Scheinväter
Mitte November hörte ich das Wort „Scheinvater“ zum ersten Mal. Es war im Zusammenhang mit einem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs „zum Auskunftsanspruch des Scheinvaters“, damit ein „Scheinvater“ seine unter falschen Voraussetzungen geleisteten Unterhaltszahlungen vom „wahren Erzeuger“ oder „richtigen Vater“ eintreiben kann. Von der Mutter, die den „Scheinvater“ in die Lage bringt, für ein Kind zu zahlen, das nicht er gezeugt hat, war erstaunlich selten die Rede. Hat sie den armen „Scheinvater“ nicht übel betrogen? Ich war verwirrt ob des ungewöhnlich sanften Umgangs der Medien mit der betrügerischen Mutter. Es fiel kein böses Wort über sie. DAS böse Wort schien mir vielmehr die Bezeichnung „Scheinvater“ - geradezu hämisch, fand ich. Und ich verstand nicht, wieso die nun vor Gericht ziehenden „Scheinväter“ sich selber so nennen.
„Scheinvater“ hat den Beigeschmack von „unecht“, fake, wie falscher Schmuck und künstliche Blumen. Nicht der wahre Jakob und das Gegenteil von echt, oder wie es heute gern heißt, „authentisch“.
Ich konnte mir keinen Reim auf die seltsame Wortwahl machen, und Zweifel und Verwunderung nagten wochenlang an meinem linguistischen Gemüt, bis ich mich ein wenig in die Geschichte der Scheinväterei einlas. Auf vaeternotruf.de fand ich dann unter "Putativvater" des Rätsels Lösung. Dort bezeichnen nämlich leibliche Väter, denen der Zugang zu den von ihnen außerehelich gezeugten Kindern per Gericht verweigert werden konnte, die ehelichen oder rechtlichen Väter verächtlich als Scheinväter. „Scheinvater“ ist also ein Schimpfwort, genau wie ich es vermutet hatte.
Jetzt wird mir das Ganze etwas klarer. Es handelt sich um ein Gerangel zwischen Männern. Ursprünglich kämpfte der leibliche Vater gegen die Ansprüche des rechtlichen Vaters. Dann schlug der rechtliche, aber betrogene Vater gegen den leiblichen Vater zurück: Der soll ihm nun gefälligst die Unterhaltszahlungen zurückerstatten.
Sollen sich echte und unechte Väter doch weiter kabbeln und beharken, solange sie die Mütter und vor allem die Kinder nicht schädigen. Aber das wird kaum gelingen. Deshalb können wir ihnen nur den mütterlichen Rat geben: Eifern Sie ihrem großen Vorbild nach, dem Heiligen Josef, Urvater aller Scheinväter. Der verlangte keine Unterhaltszahlungen vom lieben Gott, und der liebe Gott beschimpfte Josef nicht als „Scheinvater“.
Aus weiblicher Sicht sei noch die Frage erlaubt: Ist das nicht ein echtes Scheinproblem? Sind nicht fast alle Väter Scheinväter? Allen voran der Heilige Vater und die Patres der katholischen Kirche? Aber im Ernst: Da gibt es diese „revolutionäre“ Einrichtung der „Vätermonate“: gerade mal zwei werden den guten Vätern zugemutet, und schon dies bisschen Einsatz für ihre Sprösslinge bringt die meisten Väter dermaßen aus dem Tritt und aus der Fassung, dass sie die Leistung nicht erbringen können. Im Vergleich zu dem, was Mütter für ihre Kinder leisten (neun Monate Schwangerschaft, Geburt und Stillen) und was darüberhinaus von ihnen erwartet wird (zehn Müttermonate Minimum, von dem Rest zu schweigen) ist der tatsächliche wie auch der erwartete Einsatz der Väter bis heute als lächerlich zu bezeichnen und ihre Vaterschaft einstweilen - bis sie sich emanzipiert und zu echten Vätern entwickelt haben - wahrlich eine Scheinvaterschaft.
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23 Kommentare
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19.12.2011 um 14:08 Uhr Gudrun Nositschka
Hallo Dürr, es geht für mich nicht darum, dass wir zum Glück fürsorgliche Väter hatten, sondern dass patriarchale Strukturen mit all den geschilderten Schrecken, allmählich aufgeweicht und eines Tages ganz überwunden werden. Dazu eignet sich auch die sanfte Methode der möglichen Beteiligung der leiblichen Väter, auch der sozialen Väter an der Brutpflege sehr. Sie werden positive Signale empfangen und weniger bereit sein, das Leben von Kindern und das Leben generell aufs Spiel zu setzen.
Es kann eine Änderung in der Gesellschaft bewirken, sie insgesamt fürsorglicher zu machen, das Arbeitsleben zu humanisieren usw. Es geht um den Beginn einer Richtungsänderung bei uns im Staat.
19.12.2011 um 09:31 Uhr Dürr
@Katja und Gudrun: Dass es anständige Männer und fürsorgliche Väter gibt, weiss ich sehr genau: Ich hatte das Glück einen solchen Vater zu haben. Bloss weiss ich auch, dass meine Erfahrungen nicht die Erfahrungen der Rest-Welt sind und auch nicht der Rest-Frauen! Dass solche Gesetze (Mütter-/Vaterurlauf, Alimentenbevorschussung, etc.) gemacht werden (müssen) beweist ja drastisch, dass in dieser patriarchalen Gesellschaft zu Vieles nicht gut und anständig läuft in Bezug auf Mütter und Kinder. Das, was im Tierreich selbstverständlich ist, ist bei den Menschen ein einziger Murks: Wenn bei den Tieren das Männchen nicht bei der Brutpflege mithilft, dann behindert es das Weibchen wenigstens nicht auch noch, bzw. das Weibchen wehrt sich. Bei den Menschen hat mann den Weibchen die Wehrhaftigkeit genommen, es wird von den Männchen bei der Brutpflege nicht nur sehr oft nicht unterstützt, es wird sogar systematisch dabei behindert durch die männlich dominierten Gesellschaftsstrukturen, durch religiös verbrämte Machtansprüche, durch menschenfeindliche Wirtschaftsziele und -vorgaben. Die Gedankenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit der Männer, wenn es darum geht, Sex zu haben, dürfte - bitte schön - auch bekannt sein. Und wenn sich Frauen wehren, indem sie die patriarchalen Gegebenheiten ausnützen, dann ist das nicht schön, aber für mich verständlilch. Alles wird den Frauen überlassen: von der Empfängnisverhütung bis und mit Aufzucht. Und bis vor wenigen Jahren sind es die Frauen gewesen, die die gesamte Last inkl. Behinderungen tragen “durften” - und dabei noch als Schlampen tituliert und (bis heute) auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert wurden und noch immer werden.
Und gerade deshalb mache ich es mir nicht einfach und urteile von meiner Erfahrung her.
lg
Dürr
18.12.2011 um 23:26 Uhr Katja
Liebe Luise,
tatsächlich gibt es unter den Vätern mittlerweile Gerangel - was aber eben auch daran liegt, dass die Machtsphäre “Kinder” nicht mehr so fest in Frauenhand ist wie früher.
Und es ist nicht so leicht wie Dürr sich das hier macht: Meine Tochter hat ihren Vater auch “Mama” genannt, weil er einen so großen Anteil an ihrem Alltag genommen hat und bis heute nimmt.
Auch ich habe die längere Elternzeit genommen: Elternteilzeit wohlgemerkt. 30 Stunden statt 40+, während der Vater sein Studium aussetzte und heute noch Teilzeit arbeitet. Bloß, dass in den Statistiken gar nicht unterschieden wird nach Elternzeit und Elternteilzeit.
Und ich finde, dass es Frauen (auch im Sinne ihrer Kinder) zuzumuten ist, die Rechte und Pflichten der Erzeuger und sozialen Väter, die sie für ihr Kind gewählt haben, sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Ich habe null Respekt vor Frauen, die Geld von Männern nehmen, von denen sie vermuten, dass sie gar nicht der Erzeuger sind. Ich will so nicht behandelt werden, dass ich Verantwortung für etwas übernehmen soll, dass ich nicht zu verantworten habe - also räume ich allen Menschen das Recht ein, dass sie nicht ausgenutzt werden. Wir kommen in Sachen Gleichstellung und Gleichwürdigkeit nirgendwo hin, wenn es bloß darum geht, welches Geschlecht sich mit welchen biologischen Vorteilen besser auf Kosten des jeweils anderen profilieren kann.
Wir sollten Worte wie “Scheinvater” nicht von den Maskulisten übernehmen. Ein Kind kann ohne Probleme zwei Väter haben: Einen, dem es ähnlich sieht, und einen, von dem es getröstet werden will, wenn es Schmerzen hat. Wenn die Erwachsenen das Kind nicht nur als Schlachtfeld ihrer Eitelkeiten betrachten, ist vieles denkbar - vor allem eine Erziehung, in der Gleichwürdigkeit zwischen allen Beteiligten gelebt und immer wieder erarbeitet wird.
Die meisten meiner Freundinnen haben gründlich gesucht bis sie die Männer gefunden haben, mit denen sie sich jetzt sehr partnerschaftlich alle familiären Pflichten teilen. Wir mögen Ausnahmen sein, aber das waren schlaue Frauen, die ihre Werte konsequent gelebt haben, schon immer. Was wirklich nicht alleine an den Männern liegt…
18.12.2011 um 20:04 Uhr Dürr
Danke, liebe Luise, wieder mal eine ganz feine Glosse! Fein, da offenbar die Herren Richter des Gerichtshofes auch nicht kapiert haben, dass Vater nur der sein kann, der das Kind über die Jahre hinweg begleitet. Alle anderen sind Spermienspender, die sich einen Dreck um Verhütung und eventuelles Kind scheren. Erst dann, wenn sie in die Pflicht genommen werden, dämmert ihnen, dass sie ja ein Instrument besitzen, mit dem sie eine Frau drangsalieren können.
Frau stelle sich mal vor: Jedes Mal, wenn ein Mann Sex hat mit einer Frau im gebärfähigen Alter hat, ungeschützt und unüberlegt, ob denn das, was er nun tut, auch Folgen in besagter Art haben könnte, er beim Orgasmus eine echte Presswehe bekäme…! Ich bin überzeugt, dass innert Monaten keine Scheinväter mehr erzeugt, ja, dass diese innert weniger Jahre zu einer ausgestorbenen Spezies würden. Vielleicht hätte das - möglicherweise - sogar Einfluss auf das “Bewusstsein” der zeugungsfähigen männlichen Menschen?
18.12.2011 um 19:50 Uhr Gudrun Nositschka
Carola und Anne, schüttet bitte nicht das zarte Pflänzchen “Elternzeit” für Mütter und Väter mit dem Bade aus. Fakt ist bis heute: Wenn das Geld für die volle Elternzeit, sprich 14 Monate, in Anspruch genommen werden soll, muss der Vater mindestens zwei Monate am Stück mitwirken, sonst gibt es höchstens Geld für 12 Monate. Wie aber die vollen 14 Monate aufgeteilt werden, ist Sache von Frau und Mann. Und ich habe erlebt, dass Väter, sogar die, die nur ihren Mindestanteil wahrnehmen wollen, Schwierigkeiten im Betrieb bekommen, vor allen Dingen, je höher ihre Position ist. Mein Sohn hat sowohl jeweils drei Wochen Urlaub nach den Geburten beider Töchter genommen, um seine Frau zu entlasten, zu waschen, einzukaufen, zu kochen, die Tochter zu windeln (auch nachts) usw. und nach Geburt der zweiten Tochter auch die erste Tochter zu umsorgen, mit ihr zu spielen usw., als sich auch bei den sog. Vätermonaten durchgesetzt, damit seine Frau wieder wunschgemäß in ihre Berufsarbeit zurückkehren konnte. Die erste Tochter begriff die Situation sofort und nannte nun auch ihren Papa monatelang “Mama”, wie ich meine ein Ehrentitel für jeden Vater, der Vätermonate wahrnimmt. Mal sehen, ob demnächst auch meine zweite Enkeltochter die Situation ähnlich einschätzt. Und ich als Oma bin froh, dass die GesetzgeberIn endlich diese Möglichkeit eröffnet hat.
18.12.2011 um 18:12 Uhr anne
“karenz und betreuungspflichten” bleiben weiterhin frauensache - auch für österreich gilt, 89 % der väter , aber nur 21 % der mütter mit kindern unter 15 jahren sind vollzeit erwerbstätig. 87,3 % der frauen, aber nur 6,4 % der männer unterbrechen ihre erwerbstätigkeit nach der geburt eines kindes. “man kann nette visionen eines neuen rollenverständnisses propagieren, an vielen stammtischen wird man dennoch nur kopfschütteln ernten, wenn einer aus der runde erklärt, daß er freiwillig beim kind daheim bleibt. vater werden, hat schon wilhelm busch erklärt, sei ja nicht so schwer, vater sein dagegen sehr. (quelle: derStandard, 2011)
“peter husslein, leiter der universitätsklinik für frauenheilkunde (!) präsentierte als leuchtendes beispiel die arbeitsmoral seiner männl. kollegen. daß ein stationsarzt in karenz gehen wollte, daß sei ihm in 15 jahren nur einmal passiert. als dieser eine mann nach karenz fragte, sei seine spontane reaktion gewesen: wohin soll es denn gehen? harvard, yale, oxford? ” (aus denkwerkstatt/sexismuskreule zum frauentag/internet)
DAS ist die realität..
und supra, lb. luise, der heilige josef als urvater aller scheinväter / eine frühe `himmlische` erfindung bzw. einführung des patriarchats im männlicheitswahn…
18.12.2011 um 15:35 Uhr Carola
>>gerade mal zwei werden den guten Vätern zugemutet
Von Elternzeit für Väter wird sehr oft stolz berichtet. Aber ohne zu erwähnen, dass die zwei Monate für ausgewachsene Helden eine der Voraussetzungen dafür sind, dass die Familie überhaupt Elterngeld bekommt - und natürlich wird eher selten darauf eingegangen, dass diese zwei Monate öfter wie ein ausgedehnter Urlaub eingerichtet werden für den “armen Vater” (und die Mutter täglich in eine Trümmerhalde von Haushalt zurückkehrt). Da muss sich noch viel tun.