Sind Lesben Frauen? Feministische Linguistik und Queer Theory, Teil 2
Homophobische Diskurse, Dekonstruktion, Queer Theory: Eine feministisch–linguistische Kritik
Vorbemerkung am 29.10.2011: Diesen Aufsatz habe ich 1997 auf Englisch und etwas später auf Deutsch veröffentlicht. Die deutsche Fassung wurde 1999 in meinem Buch Die Frau ist nicht der Rede wert nachgedruckt. Meine Überlegungen, die auch helfen sollten, die Sprachquerelen der Gender Theory und der Queer Theory zu beruhigen, wurden nicht rezipiert - und so tobt der Streit weiter fort und ist kürzlich auch auf meinem Blog "Laut und Luise" ausgebrochen.
Ich hatte den Unterstrich kritisiert als eine Schreibweise, die sprachlich nicht optimal geeignet ist, ihr erklärtes Ziel - Sichtbarmachen der Queer Community (LGBTI - Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual) - zu erreichen. Meine Intervention wurde von Betroffenen mehr oder weniger vehement als Bevormundung abgelehnt.
In der Debatte ging es, wie auch schon 1997 in dem (hier erstmals im Internet zugänglich gemachten) Aufsatz, um die Frage, ob z.B Lesben, afrodeutsche Frauen, afrodeutsche Lesben und andere marginalisierte Gruppen von Frauen sich in der Kategorie "Frau" wiederfinden können oder nicht. Da ich mich 1997 mit genau dieser Frage befasst habe, könnte die Lektüre dieses Aufsatzes bei der Klärung helfen.
Wirklich ein Sprachproblem haben - außer den Frauen - m.E. die Intersexuellen und alle anderen, die sich geschlechtsmäßig nicht festlegen können oder wollen. Ihnen wird in unserer patriarchalen, hetero- und cissexistischen Kultur nur die Wahl zwischen weiblich und männlich angeboten, auf allen Ebenen, vom Personalausweis bis zur Grammatik, d.h. zur Zwangsentscheidung zwischen Berufsbezeichnungen wie "Anwalt" und "Anwältin". Sie haben m.E. eine bessere Lösung als den Unterstrich verdient. Die Sprachgemeinschaft sollte sich gemeinsam eine umfassende Lösung sämtlicher Probleme rund um Sprache und Geschlecht ausdenken. Wichtig ist vor allem die Depriviligierung des Maskulinums, d.h. die Änderung der Bezeichnungen für Männer. Das geschieht vielleicht am elegantesten durch die Abschaffung der Endung -in: Die, der und das Student. Wörter wie "Arzt", die immer männlich waren, können plötzlich auch feminin sein: Die Arzt. Oder das Genus wird ganz abgeschafft (Methode Behlert).
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Das Thema “Sprache und Homophobie” als Forschungsgegenstand in Deutschland und in den USA: Allgemeine und persönliche Bemerkungen
Die Probleme von Lesben und Schwulen waren immer auch Sprach- und Kommunikationsprobleme. Aber Sprach- und KommunikationswissenschaftlerInnen haben sich aus Berührungsangst lange kaum um diesen Forschungsgegenstand gekümmert. Ich wollte im Jahr 1980 meine Antrittsvorlesung an der Universität Konstanz über das Thema “Verschweigen, Leugnen, Verschleiern: Sprache und Homosexualität” halten. Ich hatte auch viele Ideen dazu, aber ich habe mich schließlich doch nicht getraut. Das Aufgreifen dieses Themas hätte damals und an jenem Ort beruflichen Selbstmord bedeutet.
Inzwischen haben wir die “gay nineties”, und die Kulturszene der USA erlebt geradezu eine Explosion von Arbeiten zur Homosexualität unter dem Etikett Queer Theory. “Mein” früher ängstlich gemiedenes Thema ist nicht nur “gesellschaftsfähig” geworden, sondern sozusagen mega-in. Über Homosexualität zu theoretisieren bedeutet, an der Spitze der postmodernen kritischen Theorie mitzumarschieren, zumindest in den USA. (Die deutsche Männer–Universität dagegen ist, so weit ich weiß, noch immer weitgehend ignorant, nachdem sie bereits die Explosion der feministischen Theorie während der letzten zwanzig Jahre getrost verschlafen hat.)
Buchtitel wie: Queer Words, Queer Images: Communication and the Construction of Homosexuality (Ringer 1994), Queerly Phrased: Language, Gender, and Sexuality (Hall & Livia 1997), Beyond the Lavender Lexicon: Authenticity, Imagination and Appropriation in Lesbian and Gay Languages (Leap 1995) - um nur einige zu nennen - belegen das breite Spektrum der Fragestellungen und machen die ungeheure Produktivität auf einem Gebiet deutlich, das bis vor wenigen Jahren nicht einmal existierte, weil lesbische und schwule LinguistInnen und Linguisten durch das hochtoxische homophobe Universitätsklima erfolgreich zum Schweigen gebracht worden waren.
Wir leben im Zeitalter von Aids; das Leben ist zu kurz und zu kostbar, um es im Versteck zu verbringen. Allenthalben haben sich Schwule organisiert und - angesichts der Untätigkeit der Regierungen - zunehmend radikalisiert. Sie haben nichts mehr zu verlieren, wenn sie aus dem “Closet” herauskommen, um endlich auch ihre BürgerInnenrechte zu fordern wie alle anderen diskriminierten Gruppen: “Lesben und Schwule sind die letzte verbliebene Gruppierung, gegen die öffentlich zurschaugestellte Diskriminierung in Ordnung ist, von der High School bis zum U.S. Senat. Wir sind eine Gruppe, deren Recht zu lieben wie wir wollen in der Hälfte der Staaten der Union kriminalisiert wird, und unsere Regierung diskriminiert uns ganz offiziell”, schreibt Larry Gross in Contested Closets: The Politics and Ethics of Outing (1993: 172f). Um meine eigene Geschichte kurz zu Ende zu erzählen: Beruflichen Selbstmord habe ich damals dann doch noch begangen durch mein Engagement in der feministischen Linguistik. Also kann ich nun getrost noch einen Schritt weitergehen und mich dem öffentlichen Nachdenken über die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Homophobie, Queer Theory und meinem Fachgebiet Linguistik widmen.
Foucault, Halperin und Sedgwick über den homophobischen Diskurs und was dagegen zu tun ist Warum Foucault lesen - und wie?
Ich hatte - von dem her, was ich über Foucault gelesen hatte - schon immer das Gefühl, daß seine Arbeiten überaus wichtig für die Queer Theory sind, das heißt - und so würde ich es genannt haben, bevor Queer Theory entstand - für den Versuch, meine Situation wenigstens theoretisch “in den Griff zu bekommen”, die Art von Leben, die ich zu leben gezwungen wurde, wenigstens intellektuell zu “meistern”. Aber ich war unfähig, Foucault zu lesen; ich konnte in seine hermetisch–verworrene Schreibweise einfach nicht eindringen, konnte nicht verstehen, was er mir vielleicht Wichtiges zu sagen hatte. Foucault-Lektüre machte mich entweder ärgerlich, oder sie langweilte und deprimierte mich.
Daher bin ich hocherfreut, daß ich einen glühenden Anhänger, ja (selbsternannten) Hagiographen Foucaults gefunden habe, der die wichtigsten Ideen des Theoretikers darüber, wie mit Homophobie umzugehen sei, zu einem lesbaren Text für die gewöhnliche LeserIn destilliert hat. Die Rede ist von David Halperin und seiner Studie Saint Foucault (1995).
Zunächst werde ich Halperin übersetzend zitieren - in einiger Ausführlichkeit, wie ich zugeben muß - um Ihnen einen Eindruck von Foucaults Ideen zu diesem Thema zu geben. Halperins Ausführungen zusammenzufassen, hätte nicht viel gebracht, weil er selbst ja Foucault schon zusammenfaßt. Danach möchte ich einige dieser Ideen aus linguistischer Sicht kritisieren.
Halperin referiert Foucaults Ideen zum homophobischen Diskurs wie folgt:
...Foucaults Untersuchung ... der politischen Ökonomie des sexuellen Diskurses ... ermöglicht es uns, einige wirksame Strategien zu entwickeln, wie den diskursiven Operationen des zeitgenössischen homophobischen Diskurses entgegen-zutreten und zu widerstehen sei. ... Foucault ... lehrt uns, einen Diskurs strategisch zu analysieren, nicht hinsichtlich dessen, was gesagt wird, sondern hinsichtlich dessen, was der Diskurs tut und wie er funktioniert. (30)
Der Effekt der politischen Herangehensweise an den Diskurs à la Foucault ist es, den Focus zu verlagern ...von Fragen der Wahrheit zur Frage der Macht. Diese Verlagerung hat sich für die Analyse des homophobischen Diskurses als äußerst nützlich erwiesen. Sie hat sich als wesentlich erwiesen auch für das größere Projekt der Delegitimierung heterosexistischer Anmaßung und der Stärkung schwuler Praktiken des Wissens und der Gemeinschaft. (31)
...wir haben uns zu wehren ... gegen universelle und vielfältige Strategien der Homophobie, die den öffentlichen wie den privaten Diskurs bestimmen, das gesamte Feld der kulturellen Repräsentation durchdringen und ... überall sind. Die Diskurse der Homophobie ...können durch rationale Argumente nicht widerlegt werden...; ihnen kann nur Widerstand entgegensetzt werden. Weil nämlich homophobische Diskurse nicht reduzierbar sind auf eine Menge von Aussagen mit einem bestimmten Wahrheitsgehalt, die rational überprüft werden können. Homophobische Diskurse fungieren vielmehr als Teil einer allgemeineren und systematischen Strategie der Delegitimierung. Wenn ihnen Widerstand entgegengesetzt werden soll, so muß es strategischer Widerstand sein. Das heißt, die eine Strategie muß mittels einer anderen Strategie bekämpft werden. (32f.)
Homophobische Diskurse setzen sich zusammen aus potentiell unendlich vielen untereinander austauschbaren Aussagen, so daß, wann immer eine der Aussagen falsifiziert oder disqualifiziert worden ist, eine andere hübsch und effektiv an ihre Stelle treten kann, selbst wenn sie der ursprünglichen Aussage exakt widerspricht. (33)
Homophobische Diskurse sind also inkohärent, aber ihre Inkohärenz macht sie nicht etwa wirkungslos - sie stärkt sie vielmehr. Tatsächlich operieren homophobische Diskurse strategisch mittels logischer Widersprüche. Die logischen Widersprüche, die den homophobischen Diskurs ausmachen, erzeugen eine Reihe von Doppelbindungen, die - inkohärent, aber nichtsdestoweniger effektiv und systematisch - dazu dienen, das Leben von Lesben und Schwulen zu beschädigen. (34)
Halperin illustriert dann diese letztere Behauptung mit den gängigen Definitionen der Homosexualität als entweder einer “unabänderlichen Eigenschaft” oder eines “Verbrechens” und mit Sedgwicks Analyse des homosexuellen Verstecks (closet) als eines “unmöglichen, widersprüchlichen Ortes” (34). Laut Sedgwick ist es ebenso unmöglich, im Versteck zu sein wie außerhalb des Verstecks zu sein, und das Herauskommen (coming out) ist immer sowohl zu früh als auch zu spät (34f).
Halperin fährt fort:
So wie ‘der/die Homosexuelle’ vom homophobischen Diskurs konstruiert wird, handelt es sich in der Tat um eine unmöglich widersprüchliche Kreatur. Denn ‘der/die Homosexuelle’ ist gleichzeitig
(1) sozial unangepaßt (2) ein unnatürliches Monster, ein Freak (3) einE moralischeR VersagerIn (4) sexuell pervers.
Nun ist es natürlich nicht möglich, all diese Dinge auf einmal zu sein, jedenfalls im Rahmen einer nachkantischen Ethik. Zum Beispiel kann eineR nicht krank und tadelnswert zugleich bezüglich desselben Defektes sein - aber das macht nichts: solche Attribute mögen sich nach logischen Regeln gegenseitig ausschließen. Nach praktischen, d.h. politischen Regeln sind sie vollkommen kompatibel. Sie schließen sich nicht nur gegenseitig nicht aus, sondern sie verstärken sich gegenseitig auch noch. Sie wirken zusammen und erzeugen, wieder und immer wieder denselben Effekt: die Ablehnung ‘der Homosexuellen’. (46).
Kritik
a) Diese schrecklichen Dichotomien (engl.: binarisms) ...
Ich stimme Halperins auf Foucault gestütztem Rat von Herzen zu, daß Lesben und Schwule nicht zu viel Zeit damit verschwenden sollten, gegen homophobische oder heterosexistische Rede zu argumentieren. In der Regel lohnt sich das wirklich nicht. Statt gegen HomophobikerInnen zu argumentieren, sollten wir die Zeit dafür nutzen, uns selbst und unsere Gemeinschaft zu stärken.
Ich stimme Halperin jedoch nicht zu hinsichtlich seiner Analyse des Wortes/Konzeptes “homosexuell” - wie ich überhaupt mit den meisten sprachlichen Analysen des post-strukturalistischen akademischen Feminismus und der Queer Theory in den USA nicht einverstanden bin und ihre sprachlichen Sorgen und Streitigkeiten meist überflüssig, weil unbegründet finde. Der akademische Feminismus der USA verdankt vieles dem französischen Feminismus von Theoretikerinnen wie Kristeva, Irigaray, Cixous, Wittig. Der französische Feminismus verdankt vieles dem Strukturalismus, Poststrukturalismus und Dekonstruktionismus (Lévy–Strauss, Barthes, Lacan, Derrida). Beide Schulen gehen zurück auf Ideen de Saussures und einiger anderer Linguisten/Strukturalisten wie Jakobson und Trubetzkoy, ohne sie unbedingt verstanden zu haben. Sie haben sich einfach einige Werkzeuge der europäischen strukturalistischen Linguistik ausgeliehen (z.B. aus der Phonologie die Begriffe ‘Markiertheit’ und ‘Unmarkiertheit’) und benutzten sie für Aufgaben, für die sie nie gedacht waren. Wenn ich als Linguistin all diese hochtheoretischen Elaborate lese, habe ich nicht selten den Eindruck, einer Blinddarmoperation beizuwohnen, durchgeführt von einem beherzten Team von PsychologInnen, HistorikerInnen, AnthropologInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen und PhilosophInnen, die bedeutungsvoll mit einem Operationsbesteck herumhantieren, das eigentlich für Gehirnchirurgie gedacht war.
Ich denke, es ist an der Zeit, daß die feministische Linguistik eine professionelle Kritik dieser Art Rhetorik und dieses mystifizierenden Jargons vorlegt. Hören Sie sich mal diese Kostprobe einer “linguistischen Analyse” an, dargebracht von Halperin (einem Professor der Literaturwissenschaft am Massachusetts Institute of Technology, dem berühmten MIT):
Die Dichotomie ‘heterosexuell/homosexuell’ ist selbst ein Produkt der Homophobie, genau wie die Dichotomie ‘Mann/Frau’ ein Produkt des Sexismus ist. Jede besteht aus zwei Termen, wobei der erste jeweils unmarkiert und unproblematisiert ist, der zweite dagegen markiert und problematisiert: er bezeichnet eine Kategorie von Personen, die etwas unterscheidet von normalen, unmarkierten Leuten. Der markierte (oder queer) Term fungiert letztlich nicht als ein Mittel zur Bezeichnung einer realen oder bestimmten Klasse von Personen, sondern als ein Mittel, den unmarkierten Term zu begrenzen und zu definieren - durch Negation und Opposition.
Obwohl der unmarkierte Term eine Art Präzedenz oder Priorität über den markierten Term beansprucht, folgt aus der Logik der Supplementarität die Abhängigkeit des unmarkierten Terms vom markierten: Der unmarkierte Term braucht den markier-ten, um sich selbst als unmarkiert hervorzubringen. ... ‘Homosexuell’ ist wie ‘Frau’ kein Name, der sich auf einen natürlichen Gegenstand bezieht; es ist eine diskursive und homophobische Konstruktion, die als Gegenstand fehlidentifiziert wurde unter dem erkenntnistheoretischen Regime des Realismus. (45)
Mir scheint, der größte Fehler dieser Art des Räsonierens, die einen Großteil der heutigen hochmodernen gender studies und queer studies durchzieht, ist die Konzentration auf linguistische Mikro- oder aber Makrostrukturen unter Auslassung jeglichen “linguistischen Bindegewebes” dazwischen, wie etwa der Gegenstandsbereiche der Grammatik, Pragmatik und Semantik. Tausende von Seiten wurden verfaßt über den Inhalt bzw. die Definition isolierter Wörter wie woman, man, sex, gender, heterosexual, homosexual, lesbian, gay, queer - oder über verschiedene Arten von Diskursen, wie etwa den homophobischen Diskurs, wobei Diskurs auf praktisch unabsehbare Massen von Texten und Äußerungen referiert. All diese analytische Arbeit über Wörter und Textmassen wird unternommen ohne irgendeinen Bezug auf die moderne feministische Linguistik oder auch nur auf die moderne linguistische Theorie. Sogenannte “Binärismen” (Dichotomien wie ‘Frau/Mann’ oder ‘homosexuell/ heterosexuell’) werden aufgefaßt als Produkte der Hölle und müssen mittels Dekonstruktion unschädlich gemacht werden.
Die feministische Linguistik hat sich mit diesen Binärismen seit bald 30 Jahren ausführlich beschäftigt und z.B. gezeigt, daß die beiden “binären” Wortpaare woman/ man und homosexual/heterosexual, obwohl sie einiges gemeinsam haben, doch für eine feministische Sprachpolitik zwei sehr unterschiedliche Probleme darstellen.
Erstens: Markiert im technischen Sinn ist nur woman in Bezug auf man, weil man ‘Mann’ nicht nur als der Oppositionsterm zu woman fungieren kann, sondern zugleich als übergeordneter oder generischer Term [in der Bedeutung ‘Mensch’]. Auf der einen Seite haben wir Ausdrücke wie “When a man loves a woman” auf der anderen Sätze wie “All men are equal”, die Frauen einschließen sollen.
Der Term heterosexual dagegen wird niemals als generischer Term für Homo- und Heterosexuelle verwendet. Wenn nun beide “Binärismen” in denselben Topf geworfen werden, nur weil Homosexuelle und Frauen unterdrückte Gruppen sind und sowohl Homophobie als auch Sexismus unterdrückerische Ideologien oder Einstellungen sind, so muß das Konfusion erzeugen. Wenn man behauptet, daß homosexual der markierte Term ist, wie läßt sich dann die Tatsache erklären, daß homosexuelle Frauen in Bezug auf homosexuelle Männer “markiert” sind: Die Wörter gay und homosexual sind selber unmarkiert, d.h. generisch verwendbar, können auf Männer und Frauen referieren, nicht aber das Wort lesbian. Wir haben es hier mit ziemlich verschwommenem Denken zu tun.
Außerdem muß, um die Binärismen erfolgreich zu bekämpfen, ein Sprachgebrauch etabliert werden, der den generischen Term seiner “Unmarkiertheit” beraubt. Genau das haben Feministinnen getan, indem wir Richtlinien gegen sexistischen Sprachgebrauch entwickelt und durchgesetzt haben, so daß heute das alte “generische” oder “unmarkierte” Maskulinum durch eine neutralere Ausdrucksweise ersetzt wird, meistens die Doppelform (Studentinnen und Studenten statt bloß Studenten wie ehedem; he or she anstelle von he ). Im Deutschen ist diese sprachtherapeutische Arbeit sehr viel schwieriger als im Englischen, aber insgesamt haben wir doch erfolgreich dafür gesorgt, daß das Maskulinum nunmehr fast so markiert ist wie das Femininum (vgl. Pusch 1984 und 1990; Hellinger 1985; Fuchs & Müller 1993; Samel 1995). Das Resultat unserer Bemühungen wird zusammengefaßt in dem handlichen Slogan: “Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es einmal war” - was bedeutet: Es hat seine Unmarkiertheit verloren, die Möglichkeit, als generischer Term für beide Geschlechter stehen zu können. Der maskuline Term wird automatisch markiert, wenn er zusammen mit dem femininen Term benutzt wird.
Zweitens: Das Problem mit dem “Binärismus” ‘Homo- und Heterosexualität’ hat nichts mit Markiertheit zu tun, sondern mit Prototypizität. Heterosexualität ist die prototypische Sexualität, und männliche Homosexualität ist die prototypische Homosexualität. Die Kategorien ‘homosexuell’, ‘heterosexuell’, ‘gay’ und ‘lesbisch’ wie auch ‘Mann’ und ‘Frau’ sind radiale Kategorien im Sinne von Lakoff (1987), genau wie die Kategorie ‘Mutter’, die er ausführlich analysiert, um den Begriff ‘radiale Kategorie’ zu erklären. Typisch für radiale Kategorien ist, daß sie eine oder mehrere zentrale Subkategorien haben sowie nichtzentrale Erweiterungen, meist Varianten der zentralen Subkategorie. Die Beziehungen zwischen der oder den zentralen Subkategorie(n) und ihren nichtzentralen Varianten sind meist nicht logisch, sondern pragmatisch motiviert.
b) Wörter und Identität
Eine Konsultation der Theorien von Rosch und Lakoff über Prototypen–Effekte in der Sprache hätte die erbitterten “Identitäts–Debatten” zwischen “Minderheits-Frauen” (Afro-Amerikanerinnen, Chicana–Frauen, Latina–Frauen, asiatisch-amerikanischen Frauen) und weißen US-amerikanischen Feministinnen der Mittelschicht leicht beruhigen können, Debatten, die um die Frage kreisten, worauf genau sich der Ausdruck Frau eigentlich beziehe. Weißen Feministinnen, die den Begriff ‘Frau’ benutzten, ist sicherlich vorzuwerfen, daß sie die Perspektive ihrer eigenen Schicht und Rasse verallgemeinert haben und nicht genügend an Frauen anderer Schichten und Ethnien gedacht haben - ein typischer Prototypen-Effekt. Männer haben die Angewohnheit, sich selbst als Repräsentanten der Gattung Mensch zu betrachten - ein anderer Prototypen–Effekt, den die feministische Linguistik ziemlich erfolgreich bekämpft hat. Wir erreichten dies durch - auch und vor allem sprachliche - Sichtbarmachung der Frauen und durch erhöhtes politisches Engagement. Prototypen–Effekte in der Sprache haben zu tun mit Häufigkeit des Vorkommens und Sichtbarkeit. In Nordeuropa ist der Apfel das prototypische Obst, in Südeuropa ist es die Apfelsine, noch weiter südlich die Banane.
Die meisten - meines Erachtens völlig unnötigen - Sprachquerelen der Gender Theory und der Queer Theory liegen daran, daß ihre Begriffsanalysen auf Aristoteles’ klassischer Kategorienlehre fußen und somit davon ausgehen, daß alle Mitglieder einer Kategorie eine Reihe von definierenden Eigenschaften gemeinsam haben. Wenn eine Entität eine der definierenden Eigenschaften nicht besitzt, kann sie nach dieser Lehre kein Mitglied der betreffenden Kategorie sein. Wenn Heterosexualität eine definierende Eigenschaft der Kategorie ‘Frau’ ist, dann gilt, per definitionem, der berühmte Satz von Monique Wittig: “Lesben sind keine Frauen” (Wittig 1992:32).
Wenn eine an die Richtigkeit der klassischen Kategorienlehre glaubt - wie es die meisten anscheinend tun - dann muß sie in der Tat verzweifeln, wenn sie sich in und von bestimmten Diskursen systematisch ausgeschlossen sieht:
• als Frau ausgeschlossen aus der Menschheit im patriarchalen Diskurs
• als starke, unabhängige Frau ausgeschlossen aus der Klasse der Frauen im patriarchalen Diskurs (vgl. Beauvoir)
• als Afro–Amerikanerin ausgeschlossen aus der Klasse der Frauen im feministischen Diskurs in den USA der 70er und 80er Jahre
• als Lesbe oder Schwuler ausgeschlossen aus der Menschheit im heterosexistischen Diskurs
• als Lesbe, die Lippenstift benutzt oder S/M praktiziert, ausgeschlossen aus der der Klasse der Lesben im lesbisch–feministischen Diskurs
Eine solcherart ausgeschlossene Person oder Gruppe wird die Wörter und Kategorien ablehnen, die sie auszuschließen scheinen, weil sie an die Alles–oder-nichts-Bedingungen der Kategorienmitgliedschaft glaubt, wie die klassische Kategorienlehre sie vertritt.
Linguistisch bewiesen ist jedoch, daß Kategorien keineswegs einen gemeinsamen Kern, eine Essenz, zu haben brauchen. Vielmehr haben sie eher eine Familienähnlichkeits-Struktur. Diese von Wittgenstein inspirierte Konzeptualisierung der Kategorien als eher “verschwommen” (fuzzy), besagt, daß Kategorien für gewöhnlich Eigenschaften gemeinsam haben, daß aber diese Eigenschaften nicht unbedingt notwendig oder hinreichend sind für Mitgliedschaft in der Kategorie. Zum Beispiel fliegen die meisten Vögel und bauen Nester, aber der Vogel Strauß tut weder das eine noch das andere. Nicht alle Mitglieder der Kategorie sind gleich repräsentativ für die Kategorie. Zum Beispiel denken die meisten Leute, daß ein Spatz ein besseres Beispiel für einen Vogel ist als eine Ente. Ein weiteres Problem ist, daß für viele Begriffe nicht einmal ExpertInnen in der Lage sind, definierende Eigenschaften anzugeben.
c) “Inkohärenz” und “Widersprüchlichkeit” sind normale Eigenschaften von Begriffen
Wenn Gender-TheoretikerInnen und Queer -TheoretikerInnen diese Erkenntnisse sowie Lakoffs grundlegende Theorie der Kategorisierung in natürlichen Sprachen berücksichtigt hätten, hätten sich die Sprachdebatten wahrscheinlich vermeiden lassen. Die Voraussetzungen, auf denen sie basieren, sind einfach falsch. Wenn zum Beispiel gezeigt werden kann, daß der Begriff ‘Mutter’ genauso ‘inkohärent’ und ‘widersprüchlich’ ist wie der Begriff ‘homosexuell’. dann erscheint es nur noch wenig sinnvoll, die Inkohärenz der Homophobie zur Last zu legen, wie Halperin und Sedgwick es tun. “Inkohärenz” und “Widersprüchlichkeit” sind einfach normale Eigenschaften von Kategorien in natürlichen Sprachen. Der Begriff ‘Mutter’ wird typischerweise konzeptualisiert als ‘eine Frau, die ein Kind geboren hat’, aber wir haben auch das Wort Stiefmutter - eine Stiefmutter hat per definitionem das Kind nicht geboren, dessen Stiefmutter sie ist. Sie ist vielmehr die Ehefrau des Vaters. Nach Lakoff ist ‘Mutter’ ein Begriff, der sich auf ein komplexes Modell gründet, das mehrere individuelle kognitive Modelle vereint, die zusammen ein Cluster–Modell bilden. Die Modelle in dem Cluster sind: Das Geburtsmodell, das genetische Modell, das Fürsorgemodell, das Heiratsmodell und das Abstammungsmodell (Lakoff 1987:74). Die Stiefmutter ist Mutter nach dem Heiratsmodell.
Wenn wir Lakoffs Theorie der idealisierten kognitiven Modelle (ICMs) auf die Sprachprobleme der feministischen und queer Theorie der letzten Zeit anwenden, werden die Dinge sehr einfach und eignen sich nicht mehr so hübsch für hochgesto-chenes Herumtheoretisieren. Der Begriff ‘Homosexualität’ gehört demnach zu einem Cluster, das sich aus den folgenden ICMs zusammensetzt:
• Das Modell der Objektbeziehungen: Homosexuelle sind Menschen, deren sexuelle Orientierung auf Personen des eigenen Geschlechts gerichtet ist
• Das “transsexuelle” Modell der Sexualwissenschaft des 19. Jahrhunderts: Homosexuelle sind Menschen, die im Körper des “entgegengesetzten” Geschlechts gefangen sind
• Das psychotherapeutische Modell, das in den USA bis 1974 offiziell gültig war: Homosexuelle sind Menschen, die an einer Perversion des Geschlechtstriebs leiden
• Das christlich-fundamentalistische Modell: Homosexuelle sind Menschen im Sumpf eines sündigen und perversen Geschlechtslebens
• Das kriminologische Modell (gültig in Deutschland bis 1969): Ein homosexueller Mann ist jemand, der kriminelle sexuelle Akte begeht
• Das lesbisch–feministische Modell: Eine Lesbe ist eine Frau, die weiß, was sich gehört und nicht mit dem Feind schläft
• Das Modell der Queer Theory: Eine “queer person” ist eine Person, die “quer steht zum Normalen, zum Legitimen und Dominanten” (Halperin 1995:62)
Es ist wichtig zu verstehen, daß die Koexistenz von ICMs, die einander widersprechen, kein hinterhältiges Charakteristikum des homophobischen Diskurses ist, sondern vielmehr eine typische Eigenschaft von Wörtern natürlicher Sprachen.
Wie können wir Homophobie effektiv bekämpfen: Foucaultsche Strategien und ein bescheidener feministischer Vorschlag
Halperins und Foucaults Vorschläge Gegen Ende seiner Zusammenfassung der Foucaultschen Ideen über Homophobie fragt Halperin: “Wenn nun also Macht überall ist ... welche Art antihomophobischer Strategien ermöglicht dann der Apparat der Homophobie?” Und er benennt drei Hauptstrategien, die Foucault vorgeschlagen hat (1995: 48-52):
1: Kreative Aneignung und Resignifikation (wie wenn z.B. eine schwule Disco Hypothalamus genannt wird, nachdem Wissenschaftler das “schwule Gen” im Hypothalamus lokalisiert haben). 2. Aneignung und Theatralisierung (Beispiel: Als Newsweek eine “Lesbennummer” mit dem Slogan herausbrachte “Was sind die Grenzen der Toleranz?” konterte die Bay Times in San Francisco mit einer “Heteronummer”, geschmückt mit demselben Slogan). 3. Vorführung (exposition) und Demystifizierung: “Wenn, wie Foucault feststellt, ‘der Erfolg der Macht proportional ist zu ihrer Fähigkeit, ihre eigenen Mechanismen zu verbergen’ dann mag die Vorführung dieser Mechanismen etwas dazu beitragen, ihre Machenschaften zu frustrieren. Genau das war ja die Aufgabe, die Foucault sich als Wissenschaftler gestellt hatte.” Halperin schließt mit den Worten: “Eine Methode, die Homophobie zu bekämpfen, wäre demnach die Vorführung der Mechanismen des homophobischen Diskurses, so wie ich es hier versucht habe (...)” (1995:52).
Ein bescheidener Vorschlag, ausgehend von bewährten feministisch-linguistischen Strategien
Als Feministinnen und feministische Linguistinnen haben wir alle drei genannten Strategien, besonders die Vorführung und die Demystifizierung, von Anfang an erfolgreich angewandt; das ist aber Foucault und Halperin natürlich nicht weiter aufgefallen.
Wie ich aber in meiner Kritik zu zeigen versucht habe, sind manche der “Mechanismen des homophobischen Diskurses”, die Halperin identifiziert zu haben glaubt, nichts weiter als normale Eigenschaften natürlicher Sprachen. Wenn dies so ist, wenn die sogenannten Binärismen nicht wirklich Teufelszeug sind, und wenn die widersprüchlichen und inkohärenten Begriffe nicht hinterhältig–homophobischen Ursprungs sind, wo und wer ist dann der Feind, und wie können wir ihm beikommen?
Ich meine, daß wir es bezüglich des homophobischen Diskurses mit exakt zwei Feinden zu tun haben, nämlich:
1) Die durchgehende Annahme der Heterosexualität, prägnanter gesagt: die heterosexistische Anmaßung
2) die weitverbreitete Verleumdung der Homosexualität
Der Kampf gegen diese beiden Feinde hat, wie leicht zu erkennen ist, große Ähnlichkeit mit dem feministischen Programm, Frauen sichtbar und stark zu machen und läßt sich wie folgt umreißen:
Lesben und Schwule sichtbar machen und stärken. Die feministische Linguistik hat den patriarchalen Diskurs erfolgreich geschwächt durch eine große Palette von Maßnahmen, von der Durchsetzung neuer Gebrauchsnormen bis zu guter alter Aufklärung gegen sexistische, heterosexistische und homophobische Ideologien. Ein wichtiger Teil der Aufklärungsarbeit geschah mit Hilfe von Richtlinien gegen sexistischen Sprachgebrauch. Wir haben nunmehr auch ausführliche Richtlinien gegen heterosexistischen Sprachgebrauch - eine der denkbar schärfsten Waffen gegen Homophobie. Die Richtlinien wurden formuliert vom Committee on Lesbian and Gay Concerns der American Psychological Association und wurden im September 1991 in der Fachzeitschrift American Psychologist veröffentlicht (S. 973-4), online hier. Ich ersuche Sie dringend, die Richtlinien zu befolgen und zu verbreiten.
Schlußbemerkung:
Es hat mir Spaß gemacht, zu zeigen, daß bestimmte Spielarten der Gender Theory und der noch schickeren Queer Theory, die sich in ihrer Begrifflichkeit gern bei der Linguistik bedienen, linguistisch nicht ganz auf der Höhe sind. Wenn mit dem hochtrabenden Jargon dann auch noch gutwillige Mitmenschen eingeschüchtert werden, wie es allenthalben geschieht, wird es Zeit, daß wir altmodischeren Feministinnen diese neuste Abart des akademischen Imponiergehabes, das auch an der deutschen Männer-Universität immer mehr an Boden und Ansehen gewinnt, auf den Teppich zurückholen. Eine Theorie, die wie die feministische und auch die Queer Theory erklärtermaßen für die Befreiung unterdrückter Gruppen eintritt, sollte dies doch in einer Sprache tun, die möglichst vielen der Betroffenen zugänglich ist. Sonst wird sie unglaubwürdig und gerät in Verdacht, sich durch ausgrenzende Hochgestochenheit (Stichwort “Herrschaftssprache”) der Männerbastion Universität anzudienen.
Eines meiner Ziele beim Verfassen dieses Vortrags war es, all denen, denen der beschriebene Jargon zum Halse heraushängt, handfeste Gründe zu nennen, weshalb sie sich darüber nicht allzu sehr grämen sollten. Wenn sie die betreffenden Elaborate nicht lesen wollen oder können, verpassen sie wahrscheinlich nicht gar so viel. Wie ich für den Spezialfall “erfolgreiche Bekämpfung des homophobischen Diskurses” gezeigt habe, brauchen wir dazu keine Queer Theory und keine Gender Theory. Die altbewährten feministischen Strategien tun es auch. Allerdings wurden diese nicht von Männern entworfen oder abgesegnet und genießen deshalb kein akademisches Ansehen. Aber darauf kommt es ja letztlich auch nicht an, oder?
Literatur:
Foucault, Michel. 1978. The History of Sexuality, vol. I: An Introduction. Übs. aus d. Frz. Robert Hurley. New York. Pantheon Books. Goffman, Erving. 1963. Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity. Englewood Cliffs, NJ. Prentice-Hall. Gross, Larry. 1993. Contested Closets: The Politics and Ethics of Outing. Minneapolis; London. The University of Minneapolis Press. Hellinger, Marlis. Hg.1985. Sprachwandel und feministische Sprachpolitik: Internationale Perspektiven. Opladen. Westdeutscher Verlag. Lakoff, George. 1987. Women, fire, and dangerous things: What categories reveal about the mind. Chicago und London. The University of Chicago Press. Leap, William L. 1995. Beyond the Lavender Lexicon: Authenticity, Imagination and Appropriation in Lesbian and Gay Languages. New York. Gordon and Breach Press. Livia, Anna & Kira Hall. Hg. 1997. Queerly Phrased: Language, Gender, and Sexuality. New York. Oxford University Press. Pusch, Luise F. 1997. Homophobische Diskurse, Dekonstruktion, Queer Theory: Eine feministisch–linguistische Kritik, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis. Heft 46. Jubiläumsausgabe (20 Jahrgänge). S. 95-104 Pusch, Luise F. 1997. “Language, Homophobia, Queer Theory, and Linguistics”, in: Braun, Friederike & Ursula Pasero. Hg. 1997. Kommunikation von Geschlecht / Communication of Gender. Pfaffenweiler. Centaurus. S. 280-301. Ringer, R. Jeffrey. 1994. Queer Words, Queer Images: Communication and the Construction of Homosexuality. New York; London. New York Univ. Press. Rosch, Eleanor (Eleanor Heider). 1973. "Natural Categories", Cognitive Psychology 4, 328-50. Rosch, Eleanor. 1975. "Cognitive Representations of Semantic Categories", Journal of Experimental Psychology: General 104, 192-233. Rosch, Eleanor & B.B. Lloyds, Hgg. 1978. Cognition and Categorization. Hillsdale, N.J. Lawrence Erlbaum Associates. Rosch, Eleanor. 1981. "Prototype Classification and Logical Classification: The Two Systems", in: E. Scholnick, Hg. 1983. New Trends in Cognitive Representation: Challenges to Piaget's Theory. S. 73-86. Hillsdale, N.J. Lawrence Erlbaum Associates. Samel, Ingrid. 1995. Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. Berlin. Erich Schmidt Verlag. Sedgwick, Eve Kosofsky. 1990. Epistemology of the Closet. Berkeley; Los Angeles. University of California Press. Sedgwick, Eve Kosofsky. 1993. Tendencies. Durham. Duke University Press. Wittig, Monique. 1992. The Straight Mind and Other Essays. Foreword by Louise Turcotte. Boston. Beacon Press.
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13 Kommentare
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30.10.2011 um 13:24 Uhr Lena Vandrey
Die Versächlichung (Substantivierung von sächlich = Neutrum = ne uter = nicht einer von beiden, keiner von beiden)des Maskulinums versächlicht auch das Femininum: “das” Arzt ist keine Ärztin mehr. Haben wir nicht schon DAS Weib, DAS Mädchen,Das Kind? In allen Fällen unübersetzbar. Ebenfalls das groBe Block-I und das/die? kleingeschriebene “frau” oder gar groBgeschriebene, wie bei der Verlegerin Christel Göttert: “Bücher, die FRAU immer lesen kann”. Warum nicht die Mehrzahl? Die Unübersetzbarkeit der deutschen Sprache nimmt in der “Traductologie” einen Sonder-Platz ein, zumal dieses Deutsch in französischen Akademien so gut wie nicht mehr gelehrt wird. Übertragungen kann ich mir nur in Ideogramm-Sprachen mit Begriffsschrift vorstellen. Ansonsten ist “das” Arzt = “ça docteur” oder “that doctor”, letzteres mit noch einem ganz anderen Sinn versehen.
Die deutsche Sprache, DAS Deutsch, immer mehr ausgeschlossen, möchte sich jetzt einschlieBen aus Gerechtigkeitsgründen? Ob Lesben nun Frauen sind oder nicht, für die einen “Nein” und für andere mehr als “Ja”, als die einzigen wirklichen Frauen. Zwei Axiome der Ungerechtigkeit.
Unmöglich finde ich den Ausdruck “schwul-lesbisch”. Wo diese Männer die Ersten sind, kann ich nicht die Letzte sein.
Dieses Amalgam hätte niemals sein dürfen, geht aber ungestört weiter. Dass eine Jung-Lesbe eine alte bewährte Militantin der Pöbelei bezichtigt, weil sie gegen die Verbündung mit Männern protestiert, bringt vielerlei Frauen gegen eine System-Schiene auf, deren Ungerechtigkeit doch auf der Hand liegt…
Nun zu den zitierten französischen Koryphäen: ohne die amerikanischen Deutungen gäbe es sie nicht. Die freudianische Orthodoxie - vertreten vorrangig durch Jacques Lacan, seine Schülerinnen wie Antoinette Fouque, den Insider-Contest von Hélène Cixous und Luce Irigaray und schlieBlich Julia Kristeva, welche die Linguistik und Semantik fallen lieB, um sich ebenfalls der Psychoanalyse zuzuwenden - war Lobby hoch 10 in einem gröBenwahnsinnigen Dorf, Paris. Und alle weltberühmt im 6. Pariser Bezirk.
Eines Tages war es dann aus mit der Uterus-genährten “weiblichen Schrift” und der weiblichen Homosexualität, die nur über die Mutterschaft erklärt wurde. Lesbianismus überhaupt nicht und wenn, dann nur negativ über Schau-Prozesse. Dazu Professorin Mona Ozouf: “Mit der weiblichen Schrift ist es nun endlich vorbei! Es sind die algerischen Schriftstellerinnen, die sie weggefegt haben”. Mit dem Tode Lacans war sowieso Ende mit diesem Spuk.
Für Monique Wittig, Gegnerin der obigen Sache, lagen die Dinge etwas anders. In Kanada und den USA fand sie vielerlei Exegetinnen und konnte auf diese Art überleben. Trotzdem gilt auch für SIE, was LFP einen “beruflichen Selbstmord” nennt. Sie wusste, dass es drei groBe französische Schriftstellerinnen gab, Nathalie Sarraute, Marguerite Duras und sie selbst, aber so wie die Groupies der Koryphäe zudienen, muss selbige den Groupies huldigen. Sie wurde die Queen der Queers, zurück zu den Männern, fürchterlich enttäuscht von weiblichen Lebewesen. Eine Tragik ohne Komik. Zuerst sagte sie: Wir lieben alle Frauen, und dann löschte sie das Wort FRAU und ersetzte es durch MANN. Sind wir nicht dabei, genau das Gleiche zu erstreben mit “das” Student?
“Das” Maler und “das” Dichter findet die Chose grotesk. Auch hatte ich nie gedacht, dass Amazonen eines Tages für ihre sprachlich-sichtbare Weiblichkeit kämpfen müssen, weil [...] von der Sprache nicht erfasst wird.
Ich bin entsetzt!
30.10.2011 um 10:56 Uhr lfp
@Susanna:
Danke fürs Lesen - ja, es ist ein ziemlich langer Text für eine “Glosse”.
Zu den bösen Dichotomien: Ich meine, Dichotomien sind nicht “an sich” problematisch, sondern nur in bestimmten Fällen, wenn der eine Bestandteil dominant und der andere negativ besetzt ist, wie z.B. Halperins Beispiele “Mann/Frau” und “heterosexuell/homosexuell”. Das müsste dann aber auch für die Dichotomie “gay/lesbian” gelten, wo “gay” unmarkiert ist, also “lesbian” einschließen kann, aber nicht umgekehrt. Es ging mir im wesentlichen um die beste Strategie zur Bekämpfung der jeweiligen Diskriminierung. Der Abwertung des Weiblichen als “abweichend” etc. in der deutschen Sprache begegnen wir am besten durch den Gebrauch der Doppelform (Leserinnen und Leser). Die Doppelform macht “Leser” automatisch “markiert”, beraubt das Maskulinum seiner Unmarkiertheit. Noch einen Schritt weiter geht das “umfassende Femininumn” - es dreht den Spieß um und setzt sich selbst als unmarkiert. Quasi als Empathietraining für Männer.
Sichtbarmachung und explizite Wertschätzung der jeweils Unterdrückten ist entschieden das beste Mittel gegen Diskriminierung. Aber Sichtbarmachung kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Der Unterstrich für die geschlechtlich nicht Festgelegten scheint mir das falsche Mittel.
Nehmen wir ein harmloses Beispiel: Weißer Streuzucker ist bei uns der prototypische Zucker. Wenn ich ein Pfund Zucker verlange, bekomme ich weißen Streuzucker. Wenn ich die nicht prototypischen Sorten brauner Zucker und Puderzucker stärken will, muss ich sie häufiger verlangen und erwähnen.
Wenn ich will, dass mehr an Frauen/Lesben/Intersexuelle gedacht wird, muss ich sie erwähnen und dafür sorgen, dass sie in den Medien genau so häufig vorkommen wie in Wirklichkeit.
Es ist alles noch etwas komplizierter (u.a. weil die sprachliche Unterdrückung der Frauen in die Grammatik eingeschrieben ist, die des braunen Zuckers jedoch nicht), aber das muss jetzt erstmal genügen.
30.10.2011 um 09:50 Uhr susanna
Habe mir den Text jetzt durchgelesen und fand es sehr erfrischend zu lesen, wie du als Linguistin den “Stammbaum” der gängigen Queer-Theorie vorstellst und dann sagst, dass sie linguistische Konzepte verwenden, die sie nicht wirklich verstanden haben.
Als Nichtlinguistin kann ich jetzt nicht alles beurteilen, was du schreibst. Große Teile deiner Kritik an Halperin leuchten mir ein, unter anderem deine Kritik an der Verteufelung der Dichotomien. Ich bin mir jetzt allerdings nicht sicher, ob du auf seine Hauptkritik wirklich eingegangen bist, nämlich die Behauptung, dass Dichotomien wie Frau/Mann oder heterosexuell/homosexuell schon problematisch sind. Mein Eindruck von theoretischen Texten, die ich zur Zeit lese (oder Zeitungsartikeln zu den Piraten), ist der, dass sich die Meinung durchsetzt, dass man solche Begriffspaare nicht abschaffen soll, jedenfalls zur Zeit nicht, weil die Abschaffung es schwer machen würde, Ungerechtigkeit zu benennen. Mir leuchtet diese Auffassung ein.
Das andere, was mir aufgefallen ist: hinter dem Wort “homosexuell” steckt zwar ein Begriffscluster, aber eine große Anzahl der Elemente dieses Clusters haben eine Gemeinsamkeit, nämlich dass Homosexualität negativ besetzt ist - dass Abwertung, Abgrenzung und Hass dahinterstecken.
30.10.2011 um 09:24 Uhr Lena Vandrey
Nach erster Lektüre nur eine ganz kleine Bemerkung: “Lesben mit Lippenstift ausgeschlossen aus der Klasse der Lesben im lesbisch-feministischen Diskurs”? Und das zusammen mit den S/M? Frau Professorin Doktorin Hélène Cixous benutzt Lippenstift, ziemlich dunkles Rot, welches ihre Androgynität unterstreicht und Frau Professorin Doktorin Mina Noubadji benutzt ein helleres Rot, welches ihr amazonenhaftes Antlitz hervorhebt. Zur Erklärung: wenn Frauen sich schminken - beide Professorinnen ziehen auch die Augen mit Khôl nach - dann müssen sie es “immer” tun, denn ohne “das” sehen sie arg elend aus. Zusätzlich ist dieses Anmalen kreativ oder könnte es sein. Es ist keine Hetera-Maske, sondern der Versuch, in Frauenkreisen gut auszusehen und sich mit dieser Gesichtsbekleidung sicherer zu fühlen. Lesben, die Ohrringe und anderen Schmuck tragen, Lesben, die sich Finger- und Fußnägel lackieren, neutral, nicht rot, und nur weil selbige mit der Zeit nicht mehr sehr schön aussehen, Lesben mit hellgrüner Seidenbluse oder Pelzjacke, passen alle nicht in unsere Klasse?
Und wie steht es mit einem Fall wie meiner Wenigkeit? Bei einer Ausstellung und Lesung im Hölderlin-Turm wurde mir gesagt, ich könnte mich zu solch einer Gelegenheit auch einmal besser anziehen… Von Lesben natürlich, mein Publikum ist zu 99% weiblich. Als einziger Kommentar zu geistigen Leistungen ist das kränkend…
Weißes T-Shirt, dunkelblauer Kragenpullover, roter Schal, Edeljeans, weiße Socken, gute Schuhe, nein! ich hätte in Samt und Seide und gut angetüncht auftreten müssen! um zur Lesben-Klasse zu gehören. Da finde sich frau doch mal wieder!
Für Lippenstift-Lesben gilt nur eines: das Zeug muss kussfest sein!...
29.10.2011 um 21:43 Uhr susanna
Danke! ich werde mir den Text ausdrucken und lesen und dann ausführlicher kommentieren.