Können Schwule auch lesbisch sein?
Vorgestern veröffentlichte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), die uns auch regelmäßig das „Wort des Jahres“ beschert, eine Pressemitteilung, betitelt: „Das Wort schwul". Untertitel: „Schon lange kein Tabu mehr, aber noch nicht vollständig wertfrei“. Quelle: hier.
Wie schön für die Schwulen - aber was ist mit den Wörtern lesbisch und Lesbe? Dürfen auch Lesben hoffen? Um Lesben geht es der Gesellschaft für deutsche Sprache nicht vordringlich. Wir sind aber „irgendwie mitgemeint“, werden in dem Papier hin und wieder erwähnt. Wir kennen das: Die Lesbe als nachträglicher Einfall bei der Diskussion um Homosexuelle, genau wie die Frau beim Thema Menschen und die Sängerin beim Thema Sänger dem einen oder anderen bisweilen auch noch einfällt. Die eigentlichen Menschen/Sänger sind aber die Männer, die eigentlichen Homosexuellen sind die Schwulen.
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In der neuen EMMA gibt es zu meinem 70. Geburtstag ein Porträt über mich, geschrieben von Chantal Louis. Es musste so eilig fertigwerden, dass ich es nicht, wie ursprünglich versprochen, gegenlesen konnte. Das Porträt gefällt mir, nur werde ich gleich im Anrisstext als „Homosexuelle“ bezeichnet:
Sie wird am 14. Januar 70 und ist eine Pionierin: als Sprachwissenschaftlerin, als Feministin, als Homosexuelle.
Als ich Chantal fragte, wieso sie mich „Homosexuelle“ nennt, schrieb sie: „…spätestens seit dem Kampf ums Homo-Mahnmal haben wir uns angewöhnt, auch Lesben als (weibliche) Homosexuelle zu bezeichnen, weil darunter gemeinhin nur Schwule verstanden werden und das aufhören muss."
Ich schrieb zurück:
danke für Deine Gedanken zum Thema, alles sehr relevant. Für mich das wichtigste Argument gegen "Homosexuelle" für Lesben ist, dass "Lesben" mit Sicherheit eine Selbstbezeichnung ist und "Homosexuelle" eine Fremdbezeichnung. Wir wir grade drüber reden, fiel mir wieder ein, dass ich ja auch darüber schon vor Urzeiten einen längeren Text geschrieben habe:
"Ein Streit um Worte? Eine Lesbe macht Skandal im Deutschen Bundestag", in: Pusch, Luise F. 1999. Die Frau ist nicht der Rede wert: Aufsätze, Reden und Glossen. Frankfurt/M. Suhrkamp TB 2921. S. 37-67. (Urfassung 1995).
Damals ging es darum, dass die Wörter "Lesben" und "Schwule" als sog. "Wörter aus der Gosse" im Bundestag nicht benutzt werden durften. Stattdessen sollten die Lesben und Schwulen das Wort "Homosexuelle" benutzen.
Definitiv, da ist mal eine Glosse fällig.
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Diese fällige Glosse schreibe ich gerade; die Pressemitteilung der GfdS brachte mir das liegengebliebene Vorhaben wieder ins Gedächtnis. Übrigens bekam ich wegen des EMMA-Anrisstexts unflätige Schelte von einer meiner Leserinnen, die wohl annahm, ich hätte mir die Bezeichnung "Homosexuelle" selbst ausgesucht. ————— Ich fasse zusammen:
• Mit „schwul“ und „homosexuell“ werden bisweilen auch Lesben „mitgemeint“, aber nur, wenn es unbedingt sein muss. Die meisten verstehen unter „Schwulen“ und „Homosexuellen“ nur Männer.
• Die EMMA entwickelte gegen das Übergangenwerden und Höchstens-mal-Mitgemeintsein die Taktik, Lesben entgegen ihrem eigenen Sprachgebrauch als „Homosexuelle“ zu bezeichnen.
• Die Taktik scheint mir verfehlt, weil sie Lesben ihre Selbstbezeichnung verweigert und sie mit einer überholten, klinischen Fremdbezeichnung irritiert.
• Besser wäre es, immer wenn von Schwulen die Rede ist und die Ausdrücke mal abgewechselt werden sollen, nicht einfach „Homosexuelle“, sondern penetrant und korrekt „männliche Homosexuelle“ zu sagen.
• Hilfreich wäre es auch, die sexuelle Orientierung der Hetero-, Bi- und Asexuellen ebenfalls getreulich zu vermerken. Die stillschweigende Voraussetzung, dass alle Menschen heterosexuell sind und ihre sexuelle Orientierung infolgedessen nicht erwähnenswert, muss aufgeweicht werden.
• Und schließlich könnten wir mit Lesbe und lesbisch gelegentlich auch Schwule mitmeinen und somit das generische Femininum mal gänzlich andersrum einsetzen: „Meine Tante ist lesbisch, mein Onkel auch!“
---------------- Dank an Doris Hermanns für den Hinweis auf die Pressemitteilung der GfdS. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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6 Kommentare
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14.01.2014 um 19:58 Uhr anne
Gudula Lorez ( erste dt. feministische verlegerin, die erotische bücher von frauen für frauen herausgab/Fembio) lesbischsein bedeutete aus ihrer sicht `mehr als eine form sexualität zu praktizieren. lesbisch bedeutet für mich eine politische alternative, eine neue lebensform von frauen, die ihre rolle verweigern. und die in unserer männergesellschaft unter größten schwierigkeiten versuchen, ihr eigenes frausein zu entwickeln. ohne männliche vorherrschaft.` (zitiert)
13.01.2014 um 22:02 Uhr Gudrun Nositschka
Herzlichen Glückwunsch liebe Luise. Mögen Deine Augen und Ohren scharf und Dein Verstand munter bleiben, um uns für die Schönheit einer frauengerechten Sprache immer wieder zu begeistern. Mary Daly behielt sich den Terminus “Lesbe” für die Beschreibung von Frauen vor, die Frauen-identifiziert sind, die falsche Loyalitäten zu Männern auf allen Ebenen abgelegt haben, die sich nicht mehr mit männlichen Mythen, Ideologien (Patriarchat), Stilen, Prakitiken, Institutionen und Berufen verbunden fühlen. Eine Frau, die nicht zugleich Frauen-identifiziert ist, war bei ihr lediglich eine “Schwule Frau” oder eine “weibliche Homosexuelle”. Von diesem Gedankengang habe ich mich sehr angesprochen gefühlt.
13.01.2014 um 16:36 Uhr anne
wen wir lieben - egal ist es aber gesellschaftlich nicht. wenn schwul/lesbisch heute noch als etwas abschätziges gilt, zeigt das, wie unterschiedlich menschsein bewertet wird. es sagt zudem viel über die `sender`aus! hass, gewalt, konflikte werden mit den gleichen negativen gefühlen besetzt wie lesbisch- oder schwulsein. aber hinter diesen begriffen stehen menschen - solange diese worte weiter als etwas negatives vermittelt werden, ändert sich auch das verhalten nicht? und es wird weiter fest daran gearbeitet, menschen, die nicht der gesellschaftlichen `norm` entsprechen, auszusperren: der präsident des österr. ski-verbandes , Peter Schröcknagel, hat in einem interview kundgetan, dass er gegen ein werbeverbot für lesben und schwule in russland (Sotschi) nichts grundlegendes einzuwenden hat.
meine güte, es ist unerträglich , wie heute `menschsein` diesbezüglich unterschiedlich bewertet wird. es gibt tsd. von hasserfüllten kommentaren in der anonymität des internets, sobald es um das sichtbarmachen von menschen geht, die nicht der hetero-norm und dem altherrgebrachten fundamentalen christl. familienbild entsprechen ... deswegen ist es doch wichtig, die identität von menschen in worte zu fassen und zu benennen und sie nicht in den untergrund zu verbannen!
13.01.2014 um 15:23 Uhr Adam
Ich bin Weder Hetero,Homo,Schwul oder Lesbisch den in Erste Linie bin ich Mensch und das ist alles was zählt.
Wenn ich liebe sollte sowas von egal sein
13.01.2014 um 15:05 Uhr anne
eine wichtige glosse, lb. Luise - wie ich zum begriff homosexualität gelesen habe (der ende des 19. jahrhunderts entstanden ist), empfand damals M. Hirschfeld , dass unter dem eindruck der endung -sexuell das wort vielfach nicht im sinne gleichgeschlechtlicher artung erfasst und gebraucht wird, sondern im sinne einer sexuellen handlung. so wies E. Bornemann 1990 auf öffentliche anfragen darauf hin, wonach die mehrzahl der deutschen den begriff versteht, dass homosexualität weniger eine orientierung als vielmehr den geschlechtsverkehr unter männern bezeichnet.
wie sieht es mit heterosexualität aus? zwar keine sexuelle handlung unter männern, aber ich meine eine bezeichnung, die auch auf sexuelle männliche vorstellungen beruht/e, siehe die herrkömmliche pornographie, prostitution. sexualwissenschaft ist von männern geprägt, und auch die geschichte der sexualwissenschaft wurde hauptsächlich von männern geschrieben, womit sie deutlich ihre unkenntnis offenlegten, da sie keinerlei vorstellungen zuließen, daß frauen miteinander und ohne männliche beteiligung (sexuelle) befriedigung finden.
auch zum begriff `homo`, zitiert: der umstand, dass `homo` im lateinischen `mann` und nicht wie im griechischen (gleich) bedeutet, führt in verbindung mit der tatsache, dass der zweite teil des wortes aus dem lat. stammt, häufig zu einer irrtümlichen verengung der wortbindung auf `männliche homosexualität`. mit ein grund, warum als alternative der begriff `gleichgeschlechtlichkeit` ins spiel kam. davor gab es die bezeichnung `Uranismus`(Urning = männlich, Urninde = weiblich) .
homo also gleich mann - persönlich lehne ich aus mehreren gründen den begriff homosexuell für lesbische frauen ab. der begriff `schwul` wurde i.d. 1970er jahren von der `homosexuellenbewegung` als kampfbegriff benutzt. und kämpfen müssen heute weltweit lesben und schwule (sowohl i.d. aufgeklärten, angeblich toleranten westl. welt) gegen ihre diskriminierung, ausgrenzung, gegen hass , vorurteile, verfolgung .
es ist immer wieder erstaunlich, wie auch unter der ober-bezeichnung `schwul` lesbische frauen herzlich mitgemeint sind. heute lese ich im tagesspiegel unter der überschrift: schwul im beruf / viele arbeitnehmer haben angst! frauen wieder nur mitgemeint. über das thema , wie lesben in der presse dargestellt werden, hat Elke Amberg ja ein gutes buch herausgebracht. ihre studie liefert zahlen und fakten zur bisher nur gefühlten `leerstelle lesben`.
ich begreife einfach nicht, warum wir uns sprachlich und somit auch im denken nur mitgemeint fühlen sollen, entweder unter dem begriff `homosexuell`oder `schwul`? die meisten männer tun sich dagegen schwer, weder als schwul noch als lesbisch oder als professorin bezeichnet zu werden.
dennoch finde ich es wichtig - da ja immer von vielfalt (wie ein regenbogen uns vielfältige farben zeigt) geschrieben, gesprochen wird - und menschen sind vielfältig , dass gerade die begriffe `lesbe, lesbisch` benannt werden für frauen, die frauenidentifiziert leben, lieben. männer könnten von frauen lernen, wenn sie es tatsächlich wollten… und frauen/liebe ist sie nicht mehr als eine sexuelle handlung, variation?
13.01.2014 um 10:35 Uhr Lena Vandrey
Nein, liebe Luise! Der Onkel kann nicht lesbisch sein, dazu fehlen ihm die weiblichen Organe, und wenn wir Männer lesbisch nennen, dann fällt präzise die lesbische EIGEN-Art wiedermal weg! Früher gab es den “lesbischen Mann” in Paris, das waren aber keine Schwulen, sondern ein Mode-Einfall, eine Hetera-Eintagsfliege.
Von sogenannten homosexuellen Frauen hörten wir, dass sie keine Lesben mehr sein wollen, männliche Hormone schlucken und Schnurrbart und Sodomie praktizieren, um sich den Schwulen anzugleichen. In einer Frauen-Bar in Berlin waren zeitweilig Lesben von Schwulen kaum zu unterscheiden. Die Mutter einer lesbischen Tochter sagte: Wie könnt ihr euch denn verführen, ihr seht doch alle gleich aus! Lesben sind das fünfte Rad am Wagen und das wird sich nicht ändern, daran ist das Wort alleine nicht schuld! Und der Look auch nicht. Geld, Macht und Renommiertheit kommen durch unheilige Allianzen mit Männern, was auch immer sie sind. Also ist die Bezeichnung “Homosexuelle” für eine Lesbe eine Beleidigung. Von einem Onkel sagte ich als Kind, er sei gleichzeitig eine Tante, und meine Mutter sah ich als Schwulin. Es gibt ja nichts, was es nicht gibt. Homosexuelle sind also Schwule und Schwulinnen. Ein Vater sagte zu seiner Tochter: Ich habe gehört, dass du schwul bist, also werfe ich dich aus dem Haus. Die Tochter antwortete: Nein, ich bin nicht schwul, aber ich verstehe und gehe!
Das sollten alle Lesben tun, die mit diesem Begriff noch Identität verbinden!