Kutte, Kopftuch, Tschador - Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Was haben Mönche mit Rockerbanden gemeinsam? Bisher dachte ich: Nicht viel - aber wie ich letzte Woche erfuhr, tragen die beiden so unterschiedlichen Communities gleichnamige Kleidung, nämlich Kutten. Die Mönchskutte hat eine lange Geschichte, die ins Mittelalter zurückreicht, die Rocker-Kutte gibt es erst seit ein paar Jahrzehnten. Über die Wurzeln (Etymologie) des Wortes „Kutte“ gibt Heinrich Tischner erschöpfende Auskunft. Ich erfuhr auf seiner eindrucksvollen Sprach-Seite, dass „Kutte“ auch mit „Tschador“ und „Schal“ verwandt ist.
In die Nachrichten kam die Kutte letzte Woche, als der Bundesgerichtshof das bis dahin geltende Kuttenverbot für die Bandidos aufhob. Bis dahin galt deren Kutte als "Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung“ und „Mittel der Einschüchterung“. Mönche dagegen hatten noch nie unter einem Kuttenverbot zu leiden.
Obwohl ich weder von Mönchen noch von Rockern viel Ahnung habe - Männerbünde jeglicher Art stehen mir ziemlich fern - machte ich mir so meine Gedanken zum Kuttenverbot und seiner Aufhebung. Erinnert die Sache doch auffällig an die Aufhebung des Kopftuchverbots. Bei oberflächlichem Hinsehen könnte frau meinen, das Kopftuchverbot hätte einige Frauen in ihrer Freiheit eingeschränkt und das Kuttenverbot einige Männer, und nun können Frauen wie Männer sich wieder kleiden wie sie wollen, alles in Butter. In Wirklichkeit dienten beide Verbote - in unterschiedlicher Weise - weiblichen Interessen, die Aufhebungen dagegen männlichen.
Obwohl Mönche und Biker auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben scheinen - Mönche streben ein heiligmäßiges Leben an und Rocker eher das Gegenteil - hat doch die Kutte bei beiden eine ganz ähnliche Funktion, nämlich die einer Uniform. Die Kutte soll die Zugehörigkeit zur Gruppe der Mönche bzw. der Rocker nach außen kenntlich machen und nach innen Kohäsion stiften.
Uniformen sind und waren immer überwiegend Männersache. Für Rocker-Clubs - Hells Angels, Bandidos, Gremium MC und wie sie alle heißen - sind weibliche Mitglieder undenkbar, die Mönchsorden erlauben ebenfalls keine. Die Unterschiede zwischen den Kutten, markiert durch Farben, Schnitt, Abzeichen (Patches) etc. zeigen an, welcher Gruppe der Kutten- oder Uniformträger angehört und welchen Rang er in seiner Gruppe hat, sei es die Rockerbande, der Mönchsorden, das Militär oder sonst ein Männerbund.
Die Kirche kennt natürlich auch weibliche Orden, und die haben auch ihre spezifischen Uniformen. Diese heißen aber nicht Kutte, sondern Habit oder Tracht.
Und was ist nun mit dem Kopftuch oder -schal (Hijab), dem Niqab, dem Tschador und der Burka - jenen Uniformen, die viele Musliminnen tragen oder tragen müssen? Sie machen deren Zugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft nach außen kenntlich. Insofern sind sie der Mönchskutte oder der Nonnentracht nicht unähnlich und erinnern ja auch äußerlich ein wenig daran. Dennoch besteht zwischen der Nonnentracht und dem Kopftuch (Hijab) oder gar dem Tschador, dem Niqab und der Burka der Musliminnen ein bedeutsamer Unterschied: Kopftuch, Tschador, Niqab und Burka bezeugen die überwiegend nicht selbstgewählte Religionszugehörigkeit, nicht die selbstgewählte Zugehörigkeit zu einem Orden. Außerdem gibt es auf männlicher Seite kein Pendant wie die Mönchskutte katholischer Orden. Die Vorschrift, einen Bart zu tragen, ist mit der Vorschrift, unter einer Burka oder einem Niqab gesichtslos zu werden, nicht vergleichbar.
In ihre Religion wird frau in der Regel hineingeboren. Die oftmals extrem hinderlichen verhüllenden Gewänder wie Niqab, Tschador oder Burka werden den Musliminnen von ihren Glaubensbrüdern vorgeschrieben. Frauen, soweit sie ihre kleinen Töchter frühzeitig entsprechend verkleiden, sind nur die Vollzugsbeamtinnen der von Männern erdachten und verhängten Kleiderordnung.
Insofern sind Tschador, Niqab und Burka eher mit Häftlingskleidung vergleichbar. Es überwiegt nicht der Aspekt des stolzen Bekennens einer selbstgewählten Identität, sondern der der Identitätsauslöschung und der Kenntlichmachung einer aufgezwungenen Identität. Eine Ausnahme sind natürlich diejenigen Frauen, die als Erwachsene dem Islam beigetreten sind und die Kleidervorschriften für Frauen freiwillig befolgen. In den übrigen Fällen dient die von außen aufgesetzte Kenntlichmachung nicht den Interessen der Häftlinge oder der Frauen in Einheitskleidung, sondern denen ihrer Aufseher. Einzige Ausnahme: Schul-Uniformen, die eine sinnvolle Maßnahme gegen den Zwang zu Markenklamotten unter Jugendlichen sein können.
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12 Kommentare
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16.08.2015 um 00:22 Uhr Amy
Schuluniform oder Schulbekleidung haben nichts mit militärischer Uniformiertheit zu tun, machen aus den Schülerinnen keine reinen Befehlsempfängerinnen.
Modefragen und egozentrische Selbstdarstellung bleiben von Beginn der Schulzeit an außen vor. Bei der Schulkleidung können hier sogar die Schülerinnen die Bekleidung mitbestimmen und aus verschiedenen Kollektionen aussuchen.
Da die gängige (Alltags-)Mode vielseitig ist und vor allem uns Verbraucherinnen mehr oder weniger aus verkaufstechnischen Gründen aufgezwungen wird und den Geldbeutel empfindlich treffen kann, finde ich es richtig, wenn SchulKinder frühzeitig über die einheitliche, vielfältige Schulkleidung einen anderen Blick auf eine `modische` Uniformiertheit, die letztlich fast unser ganzes Privat-/Leben bestimmt, erhalten. Schulkleidung wirkt zudem dem `Markenwahn` entgegen und fördert ein besseres Sozialklima.
Aber es gibt sie, die besondere Spezies der Menschheit - nicht mehr unbedingt in militärischer Uniform mit viel Deko , sondern in modischer Uniformiertheit , sozusagen die Herren in Nadelstreifen , die sich letztlich als Nieten in `Nadelstreifen-Anzügen` behauptet haben , und zwar bis in die Gegenwart hinein.
11.08.2015 um 13:59 Uhr Christoph Päper
„Uniformen sind und waren immer überwiegend Männersache.“
Nein! Uniformen sollen einerseits abgrenzen (von anderen Uniformen und von „Pluriformen“) und andererseits gleichmachen. Mal wiegt der eine Aspekt schwerer, mal der andere. Sie erleichtern es, kontextlos Tätig- und Fähigkeiten von Menschen zu erkennen, was besonders im beruflichen Umfeld praktisch sein kann. Viele Berufe erfordern mehr oder weniger zwingend Uniformen. Viele Berufe werden immer noch überwiegend von Männern ausgeübt, darunter viele Uniformberufe. Vielleicht ruht darauf diese Einschätzung.
Ich wage die These, dass sich nicht von Amts wegen dazu gezwungene Frauen stärker uniformieren als Männer, aber ihre Uniformen lassen mehr Varianten zu – man nennt das „Mode“.
26.07.2015 um 14:44 Uhr anne
Die `schuluniform` bzw. die schulkleidung kann heute sehr vielseitig aussehen. Es muss kein zwang bestehen, dass mädchen zur schule nur röcke tragen müssen. Die schulkleidung sieht ebenso für schülerinnen hosen vor. Aber für die jungs wird b.d. schulbekleidung eher davon ausgegangen, dass sie sich in hosen kleiden? Dabei wäre über die schulkleidung eine möglichkeit gegeben, dass auch jungs wie selbstverständlich röcke tragen können. schulkleidung macht`s möglich?
http://de.euronews.com/2014/05/16/in-frankreich-gehen-jungs-in-roecken-zur-schule-protest-gegen-sexismus/
25.07.2015 um 17:43 Uhr Mazza
Ich liebe Luises Glossen : Interessant finde ich auch die Etymologie des Wortes `Kutte` = Arbeitskittel. Da fiel mir die `Kittelschürze` ein; die Schürze über Jahrhunderte als textil gewordener Ausdruck weiblicher Unterdrückung. Bestickte Schürzen für den Sonntag ; Rüschenschürzen für die Dienstmädchen; Schulmädchen trugen Schürze und die brave Hausfrau in ihrem Herd-Dasein trug Kittelschürze als Symbol ihres Frauendaseins. Und - so wird berichtet - war die Kittelschürze jahrzehntelang ein Stück atlantischer Wertegemeinschaft. Amerikanerinnen trugen sie ebenso wie Deutsche, Italienerinnen, Spanierinnen, Engländerinnen. Aber auch in der Werbung durfte die Kittelschürze nicht fehlen. http://www.masterfile.com/stock-photography/image/846-06111898/1950s-HOUSEWIFE-IN-APRON-STIRRING-FOOD-IN-SAUCEPAN-ON-STOVE
Die `Food-Administration` propagierte eine Art `Küchenuniform für die Hausfrau` und im Fernsehen zeigte sich Mamma Hesselbach, die ihren Ehemann nur `Babba`nannte, in Küchenuniform; ebenso Inge Maysel als `Mutter der Nation` in den `Unverbesserlichen` bis hin zu Else Tetzlaff als `dusselige Kuh` in `Ekel Alfred`. Sie trugen alle eine Schürze.
Die alte Zeitschrift `Neue Frauenkleidung und Kultur` aus dem 1. WK verordnete folgendes den Frauen: „Die Kleidung der arbeitenden Frau hat niemals die Aufgabe, die Schönheit der Frau in dem Sinne zu heben, daß sie als weibliches Geschlechtswesen reizvoller und anziehender wird.“ Und gerade da, wo die Frauen mit fremden Männern in Kontakt kämen, solle sie „nicht allein Schutz gegen gesundheitsschädigende Einwirkungen der Arbeit und Schutz gegen Gefahr durch Maschinengetriebe bieten, sondern sie muß auch gewissermaßen einen sittlichen Schutz gewähren.“
Und mit der typ. Uniformiertheit der gefälligen muslim. Frau mit Kopftuch, Niqab, Tschador, Burka etc. wird ihr ja ähnliches aufgetischt. http://frauenrechte.de/online/index.php/gne/1750-kopftuch-bis-zur-burka-im-islam-nur-eine-frage-der-deutung
22.07.2015 um 18:57 Uhr mycroft
Fußballschals dienen der Abgrenzung, der Cliquenbildung und dem Gruppenzwang. Ganz sicher will ich das nicht verharmlosen.
Der Punkt, auf den ich hinaus wollte, ist der, dass es für Außenstehende schwierig ist zu erkennen, ob jemand das Kleidungsstück aus innerer Überzeugung oder äußerem Druck trägt.
Ob das jetzt “typisch männlich” gedacht ist, kann ich als Betroffener schlecht beurteilen. Es gibt Männer, die Religion ablehnen, aber begeisterte Sportfans sind, und solche Vergleiche überhaupt nicht mögen. Sind das die “untypische Männer”, oder eher ich?
21.07.2015 um 14:23 Uhr Jutta Kühnel
Danke, anne, ganz Deiner Meinung! Und die Lektüre der vortrefflichen Hedwig Dohm,z.B. “Die Antifeministinnen”, könnte ich - 114 Jahre nach Herausgabe - so manchem und mancher dringend ans Herz legen. Wahrer Geist im Dienste einer guten Sache “veraltet” eben nicht…
20.07.2015 um 23:02 Uhr Kaiserin
Hallo Luise, vielen Dank für deinen Artikel und die wieder neue Sicht auf unsere Kultur.
Zur Schuluniform ist noch anzumerken, dass diese sexistisch ist, da diese Röcke für die Frauen vorschreibt. Abgesehen davon kann der Status dann wieder an den Taschen, Schuhen und Kleinkram erkannt werden. Aber theoretisch gut.
19.07.2015 um 14:39 Uhr anne
prima auf den punkt gebracht, liebe Luise! immer wieder auch dein zitat, das ich hier anbringen will: “Das muslimische Patriarchat verlangt, dass die Frau sich verhüllt, das westliche Patriarchat verlangt, dass sie sich auszieht.”
genau, und solange wir in dieser herrschaftlichen umwelt voller sexismus, sex sells, pornografie und verharmlosung leben und in der das `patriarchat` großen einfluß auf uns weibliche menschen besitzt, sollten feministinnen sowohl `kopftuch, kutte, tschador, burka ` als auch unsere hypersexualisierte und pornofizierte umwelt kritisch überblicken. dafür ernten wir vor allem von männern und befürwortern dieser sexistischen kultur hässliche kritik.
deshalb gefällt mir auch der artikel in der EMMA “es geht auch anders, Claudia”. http://www.emma.de/artikel/hallo-claudia-es-geht-auch-anders-318371
wieder einmal typisch männlich gedacht? einen schalke- oder bvb-schal gleichzusetzen mit einem kopftuch? das ist wieder eine art der verharmlosung. wo doch nur weiblichen menschen das stigma kopftuch, burka, tschador usw. übergestülpt wird, während die männer sich ohne kopftuch, burka, tschador ganz frei bewegen können. im Iran wurden/werden die frauen nicht einmal zu einem fußballspiel der männer zugelassen. und wenn frauen aucht dort sport betreiben wollen (z.b. fußball), dann müssen sie sich von oben bis unten verhüllen bzw. sich unter eine `zwangsjacke` verstecken; sogar im freibad gilt für viele das `islamisch = gott-mann-gefällige` auftauchen von frauen, indem sie sich gänzlich `korrekt verhüllen`.
ist auch schalke göttlich? gottgefällig bzw. gleich manngefällig (denn gott ist ja männlich konstruiert).
als feministin und frauenidentifizierte frau lehne ich beide o.a. patriarchalen vorgaben ab und lege mich nicht mit diesen `gott gleich mann-gefälligen` ins bett, nach deren gesetzmäßigkeit und vorstellungen frauen, mädchen sich entweder zu verhüllen oder sich nackt vor den/dem `herren` zu präsentieren haben. sich dagegen aufzulehnen bedeutet für mich: “Mehr Stolz, ihr Frauen! Wie ist es nur möglich, dass ihr euch nicht aufbäumt gegen die Verachtung, die euch noch immer trifft. - Auch heute noch? Ja, auch heute noch. (...) Mehr Stolz, ihr Frauen! Der Stolze kann missfallen, aber man verachtet ihn nicht. Nur auf den Nacken, der sich beugt, tritt der Fuß des vermeintlichen Herrn.” In: Die Antifeministen, 1901, S.164f.