Inspirieren, Ausprobieren, Nachdenken, Umsetzen, Lesen_Zuhören, antidiskriminierenden Sprachhandeln.“
Die ersten Richtlinien konzentrierten sich auf eine Diskriminierung, die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, kurz Sexismus genannt. Von dieser Diskriminierung sind fast ausschließlich Frauen betroffen.
Die „Anregungen zum antidiskriminierenden Sprachhandeln“ wollen weit mehr. Im Nachwort (S. 53) findet sich folgende Erklärung:
Die AG versteht sich als feministisch, was für uns heißt, gegen viele, miteinander verbundene strukturelle Diskriminierungen aktiv zu handeln. Zu diesen Diskriminierungen gehören: • Sexismus/Genderismus • Ableismus (die Herstellung von und Diskriminierung über beHinderung) • Rassismus • Klassismus • Migratismus (die Herstellung von und Diskriminierung über Migration)
"Ageism“ (Diskriminierung aufgrund des Alters) und „looksism“ (Diskriminierung aufgrund des Aussehens) fehlen seltsamerweise in dieser Aufzählung, obwohl sie vor allem Frauen treffen. Sicher sind die Verfasserinnen der Broschüre alle jung und schön.
Ableismus (von engl. „able“ (fähig) als Gegenstück zu „disabled“ (behindert)), Rassismus, Klassismus und Migratismus sind Arten von Diskriminierung, die sich u.a. auch der Sprache bedienen. Sie unterscheiden sich allerdings grundsätzlich von Sexismus/Genderismus, weil sie sich nicht in der Grammatik niedergeschlagen haben, dem tiefsten und dem Bewusstsein unzugänglichsten Teil der Sprachstruktur. Um Ableismus, Rassismus, Klassismus und Migratismus zu bekämpfen, muss ich nicht die Grammatik ändern, sondern „nur“ bestimmte Sprechweisen und Elemente des Wortschatzes. Ich muss achtsam und respektvoll sein und meine Privilegien und stillschweigenden Voraussetzungen dauernd überprüfen. Als Beispiel nennt die Broschüre: „In der Aufforderung ‚alle lesen bitte diesen Text zum nächsten Mal‘ ist beispielsweise vorausgesetzt, dass ‚alle’ lesen können.“ Über dieses Beispiel kann sich Vehlewald (der BILD-Mann) nicht beruhigen: "UND DAS AN EINER UNIVERSITÄT!?" zetert er in Großbuchstaben. Wenn eine die Broschüre nicht kennt, kann dieses aus dem Kontext gerissene Zitat tatsächlich Verwunderung auslösen. Gemeint ist aber wohl, dass es an der Uni auch blinde Studierende gibt, die mit einer so gedankenlosen Formulierung ausgeschlossen werden, falls der Text nicht auch in Brailleschrift verteilt wurde.
Die Broschüre ist lesenswert und regt zum Nachdenken an. In der Abteilung „Sexismus/Genderismus“ enthält sie allerdings Anregungen, denen ich nicht folgen werde. Warum, das verrate ich in der nächsten Woche.
Dank an Anne Beck für die Links zum „Spiegel“ und zu „Bild“.
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23 Kommentare
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05.05.2014 um 13:53 Uhr Amy
Auch der Einsatz der Pionierinnen der Frauenbewegungen hat gezeigt, auf wie wenig Gegenliebe generell die `andere` Seite reagiert/e, sobald sich Frauen um ihre Menschen-/Rechte bemühten. Heute wirkt das starre Verhindern der Antifeministen und die misogyne, überhebliche Einstellung gegenüber Frauen geradezu lächerlich. Hätten diese starken, selbstbewussten Frauen sich auf die meisten Männer um sie herum verlassen, sässen sie heute noch am Herd mit großer Kinderschar - Aber es gab auch damals kluge Männer mit Weitsicht, die Frauen bei ihrem sinnvollen Tun mit unterstützten.
Und in der Sprache? Auch das `umfassende` Femininum ist ein gutes Beispiel dafür, wie die feministische Sprachkritik sogar optisch keine Männer vergisst. Männer werden mit eingebunden! Anscheinend dauert es auch hier, bis der besorgte Durchschnitts-/Mann endlich begriffen hat.
” Die Idee stößt bei Männern auf wenig Gegenliebe. Denn in unserer Herrenkultur bedeutet Feminisierung schlicht Deklassierung. Weil in dieser Kultur das Weibliche zweitrangig ist. Die Frau kann durch Maskulinisierung in diesem System aufsteigen. Der Mann kann nur absteigen. Man sieht das ja auch an der Garderobe. Frauen tragen Hosen, gar mehr und mehr Anzug. Aber der Mann darf nicht mal im heißesten Sommer in einem leichten Kleidchen auftreten. Es wäre zwar praktischer, ist aber unmöglich. Diese Grenze wird nicht überschritten. Die Sprache, die wir ererbt und erlernt haben, ist eine Frauen ausmerzende Sprache.” (LFP)
Welche weiteren Vorschläge zur gerechten Sprache gemacht werden, ist wunderbar in diesem Vortrag von LFP nachzulesen. Wenn das nicht ausreichend ist für ein Mindestmaß an Verständnis und Sympathie, ist es halt das immer noch feste installierte Bild von der Herrenkultur, an das sich der arme Mann zu klammern versucht :( http://www.frauenrat-brandenburg.de/seiten/dateien/Vortrag_Luise_F_Pusch_101009.pdf
04.05.2014 um 18:30 Uhr Hugor
@ Luise, Amy - ich glaube, ihr missversteht mich immer noch. Ich erwarte ja gar nicht, dass Frauen sich um die Interessen und Belange der Männer kümmern. Ich behaupte lediglich, dass sich die Interessen der Frauen nur dann dauerhaft durchsetzen lassen werden, wenn und soweit bei hinreichend vielen Männern hierfür ein Mindestmaß an Verständnis und Sympathie erzeugt wurde, und dies lässt sich nun einmal kaum per Konfrontation erreichen.
Sollte es dagegen zutreffend sein, dass Frauen Vieles erreichen können, indem sie stur ihre eigenen Interessen verfolgen, ohne die Männer einzubinden, dann frage ich mich allerdings, inwieweit das von feministischer Seite immer bemühte Patriarchat tatsächlich existiert. Denn jemanden, der seine Ziele erreicht, indem er einfach seine eigenen Interessen verfolgt, ohne sich um die “Gegenseite” zu kümmern, wird man wohl kaum als unterdrückt ansehen können.
04.05.2014 um 13:40 Uhr Amy
Meine Güte - meine Erfahrung ist, daß etliche Männer in ihrer Hybris sich generell von Frauen nichts sagen lassen und das ist somit deren Problem. Da kann frau noch so durchgreifende Änderungs-Vorschläge, Visionen anbringen. Deshalb klasse `Die Frau verlässt den Mann und kümmert sich endlich um ihre eigenen Belange`!
04.05.2014 um 13:37 Uhr lfp
@Hugor: Es ist im Gegenteil so, dass Frauen immer nur dann etwas bewegt haben, wenn sie sich stur um ihre eigenen Interessen und nicht auch noch gleichzeitig um die der Männer gekümmert haben. In aller Ausführlichkeit nachzulesen bei Gerda Lerner.
Haben Männergruppierungen sich beim politischen Kampf jemals um die Interessen des politischen Gegners gekümmert? Erst am Verhandlungstisch - doch nicht vorher!
04.05.2014 um 13:01 Uhr Hugor
@Luise - Individuell ist das (und vieles andere) selbstverständlich möglich. Mir geht es aber um die gesamtgesellschaftliche Perspektive. Ich kann mir nicht vorstellen, dass reine Konfrontation und Provokation zu dauerhaft tragfähigen Lösungen führen kann (auch wenn Derartiges anfangs vermutlich hilfreich ist, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme zu lenken).
Meiner Meinung nach wurden praktisch alle Errungenschaften des Feminismus letztlich dadurch erreicht, dass eine genügende Anzahl von (einflussreichen) Männern von deren Sinnhaftigkeit überzeugt wurde.
04.05.2014 um 11:00 Uhr lfp
@Hugor: Es gibt noch ganz andere Methoden “durchgreifender Veränderung” als Überzeugung und gewaltsame Unterwerfung. Z.B. die Methode von Ibsens Nora oder die der Lysistrata. Die Frau verlässt den Mann und kümmert sich endlich um ihre eigenen Belange.
03.05.2014 um 22:59 Uhr Hugor
@Lena Vandrey - worum es mir geht, ist letztlich die Frage, welche realistische Zukunftsvorstellungen der (radikalere) Feminismus hat. Selbst wenn man unterstellt, dass die Ausgangspositionen zutreffend sind, kann wohl niemand ernsthaft glauben, dass Männer sich entweder von sich aus grundlegend ändern oder auf Befehle/Druck positiv reagieren. Aus meiner Sicht ist eine durchgreifende Änderung nur durch Überzeugung oder gewaltsame Unterwerfung denkbar. Ersteres wird offenbar gar nicht versucht, Letzteres dürfte schwierig sein und selbst im Erfolgsfall wohl kaum eine lebenswerte(re) Gesellschaft hervorbringen.
01.05.2014 um 12:21 Uhr Lena Vandrey
Das “Feindbild Mann” wird nicht nur von Feministinnen und Radikal-Lesben wahrgenommen, sondern von der ganzen Welt, vor allem von der Unter-Welt der grausamen Schurken-Staaten, das heißt von den Frauen/Feministinnen solcher Länder.
Seit über 100 Jahren arbeiten Feministinnen sich kaputt, und das genügt nicht?! Ich komme noch aus einer Zeit, wo es Usus war, den Herren Vergewaltigern einen Sessel anzubieten und ihnen zu erklären, weiblich und mütterlich, dass es nicht gut ist, was sie tun. Eines Tages haben die Feministinnen damit aufgeräumt.
Wer das “Feindbild Mann” ändern will, soll sich selbst bemühen, ob hetero-männlich, schwul-männlich oder trans-männlich, und eine Dialog-Basis schaffen, mit Verständnis für die furchtbare Situation von Frauen und mit DANK für die nie erlahmende Arbeitskraft von Feministinnen. Die Kritik an Feministinnen ist das Schäbigste, was es gibt, und bemäntelt und verbrämt ist es noch viel schlimmer.
Feminismus, die gröBte politische und philosophische Axe der Moderne, stellt eine Frage an ihre Feinde: Wisst ihr, was ihr tut?
Es heißt inzwischen, dass JEDERMENSCH durch die Hetero-Sexualität unterdrückt wird, also auch unsere Feinde. Wollen wir sie nicht ein wenig an unseren Busen nehmen und sie trösten?
Eines Tages hat ein Mörder seine Strafe auch abgesessen, sagte eine Frau.
DEINER auch? war meine Frage.