Mies van der Rohe: Über die Veredlung des Miesen
Gestern hörte ich ein „Zeitzeichen“-Podcast vom 27. März zum 125. Geburtstag des Architekten Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969). Ich weiß leider nicht viel über Architektur, Architekturgeschichte und Design. Ich wußte nur, dass Mies van der Rohe die Neue Nationalgalerie in Berlin gebaut hat. Und seinen Barcelona-Sessel kannte ich. Ich wußte nicht einmal, was er für ein Landsmann war. Der Name klingt ziemlich niederländisch, aber in den fünfziger Jahren, auf der Höhe seines Ruhms, operierte Mies van der Rohe ja überwiegend von den Vereinigten Staaten aus, und in diesem Einwanderungsland haben die Leute bekanntlich alle möglichen Namen.
In der Sendung erfuhr ich, dass der Mann mit dem vollmundigen Namen ursprünglich Ludwig Mies hieß und aus Aachen stammt. Er war das jüngste Kind des Steinmetzmeisters Michael Mies und seiner Frau Amalie Mies. Frau Amalie war acht Jahre älter als ihr Mann und bei der Geburt ihres Jüngsten 43 Jahre alt. Ob Ludwig Mies mit der berühmten feministischen Soziologin Maria Mies verwandt ist?
Der Name Mies macht sich ja nicht gut für einen aufstrebenden jungen Mann, und so nannte Mies sich ab 1921 Mies van der Rohe. Seine Mutter war nämlich eine geborene Rohe. „Rohe“ hat allerdings auch nicht gerade positive Assoziationen. Warum nannte er sich nicht „van der Waal“ oder „van der Bilt“? Es scheint, dass er nicht nur sich selbst erhöhen, sondern zugleich seine Mutter ehren wollte. Diese Möglichkeit war und ist im deutschen Namensrecht ja nicht vorgesehen.
Der Name "Mies van der Rohe" hat was - und das liegt nicht nur daran, dass Mies sich damit durch außerordentliche Leistungen eben „einen Namen gemacht hat“. Die syntaktische Analyse beweist, dass Mies nicht nur in der Baukunst systematisch, innovativ und PR-bewusst vorging. Mit dem Bau seines neuen Nachnamens gelang ihm ein ziemlich schlauer PR-Trick.
Sein Motto war bekanntlich „Weniger ist mehr“, und er fügte wohl auch hinzu: „Verwechseln Sie bitte nicht das Einfache mit dem Simplen“.
Zunächst scheint es ja so, als habe er mit der Verlängerung seines Nachnamens seinem eigenen Grundsatz zuwidergehandelt. Das sieht aber nur so aus. Denn meist wird er dann schließlich doch nur Mies genannt. Ähnlich wie Rembrandt van Rijn auch immer nur Rembrandt genannt wird. Oder Leonardo da Vinci gern nur Leonardo. Von Michelangelo, Raffael, Elvis, Madonna und Angie ganz zu schweigen.
In Mies van der Rohes Branche ist weniger tatsächlich mehr, besonders in Sachen Namen: In der höchsten Liga nennt man die Künstler gern nur noch beim Vornamen. Es ist ein Adelsprädikat bildender Künstler - ähnlich wie das „die“ in „die Callas“.
Damit etwas vereinfacht werden kann, muss es aber zunächst mal eine gewisse Komplexität haben. „Mies“ lässt sich nicht vereinfachen - wohl aber „Mies van der Rohe“. In der Wortfolge „Mies van der Rohe“ klingt „Mies“ wie der Vorname, einfach weil er dort steht, wo wir üblicherweise den Vornamen erwarten. Im Niederländischen gibt es ja viele fremdartige Vornamen, zum Beispiel hieß Anne Franks Vertraute Miep Gies. Warum soll dann ein Mann nicht mit Vornamen Mies heißen?
Ludwig Mies hat also seinen Nachnamen verlängert, um ihn edel zum „Vornamen“ vereinfachen zu können. Raffiniert. Und was lernen wir daraus?
Zunächst mal, dass wir uns mit miesen Karten nicht einfach abfinden müssen, wir können was draus machen. Zweitens könnten wir unsere Nachnamen ebenfalls um die Namen unserer Mütter verlängern, um sie zu ehren. Ich hieße dann Luise Pusch van der Fries. Oder auch Luise van der Irmela, denn den Namen Fries hat meine Mutter ja auch von ihrem Vater. Ihre Mutter musste bei der Ehe den Namen Fries annehmen, undsoweiter: Auslöschung der mütterlichen Abstammung durch alle Generationen. Aber Irmela war ihr eigener Name.
Zurück zu Mies. Dem Prinzip „Weniger ist mehr“ folgte er in seinen Liebschaften kein bisschen. Und wie er seine Frau und seine drei Töchter behandelt hat, war auch nicht vom Feinsten. Und der Anteil seiner Gefährtin, der bedeutenden Innenarchitektin und Designerin Lilly Reich (1885-1947), an seinen Arbeiten gehört auch noch feministisch aufgearbeitet. Vermutlich haben sie den Barcelona-Sessel zusammen entworfen. Überhaupt hat sich Mies weder vor noch nach seiner Zeit mit Lilly Reich als Möbeldesigner betätigt, vgl. hier.
Aber um all das kümmern wir uns ein andermal.
Ich widme diese Glosse der großen feministischen Linguistin, Lesben-Forscherin und -Aktivistin Julia Penelope, die heute 70 Jahre alt wird. Sie legte ihren Nachnamen Stanley ab und nannte sich fortan Penelope, ob nach ihrer Mutter oder nach der mythischen Penelope, die sich der miesen Freier jahrelang erfolgreich erwehrte, ist mir nicht bekannt.
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2 Kommentare
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23.06.2011 um 09:54 Uhr Susanne
Eine Bekannte nennt mich immer Susilein. Bei Mies ist das schon schwieriger, Miesilein klingt ein bisschen ungewohnt, vielleicht nehme ich auch einen Künstlerinnennamen an.
19.06.2011 um 16:59 Uhr anne
aha, weniger ist also mehr? das hat f.d. ollen mies/en wohl zum lebensinhalt gehört ? und in der beziehung zu seiner familie hat das “weniger” geben wenig positives gebracht. im spiegel-interview mit georgia v.d. rohe berichtet sie über einen verantwortungslosen vater und frauenheld, der sich immer einen sohn gewünscht hat und doch “nur” drei töchter bekam. und das war dreimal eine große enttäuschung für den armen vater mies.
aber auch um seinen späteren unehelichen sohn bekümmerte sich der miese so gar nicht. lt. georgia achtete er die frauen zu wenig, um sie künstlerisch wirklich ernst zu nehmen. sogar mit den eigenen töchter konnte er nie so recht umgehen: “es fiel ihm schwer, uns überhaupt als seine kinder wahrzunehmen. das habe ich früh begreifen müssen (georgia). als ich gerade 14 jahre alt war, erlebte ich eine sehr unangenehme szene. er fing auf dem rücksitz eines autos an, meinen busen zu betatschen ...”
dafür wurde mies van der rohe von seinen kollegen zum “genie” veredelt.
also ich empfinde seine architektur ziemlich nüchtern, kalt, geschäftsmässig…vielleicht färbte das innenleben auf sein architektonisches aussenleben ab? :-(
frauen im haus machten ihn aggressiv :(
http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=19181573&aref=image025/E0120/SCSP200102002180223.pdf&thumb=false
über julia penelope würde ich gerne mehr erfahren: sicherlich hatte sie gründe, den namen “stanley” abzulegen ?