La pazza e Lavazza
Gestern mußte ich am Hauptbahnhof Hannover vier Minuten auf meine U-Bahn warten. Direkt vor uns Wartenden hatte sich zwischen den Gleisen unentrinnbar ein riesiges Reklameschild von Lavazza aufgepflanzt:
Offenbar eine Anspielung auf Romulus und Remus und die römische Wölfin: Gezeigt wird eine wild blickende Frau, unter ihrem Gesäuge sitzen zwei herzige Kindlein unklaren Geschlechts. Der Rücken der schönen Wilden ist mit einem knappen Fell bedeckt, das aber - Gott bewahre - nicht etwa den Blick auf die superlangen Beine verdeckt.
Was das Bild mit Lavazza Espresso zu tun hat, konnte ich nicht so schnell erkennen, nur die Anspielung auf Rom -> Italien -> Espresso. Ecco!
Vierzig Jahre Protest der Frau gegen ihren Missbrauch als Blickfang haben also nichts genutzt, dachte ich missmutig. Trotzdem beschloss ich, mich beim Deutschem Frauenrat und Deutschen Werberat über diese Umweltverschmutzung und gezielte Entgleisung zu beschweren.
Bevor ich das tat, recherchierte ich im Internet über das Lavazza-Plakat und fand zu meiner Verblüffung heraus, dass es Teil einer Photo-Serie ist, die keine Geringere als Annie Leibovitz für den Lavazza-Kalender 2009 inszeniert hat.
Also werde ich die Beschwerde erstmal sein lassen, habe ich doch Annie Leibovitz gerade erst in meinem eigenen Kalender Berühmte Frauen 2009 zum 60. Geburtstag für ein Wochenporträt ausgewählt, nachdem im Jahr zuvor ihre verstorbene Lebensgefährtin Susan Sontag sogar das Titelbild zierte.
Macht es aber einen Unterschied, ob ein sexistisches Plakat von einem Mann oder einer Frau stammt? Wohl nicht - das Problem mit Annie Leibovitz ist, dass sie eine Feministin ist. Jedenfalls habe ich sie immer für eine gehalten. Die "bedeutendste Ikonographin der amerikanischen Popkultur" (FAZ) "hat das kollektive Bildgedächtnis seit den 70-er Jahren maßgeblich mitbestimmt. Zu ihren bekanntesten Bildern zählen: John Lennon, der sich nackt und in embryonaler Haltung an Yoko Ono schmiegt, ... oder Demi Moore, hochschwanger als Akt auf dem Titelcover von Vanity Fair." (Linda Marie Schulhof in ihrem Leibovitz-Porträt im Kalender 2009).
Vielleicht sieht Annie Leibovitz das aber alles nicht so verkniffen und verbissen wie ich. Warum soll eine Feministin nicht auch mal mit einer nackten Frau, lecker und al dente auf einem Teller Spaghetti serviert, für Lavazza Reklame machen und so ihr Geschäft ankurbeln? Vielleicht hat Annie ihr Vermögen durch Lehman Brothers verloren und muß dringend Knete ranschaffen.
Den Titel des Lavazza-Leibovitz-Kalenders ziert ein Venedig-Motiv. Venedig, die Stadt der Maskenbälle, wird symbolisiert durch eine Frau in weißer Unterwäsche mit einer weißen Halbmaske in Form einer Espressotasse. Hintergrund ist der photogene Markusplatz.
Und wie wäre es, wenn da stattdessen ein cooler Schwarzer nackt als Othello posiert hätte? Oder wenn Annie Leibovitz einen leckeren nackten Kerl in die parmesan-verschmierten Nudeln gesteckt hätte? Bezüge zwischen männlicher Nacktheit und Nudeln gibt es ja genug. Auch der Kaufmann von Venedig wäre nackt sicher ein echter Hingucker.
Leider musste ich jeglichem Espresso schon vor Jahrzehnten entsagen, denn ich bekomme davon Durchfall. Aber ich fürchte, ich muss trotzdem mal bei Lavazza vorsprechen und mich als Ideenlieferantin empfehlen, um die arme Annie etwas zu entlasten. - Einen Titel für mein Projekt habe ich auch schon: La pazza e Lavazza (die Verrückte und Lavazza).
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9 Kommentare
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20.08.2009 um 22:48 Uhr Fraulenzen
Inzwischen glaube ich auch , dass Annie Leibovitz durch fehlende Knete zur obigen Kalender-Aktion inspiriert oder getrieben wurde. Inzwischen hat sich ihr Schuldenberg dramatisch erhöht. Bei einer Pleite könnte sie ihr gesamtes Lebenswerk verlieren. Hoffentlich nicht!
Aber das merkwürdige Kuschelfoto mit John Lennon in embryonaler Haltung hat mir nie zugesagt. Auch manche Fotos der obigen Lavazza-Serie wirken eher bedrückend auf mich , die Frauen wirken wie Marionetten ....
11.12.2008 um 18:54 Uhr Zander!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich hätte mal ne ganz andere Frage: Wisst ihr welches Model da abgebildet ist ???
Würde mich über eine Antwort freuen
MfG. Zander
06.12.2008 um 21:20 Uhr Silvia
Liebe Luise,
warum koennen Sie diese kuenstlerischen -und im Uebrigen sehr aestethischen- Fotografien nicht als solche einfach SEIN lassen? Ueber den nackten John Lennon regen Sie sich ja auch nicht auf, oder? Ich vermisse manchmal den humorvollen Blick bei Ihnen :) Womoeglich plant Annie Leibovitz ja schon den naechsten Kalender… à la LAVAZZOOOOOOOOOOOOO…
Liebe Gruesse, Silvia
01.12.2008 um 08:49 Uhr Heide
Wenn ich mir die Bilder ansehe, vergeht mir der Appetit, sowohl auf Nudeln als auch auf Espresso. Abgesehen davon, dass nicht alle denselben Frauentyp attraktiv finden (fuer Maenner reicht’s anscheinend, dass sie nackt sind), finde ich die Bilder nicht mal kuenstlerisch besonders ansprechend.
26.11.2008 um 12:35 Uhr Regina Steingräber
liebe luise,
ich frage mich manchmal auch, wann sexismus beginnt oder aufhört.
ansich spricht nichts gegen ein schönes nacktfoto.
nur wenn er zur ware wird wie bei produktwerbung, hört für mich der spass auf.
24.11.2008 um 19:44 Uhr Anne
Hab`ich ganz vergessen - natürlich schliesse ich mich Undine und Alison an “wir sollten nicht wegschauen, sondern unseren Unmut auch gegenüber Lavazza äußern”. Basta!
24.11.2008 um 19:29 Uhr Anne
Oh weh, dieses Lavazza-Werbedesign soll also im Land der Mode ital. Lifestyle schmackhaft machen? Die Fotos von entseelten `Schaufensterpuppen` lassen mich eher frösteln und zum Aufwärmen an Glühwein denken ...
Aber es heisst ja, Männer trinken mehr und lieber Espresso als Frauen und schätzen Kaffeegetränke, die sie schnell zubereiten können -
und i.d. Lavazza-Fotoserie werden Frauen optisch wieder einmal `durchsichtig` wie ein Gebrauchsgegenstand aufgetafelt zur schnellen Bedienung.
Schade - zur Tradition ital. Lebensart gehört doch eigentlich ganz oben der Macho im Ferrari etc. pp? Wo ist er, der Imperator mit Nudelholz, Lorbeerkranz, Sandalen, blutgetränkt in roter Nudelsosse - pastatauglich!
Warum in die Ferne schweifen - speziell dachte ich an den Macho Silvio Berlusconi, der sich vor ein paar Monaten mit Macho-Sprüchen und abfälligen Bemerkungen über die vielen Frauen im spanischen Kabinett wie folgt in Pose setzen liess: “Die spanische Regierung sei zu rosa. In Italien sei dies nicht möglich, weil es mehr Männer in der Politik gebe und es schwer sei, qualifizierte Frauen zu finden. Mit Blick auf die zahlreichen Ministerinnen im Kabinett von Zapatero sagte B. laut `El Pais` außerdem: er wird Probleme haben, sie zu “leiten”.” :-((
Wer möchte schon mit dem Macho B. - immerhin e. der vielen männl. Lifestyle-Modelle mit einem undurchsichtigen Hintergrund - wirklich zusammenarbeiten.
Espresso vertrage ich leider auch nicht - dafür lieber eine leckere Cappuccina - auf keinen Fall einen LavazzO, der mit obiger Werbung so gar nicht nach meinem Geschmack duftet.
Die Firma Funice z.B. denkt praktisch und bietet Weihnachtsgeschenke für die Frau an - das Highlight ein “Bügelbrettbezug nackter Mann in Big Boy-Grösse und 1oo%iger Baumwolle”. Frau soll natürlich wieder für mehr Hausarbeit geködert und besser motiviert werden…
Ich bügel recht gerne ohne Big Boy, denn was mann so nackt trägt, ist mir eh wurscht.
Vielen Dank, liebe Luise, für LA PAZZA E LAVAZZA!
llg Anne
24.11.2008 um 17:40 Uhr Alison
Ja, ich, an deiner Stelle, wurde mich nicht nur bei Lavazza beschweren, sondern auch bei Annie L. - so von Feministin zu Feministin…