Leget euch dem Heiland unter
Wie jeden Sonntag habe ich mir auch am gestrigen Palmsonntag sämtliche Bachkantaten heruntergeladen, die von NDR, MDR, BR, SWR und RBB gesendet wurden. Jeden Sonntag ernte ich auf diese Weise fünf Kantaten, manchmal sind es verschiedene, denn Bach hat ja etliche Kantatenjahrgänge komponiert, und so entfallen denn auf jeden Sonntag meist verschiedene Kantaten. Manchmal bringen die Sender aber auch alle dieselbe Kantate, und wenn es gutgeht, bekomme ich dann schon mal fünf verschiedene Aufnahmen ein und derselben Kantate. Das Vergleichen macht großen Spaß. Gestern war wieder so ein Glückstag. 4 Sender brachten die Kantate „Himmelskönig, sei willkommen“ BWV 182, in Aufnahmen mit Thomas Gropper, Masaaki Suzuki, John Eliot Gardiner und David Timm.
Beim Komponieren des Sonntags-Müslis höre ich schon mal gut eine ganze Kantate weg. So auch gestern. Ich zerkleinerte Nüsse und Früchte im Rhythmus der köstlichen Melodien, lauschte dem frommen Gesang der Altistin, die sehr sparsam nur von einer Blockflöte plus Continuo begleitet wurde, da merkte ich auf. Was sang die Dame?? „Leget euch dem Heiland unter“ sang sie mit ihrem betörenden warmen Alt, dazu tirilierte bestrickend die Blockflöte, oder sollte ich sagen Schalmei?
„Leget euch dem Heiland unter“ - echt jetzt? Wieso das denn? Was soll das heißen, fragte ich mich verdutzt. Wir kennen ja viele christliche Liebeslieder über den innigen Verkehr zwischen Christus, dem Bräutigam, und der Seele (oder Gemeinde, oder Kirche), seiner Braut. Aber gleich „Leget euch dem Heiland unter“ - geht das nicht ein bisschen weit?
Hatte ich mich vielleicht verhört? Keineswegs, die fabelhafte Susanne Langner nuschelt nicht, hat auch keinen fremdländischen Akzent, und verlangte immer wieder deutlich und nachdrücklich: „Leget euch dem Heiland unter!“ (insgesamt genau 16 Mal, habe ich später nachgezählt). Sie war inzwischen aber schon ein Stück weiter in ihrem Text, und ergänzte: „Herzen, die ihr christlich seid!“. Gleich darauf verlangte sie noch obendrein:
Tragt ein unbeflecktes Kleid
Eures Glaubens ihm entgegen,
Leib und Leben und Vermögen
Sei dem König itzt geweiht.
Das wird ja immer schöner, dachte ich, während ich irritiert eine Banane zerkleinerte. Auch noch unbefleckt, da hat sich Bachs Textlieferant (Salomo Franck) ja was Nettes zusammengedichtet. Bachs Musik versöhnt bekanntlich mit fast allen Textzumutungen - aber so ein unverschämtes Besingen des Machtgefälles zwischen dem Herrn Himmelskönig und seiner Braut, die sich ihm nicht nur unbefleckt „unterlegen“, sondern ihm auch noch „Leib, Leben und Vermögen“ weihen soll, ganz wie im richtigen, irdischen Eheleben, das war denn doch ein bißchen starker Tobak.
Es wurde auch bei der nächsten Version der Kantate nicht besser, in der ein Altus (männlicher Alt) die Arie sang. Ob sich Männer oder Frauen dem Heiland unterlegen, ist dann auch schon egal.
Ich fand diese Arie so seltsam, dass ich versuchte, mehr über sie zu erfahren. Ich lernte folgendes:
Die Kantate zum Palmsonntag illustriert den Einzug Jesu in Jerusalem. Er kommt auf einem Esel geritten: „Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf der Straße aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg“ heißt es dazu im Matthäus-Evangelium. Die Fans rollen sozusagen den roten Teppich vor Jesus aus und bereiten ihm einen jubelnden Empfang: „Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids!“
In Alfred Dürrs Kantatenkommentar heißt es zu der Arie „Leget euch dem Heiland unter“: „Der Einzug Christi in Jerusalem soll zugleich auch der Einzug in unser eigenes Herz sein. … Dann … wird der Christ … aufgefordert, wie einst das Volk von Jerusalem seine Gewänder, so nun das Herz als ein unbeflecktes Zeugnis des Glaubens dem Heiland zu Füßen zu legen.“ Damit der bzw. der Esel darüber hinwegtrampeln kann? Aua! Das klingt ziemlich weit hergeholt, aber wir wollen diese Verharmlosung, um nicht zu sagen Desexualisierung, jetzt mal so stehen lassen.
Bei Google Books fand ich in einem musiksatirischen Werk folgendes zu „Leget euch dem Heiland unter“:
„Sein Blick fiel zunächst auf die gewohnten … erbaulichen Wendungen, aber aus den Zeilen der zuunterst liegenden Blätter schlug ihm auf einmal ein ganz anderer Ton entgegen. Er traute seinen Augen nicht: dieselben Jamben, dieselben Trochäen, aber was für ungewohnt dunkel-sinnliche Metaphern und Bilder. Evoziert von so zweifelhaften Textstellen wie „Leget euch dem Heiland unter […]“ und „du heißgebratnes Osterlamm, du mein ersehnter Bräutigam“, die die Forschung lange als mystische Schwärmerei zu interpretieren vorzog, entstanden vor Gottlieb Theodors innerem Auge Phantasiegebilde, die denen eines Hieronymus Bosch in nichts nachstanden.“ (Aus Facta musicologica: Musikgeschichte zwischen Vision und Wahrheit. Hg. von Gilbert Stöck, Katrin Stöck und Golo Föllmer. 2003. S. 155)
Sie sehen, nicht nur Feministinnen, sondern auch Witzbolde haben Mühe, den frommen Gehalt der Arie „Leget euch dem Heiland unter“ richtig zu erfassen.
Trotzdem: Ich empfehle die Kantate „Himmelskönig, sei willkommen“ uneingeschränkt; musikalisch ist sie ein Genuss, auch nach viermaligem Hören wurde sie mir nicht langweilig. Auf Youtube gibt es viele Versionen der Altarie „Leget euch dem Heiland unter“, von denen Sie sich wenigstens eine gönnen sollten.
Bleibt mir zum Schluss nur ein Kommentar zu dem Esel, auf dem Jesus in Jerusalem einritt. Oder war es eine Eselin? Oder eine Eselin und ihr Fohlen? Ist vielleicht auch nicht so wichtig. Hier finden Sie interessante linguistische Überlegungen dazu, ob Jesus auf einem Esel, einer Eselin - oder gar auf zwei Tieren gleichzeitig geritten kam. Viele Kommentatoren meinen, es sei wichtig, dass es ein Esel und kein Pferd war. Denn Jesus war friedlich und bescheiden und das Gegenteil des typischen Kriegsherrn hoch zu Ross (üblicherweise: zu Hengst), wie wir ihn von Reiterstandbildern kennen. Und wenn es noch nichtmal ein Esel war, sondern nur eine schon qua Geschlecht mindere Eselin, so wirkt der Himmelskönig noch eine Ecke bescheidener und friedfertiger. Und somit wäre das weibliche Geschlecht sogar in der Bibel mal zu etwas gut gewesen!
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2 Kommentare
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11.04.2017 um 13:27 Uhr Lena Vandrey
Ob Esel oder Eselin, auf jeden Fall wurden die Tiere geschlagen, gepeinigt und ausgepeitscht ... Sowie die Frauen und Mädchen wegen ihrer Unreinheit ... Außer Anna und Maria - ein Fall der Parthenogenese - kann es zu keiner unbefleckten Empfängnis kommen, die Empfängnis ist befleckt, das ist ihr Sinn und Zweck.
Alle Religionen brauchen dringend Reformen, jedenfalls ihre orthodoxe Seite, und das hieße, abscheuliche Texte zu entfernen und die Musik allein reden zu lassen.
... Es gibt auch nicht einen Philosophen und Religionsdenker, der Frauen einbezogen hätte ... “Dem Heiland unterliegen” bedeutet wohl sich unterwerfen, und das ist das Prinzip jedweder Politik. Die Emanzipation der Religionsbevölkerung ist gefordert. Wir verlangen es vom Islam, aber nicht von uns selber. Ermüdend ist das, empörend ist das ...
Der Heiland gefällt ja auch nicht aller Welt, es wird nur so getan, als ob ... Weib, was hab’ ich mit dir zu schaffen ...
Ein berühmter Psychoanalytiker sagte einst : Die Frau gibt es gar nicht. Darauf antwortete eine Feministin : Den Vater gibt es eigentlich nicht.
Nun wünsche ich Euch allen ein frohes Ostern mit Häschen und bunten Eiern ... und dass das Müsli trotzdem schmeckt ...
10.04.2017 um 21:02 Uhr Amy
Das sind ja interessante Neuigkeiten , aber ich hoffe weiter auf einen weiblichen Heiland und die Kunst der Parthenogenese, damit frau sich weder `unter` noch `auf` den Heiland zu legen hat. Es gibt anscheinend verschiedene Deutungen zur Eselin und ihrem Füllen , wozu sich die heiligen Väter nach ca. 1800 Jahren so ihre Gedanken machten. Zitiert: `Das Füllen, auf welchem nach dem Evangelium noch kein Mensch gesessen hatte (Markus 11,2) , bedeutet das Heidentum, welches bis dahin noch niemand gebändigt hatte`. Da haben einige Patriarchen aber weit ausgeholt. Doch die Eselin ist ja bekannt für ihre Bockigkeit und störrisch ist sie auch (gut so) . Sowohl der Seher Bileam ritt auf einer Eselin den Israeliten entgegen , zum Dank erhielt sie Schläge. http://derkatholikunddiewelt.blogspot.de/2013/03/was-symbolisieren-die-eselin-und-ihr.html - https://www.kirche-heute.ch/kirche-heute/beitraege/5impuls/2012-17-Impuls.php