Mannbar
Heute wird in Chile gewählt, und wir drücken Michelle Bachelet heftig die Daumen! Es wird Zeit, dass die gelernte Ärztin in ihrem Land für ein besseres Abtreibungsgesetz sorgt. Zur Zeit gültig ist noch das Gesetz aus Pinochet-Zeiten, das jegliche Abtreibung strikt untersagt. Belén, ein elfjähriges chilenisches Mädchen, das jahrelang von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde, ist im siebten Monat schwanger. Im Juli erklärte sie, sie wolle ihr Kind behalten und es lieb haben und im Arm halten wie eine Puppe. Das arme Mädchen ist gehirngewaschen; es fehlt ihr offenbar jegliches Gefühl dafür, was gut für sie ist und was sie braucht. Aber sie ist „geschlechtsreif“ und damit „mannbar“.
Eigentlich wollte ich heute nicht über faschistische Abtreibungsgesetze und die Wahl in Chile schreiben, sondern nur über das seltsame Wort „mannbar“. Aber immer wieder beeilen sich die Männer, Unwörter mit ihren Untaten noch zu übertreffen.
Das Wort „mannbar“ fällt in vieler Hinsicht aus dem Rahmen - die linguistischen Feinheiten möchte ich Ihnen ersparen. In seiner ursprünglichen Bedeutung wurde „mannbar“ für „geschlechtsreife“ und somit - in vielen Gesellschaften - „heiratsfähige“ Mädchen oder junge Frauen gebraucht. Das Mädchen hat zum ersten Mal menstruiert und damit ist sie „mannbar“ - fertig zum Konsum durch den Mann. Allerdings bevorzugen heute ja immer mehr Männer für ihr sexuelles Vergnügen solche Mädchen, die gerade nicht „mannbar“, sondern noch so kindlich wie möglich sind.
Es versteht sich von selbst, dass das Pendant „fraubar“ für den geschlechtsreifen Jungen in unserem Wortschatz fehlt. Allerdings kannte Lessing anscheinend noch das Wort „weibbar“, aber das ist lange her und stammt aus der Zeit, als Frauen noch generell „Weiber“ genannt wurden. Vielleicht hat der muntere 19jährige Lustspieldichter das Wort „weibbar“ für seinen „Misogyn“ auch einfach erfunden. Die Stelle ist so nett, dass ich sie hier zitieren möchte:
SOLBIST: Ich weiß zwar nicht, ob Sie schon Lust hat, sich zu verheiraten; aber die Lust kömmt manchmal ganz geschwind. Sage Sie mirs, wenn sie kömmt. Ich halte ein richtiges Register von allen mannbaren Jungfern, und allen weibbaren Junggesellen in der Stadt. Das lese ich alle Tage ein bis zweimal durch, und sehe nach, welche meiner Hülfe etwa nötig haben könnten. Die Wahrheit zu sagen; ich habe schon einige Mannspersonen mit einem Sternchen angemerkt, die sich ganz wohl für Sie schicken würden.
LISETTE. Wenn sie reich, jung und schön sind, so können Sie gewiß glauben, daß sie sich für mich schicken. Mehr gute Eigenschaften braucht mein künftger Mann eben nicht zu haben. Die andern habe ich.
Die Männergesellschaft erfand das Wort „mannbar“, weil es für sie von Interesse ist, ob ein Mädchen „geschlechtsreif“ bzw. „heiratsfähig“ ist oder nicht. Das Wort „Fräulein“ (das Pendant „Herrlein“ fehlt natürlich) bediente ein ähnliches Interesse und verriet jedem, ob eine Frau bereits einen Besitzer hatte oder nicht. Der Interessent musste nicht einmal peinlich nachfragen; die Auskunft über den Zivilstand der Frau war ungefragt als Teil der Anrede zu liefern.
Lessing sah, dass es auch für eine Frau von Interesse sein kann, ob ein Mann „weibbar“ ist - aber der liebenswerte Aufklärer stand mit dieser Auffassung anscheinend allein da.
Wie dem auch sei - heute wirkt „mannbar“ noch verschrobener als „Fräulein“ und überlebt wohl nur noch in dem ethnologischen Begriff „Mannbarkeitsriten“. Mannbarkeitsrituale markieren die Entwicklung des Knaben zum Mann. Ich will hier nur auf den paradoxen Umstand hinweisen, dass Mannbarkeitsrituale nicht etwa testen sollen, ob eine Frau mannbar ist oder nicht. Geprüft wird mit den Riten vielmehr die männliche Jugend. Übersteht ein Junge oder Jüngling die oft blutigen Prüfungen, wird er in die Gemeinschaft der erwachsenen Männer aufgenommen.
„Fraubarkeitsrituale“ oder „Weibbarkeitsriten“ gibt es hingegen nicht. Frauen bekommen ihre Regel, sie bluten schon von allein - mehr Blutvergießen braucht es wirklich nicht. Manche EthnologInnen sehen in den Mannbarkeitsriten der Männer den fragwürdigen Versuch, es den Frauen ansatzweise gleichzutun. Dies könnte den seltsamen Gebrauch von „mannbar“ für beide Geschlechter erklären.
Ich finde, „Mannbar“ eignet sich allenfalls als Name für eine Bar. Im Internet habe ich keine Bar dieses Namens gefunden, dabei sind doch gerade bei den Bars Wortspiele so beliebt, von der Bar Celona über die Frucht- und die Wunderbar bis zur Bar jeder Vernunft. Sonderbar.
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2 Kommentare
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18.11.2013 um 16:47 Uhr Amy
Unglaublich, wie das Patriarchat mit `mannbar` signalisiert/e, schon recht früh junge Frauen, Mädchen in gebärfähigem Alter benutzbar zu machen. Als Konsumware zur sexuellen Befriedigung stehen und standen sie also frühzeitig und ganz legal im Dienste des Mannes; ob Kinderehe, Zwangsheirat , auch in der Prostitution zeigt sich das ganze hässliche patriarchöse Übel der Menschheitsgeschichte. Heute endlich wird das Thema Prostitution öffentlich gemacht, das von den Profiteuren und den abscheulichen Sexkäufern in ihrem Männlichkeitswahn mit allen Mitteln versucht wird zu verteidigen. Absolut stimmig, die fürchterlichste Reife ist wohl die Geschlechtsreife, bedeutet/e sie für Mio Frauen, Mädchen die Barbarei, für die Mannbaren dagegen Lustbarkeit . Das alles macht so wütend!
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13680142.html
18.11.2013 um 11:16 Uhr Lena Vandrey
Herrlein gibt es zwar nicht, aber HERRCHEN gibt es und JUNGCHEN gab es. Das Mädchen und das Jungchen.
Herrchen meint einen eingebildeten Laffen und Möchtegern, wird kaum noch angewandt, befindet sich aber in der Literatur der vorigen Jahrhunderte und ist negativ besetzt. Das Herrchen ist weibbar, klingt nach gutem, alten Deutsch. Das Mädchen ist mannbar, klingt fatal. Heiratsfähig weist direkt auf die Schwangerschaftsfähigkeit hin und passt nicht zu Mädchen. Ab den ersten Menses wird ein Mädchen als Frau betrachtet, das bedeutet das schreckliche Wort geschlechtsreif.
Die ersten Menses mit 9 Jahren bei einem Schulausflug erschienen mir als eine Krankheit, und zwar als eine obszöne, denn die anderen Mädchen lachten schadenfroh darüber. Wir schliefen auf Strohmatten und somit stopfte ich mich mit Stroh voll. Aber das Schlimmste sollte noch folgen: Meine Mutter nahm mich in die Arme und sagte: Nun bist du eine kleine Frau! was mir eine groBe Übelkeit verschaffte. Ich wollte keine Frau sein! und eine rote Blutspur hinter mir herziehen!
Für meine Generation war der Ankauf von Binden, damals in der Apotheke, eine Qual, Scham und Schande. Oftmals nahmen Mädchen Zeitungspapier und Lappen, um sich das zu ersparen, mit Folgen wie Abschürfungen und Ekzeme.
Die “Geschlechtsreife” dürfte nicht von den Menses abhängen, auch nicht von der ersten Ejakulation, sondern nur von dem Alter: Ab 18 Jahren und vorher nicht. Vormals war es feministisch die Mode, auf Cartoons kleine Mädchen zu zeigen, welche begeistert über den Tampax-Stöpsel waren, die Fädchen hingen sichtbar heraus. Wie sie das wohl gemacht haben? Aber lieber Schmerzen als die scheuBliche Binde, die rote Windel! In früheren Gesellschaften gab es wenig Menses, da die Frauen permanent schwanger waren. Auch eine Lösung.
Die fürchterlichste Reife ist wohl die Geschlechtsreife, das Ende der Kindheit im eigenen Blut…