Social freezing: Was ist sozial am Eier-Einfrieren?
„Laut und Luise“ ist ein feministischer Blog mit linguistischem Einschlag - und umgekehrt. Seit etwa zehn Tagen geistert ein neuer Ausdruck durch die deutschen Medien und bewegt die Gemüter: Social freezing. Er verdient sowohl feministische als auch linguistische Beachtung und eignet sich deshalb für meinen Blog wie selten etwas.
„Social freezing“ sagt die deutsche Wikipedia, „bezeichnet das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund.“ Facebook und demnächst auch Apple wollen ihren weiblichen Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer noch jugendfrischen Eier finanzieren, damit sie sich nicht mit vorzeitigem Kinderkriegen die Karriere verderben und Schwangerschaften bis zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl hinausschieben können.
Die langwierige und unangenehme Prozedur kostet rund 20.000 Dollar. Ob auch die Facebook- und Apple-Putzfrauen in den Genuss dieser Großzügigkeit kommen oder nur das hochqualifizierte „kreative“ weibliche Tech-Personal, konnte ich nicht herausfinden. Aber es darf bezweifelt werden, denn Facebook und Apple interessieren sich fürs Geschäft, nicht für Wohltätigkeit. Mit sozialem Wohnungsbau und anderen Sozialmaßnahmen hat social freezing nichts zu tun, im Gegenteil.
Die deutschen Stellungnahmen zum „social freezing“ waren geteilt. Die einen begrüßten, dass Frauen jetzt eine Option mehr für das Timing ihres Kinderwunschs haben, die anderen - zu denen auch ich mich zähle - fanden, es gäbe bessere und dringlichere Methoden der Frauenkarriereförderung, z.B. ausreichende Kinderbetreuung in den Betrieben, finanzielle und sonstige Anreize für Väter, sich an der Kinderbetreuung paritätisch zu beteiligen. Etwa so: „Facebook und Apple stellen nur solche Männer ein, die als Väter die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen.“
Oder so ähnlich. Die norwegische Schriftstellerin Gerd Brantenberg hat es bereits in den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorgedacht. Ihre klassische Satire „Die Töchter Egalias“ beginnt mit dem bemerkenswerten Satz: „Schließlich sind es noch immer die Männer, die die Kinder bekommen“. Und zwar bekommen sie sie zur Aufzucht, denn im strengen Matriarchat Egalias hat die Frau mit Schwangerschaft und Gebären schon genug für das Wohl und den Fortbestand der Gesellschaft geleistet. Die Väter sind durch die Kinder ans Haus gebunden und müssen es trotzdem irgendwie schaffen, die Säuglinge den Müttern, die sich um die Staats- und Geldgeschäfte kümmern, rechtzeitig zu den Stillzeiten an die Brust zu legen. Kein Wunder, dass die Söhne Egalias ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs sind.
Kommen wir nun von der Sache zum Wort. Es war weniger die öffentliche Debatte als vielmehr der seltsame Ausdruck „social freezing“, der mich stutzig machte. Er wirkt wie ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich, denn „sozial“ assoziieren wir mit „warm, fürsorglich“ und „gefrieren“ mit „kalt, abweisend“.
Um dem Ausdruck auf den Grund zu gehen, recherchierte ich eine halbe Stunde lang im Internet nach „social freezing“. Auf anglo-amerikanischen Seiten fand ich den Ausdruck bis heute nicht. Dort heißt es vielmehr durchgehend „egg freezing for social reasons“, also „Einfrieren von Eiern aus sozialen (im Gegensatz zu medizinischen) Gründen". Manchmal wird es verkürzt zu „social egg freezing“ aber niemals zu „social freezing“. Dieser merkwürdige Ausdruck findet sich nur in den deutschen Medien, und zwar völlig unhinterfragt. Wer ihn - möglicherweise versehentlich - in die Welt gesetzt hat, konnte ich nicht eruieren. Ziemlich wahrscheinlich aber ist, dass in der Folge alle anderen von ihm, ihr oder voneinander abgeschrieben haben, so dass sich der sonderbare Ausdruck in Windeseile verbreiten konnte. Ein gutes Beispiel dafür, wie dubiose Nachrichten sich heute als verbindliche Norm durchsetzen können.
Wenn egg-freezing zu freezing verkürzt wird, so folgt man damit einem Abkürzungs- und Verschleierungstrieb, der auf dem Gebiet der weiblichen Fortpflanzung besonders aktiv ist. Aus „Abtreibung der Leibesfrucht /des Fötus“ wird „Abtreibung“, aus „Abbruch der Schwangerschaft“ wird „Abbruch“. Zum Vergleich: „Abbruch des Studiums“ ist nicht einfach „Abbruch“. „Social freezing“ geht aber noch einen Schritt weiter. Es ist, wie wenn die Medien plötzlich von „sozialer Abtreibung“ oder „ethischer Abtreibung“ reden würden statt von „Abtreibung aus sozialen bzw. ethischen Gründen“.
Bleibt abschließend nur noch eine Frage zu klären: Wenn das Einfrieren der Eier so sozial ist - warum werden Männer dann davon ausgeschlossen? Vielleicht bringt „natural freezing“ einen Ausgleich. Manchmal nämlich lässt Mutter Natur es so kalt werden, dass die Männer sich die Eier abfrieren. Der Winter naht - bald ist es wieder so weit.
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9 Kommentare
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26.10.2014 um 15:03 Uhr anne
hervorragend! danke lb. Luise !
mit dieser methode können also andere `soziale` möglichkeiten/überlegungen der frauenberufsförderung im handstreich umgangen werden. und das, weil in etlichen berufen der IT-branche der frauenanteil äußerst gering ist. egal, zu welchem zeitpunkt frau schwanger wird, in einer menschenfeindlichen umwelt (u.a.im berufsleben, am arbeitsplatz) ist und bleibt sie die `leidtragende`, wenn sich die gesellschaft nicht ändert. jetzt soll sogar der kinderwunsch mit leichtem druck auf`s spätere alter - evtl. sogar in verbindung mit dem beruflichen ausstieg ? - vorgeschrieben werden. werden dann ältere (schwangere) berufstätige mit gezieltem kinderwunsch von jüngeren `karriere-frauen` ersetzt? können die älteren mütter ihre berufstätigkeit z.b. bei Apple/Facebook aufrechterhalten? oder werden sie aufgrund von schwangerschaft/en entsorgt bzw. sozial abgetrieben? mit dieser methode wird allen frauen wieder suggeriert, dass frühzeitiger kinderwunsch unerwünscht und kinder generell für die karriere von frauen - nicht von männern - weiterhin ein hemmschuh sind. oder sind ältere mütter die besseren mütter?
frauen und kinder sind das problem? ich denke da an die tolle glosse von LFP “kinder und hunde die hälfte”..
übrigens so nebenbei, je älter der mann bei einer zeugung ist, desto mehr mutationen überträgt er dem nachwuchs - lt. einer studie. deshalb der praxistipp eines forschers: in jungen jahren sperma einfrieren! sogar die kosten einer gefrierkonservierung von sperma sind recht günstig:
“Die Kosten für Organisation, Durchführung der Kryokonservierung mit allen Materialien einschließlich ärztlichem Beratungsgespräch auch an Wochenenden sowie Versand betragen pauschal 250 € (inklusive Mwst) für 1 Ejakulat, 450 € für die Kryokonservierung von 2 Ejakulaten. Hinzu kommen Kosten von einmalig 75 € für die Bluttests.”
sperma frühzeitig `schockgefrieren` in verbindung mit einer vasektomie wäre dazu für interessierte eine möglichkeit der empfängnisverhütung und ist verglichen mit anderen verhütungsmethoden recht kostengünstig..
welche entlastung für mio frauen, die täglich funktionieren und die pille einnehmen müssen.