Markus Lanz - Pleite fürs Zweite
„Doktor Manfred Lütz, Professor Michael Tsokos, Ralph Morgenstern und zwei Frauen, die sich von Mann und Kindern verabschiedet haben, um fortan mit einer Frau zu leben - jetzt bei uns.“
Mit diesen Worten begann Markus Lanz am späten Mittwochabend seine Talkshow. Die Einleitung verhieß schon nichts Gutes. Hatten die im anonymen Doppelpack vorgestellten Frauen keine Namen und keine Individualität??
Ich sehe selten Talk Shows, und Markus Lanz sah ich zum ersten Mal. Ich wollte gerne hören und sehen, was Yvonne Ford über „Late Bloomers“ (Spätblüherinnen) zu sagen hatte. So nennen sich Frauen, die erst später im Leben „erblühen“, d.h. das Liebesglück mit einer Frau entdecken. Meine Partnerin, Liebes-Migrantin aus den USA wie Yvonne Ford, gehört auch zu dieser spannenden Gruppe.
Trotz der missglückten Eröffnung war ich entschlossen, auszuharren, bis Yvonne zum Zuge gekommen wäre. Darauf musste ich aber verdammt lange warten. Die ersten 20 Minuten durfte sich Gerichtsmediziner Tsokos über sein schauriges Gewerbe ausbreiten. Dazu fuchtelte der Moderator mit dem täuschend echten Modell einer abgehackten und noch dazu schrecklich verstümmelten Hand herum, die uns immer wieder in Großaufnahme gezeigt wurde, buchstäblich bis fast zum Erbrechen.
Herr Tsokos war sympathisch, aber zehn Minuten, ohne abgehackte Hand, hätten mir davon vollkommen gereicht. Immerhin waren da ja noch vier weitere Gäste. Für die gab es, als Tsokos endlich verabschiedet wurde, insgesamt nur noch 37 Minuten. Die Ungerechtigkeit war da schon nicht mehr abzuwenden. Von den nächsten Vier konnte jedeR maximal noch 9 Minuten lang erzählen. Na gut, 9 Minuten Yvonne Ford, dafür lohnte es sich doch noch aufzubleiben bis nach Mitternacht, dachte ich.
Als nächsten bat Markus Lanz wieder einen Mann an seine Seite, den netten Psychiater Manfred Lütz. Er durfte sich 16 Minuten lang verbreiten - blieben also für die nächsten Drei zusammen nur noch 21 Minuten, genau so viel, wie der Moderator mit dem ersten Gast verplempert hatte.
Nach Lütz kam die erste der beiden Frauen zu Wort; sie wurde mit Petra angeredet. Sie hatte ein Buch darüber geschrieben, wie sie sich nach 21jähriger Ehe unsterblich in eine Frau verliebt hatte. Das war alles sehr schön und zu Herzen gehend, die Frau sah auch echt klasse aus, viel besser als die anwesenden Herren - der Moderator räumte ihr dafür die Hälfte der verbleibenden Zeit ein. Blieben für Yvonne Ford gerade mal noch 5 Minuten, rechnete ich aus, so ein Mist! Als sie gerade richtig loslegen wollte und mitteilte, dass nicht wenige Frauen noch als Mittsiebzigerin zur Frauenliebe erblühen, unterbrach der Moderator sie hektisch und nahm den letzten dran, den schwulen Schauspieler Ralph Morgenstern. Der durfte sich dann auch knapp vier Minuten verbreiten. Sogar Yvonne kam noch einmal ganz kurz zu Wort, wurde dabei allerdings zwei Mal unterbrochen. Petra hatte nämlich grade gesagt, sie wünsche sich, dass mehr Frauen „ganz dezent“ auch öffentlich zeigen würden, dass sie sich lieben, z.B. indem sie sich „ganz dezent“ an den Händen hielten. Yvonne Ford nahm darauf Bezug und sagte, zum Glück nicht ganz so dezent, sie wünsche sich, „dass es möglich wäre, zu wissen, dass es sehr viele Frauen wie wir beide gibt in Deutschland“. Darauf konnte Lanz sich nicht mehr bremsen und rief, unter brüllendem Gelächter des Publikums: „Ja ein paar sollten aber auch für uns übrigbleiben, das fänd ich ganz schön für Heterosexuelle so wie Herrn Lütz und mich.“
Dies Gelächter ist für mich der Schlüssel der missglückten Performance des Herrn Lanz. Da machte sich spürbar eine durchaus kollektive Angst Luft. Eine einzelne Lesbe kann man ja noch durchgehen lassen, zumal wenn sie ein zu Herzen gehendes Einzelschicksal nachfühlbar erzählt. Wenn aber eine lesbische Aktivistin auftritt, deren erklärtes Ziel es ist, Lesben zu organisieren und ihnen zu mehr Präsenz und Selbstbewusstsein zu verhelfen - dann hört der Spaß auf, dann muss man die mal mit Nachdruck einschränken. Klug hatte er das eingefädelt mit den superlangen Zeiten für die beiden Eingangshelden, den Herrn Professor und den Herrn Doktor. Wehret den Anfängen, wo kämen wir denn hin, wenn alle Frauen einfach lesbisch würden?!
Dann schon lieber schwule Männer, und so bekam denn Ralph Morgenstern in der Verlängerung, die der Moderator seinetwegen noch anhängte, reichlich Gelegenheit, seiner Vorliebe für Klatsch und Tratsch zu fröhnen.
Ein wichtiges Thema wurde verschenkt und gegen Schluss noch mit unerträglich seichtem Männergeschwätz weggespült.
Wenn Ihr es nicht glauben wollt, könnt Ihr Euch in der ZDF-Mediathek alles selbst anschauen.
Wie Yvonne Ford den Abend erlebt hat, ist hier nachzulesen. •••••••••••• Zwei Tage nach der Lanz-Pleite war in der WDR-Sendung „Kölner Treff“ von Bettina Böttinger zu sehen, wie es gemacht wird: Mit Charme, großer Wachsamkeit und Schlagfertigkeit achtete sie darauf, dass alle Eingeladenen gleichmäßig zu ihrem Rederecht kamen. Medienprofis wie Jürgen von der Lippe und Marie-Luise Marjan pfiff sie nett zurück, wenn sie ausufern wollten, die Nichtprofis ermutigte sie und brachte sie zum Glänzen - sie gingen aus sich heraus, wie sie es wohl selbst nie von sich erwartet hätten. Ich werde Bettina Böttinger bitten, Yvonne Ford baldigst zum Kölner Treff einzuladen.
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21 Kommentare
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12.12.2010 um 13:00 Uhr lfp
danke, Anne! Habe Markus Lanz und die ZDF-Zuschauerredaktion gerade selbst von der Glosse in Kenntnis gesetzt.
12.12.2010 um 12:12 Uhr Anne
hallo liebe evelyn - wir frauen könnten auch luises glosse an die zuschauerredaktion senden - gruss von anne
12.12.2010 um 11:46 Uhr Evelyn
Und noch eine schöne Adresse zum Protestieren:
.(Javascript muss aktiviert sein, um diese Email-Adresse zu sehen)
12.12.2010 um 11:43 Uhr Evelyn
Was uns tagtäglich in den Medien, nicht nur im Fernsehen, geboten wird, spottet nicht nur jeder Beschreibung, es wird sich auch nichts daran ändern, wenn wir Frauen uns nicht wehren. Es ist ein Leichtes - zum Beispiel in diesem Fall - gegenüber der Chefredaktion des ZDF Kante zu zeigen. Ich gebe hier meinen Protestbrief zum Besten:
Sehr geehrte ZDF-Chefredaktion! Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich die Sendung “Markus Lanz” als besonders eklatantes Beispiel für schlechtes Fernsehen in meinem Buch, das bald erscheint und sich unter anderem mit den Medien befasst, dokumentieren werde. Grund: Die Chefredaktion kontrolliert nicht, was sich in dieser Sendung abspielt. Herr Lanz diskriminiert offen Frauen in seinem Gesprächsverhalten. In der gestrigen Sendung wurde den weiblichen Gästen eine so geringe Redezeit zugebilligt, dass es schon einen besonderen Ärger hervorruft, sich damit beschäftigen zu müssen. Fast die ganze Zeit hindurch reden Männer. Herr Lanz hat schon mehrfach ein merkwürdiges Verhalten gegenüber Frauen an den Tag gelegt, wie ich feststellen musste. Da er die Entfaltungsmöglichkeiten der weiblichen Gäste in einer Talk-Show in dieser Weise offen und schamlos beschneidet und als unwichtig hinstellt, kann ich nur sagen: Es handelt sich um eine besonders perfide Form der Gewalt durch Sprache, wie die Sprachwissenschaftlerin und Konversationsanalytikerin Senta Trömel-Plötz schon vor über 30 Jahren festgehalten hat.
Ich komme zu dieser Bewertung: Herr Lanz betreibt in seiner Moderatorenrolle Machtmissbrauch, und dies vor laufenden Kameras. Hinzu kommt, dass er ein ausgesprochen unsympathisches Verhalten an den Tag legt, da ich mehrfach beobachten konnte, wie er sich bei seinen männlichen Gästen geradezu einschleimt - egal, wie niedrig das Niveau der männlichen Gäste in ihren Beiträgen auch ist. Da dies alles ganz offen geschieht, war ich bereits fassungslos bei früheren Sendungen. Jetzt weiß ich: Herr Lanz ist ein Wiederholungstäter, deshalb halte ich diese Sache nicht für korrigierbar. Es bleibt mir nur die wohlüberlegte Aufforderung an Sie: Setzen Sie diese Sendung sofort ab, wir haben etwas Besseres verdient.
Da dies die Chefredaktion einfach so mitträgt, denke ich, dass der Fall dem Intendanten, Herrn Schächter, bekannt werden sollte: Ein solches Verständnis einer Moderatorenrolle schadet dem Ruf des ZDF erheblich. Ihr Motto “Mit dem Zweiten sieht man besser” wird durch eine solche Sendung ad absurdum geführt - denn ich muss Sie heute fragen: “Wer ist man?” Versteht sich, dass zunächst mein gesamter Kreis die Sendung boykottieren wird!
(Eine Kopie des Schreibens habe ich an den Intendanten des ZDF geschickt.)
Es wird uns nicht helfen, den Ärger für uns zu behalten: So bleibt Deutschland, was es ist, ein verkrustetes patriarchales Land. Hier die e-Mail-Adresse, um euch Luft zu verschaffen - auf einfache und ehrliche Weise: .(Javascript muss aktiviert sein, um diese Email-Adresse zu sehen) (mit dem Hinweis: “an die Chefredaktion” versehen). Wieso sollen wir uns eigentlich so etwas weiter bieten lassen?
12.12.2010 um 11:13 Uhr Anne
danke, liebe luise, dass du das thema ansprichst - ich war auch wütend über den verlauf dieser sendung - am liebsten hätte ich `den hahn abgetellt`, weil bei uns i.d. von männern dominierten medienlandschaft immer noch gilt, der mann ist die `norm` , was absolut nicht normal ist. was dabei herauskommt, sieht frau nicht nur i.d. obigen fs-sendung.
ich erinnere bei dieser gelegenheit an den prima artikel von birgit kienzle `hart, aber unfair - vier männer wackeln mit dem schwanz` - ein paradebeispiel der machokultur, die nicht nur in politischen talk-shows gepflegt wird.
http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2010/fruehling-2010/hartaberunfair/
wie erfrischend weiblich, feministisch frauen auf sendung gehen, zeigt nicht nur bettina böttinger ,sondern auch annettes daschsalon in ihrer gestrigen supra 3-sat-sendung zum thema frauen….