Putins Niederkunft
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber - Ein Feminar. Sechste Lektion
Dieser Tage erreichte mich eine Anfrage vom Frauenbüro Mainz. Anne Knauf schrieb:
Gibt es eigentlich einen anderen Begriff für "Niederkunft der Ehefrau"? Wissen Sie, woher der Begriff stammt?Ich bürste gerade Verwaltungsvorschriften geschlechtsneutral, da laufen mir seltsame Begrifflichkeiten über den Weg. Zum Kontext: Es geht um "geregelte Anlässe für eine Dienstbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge". So wird beispielsweise für die "Niederkunft der Ehefrau" ein Arbeitstag, für den "Tod des Ehegatten, eines Kindes oder Elternteils" zwei Arbeitstage gewährt. Der Tod der Ehegattin ist bisher noch nicht erwähnt. Wäre ich ein "Elternteil", würde ich mich sicher auch schon länger gegen diesen Begriff wehren.
Recht hat Anne Knauf; viel bleibt noch zu tun. Aber eins nach dem anderen.
Niederkunft erinnert fatal an “Niederlage”, “Niedertracht”, “niedrige Beweggründe” und “darniederliegen” - wenig passend zu dem “freudigen Ereignis”.
Die gesamte Sprache rund um Schwangerschaft und Geburt gehört auf Vorderfrau gebracht. Keine findet es schön, “in anderen Umständen zu sein”, “Umstandskleider” zu tragen und zuguterletzt im “Kreißsaal” herumzukreißen. Da kreißen ja die Hühner!
Mein digitales Duden-Wörterbuch findet auch, “Niederkunft” passe nicht mehr in unsere Zeit und schlägt stattdessen “Entbindung” vor. Zur Herkunft des Worts erfahre ich: "niederkommen 'gebären' (mhd. nider komen 'herabfallen, herunterkommen; zu Bett gehen, sich hinlegen'), dazu Niederkunft »Entbindung« (17. Jh.)."
Geburt und Entbindung sind akzeptable Wörter; sie haben für den vorliegenden Zweck nur den Nachteil, daß sie sich sowohl auf die Mutter als auch auf das Kind beziehen, sogar eher noch auf das Kind. Wir sprechen von der “Geburt des Kindes ” und der “Entbindung des Kindes”, nicht von der “Geburt der Ehefrau”. Auch “Entbindung der Ehefrau”, obwohl in dieser Richtung etwas weniger festgelegt, könnte Scherzbolde dazu verleiten, die Ehefrau als neugeborenes Baby anzusehen. Niederkunft hat bei aller Häßlichkeit den Vorteil der Fokussierung auf den mütterlichen Anteil der Geburtsarbeit. Und nur um den geht es ja in dem obigen Verwaltungstext: Da die Ehefrau wg ihrer Geburtsarbeit für die Hausarbeit entfällt, soll der Ehemann dafür einen Tag freikriegen.
Aber warum auf rüde Scherzbolde Rücksicht nehmen? Mein Vorschlag für Anne Knauf wäre somit: Entbindung der Ehefrau oder Geburtsarbeit der Ehefrau
Das Wort “Niederkunft” eignet sich aber, gerade weil es so schön altmodisch ist, bestens zur Erheiterung. Joey und ich fliegen dauernd zwischen Boston und Hannover hin und her und erwarten jeweils ungeduldig die “glückliche Niederkunft” der anderen.
Noch hübscher macht sich eine Niederkunft für Persönlichkeiten, denen wir sie niemals zugetraut hätten:
Putins Niederkunft in Heiligendamm erfolgte zehn Minuten nach der Bushs. Beim anschließenden Gala-Diner genas Putin eines Brötchens und Bush einer Frikadelle.
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8 Kommentare
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01.10.2007 um 21:52 Uhr lfp
Es zeigt sich, daß viele “Niederkunft” auf das Kind beziehen - sie machen sich halt ihren eigenen und besseren Reim auf die altmodische Sprache.
Zu Olivers 1 oder 2 Tagen: Nach dem Text, den das Frauenbüro schickte, bekommt der Vater bei der Geburt einen Tag frei, bei einem Todesfall naher Angehöriger bekommen Berufstätige 2 Tage frei.
Was sollen wir daraus schließen? Daß unsere Gesellschaft dem Tod doppelt so viel Bedeutung beimißt wie der Geburt? Wahrscheinlich steckt wirklich sowas dahinter. Der Gesetzgeber (sic!) kennt vielleicht die Anstrengungen eines frischgebackenen Vaters nicht so genau, die Oliver so detailliert schildert. So engagierte Väter sind ja leider noch immer recht selten. Die Anforderungen bei einer Beerdigung kann der Gesetzgeber anscheinend korrekter beurteilen.
01.10.2007 um 21:25 Uhr anne beck
Die öde sprache rund um die schwangerschaft war mir immer schon ein gräuel. Ich finde den begriff `geburtsarbeit` passend, um auch sprachlich sichtbar zu machen, daß es sich bei der `geburt` um keinen spaziergang durch den park handelt. Die begriffe `niederkunft/Entbindung` sind in alle richtungen dehnbar. Außerdem sind die monate vor der geburt für die frau auch kein pappenstiel.
Es ist gut, diese zwangerschafts-sprache mal auf vorderfrau zu bringen.
01.10.2007 um 11:32 Uhr OliverG
Hm, ich dachte, ich hätte frei gekriegt weil ich
a) meine Frau bei der Geburt unterstützt habe (und wenn es nur dadurch ist, indem “man” up2date bleibt, was die Ärztin grad mit der Hebamme bespricht und mal nachfragt was grade geht) und dadurch am nächsten tag ohnehin nicht verwendbar gewesen wäre (2h-7h…)
b) bei der 2. Geburt meinen Sohn betreuen musste (nachdem ich mir die Nacht umd die Ohren etc.)
c) bei der ersten Geburt war ich mit im ‘rooming in’ und habe Julian etwa 5* in der Nacht zum Abhusten und Absaugen des Fruchtwassers gebracht (danach war ich auch nicht grade verwendbar)
Bei öff. Bediensteten mit Schreibtischjob mag man sich ja auch mal müde oder nach durchwachter Nacht hinschleppen, aber man"n” mache mal 6 Schulstunden Unterricht mit Glückshormonen im Blut und übermüdet.
Ähnlich dürfte es beim Tod der Partnerin oder des Partners sein. Abgesehen von administrativen Dingen dürfte man da mental kaum verwendbar sein
Absurder fand ich, dass man für (ich glaube:) Umzüge mehr frei bekommt als bei Geburten oder Todesfällen. Nee anders: Geburt des Kindes waren 2 Tage, Todesfall des Partners war 1 Tag. Das war es.
01.10.2007 um 11:03 Uhr Undine
Nach meinem Verständnis von ‘Niederkunft’ kommt also das Kind nieder, nicht die Mutter, bzw. liegt die Niederkunft der Mutter schon einige Jahre zurück. Aber Geburtsarbeit, das Wort klingt schräg. So wie Gartenarbeit oder Büroarbeit oder Handarbeit. Es sagt alles und nichts. Der Mann kriegt ja nicht frei, weil seine Frau Mutter geworden ist - sondern weil er Vater geworden ist. Nur deswegen, weil ihn seine Vaterschaft interessiert, bekommt er doch überhaupt frei. Aber wie nennt man das? Die Mutter wird entbunden (haha, mit der Geburt beginnt die Bindung doch erst ;) und der Vater wird ... ja was wird er denn? Richtig. Die Frau wird entbunden, und der Mann erhält einen freien Tag wegen ‘Bindung des Vaters’. So einfach ist das :)
01.10.2007 um 10:53 Uhr Undine
Ich hatte Niederkunft nie so negativ gesehen. Es kam mir sehr passend vor. Wie: auf die Erde kommen. So wie der Weihnachtsmann eben alle Jahre wieder auf die Erde nieder kommt. Wenn frau davon ausgeht, nicht gerade im Liegen gebären zu wollen, sondern im Stehen, kommt das Kind ja tatsächlich ‘nieder’, als runter, aus dem Becken rutscht es mittels Muskelkraft und auch mithilfe seiner eigenen Masse qua Schwerkraft herunter und plumpst ins Heu, so jedenfalls stellte ich mir das vor, als ich anfing mir darüber Gedanken zu machen, wie ein Kind geboren wird. Die Einfachheit dieser Vorstellung liegt daran, dass ich damals im Kiga-alter war. Wenn frau nun noch hinzunimmt, dass unsere Seele vorher im Himmel war, spricht das auch dafür von ‘Niederkunft’ zu sprechen. Ich bin dafür, ‘nieder’ endlich von seinem Negativ-Image zu befreien. Es ist keine Schande, auf der Erde herumzukrauchen. Es ist Zeit, mit diesem Selbsthass aufzuräumen - denn wir sind, ohne Flügel, alle nur niedere Kreaturen, ganz unten, auf dem Boden der Tatsachen.
30.09.2007 um 13:24 Uhr lfp
Sie haben ja so recht, Ellie - andere Leserinnen haben auch schon darauf hingewiesen! Das ist eigentlich das Hauptproblem bei dem Verwaltungstext, auf den ich mich beziehe. Die eheprivilegierende Regelung wird auch politisch angegriffen, und eine Änderung steht kurz bevor, ist aber noch nicht offiziell. Ich bin nicht darauf eingegangen, um keine guten Prozesse zu stören. Das war vielleicht falsch.
Aber die Glosse wäre damit wohl auch zu lang geworden… Es besteht immer die Gefahr, die kleinen Glossen zu überfrachten, da ein Problem das nächste schon mit sich führt und frau eigentlich kein Ende finden kann.
29.09.2007 um 23:10 Uhr Ellie Kennedy
“Geburtsarbeit” ist eine sehr gute Beschreibung! Aber warum behalten Sie den Begriff “Ehefrau” in Ihrem Vorschlag? Heisst das, dass _unverheiratete_ Maenner kein Recht haben (sollen), bei der Geburt ihrer Kinder anwesend zu sein? Bzw. unverheiratete Frauen haben kein Recht auf die Anwesenheit des Partners bei der Geburtsarbeit?
Gehoert es dem feministischen Projekt nicht auch, solche normativen Formulierungen, die die Ehe bevorzugen zu bekaempfen?
Ich lese Ihr Blog immer mit Vergnuegen!
28.09.2007 um 17:12 Uhr oliver gassner
Man wird ja auch einer (lästingen) Pflicht ‘entbunden’, d.h. die Last wir einem ‘abgebunden’, die Verbindung ‘gelöst’.
Also:
“Die Frau wird des Kindes entbunden.”
(Meine Erfahrung ist, dass Schwangere in den letzten Wochen sich wirklich be-läst-igt fühlen.)
Das Kind hingegen wird (ich würde das nie so sagen) nicht entbunden sondern geboren.
Die Formulierung “Entbindung des Kindes” sieht meiner Ansicht nach das ‘Entbinden’ lediglich aus der Sicht des ‘Objekts’ von dem entbunden wird.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich sehe in “Entbindung der Ehefrau” an sich nur dann Scherzpotential, wenn “man” sie vorher “unbelastet” wähnen will.