Neues zum Frauenübermannungsgesetz
Es gibt viele deutsche Gesetze mit unförmigen Namen, über die das Ausland sich köstlich amüsiert, z.B. das Streitkräftepersonalstruktur-Anpassungsgesetz (13 Silben, 45 Buchstaben) oder das Sicherheitsverwaltungs-Anpassungsgesetz (11 Silben, 40 Buchstaben).
Die feministische Linguistik hat schon vor Jahrzehnten ein anderes Anpassungsgesetz ausgemacht, das bisher jedoch sein Unwesen namenlos trieb. Ich finde, es sollte dringend namentlich dingfest gemacht werden und schlage folgende Bezeichnung vor:
Männersprachfrauenanpassungsgesetz (MSFAG: 10 Silben, 34 Buchstaben). Eine kürzere, ausdrucksstarke Version wäre „Frauenübermannungsgesetz“ oder noch kürzer „Übermannungsgesetz“.
Dieses Gesetz sieht vor, dass Frauen sich der Männersprache anzupassen haben und nicht umgekehrt. Es wirkt allenthalben, besonders aufdringlich bei der Eheschließung: Bis 1976 hatte die Frau den Namen des Mannes zu übernehmen und wurde damit automatisch zur Geborenen. Danach wurde diese Regel nach und nach gelockert, aber bis heute lassen sich noch ca. 80 Prozent der Frauen übermannen, 20 Prozent behalten ihren Namen. Nur 5 Prozent der Männer übernehmen den Namen ihrer Frau (wahrscheinlich, wenn er Schulze heißt und sie Prinzessin von Sachsen). Des weiteren ist das Gesetz wirksam bei der Benennung gemischtgeschlechtlicher Gruppen und bei der Benennung von Personen, deren Geschlecht (noch) nicht bekannt ist: Übermannung, wohin frau blickt: „Wer wird Millionär?“ „Wer wird der nächste Bundespräsident?“ Diese Fälle von Übermannung werden auch gern verharmlosend „generisches Maskulinum“ genannt.
Ich habe schon viele Glossen über weitere Fälle sprachlicher Übermannung geschrieben. Hier eine minimale Auswahl:
Sie singt Tenor im Kirchenchor oder Das Frauenstimmrecht
Ein anderes Wort für „alleinerziehend“
Die Epigone oder Frauen in der Kunst
Vorgestern lernte ich ein weiteres Beispiel für das Männersprachfrauenanpassungsgesetz kennen: Den „Barbershop-Gesang“. Unsere Freundinnen Ann und Jean waren zu Besuch. Ann erzählte ausführlich von ihrem Chor, einem der vielen „Barbershop Chöre“. Es ist dies eine US-amerikanische Spezialität, entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Barbershop Chorus war ursprünglich ein Männer-Gesangsquartett, inzwischen gibt es aber auch größere und ganz große Barbershop-Chöre. Und Frauen, obwohl sie selten zum Barbier gehen, haben sich den schönen Zeitvertreib des kunstvollen gemeinsamen A-cappella-Singens bei den Männern abgeschaut und beteiligen sich auch eifrig an den nationalen und internationalen Wettbewerben.
Für mich war das eine völlig unbekannte Welt, ich hörte Ann gebannt zu und fragte zwischendurch auch, welche Stimme sie denn singe - Alt, Mezzo oder Sopran? Sie sagte, sie hätte eine Altstimme, aber in ihrem Barbershop Chor singe sie im Bass. Unmöglich, lachten wir.
Sie erklärte, die strengen, durch die Tradition festgelegten Regeln des Barbershop-Singens sähen die vier Stimmen Bass, Bariton, Lead und Tenor vor. Und so sängen denn auch die weiblichen Chöre „Bass“, „Bariton“, „Lead“ und „Tenor“ - natürlich jeweils etwa eine Quinte höher als die Männer. Aber die Stimmbezeichnungen der männlichen Barbershop-Chöre habe frau beibehalten.
Ich stelle fest: Klarer Fall von MSFAG. Nicht viel besser als die berüchtigte "Manndeckung" im Frauenfußball.
Dass altehrwürdige weibliche Berufsbezeichnungen umgehend übermannt werden, sobald ein paar Männer sich herbeilassen, den Beruf zu ergreifen, hat schon Generationen von Frauen erbost, besonders angesichts absurder Missbildungen wie "Amtmännin", "Landsmännin", "Frauenfußballmannschaft" und anderer Zumutungen für das weibliche Selbstbewusstsein und Sprachempfinden. Die Hebamme wurde zum angeblich geschlechtsneutralen „Geburtshelfer“, die Kindergärtnerin zum Erzieher, die Krankenschwester zum Krankenpfleger. Vergeblich verlangen die Frauen nach dem „Hebammer“ oder „Hebammerich“, dem „Kindergärtner“ und dem „Krankenbruder“.
Vielleicht doch nicht ganz vergeblich. Über das Russische erfuhr ich neulich folgendes:
Im Russischen gibt es die медсестра (medsestra = Krankenschwester, sestra = Schwester) und den медбрат (medbrat = Krankenbruder, brat = Bruder). Den Bruder haben wir früher aber noch nicht gelernt, der ist neu ;-)
Da scheint es also im Russischen Ansätze zu einem Frauensprach-Männeranpassungsgesetz zu geben. Oder kürzer: Sprachgerechtigkeit. Brava, Mütterchen Russland! --------- Dank an Almut Nitzsche für die Info über das Russische.
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7 Kommentare
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20.08.2015 um 16:26 Uhr anne
zu den stimmlagen: da gibt es noch den counter, kontra .. bzw. den counter-tenor, gesang in sopran-lage; die mann noch - wenn auch seltener - pflegt. aber zum barbershop - diese begriffsdefinition ist mir (ungeübte) neu . danke f.d. info! da es im barbershop keine klassischen tenöre und `teneusen` gibt, wird oft von `a-capella-musik` geschrieben. klingt gut und so feminin: a-capella / bassa, tenora, alta, soprana .. dagegen “eine Alt (oder Alta), die auch Tenor singen kann, könnte sich Altenor oder Altanor nennen .”
aber das dem nicht so ist, wieder mal ein beweis der vorherrschenden masku-logistik: die frau hat sich der sprache anzupassen, nicht umgekehrt ..
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/sie-singt-tenor-im-kirchenchor-oder-das-frauenstimmrecht/
20.08.2015 um 15:39 Uhr anne
wie kann vom begriff her ein ingenieur etwas besseres sein als eine ingenieurin? genau das ist die patr. männliche logistik , die uns das leben erschwert. sogar b.d. sozialistischen `herrschaften`, und zwar nicht nur neben den lohnungleichheiten zwischen frau/mann , denn auch hier standen den frauen auf dem arbeitsmarkt zwar im Dienst-leistungs-sektor sämtliche türen offen, während die männer dort karriere machten, wo sie diese o.a. ungerechten entscheidungen trafen.
wenn ich gehässig wäre, könnte ich sagen, der ingenieur ist die schwundform , die ingenieurin dagegen die `r/echte`. denn es ist ja bewiesen, dass frauen zwecks anerkennung ihrer leistungen immer besser sein sollten als männer. seit etlichen zeiten wird uns das generische maskulinum zugemutet - mal mitgemeint, mal überhaupt nicht gemeint . denn es wird uns frauen ständig vorgeworfen, dass wir in den typ. männlichen berufsgattungen aus desinteresse weitaus weniger zahlreich vertreten sind.
und nur i.d. bezeichnung `ingenieur` sollen wir frauen uns `akzeptiert` fühlen? während ein mann sich i.d. femininum fürchterlich verletzt fühlt und wehklagt?
es ist an der zeit , das generische femininum in die rechte waagschale zu legen , denn das bedeutet auf dem weg zur gerechten sprache aufklärung, anerkennung und vor allem etwas wichtiges, nämlich das vorzeigen von diskriminierungen im herrkömmlichen masku - sprachgebrauch.
“die sprache, die wir von unseren vätern ererbt haben, ist eine Frauen ausmerzende sprache.”
oder ist es männern aus bequemlichkeit lieber, all die diskriminierungen zu verschweigen, mit denen frauen seit jahrhunderten und weitaus mehr in schach gehalten wurden? da die meisten männer ein problem mit der gleichstellung von mann und frau haben, müssen wir wohl immer wieder von vorne anfangen.
aber da gibt es ja die typen, die meinen, mit der sog. `gleichmacherei` mache frau alles schöne für ihn kaputt , vor allem die `geschlechterspannung`. eine geschlechterspannung ist für diese herren demnach die ungleichheit? heute nennt mann das `sexy`; ungleichheit ist sexy f.d. mann.
die ingenieurin ungleich zum ingenieur zu sehen, wie es bei einigen a.d. vergangenheit den anschein hat, das wäre demnach sexy?
die DNA der frauensprache, die feministische linguistik ist revolutionär , denn sie zeigt genau die ungleichheit der geschlechter auf , nicht nur im sprachgebrauch . das finde ich total spannend und mit die beste form der aufklärung mit dem ziel der geschlechter-gerechtigkeit ..
http://www.tagesspiegel.de/wissen/quotendeutsch-die-dna-der-frauensprache/1163736.html
18.08.2015 um 05:47 Uhr Jürgen
@lfp
“Und so sängen denn auch die weiblichen Chöre „Bass“, „Bariton“, „Lead“ und „Tenor“ - natürlich jeweils etwa eine Quinte höher als die Männer. Aber die Stimmbezeichnungen der männlichen Barbershop-Chöre habe frau beibehalten.
Ich stelle fest: Klarer Fall von MSFAG.”
Ja, schon lustig. Warum die männlichen Barber-Chöre ihre vier Stimmlagen nicht Bass, Tenor, Alt und Sopran bezeichnen, wie seit der Renaissance und dem Barock für reine Männerchöre (!) üblich, muss irgendetwas mit der Angst vor vermeintlicher Feminisierung zu tun haben.
Stimmlagen bezeichen relative Tonumfänge, nicht absolute. Es wäre angemessener, wenn der Frauenchor von Ann und Jean die Stimmlagen Bass, Tenor, Alt und Sopran hätte - oder meinetwegen Tenor, Alt, Mezzosopran und Sopran.
18.08.2015 um 05:12 Uhr Jürgen
@anne
“einige frauen aus der DDR rühmen sich heute noch, dass sie im berufsleben als kranführer, ingenieur, arbeiter etc. im gener. maskulinum tituliert wurden; weibl. formen wurden als abwertend empfunden?”
So ist es. Übrigens nicht erst seit DDR-, sondern schon seit Vorkriegszeiten, Stichwort: proletarische Kultur. Die “-in”-Formen wurden noch empfunden als das, was sie sind: als Anhängsel. Und als herabstufend: Eine Ingenieurin ist ein Ingenieur, aber nicht ganz. Eine Arbeiterin ist kein richtiger Arbeiter. Also braucht man sie auch nicht so behandeln und bezahlen wie ihre männlichen Kollegen ...
Frau Ingenieur ist übrigens ein echtes generisches Maskulinum, da hier kein Mann mitgemeint ist. Es ist eigentlich eine generische Form, die sich aus einer maskulinen Form herausentwickelt hat. Wo, wie im Plural “Ingenieure”, Männer noch mitgemeint sein können, ist das Maskulinum noch maskulin angehaucht.
17.08.2015 um 19:34 Uhr anne
prima glosse mit wichtigen hinweisen: immer wieder ein genuss!! und anregend .
ich bin zwar in der materie weniger geübt, lese aber, dass auch in frankreich für einen mann in typ. frauenberufen neue bezeichnungen und damit neologismen eingeführt werden. vielleicht für Lena Vandrey interessant? zitat: “eine sprache, die nicht in der lage ist, die weiblichkeit von heute zu beschreiben ...und die nicht über die nötigen begriffe verfügt, um die neuen realitäten zu beschreiben, ist eine tote bzw. verstümmelnde sprache. die hebamme heißt im franz. sage-femme. seitdem auch männer diesen trad. typ. frauenberuf ausüben, stellt sich die notwendigkeit , diesen zu bezeichnen. gemäß der tradition könnte man la-sage-femme eigentlich generisch behandeln und mit der weibl. bezeichnung ebenso wie im deutschen `die katze` sowohl männl. wie weibl. sexus abdecken….was läge also näher, wie geschehen, die männl. hebamme mittels einer komposition un homme sage-femme ... zu bezeichnen.” (zit. aus sprachpolitik und sprachbewusstsein heute, P.B. ).
was die namensnennung bei einer üblichen verheiratung mit stempel betrifft, wird eigentlich bei der übermannung d. familiennamen/ehemann diese tradition der übermannung immer weiter und weiter verfestigt. wie wäre es generell mit doppelnamen ohne bindestrich. aber ist nicht auch der sog. `geburtsname ` für weibl. menschen ursprünglich `väterlich`? es gab den begriff `mädchenname`, der heute in `geburtsname` umgewandelt wurde. sie hat also auch eine sprachliche verschönerung erhalten? ein ehemann kann den geburts-namen der ehefrau übernehmen, annehmen ; aber das wäre ja ein ding, wenn es heißen würde: der ehemann trägt nach der heirat einen mädchen-namen ...? das wäre ja zu überspannt. männer hatten von beginn an einen familiennamen und die frauen neben dem familiennamen noch einen mädchennamen? die definition `jungen-namen` gab es erst gar nicht. wer bei der üblichen verpartnerung nicht den familiennamen des ehemannes trug, befand sich demnach in einer unehelichen verbindung; für die kinder aus dieser unehelichen verbindung , die den namen der mutter erhielten, konnte das früher äußerst unangenehm sein. das schlimmste, was einer schwangeren frau passieren konnte, war, ihren mädchennamen zu tragen.
einige frauen aus der DDR rühmen sich heute noch, dass sie im berufsleben als kranführer, ingenieur, arbeiter etc. im gener. maskulinum tituliert wurden; weibl. formen wurden als abwertend empfunden? in der partei- und staatsspitze sowie bei auszeichnungen, ehrentiteln gab es aber anscheinend nur die männl. formen. in diesem artikel wird einiges zitiert zu dem fehlendem bewußtsein f.d. sprachliche bezeichnung weibl. personen- und berufsbezeichnungen. kritik an der sprache der (partei-)medien zu üben, hieß damals , die partei als solche anzugreifen. es wird gesagt, für die frauen war der hauptkonflikt nicht der zwischen frau und mann sondern zwischen oben und unten ... das nur so nebenbei.. https://books.google.de/books?id=Cvur8obEY9AC&pg=PA127&lpg=PA127&dq=Die+Sprache+der++im+Spiegel+der++Literatur+DDR+typische+Studien+zum+typ.+Frauenberuf&source=bl&ots=Om9xfYLwbE&sig=mlKhVQ1r-D3lHBa1gdIVdB6Iy2o&hl=de&sa=X&ved=0CCEQ6AEwAGoVChMIjKicjc6wxwIVxlosCh0prwB3#v=onepage&q=Die Sprache der im Spiegel der Literatur DDR typische Studien zum typ. Frauenberuf&f=false
17.08.2015 um 15:05 Uhr Lena Vandrey
Die unverschämteste Übermannung war der Zwang für Frauen, den Namen des Ehemannes zu tragen und somit im Moment der Heirat eine Fremde für ihre eigene Familie zu werden, wobei auch noch die Geschichte ihres Namens verlorenging. Denn jeder Name hat eine Geschichte und viele Gesichter.
Als ich klein war, sagte ich zu meiner GroBmutter: Wenn dein Enkel groß ist, heirate ich ihn, dann heiße ich so wie Du, Omi!
Mein Schwager hieß Feind. Das hätte mühelos in Fend umgewandelt werden können, aber nein! Als meine Schwester sich schließlich Vandrey-Feind nannte, klang das so, als ob sie der Feind der Vandreys wäre… Meine Nichte wurde nach mir Lena genannt, und ich schrieb ihr unter Lena Vandrey Jr. Das wurde verboten!
In Frankreich sind die Dinge etwas närrischer, wie ja so oft. Einerseits wird die Ehefrau gewissermaßen erhöht und lebt unter einem Männernamen: Madame Jacques Dupont. Andererseits steht in ihren Papieren ihr voller Herkunftsname mit dem Zusatz: Verheiratete Dupont. Also was?
Von einem Jungen hörte ich, dass er Hebamme werden wollte. Also Geburtshelfer, sagte ich. Nein, nein, Hebamme! Sage-femme=weise Frau!
Hieß das Deutsche nicht früher die Kentauren-Sprache? Ich amüsierte mich mit der Zusammenstellung von X-Wörtern, die oftmals Unsinn ergab…
Und wie steht es mit der Lesben-Ehe? Da tragen beide Frauen einen Doppel-Namen! Dass 95% der Frauen immer noch übermannt werden, ist eine böse Nachricht! Sie sollten zu den Lesben hinschauen, das ist mein Rat!
17.08.2015 um 02:56 Uhr Alison
Also brat heisst Bruder in Russisch - in English bedeutet es balg… kommt ungefaehr hin.