Sie singt Tenor im Kirchenchor, oder Das Frauenstimmrecht
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Vierundfünfzigste Lektion.
Unsere Freundin Berit „ist ein Alt“, wie es hierzulande ungalant heißt, aber sie kann auch gerne ein bisschen tiefer, und so singt sie denn Tenor in ihrem Kirchenchor, denn männliche Tenöre sind rar. Männer beherrschen die Rap- und die Rockmusik, aber gepflegten Chorgesang schätzen sie weniger, wahrscheinlich weil Ruhm und Ehre dort nur kollektiv zu haben sind. Und so gibt es denn in fast allen Chören viel mehr Frauen als Männer, und Frauen helfen sogar im Tenorfach aus.
In Berits Chor wird die Frage diskutiert, wie eine Frau, die Tenor singt, denn zu bezeichnen wäre. Ist sie eine Tenorin? Oder eher eine Tenörin? Oder gar eine Teneuse? Letztere erinnert an die Kommisseuse und die Regisseuse, frühe Spottbezeichnungen für Kommissarinnen und Regisseurinnen, die den so Benannten schon mal klarmachen sollten, dass sie in ihrem Beruf nichts zu suchen hätten.
Betrachten wir das Problem mal grundsätzlicher, so ist die eigentliche Frage ja, weshalb sämtliche Stimmlagen Maskulina sind. „Der Bass“ und „der Tenor“ ist ja einleuchtend - aber warum heißt es „der Alt“ und „der Sopran“, obwohl das ja weibliche Stimmlagen sind? Was ist denn überhaupt seltsam an dem Satz „Sie ist (ein) Tenor“, wenn wir auch sonst zu Sätzen wie „Sie ist ein Sopran“ und „Sie ist ein Alt“ gezwungen werden?
Das ganze Dilemma verdanken wir der herrischen Anweisung des Apostels Paulus: Mulier taceat in ecclesia, "Das Weib schweige in der Gemeinde". Das Weib sollte nicht mitreden, keine Stimme haben, den Mund halten. Das eigentlich machtpolitisch gemeinte Verbot hatte Auswirkungen bis in die Musik, und so mussten denn in der Kirchenmusik hohe Knabenstimmen den dumpfen Männergesang aufhellen und -hübschen. Da die Frau auch nicht auf der Opernbühne singen durfte, ihre Rollen aber von Knaben nicht überzeugend dargestellt werden konnten, schnitt mann sich sogar ins eigene Fleisch und kastrierte wehrlose Jungen in der Hoffnung, dass sie einmal hochbezahlte Kastraten werden könnten. Die meisten "Entmannten" schafften es nicht.
Da nun also offiziell und professionell nur Männer und Knaben sangen, passte mann die femininen Bezeichnungen für ihre Stimmlagen ihrem Geschlecht an: Aus vox/voce bassa "tiefe Stimme" wurde il basso "der Bass", aus vox/voce alta "hohe Stimme" wurde l’alto und aus vox/voce soprana "höchste Stimme" wurde il soprano. Auf Deutsch: der Sopran, der Alt, undsoweiter. Mit der Stimmlage, die Tenor (haltende Stimme) genannt wird, hat es seine eigene, musikhistorisch komplexe Bewandtnis, die zu erörtern hier zu weit führen würde.
Durch die Aufklärung verloren die kirchlichen Wahnideen an Einfluss, und Frauenstimmen eroberten sich die Öffentlichkeit mehr und mehr, die weltliche alsbald, die kirchliche erst später: Reine Knabenchöre halten sich immer noch (als Hannoveranerin bin ich stolz auf unseren weltberühmten Mädchenchor - einen der wenigen seiner Art).
Wurde nun aber die Sprache der fraulichen Erweiterung angepasst, gab es ein Zurück zu den Ursprüngen? Mitnichten! Ein männlicher Alt wird gerne Altus genannt, damit auch ja keine Verwechslung mit einer Frau aufkommt, die ja ebenfalls „der Alt“ heißt. Während die Sprache den Identitäts-Bedürfnissen des Mannes üblicherweise umgehend angepasst wird, war solcher sprachlicher Aufwand für die Frau noch niemals Usus. Die Frau hat sich der Sprache anzupassen - nicht umgekehrt. Alles andere wäre nämlich Sprachverhunzung bzw. sprachliche Willkür! Die Frau macht eine kaufmännische Lehre, wird Amtmann, oder Ratsherr. Dass die Sprache nicht passt, macht doch nix. Die Frau ist ein Sopran oder ein Alt, keine Soprana oder Alta, noch nicht einmal eine Sopran oder eine Alt.
Das muss aber natürlich nicht so bleiben, wie wir in den letzten 35 Jahren gezeigt haben. Und nun wird es Zeit, dass wir auch musikalisch unser Stimmrecht bekommen. Die Sopran und die Alt sind Frauenstimmen. Die Alt kann auch von besonders dazu trainierten Männern gesungen werden, genau wie der Tenor oder die Tenor bei Bedarf ohne weiteres von Frauen gesungen wird. Eine Alt (oder Alta), die auch Tenor singen kann, könnte sich Altenor oder Altanor nennen - ganz was Feines!
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
12 Kommentare
Nächster Eintrag: Inspektion der Herrenkultur. Teil 1: Dresden
Vorheriger Eintrag: Hera und ihre neuen Verwandten
24.04.2011 um 19:17 Uhr Gudrun Nositschka
Der Kirchenlehrer Hieronymus hat wohl in Anlehnung an Paulus das Schweigegebot für Frauen in der Gemeinde erweitert, indem er Frauen um ihres Seelenheils willen verboten hat zu komponieren, zu musizieren und zu singen, da das dem Manne als Abbild Gottes als Schöpfer vorbehalten sei. Diese Aussage ist grässlich, aber nicht singende Männerstimmen im Chor, in der Oper usw. Ansonsten sind Frauen im Tenor eines gemischten Chors eine Notlösung, da sie eine Oktave tiefer singen als die helleren Tenöre und dadurch das gewünschte Klangbild je nach Komposition nicht voll zum Tragen kommt. Ich schätze mich seit Jahren glücklich, in einem Frauenchor mit bis zu vier Stimmlagen zu singen. Tut meiner Seele gut.
24.04.2011 um 13:58 Uhr anne
nachtrag:
anstatt buntige ostereier, hier gebündeltes zur frauenfeindlichkeit eines hoch/gelobten dt. philosophen :
“schon der anblick der weibl. gestalt lehrt, daß das weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen arbeiten bestimmt ist. es trägt die schuld des lebens nicht durch thun sondern durch leiden ab, durch die wehen der geburt, die sorgfalt für das kind, die unterwürfigkeit unter den mann, dem es eine geduldige und aufheiternde gefährtin seyn soll. die heftigsten leiden, freuden und kraftäußerungen sind ihm nicht beschieden; sondern sein leben soll stiller , unbedeutsamer und gelinder dahinfließen, als das des mannes, ohne wesentlich glücklicher, oder unglücklicher zu seyn.”
http://aboq.org/schopenhauer/parerga2/weiber.htm
24.04.2011 um 12:51 Uhr anne
ja, diese glosse kommt mir wie gelegen. gleiches geschieht nämlich im hiesigen chor der stadt ...
männer werden mangelware. aber hinzu kommt - wie meine fräundin h. aus dem chor berichtet - auch die latente begriffsstutzigkeit der chorsänger. nach ihrer fachfraulichen einschätzung brauchen männer viel mehr zeit, um i.d. proben das neu hinzu gelernte stimmlich umzusetzen. sie hinken den chorsängerinnen hinterher…frauen lernen/begreifen schneller.
aber hiesige männer legen dafür grossen wert auf ihr `maskulinum` - obwohl überwiegend frauen den stadtchor bereichern, wurden sie generell vom chorleiter und der schriftführung mit `sänger` angeschrieben. ein femininum kam nie vor. dank d. fem. sprachkritik (lfp/feminar) haben wir die chorführung inzwischen auf vorderfrau gebracht. noch heute beherrscht die männer aber grosses unverständnis. sie sind halt lernresistent, sogar beleidigt, wenn das maskulinum vom sockel gestürzt oder hinterfragt wird und mit groll gibt es neue anreden - dabei kommen einige `blüten` heraus, wie : liebe mitsänger und -innen oder liebe damen und herren sänger ...:-/
diese glosse wird den männern hoffentlich die äuglein öffnen?
übrigens der frühere chorleiter vom berühmten ndr-kinderchor (hannover) musste in den 60er jahren seinen hut nehmen - hier die gründe:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46135641.html
24.04.2011 um 11:26 Uhr Evelyn
Angesichts dieser Sprachverklemmung kann ich nur überfroh festhalten: Frauenstimmen sind einfach schön - jede Oper kann hiervon ein Lied singen - und Männerstimmen in meinen Ohren hässlich wie die Nacht. Nicht einmal meine so tiefe und innige Liebe zur Musik hat an diesem Eindruck je etwas ändern können. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel - und das sind Männerstimmen, die einfach fraulich klingen.
Frohe Ostern!