Opfer und Täter
Zum Weltfrauentag am 8. März und zur Erinnerung an die Opfer von Tim K., Winnenden (11. März)
In letzter Zeit reden wieder alle vom “sexuellen Missbrauch”. Feministinnen kämpfen seit bald 40 Jahren gegen diese unsägliche Formulierung. Sie impliziert, dass es neben dem sexuellen Missbrauch auch noch einen richtigen/akzeptablen sexuellen Gebrauch von Mädchen und Knaben gebe, so wie es neben dem Alkohol- oder Tablettenmissbrauch auch einen korrekten Gebrauch von Tabletten oder Alkohol gibt. Unerträglich ist auch die Implikation, dass die Missbrauchsopfer ein Genussmittel seien, wie Alkohol oder Nikotin.
Trotzdem handelt es sich bei dem sogenannten sexuellen Missbrauch eindeutig um Missbrauch, und zwar um Macht- oder Amtsmissbrauch - bei den Priestern um beides. Wir sollten ab sofort sagen, die Kinder sind Opfer sexuellen Machtmissbrauchs.
Denn der Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft ist ja das zutiefst Alarmierende an all den Missbrauchsfällen, die jetzt ruchbar werden - eine katholische oder sonstige sogenannte Eliteschule oder Elite-Institution nach der anderen. Das Schlimme ist, dass diejenigen, denen wir vertraut und Macht über andere anvertraut haben, diese Macht gegen die Anvertrauten und ihnen Ausgelieferten skrupellos missbrauchen, und das jahre- und jahrzehntelang.
Die Fundamente unserer Gesellschaftsordnung sind bei Machtmissbrauch bedroht. Wenn die Politik, die Polizei, das Heer oder die Justiz vom organisierten Verbrechen unterwandert sind, herrscht höchste Gefahr. Wenn die Familien und die Schulen vom sexuellen Machtmissbrauch der Väter und der Lehrer durchseucht sind, sind die “Keimzellen des Staates” befallen. ••••••••••••••• In meiner letzten Glosse habe ich die Opfer der Missbrauchs-Priester mit Bedacht als Jugendliche bezeichnet und nicht von Jungen oder Knaben gesprochen. Meine Wortwahl geht zurück auf eine öffentliche Debatte in Boston vor etwa 10 Jahren, als dort die Skandale um die Missbrauchs-Priester und ihre Missbrauchs-Oberen, die sie jahrelang gedeckt hatten, aufbrachen.
Bostoner Feministinnen machten sich Gedanken darüber und beschwerten sich lautstark, dass mit einem Mal das Thema Missbrauch so viel Medien-Aufmerksamkeit bekam, weil jetzt die katholische Kirche involviert war, weil auch oder sogar vorwiegend Knaben die Opfer waren und es somit um das Thema Homosexualität ging - viel geiler als der stinknormale “Missbrauch von Mädchen”, das ist ja bloß zum Gähnen, lockt keinen mehr hinterm Ofen hervor. Aber das brisante Gemisch katholische Kirche, Knaben als Opfer und Schwulitäten war neu und trieb die Auflagenziffern und die Einschaltquoten in die Höhe.
Die Bostoner Feministinnen wehrten sich gegen die Einstellung, dass “Missbrauch von Mädchen” etwas Gewöhnliches und “Missbrauch von Knaben” etwas besonders Schändliches sei - etwas, was für Knaben sozusagen schlimmer ist als für Mädchen, denn Mädchen sind ja irgendwie dafür da, missbraucht zu werden, gell?
Aus diesem Grunde also sprach ich bewusst von Jugendlichen, um nicht die weiblichen Opfer des sexuellen Machtmissbrauchs der Priester als “business as usual, nichts weiter Besonderes” außen vor zu lassen.
Nun ermahnt mich der Leser Oliver:
Eine Frage ist, ob man hier betonen sollte, dass möglicherweise mehr Jungen als Mädchen zu den Opfern gehören. Wir sollten es auch betonen, wenn mehr Mädchen als Jungen missbraucht werden - oder getötet, etwa von einem Attentäter. Allerdings kenne ich keine Zahlen - und wäre an solchen interessiert.
Da klingt der Frauenmord des Tim K. in Winnenden an, dessen Stoßrichtung sprachlich fast überall zu einem Mord an "Schülern" verunklart wurde. Ja, an Zahlen wäre ich auch interessiert - aber da ist bekanntlich die Dunkelziffer. Leserin Anne hat recherchiert, dass von den Opfern sexuellen Machtmissbrauchs zwei Drittel weiblich sind - das wird bei dem von Priestern verübten sexuellen Machtmissbrauch nicht anders sein.
Es ist verständlich, dass Oliver sich als Mann für die Unterscheidung zwischen weiblichen und männlichen Opfern einsetzt. Für Frauen primär interessant ist allerdings nicht so sehr, was Männer Männern und Knaben antun, sondern was sie Frauen und Mädchen antun. Was Männer untereinander an Schandtaten anrichten, sollen sie vielleicht zunächst mal untereinander klären. Wir Frauen haben mehr als genug mit den Verbrechen der Männer gegen Frauen und Mädchen zu tun.
Womit ich bei der Überschrift ”Opfer und Täter” angekommen bin. Die Überschrift ist mehrdeutig - ohne Artikel wissen wir nicht, ob “Die Täter und die Opfer” gemeint sind oder “Das Opfer und der Täter”. Was aber klar ist, ist die Männlichkeit des Täters oder der Täter.
Frauen und Männer gemeinsam müssen sich um die Gewalttätigkeit der Männer und ihren Machtmissbrauch Sorgen machen. Auch und gerade im Gesamtbereich Pädagogik. Etwa so alt wie das Geschrei über den sexuellen Machtmissbrauch in der katholischen Kirche ist das Gewinsel der Männer über die männlichen Bildungsverlierer, die angeblichen Opfer der angeblichen weiblichen Übermacht in den Schulen.
Angesichts des sexuellen Machtmissbrauchs der Männer vor allem in Bildungseinrichtungen, der sich, wie jetzt zur allgemeinen Empörung bekanntgeworden, nicht nur gegen Mädchen richtet, wird das Gewinsel hoffentlich abebben. Die Opfer mögen beiderlei Geschlechts sein - die Täter aber sind männlich, von seltenen Ausnahmen abgesehen.
Frauen haben - ebenfalls schon seit Jahrzehnten - eine Männlichkeitssteuer gefordert, für den Opferschutz und die Prävention, vor allem aber für die Behebung der enormen von Männern angerichteten Schäden. Nun da das Bewusstsein, dass Männer auch Männern schaden, allmählich an Boden gewinnt, ist die Zeit reif, das Thema Männlichkeitssteuer wieder zur Diskussion zu stellen. Eine Kopfpauschale brauchen wir nicht, eine Männerpauschale schon eher.
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24 Kommentare
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12.03.2010 um 14:22 Uhr Anne
danke @ Evelyn für die hinweise - da kommt mir auch der gedanke an den vergewaltiger Polanski , für den die prominenz ordentlich die werbetrommel gerührt hat, somit die vergewaltigung verharmlosen , obwohl P. sich für seine vergewaltigung an einem 13jährigen weibl. menschen seit jahrzehnten der verantwortung entzogen hat - mit einer fadenscheinigen früheren ausrede “alle männer wollen junge mädchen f…”. ein sog. kavaliersdelikt - männer haben seit ewigen zeiten sexuellen machtmissbrauch, gewalt an (jungen) weibl. menschen verübt, legitimiert mit abstrusen argumenten. sie sind auch noch zu feige zu einem schuldeingeständnis - “männer sind halt so , haben ein `natürliches` recht auf sexuelle betätigung etc. pp” , wenn es u.a. um die ventilfunktionsthese geht - so wurden auch die grausamen exzesse der (sex.) gewalt gegen frauen gerechtfertigt. gleiches gilt für porNOgraphie und prostitution, bordelleinrichtungen.
heute habe ich in meinem frauenkreis erfahren, dass in einem hiesigen kindergarten schon 8-1ojährige! jungen auf ihre handys üble porNOgraphische dateien heruntergeladen haben. kinder spielen vergewaltigungsszenen nach. sexuelle übergriffe unter kindern im vor- und grundschulalter! nehmen zu .“allein in den letzten beiden monaten beriet zartbitter mütter und väter von mehr als 25 kölner mädchen und jungen, die massive sexuelle gewalt durch kinder im alter von 6-1o jahren erlebt hatten” (quelle: zartbitter, köln, internet)und hier handelt es sich nicht einfach um `doktorspiele`.
ja, ich habe im fs bisher auch nur männliche opfer sprechen hören , mich gewundert , obwohl doch der hohe anteil sex. missbrauchsopfer weiblich ist . wenn es sich um frauen-mädchen-opfer handelt (die menschheitsgeschichte ist in übelster form hiervon geprägt ) geht kein aufschrei durch die reihen der männer. sobald aber frau das täterprofil als männl. mensch anspricht, fühlen sich plötzlich ALLE männer angesprochen, wehren ab, reagieren beleidigt . das sehe ich jetzt wieder i.d. kommentaren v. männern in anderen foren zum neuesten vatikanartikel “frauen in leitung hätten vielleicht missbrauch verhindert” von Lucetta Scaraffia, ital. historikerin. hier geben männer, maskulisten lautstark ihre zweifel kund und lenken so bewusst vom thema ab.
überhaupt raubt es frauen ihre energie, sich mit diesen machos und maskulisten noch zu unterhalten - sie sind insb. in feministischen foren anzutreffen, da, wo es um frauenthemen geht. hier tummeln sie sich und versprühen ihr gift.
“der mann als risikofaktor, teil 1” - gut nachzulesen zu kollektiver scham (wie männer abtauchen, wenn es sie selbst betrifft) “... beim umgang mit gefahrenquellen ist verallgemeinerung die methode der wahl…”
11.03.2010 um 21:04 Uhr Evelyn
@ Anne
Jetzt wird bekannt durch Opferorganisationen, was als nächstes auf die Tagesordnung kommt: nach den katholischen Schulen und Internaten kommen die Fakten aus den Heimen ans Licht. Die Opferzahl soll über eine halbe Million (!!!) Kinder und Jugendliche betreffen, nach Mädchen und Jungen wird ja da nicht unterschieden. Ich habe im Fernsehen bis jetzt nur männliche Opfer sprechen hören. Mit den neuen Zahlen wird auf jeden Fall ins Bewusstsein rücken, dass dieser Machtmissbrauch systemimmanent ist und nicht auf einzelne irregeleitete Täter geschoben und eingegrenzt werden kann. (Bericht: swr, Ländersache, 11. März 2010)
11.03.2010 um 14:55 Uhr Anne
ein interessanter artikel zur mediensprache “bekanntlich sind sämtliche medien immer noch fest in patriarchaler männerhand”
ich habe mich heute an die ARD gewandt und darüber beschwert, dass zum jahrestag des amoklaufs und der mädchenmorde in winnenden wieder nur von ” Schülern und 3 Lehrerinnen ” gesprochen wird. Kein hinweis darauf, dass es sich bei den opfern um 8 schülerinnen handelt, auf die der frauenmörder und -hasser gezielt geschossen hat .
70-80 % opfer sex. machtmissbrauch sind mädchen - auch diese tatsache findet frau nur in wenigen pressenachrichten . nur (wie auch i.d. glosse auf den punkt gebracht) sobald sich die fälle von sex. machtmissbrauch in kirchl. einrichtungen häufen, ist die medienpräsenz überaus riesig, da die meisten von männl. opfern ausgehen.
http://frauensprache.com/mediensprache.htm
09.03.2010 um 21:55 Uhr Anne
@ Evelyn
in dem zusammemhang computer/fernsehen weist M. Spitzer, psychologe, in einem artikel auf die schädliche auswirkung auf das kindliche gehirn hin und erklärt, warum computer/fernsehen kinder gewalttätig und dumm machen können(quelle: fernseher und computer schaden dem gehirn) - hinzu kommt das problem der computer/spielsüchtigen jugendlichen. viele verbringen ihre gesamte freizeit vor dem computer ,und das suchtpotential ist nicht zu unterschätzen. auch dahinter steht die starke lobby der geschäftemachER , programmierER, spieleentwicklER - für 2o1o erhofft mann sich in deutschland einen absatz von ca. 1o mio spielekonsolen - sog. massively multiplayer online role playing games (MMORPGs), wie world of warcraft oder second life gehören zu den erfolgreichsten und am schnellsten wachsenden zweigen der sog. netzwirtschaft und sind zum multimilliarden-dollar-geschäft mit glänzenden zukunftsaussichten geworden, die mit jährlich ca. 25 mrd. euro deutlich höhere umsätze erzielt als hollywood.
pornographie, killerspiele, gewaltverbreitung i.d. medien/internet zwecks unterhaltung, spielesucht gehört mit zur prägung für das spätere erwachsenenleben und ganz bestimmt nicht zum wohle des miteinander - eher nutzt es der entfremdung, sozialer desintegration, gewaltbereitschaft, gefühlskälte, depressionen u.v.m. - manchmal habe ich das gefühl, männer verbreiten eine `im übertragenen sinne autoimmunerkrankung`, sie tun aus gier alles, um menschen zu schädigen und zu zerstören - die virtuellen monster, die sie in killer/horror-spielen erschaffen werden somit leibhaftig auf die menschheit losgelassen.
09.03.2010 um 19:05 Uhr Evelyn
@ Anne
Ich kann diese Einschätzung des Jungen-Versagens nur in diesem Sinne ergänzen: Laut einer örtlichen Studie (Befragung von Jungen und Mädchen) verbringen die Mädchen überwiegend ihre Freizeit mit sozialen Aktivitäten untereinander, Lesen und Wünschen zu einer guten Partnerschaft; die Jungen haben einen enormen Beschäftigungsüberhang in Bezug auf Computer, hier besonders Killerspiele und Pornographie. Fragen nach einer guten Partnerschaft interessieren sie überhaupt nicht. Das ging aus der Studie ganz klar hervor. Aus diesen Beschäftigungen ist unschwer zu folgern, wie sich Jungen von früh an im sozialen und intellektuellen Bereich selbst schädigen, was sich nicht nur in mangelnden schulischen Leistungen niederschlägt, sondern in vielen üblen Verhaltensweisen, die dann auch im Erwachsenenleben die Gesellschaft prägen und schädigen. Früh übt sich, sozusagen ...
09.03.2010 um 14:17 Uhr Anne
@ Dürr
herr Amendt scheint bei seiner sorge um den unflexiblen mann zu vergessen, daß z.b. die heRRschende klasse der finanzindustrie zu 95 % männlich ist. 50.ooo leitende bankmanager, broker, händler und vermögensverwalter sagen dem rest der welt, wo es langgeht (internet)- was männliche monokulturen anstellen, bekommen wir in drastischer weise zu spüren. ein blick nach griechenland zeigt, wie männer ganze staaten mit korruption, lügen, vetternwirtschaft, mafiösen strukturen kaputt/regieren können - wo sind die abermilliarden an fördergelder hingeflossen, die über brüssel in den vergangenen jahrzehnten munter ins ländle geflossen sind?
lt. ZONTA (internationaler, weltweiter zusammenschluss berufstätiger frauen, die sich zum dienst am menschen verpflichtet haben. vorrang hat das ziel, die stellung der frau in rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und beruflichen bereich zu verbessern. gegründet 1919 in den USA als erste weibliche service-organisation) gibt es
- 1,3 mrd. arme i.d. welt - davon 70 % frauen
- 2/3 deer erwachsenen analphabeten sind frauen
- 2/3 der kinder ohne schulausbildung sind mädchen
- 4 mio frauen und mädchen werden jährlich ver-
kauft
- 60 mio frauen werden aufgrund von gewalt ver-
misst
gerne wird händeringend von maskulisten und den anhängern behauptet, dass lehrerinnen schülern schaden - inzwischen hat eine studie dieses widerlegt, denn die `feminisierung` der schulen schadet jungen keineswegs - eher im gegenteil.
lt. M. Helbig vom berliner wissenschaftszentrum für sozialforschung seien eher geringere selbstdisziplin, der `hang´ zur arbeitsvermeidung und fehlender fleiss für das schlechtere abschneiden so mancher jungs gründe für ein schlechteres abschneiden/benoten (lehrerinnen schaden schülern nicht, spiegel online)
09.03.2010 um 12:40 Uhr Trip
Apropos “Wesen” des Mannes: Hier ein sehr interessantes Buch zum “Wesen” der Frau: TYPISCH MÄDCHEN von Marianne Grabrucker. Hier geht es um die Prägung in den ersten drei Lebensjahren. Das Buch ist aus dem Jahr 1985. Manches mag sich gebessert haben, aber die Grundthematik ist nach wie vor akut und erklärt selbstverständlich auch sehr viel über das sogenannte “typisch Männliche”.
Empfehlenswert !
Gruß, Trip
09.03.2010 um 12:31 Uhr Trip
@ Dürr
Ihre Vorstellung einer Religion würde mir auch gefallen. Danke.
Gruß, Trip