Oscar 2009: Über Filmtitel und Ordensnamen
Bevor morgen die Oscars verliehen werden, möchte ich hier auflisten, wie ich die Preise gerne verteilt sähe:
Bester Film: Milk Beste Hauptdarstellerin: Meryl Streep (Glaubensfrage) Bester Hauptdarsteller: Sean Penn (Milk) Beste Nebendarstellerin: Viola Davis (Glaubensfrage) Bester Nebendarsteller: Philip Seymour Hoffman (Glaubensfrage)
Eigentlich kann ich gar nicht mitreden, denn von den oscarnominierten Filmen habe ich nur zwei gesehen (Milk und Glaubensfrage), den Vorleser habe ich immerhin gelesen.
Beim Februar-Treffen der Bostoner Wiggies (Women in German) diskutierten wir heftig über den Vorleser, zumal Bernhard Schlink gerade an diversen Universitäten im Raum Boston riesige Besuchsströme angelockt hatte. Verharmlost Schlink die Schuld einer KZ-Aufseherin? Handelt das Stück von Liebe? Kann man sowas Liebe nennen?
Wie es bei Linguistinnen öfter vorkommt, interessierte mich ein scheinbar entlegener Aspekt des Films, nämlich die Tatsache, dass ”Der Vorleser” unübersetzbar ist. Aus “The Reader” läßt sich weder entnehmen, dass es sich um einen Jungen handelt, noch dass das “Lesen” ein “Vorlesen” ist (was im übrigen für die Handlung zentral ist).
Als deutsche feministische Sprachkritikerinnen loben wir seit vier Jahrzehnten die Geschlechtsneutralität der englischen Personenbezeichnungen - aber bei diesem Filmtitel erweist sich die Geschlechts- und sonstige Spezifik des “Vorlesers” und damit des Deutschen auch mal als Vorteil.
Kommen wir vom “Vorleser” zu “Milk”. Ein fabelhafter Film, über den schwulen Politiker und Märtyrer Harvey Milk aus San Francisco. Joey und ich fanden, nachdem wir ihn gesehen hatten, es sollte in den USA einen Harvey-Milk-Tag geben, so wie es auch einen Martin-Luther-King-Tag gibt. Aber es wird wohl noch dauern, bis die Rechte von Lesben und Schwulen genau so ernstgenommen werden wie die Rechte der Schwarzen.
Und wieder beschäftigte die Linguistin sich über Gebühr mit einem “Nebenaspekt”: Dieser Name “Milk” - ist doch wie geschaffen zur Diskriminierung eines Schwulen. Was hat schließlich ein “richtiger Mann” mit Milch zu tun - immerhin ein rein weibliches Nebenprodukt der immensen weiblichen Produktivität. Aber nein - davon kam in dem Film nichts vor. Ob in Harvey Milks schwerem Leben davon auch nichts vorkam? Ich habe es nicht untersucht.
Zu übersetzen hinwiederum ist “Milk” ganz einfach: Milch! Und doch geht das nicht, der Film heißt auch auf Deutsch “Milk”. Eigennamen werden schließlich nicht übersetzt.
Oder doch? Harvey Milk entstammt einer aus Litauen eingewanderten jüdischen Familie namens - Milch. Der Name wurde amerikanisiert wie so viele Namen von EinwanderInnen. Im Zeitalter des Humanismus wurden die Namen gern latinisiert oder gräzisiert, zum Bsp. wurde aus Philipp Schwarzerd Philipp Melanchthon - was für ein edler und wohlklingender Name!
Viele Gründe gibt es, einen anderen Namen anzunehmen - oder verpaßt zu bekommen. Womit ich schließlich bei dem “abgelegenen” Thema angekommen wäre, das mich bei den oscarnominierten Filmen am meisten beschäftigt hat: Diese eigenartigen Männernamen der Ordensfrauen, “Sister Aloysius” und “Sister James”, in dem Film “Glaubensfrage” (übrigens m.E. eine geniale Übersetzung von “Doubt”, ein besserer Titel als das Original). In den USA wunderte sich niemand darüber - hier sind sie ja alle möglichen Namen gewöhnt. Höchstens beschwerte man sich, dass der Name Aloysius zu kompliziert sei: Ein Blogger stöhnt: “Why, oh why… such a difficult name to spell!?”
Die Internetrecherche erbrachte dann, dass das lebende Vorbild von Sister James sich seit 1968 Sister Margaret nennt; sie ist inzwischen 69. Die Umbenennung sei möglich geworden durch die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, erzählte sie.
Bis dahin war es anscheinend üblich, die Nonnen mit männlichen Ordensnamen zu behelligen, wenn es den Vätern gefiel. Vom umgekehrten Fall, dass ein Bruder Martin nach der Heiligen Katharina “Bruder Katharina” genannt worden wäre, hat frau dagegen nie etwas gehört.
Wie nett wäre es gewesen, hätte sich Papst Benedikt (eigentlich Joseph Ratzinger) nach der größten Heiligenpersönlichkeit des deutschsprachigen Raums benannt: Papst Hildegard.
In den 60er Jahren gab es ein skandalumwittertes Theaterstück, das dann auch verfilmt wurde. Es hieß: The Killing of Sister George (Sister George muß sterben). Ich hatte auch damals keine Ahnung von dem katholischen Brauch, die Nonnen brutal nach männlichen Heiligen umzubenennen und hielt den Filmtitel für eine der vielen Arten, “männliche/dominante” Lesben als verkappte Männer zu brandmarken.
Das sollte der Titel wohl nebenbei auch leisten, solche Assoziationen sollte er durchaus auslösen - aber eigentlich war es eben nur ein männlicher Ordensname für eine Ordensfrau, ganz normal.
Im Sinne des bekannten Slogans “Lieber Meryl Streep als Merrill Lynch!” hoffe ich nun, dass die heilige Meryl für die Rolle der Sister Aloysius ihre dritte Osca bekommt.
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
5 Kommentare
Nächster Eintrag: Wir sind schwanger?
Vorheriger Eintrag: „Andrea Ypsilanti tritt zurück!“
13.03.2009 um 19:21 Uhr Sabine
Auja: “Katholiken zu Kartoffeln”!!
Könnte ich zaubern, würde ich erdweit sofort - und nicht erst in den nächsten 2000 Jahren - alles abschaffen, was mit Religionen, ihren Mann- und Machenschaften, Hierarchien, Ge- und Verboten, Göttern, Druckwerken etc. zu tun hat. Wie schön eine Welt ohne Religion als Deckmäntelchen und Rechtfertigung für gestörtes Denken und Handeln in allen Bereichen, ohne Unterdrückung und Vermummung von Frauen, ohne blutige Gekreuzigte an sonnigen Wanderwegen, ohne Glaubenskämpfe und Geschädigte “religiöser” Erziehung, ohne “Gottesdienste” und Segenssprüche im Öffentl. Rechtl. Anstalten, und besonders ohne lesbische PFARRERINNEN…..Ich würde natürlich zauberhaft gleich noch dafür sorgen, daß Testosteron-, Dummheits- und Gewaltspiegel drastisch sinken…
01.03.2009 um 16:59 Uhr Alison
Stephanie, es ist nicht mehr so üblich. In den 70er Jahren hat meine selige Mutter, z.B. es immer seltener gemacht. Sie nannte sich meistens eigenen Vorname - Mädchenname - seinen Name. Ihre Freundinnen auch.
24.02.2009 um 16:36 Uhr Stephanie
... und ehrlich gesagt, hoffe ich, dass in 2000 Jahren die christliche Religion und änhliche Formen dieses patriarchösen Auswuchses nicht mehr existent sind und sich die Frage nach einer Päpstin somit erledigt hat. Vielleicht bleibt dieses Phänomen jedoch als Männerreligion erhalten, so wie es mal angedacht war.
Übrigens, ist es noch üblich, dass sich die amerikanische Frau nach der Hochzeit mit dem Vornamen ihres Mannes schmückt?
Selbst in SF - Serien die ein paar hundert Jahre später spielen, nimmt die glückliche Ehefrau selbstverständlich den Namen ihres Gatten an…
Stephanie
22.02.2009 um 21:18 Uhr Anne
Jaa, danke für die vielen guten Hinweise - ich hoffe auch auf eine dritte Osca für Meryl Streep.
Wie passend doch das Stichwort zu “Merril Lynch”! - hat uns seit jeher die `Herrenkultur` mit ihren `edlen und wohlklingenden` Männernamen bzw. Namensgebern in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Bankenwesen und im Namen des`Allerheiligsten` schlimme Spuren von Chaos und Verwüstungen hinterlassen.
Was für ein früheres kath. Ritual, Nonnen einen männl. Ordensnamen zu erteilen - um Frauen in diesem kirchenlichen Umfeld zu disziplinieren, zu unterwerfen und am liebsten unsichtbar zu machen?
Wahrscheinlich wird es noch einmal 2ooo Jahre dauern, bis eine Frau überhaupt Päpstin werden kann; falls das Frauenbild weiterhin so hartnäckig von kirchlicher Seite verteidigt wird: “Eine Frau soll still zuhören und sich ganz unterordnen. Ich gestatte es keiner Frau zu lehren und sich über den Mann zu erheben. Zuerst wurde ja Adam erschaffen und dann erst Eva - Papst Johannes Paul II. in Bezugnahme auf Paulus, 1988”.
Der Papst ist eine Kartoffel? Nun heisst die Kartoffel in Südamerika papa und papa soll auch das spanische Wort für Papst sein - ob ihm diese Bezeichnung besser schmeckt?
Llg Anne
22.02.2009 um 20:01 Uhr elsbeth
Was für eine treffende Glosse, welche die wundersamen Besonderheiten der Kommunikationsform Sprache aufgreift. Ein Hoch auf Luise!