Mother-Blaming - Rabenmütter, Schwiegermonster und Stiefmütterchen
Ich ging im Walde so für mich hin, da kam mir das Stiefmütterchen in den Sinn. Das Wetter war so frühlingshaft, und Stiefmütterchen sind doch „die ersten Frühlingsboten“. Sehen tat ich allerdings keine. Sie kamen mir nur in den Sinn.
Die liebliche Frühlingsbotin heißt „Stiefmütterchen“, weil „die Blüte aussieht wie ein böses, eben stiefmütterliches Gesicht“. Oder weil die Blütenblätter ungerecht auf die Kelchblätter verteilt sind. Das oberste Blütenblatt sitzt auf zwei Kelchblättern, es wird Stiefmutter genannt. Die beiden Blätter unter ihr, die Töchter, sitzen auf je einem Kelchblatt. Und die beiden untersten Blütenblätter, Stieftöchter genannt, müssen sich ein Kelchblatt teilen und sind außerdem nur einfarbig, während Stiefmutter und Töchter mit zwei Farben geschmückt sind.
Spätestens seit Mutti uns zum ersten Mal „Aschenputtel“, „Schneewittchen“ und „Hänsel und Gretel“ vorlas, wissen wir, was für selbstsüchtige, geradezu teuflische Personen Stiefmütter sind.
Auch vor der eigenen Mutter sind Kinder niemals sicher, das lehrt uns schon der Begriff „Rabenmutter“! Oder die Urfassung von „Hänsel und Gretel“, in der die Kinder noch von der eigenen Mutter ins Verderben geschickt wurden!
Und erst die Schwiegermutter. Haben wir je von einer „lieben Schwiegermutter“ gehört? Nein, sie sind allesamt böse, böse Schwiegermütter, regelrechte Schwiegermonster - so der deutsche Titel einer bekannten Filmklamotte. Auf Englisch heißt der Film „Monster-in-Law“. Mother-Blaming ist ein internationales Projekt.
Woher kommt dieser anscheinend uralte, bis in mythische Vergangenheit zurückreichende Hass auf die Mütter? Wo doch die eigentlichen Monster die Väter sind, von den gewöhnlichen brutalen Schlägern, den Urhebern der sogenannten "häuslichen Gewalt", über die Missbrauchsväter bis hin zu den katholischen Patres?
Ich vermute, es liegt daran, dass von den Vätern seit jeher nichts Gutes erwartet wird. Wenn sie sich also mies verhalten, so ist das einfach normal, und für das Normale braucht es kein eigenes Wort, frau denke nur an die fehlenden Pendants zu „Damenwahl“ und „Herrenschokolade“. Aber wehe, die Mutter ist nicht lieb, selbstlos, beschützend und nährend, wie sie sein soll - dann ist sie gleich ein Monster.
Während ich dies aufschreibe, treten vor meinem inneren Auge schon die VerteidigerInnen der Väter auf den Plan und werfen mir unzulässige Verallgemeinerung vor. Ihnen empfehle ich die Lektüre der jüngsten Studie zur sogenannten Elternzeit, über die das nicht eben als feministisch verschrieene Wall Street Journal am 29. Februar unter dem Titel "Does paternity leave hurt women?" berichtete. Frauen, das ergab diese Studie, kümmern sich in der Mutterschaftszeit liebevoll um ihre Kinder. Männer dagegen nutzen die Zeit, um gezielt ihre Karriere voranzubringen. Mütter, warnt das Wall Street Journal, geraten im beruflichen Wettbewerb umso mehr ins Hintertreffen, je mehr Männer Vaterschaftszeit nehmen und - zweckentfremden.
Inzwischen brüten die angeschmierten Kinder, vernachlässigt wie sie sich fühlen, schon mal neue Märchen über selbstsüchtige Mütter aus. Denn die Mutter ist schließlich für ihr Wohl zuständig.
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8 Kommentare
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18.05.2012 um 17:30 Uhr anne
zu Rabenmütter: angeblich gibt es in frankreich keine übersetzung für das wort `rabenmutter` - dagegen die `mütterliche schule = ècole maternelle`- ca. 99 % der kleinkinder besuchen eine mütterliche schule, eine kostenlose ganztagsschule. sie soll die familienerziehung begleiten, unterstützen und gezielt auf die schule vorbereiten - frauen spielen dort eine große rolle. angeblich haben auch die betreuungsberufe in frankreich einen höheren stellenwert. http://www.eltern.de/familie-und-urlaub/familienleben/familien-in-frankreich.html
08.03.2012 um 14:23 Uhr anne
wie ich gelesen habe, bedeutet/e `pansy´ als spottname = schönling, weichling, tunte, z.b. ein `weibischer` mann - eine hässliche erfindung der hetero/männerwelt. somit werden nicht nur schwule menschen abgewertet sondern weibliche menschen gleich mit.
im mittelalter wurden schwule (damals noch als sodomiten bezeichnet) auf dem scheiterhaufen verbrannt. um den geruch zu mildern , streute mann fenchelsamen in die scheiterhaufen - deshalb der begriff `finocchio` für schwule menschen. ebenso `orecchione`(norditalien, speziell lombardei).
es gibt auch einen kindernamen `pansy`, z.b. aus der harry potter - serie. pansy parkinson, eine der ständigen nebenfiguren. anscheinend auch noch mit einem bösartigen charakter und aussehen behaftet . ob sich die autorin von harry potter dabei etwas gedacht hat - “pansy” als schimpfwort und “parkinson” ist eine krankheit - das würde mich mal interessieren…
08.03.2012 um 10:31 Uhr Dürr
Danke, Frauen! Ein echter Schmunzler!
Für mich waren/sind Stiefmütterchen immer etwas Feines, Zärtliches, den der Diminutiv macht aus der Mutter ein Mütterchen… ob auf dem Friedhof oder in meinem Garten.
Im Uebrigen wissen wir, was wir von der allgemeinen Verleumdung von Frauen jeglicher Art halten müssen: Nichts, denn es scheint bloss der Rechtfertigung eigenen Versagens zu dienen. Wie gehabt.
08.03.2012 um 09:39 Uhr lfp
@Alison: “Pansy” kommt von dem frz. “pensée”, über das weiter oben Lena Vandrey schon geschrieben hat. Warum “pansy” ein Schimpfwort für Homosexuelle geworden ist - keine Ahnung. Aus einer Radiosendung zum 80. Geburtstag von Pasolini habe ich eben gelernt, dass Schwule im Italienischen “finocchio” (Fenchel) genannt werden. Keine Ahnung, warum - aber nett ist es sicher nicht gemeint. Obwohl “pansy” und “finocchio” schöne Wörter und schöne Pflanzen sind!
08.03.2012 um 02:13 Uhr Alison
In Englisch heissen sie “pansy” - wie der Gott Pan? - und homosexuelle Maenner wurden mit “pansy” beschimpft. Dafuer kann das Pflaenzchen nichts.
06.03.2012 um 14:30 Uhr anne
ich habe inzwischen über die wundersamen heilkräfte von veilchen/stiefmütterchen und ansonsten nur positives über diese schönen pflanzen gelesen. in polen sollen sie angeblich ´brüderchen` heissen? in manchen regionen wird sogar behauptet, in der blüte auch noch den vater zu entdecken. symbolisiert von griffel und narbe sitzt er nämlich in der mitte, zwar etwas eingezwängt oder eingerahmt, aber doch gut behütet von den frauen seiner familie. er kommt erst zum vorschein, wenn die mutter samt ihrer kinder ausgang hat oder das weite sucht bzw. die blütenblätter verwelken und abgefallen sind. deshalb spricht bis heute der volksmund von `stiefmütterlicher behandlung`, wenn jemand einen anderen menschen vernachlässigt. diese symbolik wurde wie so oft nachträglich erfunden. lt. etymologie-duden bedeutet stief- (mutter, -vater, -tochter, -sohn etc.)schon bei den germanen einfach ein verwandtschaftsverhältnis und eine schlechte behandlung geht damit nicht automatisch einher. stief- ist in der bedeutung von stumpf, rest usw. zu sehen und bezieht sich wohl eher auf die größe der pflanze. (quelle internet)
schon im antiken athen wurden frauengräber mit veilchen als zeichen der weiblichkeit, ausdauer und bescheidenheit bepflanzt und zu allen zeiten als heilmittel eingesetzt. die `stiefmutter` war u.a. eine heilige blume und dem gott pan gewidmet. veilchenwurzeln galten als aphrodisiakum; nachdem der nicht sehr attraktive gott vulkanus sich mit veilchenwurzeln einrieb, wurde er von nun an angeblich von seiner angebetetenen venus erhört. im 19. jahrhundert sandten sich verliebte stiefmütterchenbouquets zu als symbol der treue. und im 18. jahrhundert wurden stiefmütterchen als symbol der versöhnung verschenkt.
anspruchslosigkeit und durchhaltevermögen dagegen zeichnen die stiefmütterchen-pflanze aus.
also so schlimm kann es doch mit den armen stiefmüttern gar nicht gewesen sein…?
gedicht von sarah kirsch “bei den weißen stiefmütterchen - im park wie ers mir auftrug - stehe ich unter der weide - ungekämmte alte blattlos. ach sag ich - er hat sich den fuß gebrochen - eine gräte verschluckt - eine straße wurde plötzlich verlegt oder er kann seiner frau nicht entkommen - viele dinge hindern uns menschen. die weide wiegt sich und knarrt - kann auch sein er ist schon tot. sah blaß aus als er dich unterm mantel küsste - kann sein weide kann sein - so wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr ” (1967 erschienen im lyrikband `landaufenthalt` und beschreibt das schwanken zwischen hoffnung und enttäuschung einer frau, deren liebe nicht länger erwidert wird )
hier nun einmal ein märchen über stiefmütter von elsbeth montzheimer mit dem titel `stiefmütterchen` aus dem jahre 1923 - ganz anders als das, was uns die gebrüder grimm über stiefmütter alles so auftischten .
05.03.2012 um 09:57 Uhr Lena Vandrey
Die Stiefmütterchen heiBen im Französischen “pensées”, weiblich, “Gedanken”. Nach diesen Gedanken sind die Leute süchtig. Sie sind schon überall gepflanzt und zwar so, dass es ausssieht wie auf deutschen Friedhöfen.
Die wirkliche Stiefmutter heiBt “belle-mère”, also “schöne Mutter”. Alles, was einer Familie hinzugefügt wird, ist mit “belle” und “beau” betitelt. Wahrscheinlich, um es zu ertragen. Der Schwager ist der “schöne Bruder”, die Schwägerin die “schöne Schwester”. Es klingt falsch und ärgerlich, verlogen und dumm, aber dagegen ist keine “pensée” gewachsen…
In der Blumensprache gibt es für das Stiefmütterchen keine andere Symbolik als die Gedanken an die Toten. Diese bedauernswerte Pflanze wird also echt stiefmütterlich behandelt. Wie die Gedanken ja auch…
Und die Stiefmutter ebenfalls: ein verkürzter Ausdruck nennt sie ganz einfach “die Stief”.
Wenn die Französinnen wüssten, dass sie da Stiefs pflanzen, würden sie es wohl lassen!
04.03.2012 um 23:31 Uhr Amy
Es war meistens so, dass Männer seltener unbezahlte Arbeiten erledigten. Warum sollte das plötzlich bei der Elternzeit anders sein? Interessant, sie schafft und umsorgt die Kinder und ER feilt während der Karenzzeit mühelos weiter an seiner Karriere. Und da viele Männer sich bei Muttern rundum versorgen lassen, werden diese späteren Ehemänner/Väter meinen, die Zukünftige wird an Mutters Statt einfach ausgetauscht und alles geht weiter Seinen gewohnten Gang. Wie es zumeist üblich und für die holde Männlichkeit überaus bequem war.
“Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeiten werden oftmals privat und unbezahlt durchgeführt - und zwar von Frauen . Trotz zunehmender weiblicher Erwerbsbeteiligung ist auch das Privatleben vieler Paare noch immer vom RollenModell des Mannes als Haupternährer geprägt.” (BPB/2010)
lt. Wikipedia: Stief- bzw. Schwiegermütter im Märchen verkörpern öfters das Böse, als Störerinnen der Familien-Harmonie!
Seltener kommt im Märchen mal der böse Stiefvater vor, beispielsweise wie in der “Teufel mit den drei goldenen Haaren” .
Aha, die stief/mütterlichen Störerinnen seiner FamilienHarmonie wollten sicherlich nicht immer so funktionieren wie mann es von ihnen seit Jahrhunderten erwartete. “Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau und regt ohn` End die fleißigen Händ und ruhet nimmer.`
Und bei lesbischen Frauenpaaren könnte ich mir gut vorstellen , dass diese als Eltern weniger Probleme mit der Arbeitsaufteilung haben ?
“Die britische Feministin und Schriftstellerin Fay Weldon schreibt in ihrem `Tagebuch einer Stiefmutter`: Der Archetyp hat sich heute geändert. Böse Stiefkinder sind heute weiter verbreitet, als es böse Stiefmütter je waren. Nicht mehr Hänsel und Gretel irren Hand in Hand durch den Wald, vielmehr wimmeln die Wälder von einsamen, weinenden zweiten Frauen. Hänsel und Gretel bleiben zu Hause im Warmen. Anders ausgedrückt, die böse Stiefmutter war einmal.” (FAZ, 22.7.2010)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,793908,00.html