Herr Koma kommt: Der Frauenmord in Winnenden
Stellen Sie sich vor, ein junger Deutscher erschießt an einer deutschen Schule elf Menschen, zehn davon “mit Migrationshintergrund”, sieben weitere MigrantInnen schießt er krankenhausreif.
Oder: In den USA stürmt ein Weißer in die Schule und erschießt zehn Schwarze und einen Weißen. Weitere sieben Schwarze schießt er krankenhausreif.
Glauben Sie, über das Motiv der Taten hätten Deutschland oder die USA auch nur eine Minute lang gerätselt?
Nein - zu Recht wäre extremer Fremden- bzw. Rassenhass vermutet worden, von den Medien, den Behörden, der Bevölkerung und der Polizei.
Der Massenmörder von Winnenden hat an der Schule acht Schülerinnen und einen Schüler erschossen, sieben weitere Schülerinnen hat er krankenhausreif geschossen. Aber alle reden nur von den getöteten oder verletzten Schülern. Tim Kretschmer hat auch drei Lehrerinnen ermordet. Die wurden auch immer korrekt als Lehrerinnen bezeichnet. Wäre ein Lehrer dabei gewesen, hätten wir gehört, der Täter habe neun Schüler und drei Lehrer getötet.
Streng eingehalten werden die Regeln der deutschen Männersprache: Ein einziges männliches Wesen macht jede noch so große Gruppe von Frauen und Mädchen zu einer männlichen Gruppe. Acht Schülerinnen und ein Schüler sind zusammen neun Schüler. (Die Schülerinnen wurden auch nicht ermordet, sondern nur getötet.) Über den Massenmord in Erfurt heißt es in Wikipedia (16.3.2009): "...erschoss der 19-jährige Robert Steinhäuser zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten." Tatsächlich erschoss Steinhäuser nicht nur eine Frau: Zehn seiner sechzehn Opfer waren Frauen: acht Lehrerinnen, eine Schülerin, eine Sekretärin.
Die Sprachregelung hilft mit, das Offenkundige nicht wahrzunehmen zu müssen: Alle sind vollkommen ratlos und fassungslos, es fehlen ihnen die Worte. Die Frage nach dem Warum treibt alle um, auch heute noch, zwei Tage nach dem Frauenmord. Und da werden besonders gern Johannes Raus Worte zum Massenmord in Erfurt zitiert: “Wir sollten uns eingestehen: Wir verstehen diese Tat nicht. Wir werden sie - letzten Endes - auch nie völlig erklären können.”
Was ist denn daran so schwer zu verstehen? Ist nicht Gewalt von Männern gegen Frauen, bis hin zum Mord, alltäglich bei uns und weltweit?
Manche, aber viel zu wenige Männer, ein paar Sozialpsychologen und Männerforscher, haben schon etwas begriffen von dem, was Feministinnen seit Jahrzehnten umtreibt: Es gehört zur männlichen Identität, Frauen zu dominieren, sich ihnen überlegen zu fühlen. Frauen, die Männern die Stirn bieten (z.B. Feministinnen), Mädchen, die Jungen zurückweisen und/oder überflügeln (z.B. in der Schule), Frauen und Mädchen also, die die männliche Hegemonie in Frage stellen und das zarte männliche Ego verletzen, gehören bestraft. Nur so kann die Geschlechterhierarchie wiederhergestellt und die beschädigte männliche Identität repariert werden - im Extremfall durch den Tod.
Der Frauen- und Mädchenhass des Tim Kretschmer drückt sich deutlich in seiner Tat aus. Er hat nicht “wild um sich geschossen”, wie die Medien immer wieder berichteten, er hat seine weiblichen Opfer gezielt mit Kopfschuss ermordet.
Für mich fast noch erschütternder als der Massenmord ist die völlige Blindheit all derjenigen, die über ihn berichten und über die Natur dieser Tat und ihr Motiv rätseln. Als läge das Motiv nicht klar auf der Hand: Frauenhass, Männlichkeitswahn.
Erschütternd deshalb, weil damit die nächsten Massenmorde programmiert sind, denn eine vernünftige Prävention setzt zuallererst eine korrekte Analyse des Tatmotivs voraus. Eine solche Analyse findet nicht statt, es wird rumgenebelt in einem unfassbaren Ausmaß.
Oder eben auch wieder nicht unfassbar, sondern vorhersagbar. Aber ich hätte doch gedacht, nach über 40 Jahren Frauenbewegung wären die Zuständigen und die Öffentlichkeit schon etwas weiter, aufgeklärter.
Aber in den Medien war wieder mal Alice Schwarzer die einzige, die den Mord und sein Motiv auf den Punkt brachte - auf einen Punkt übrigens, den sie seit dem Mord an Angelika B. in Köln 1991 immer wieder betont: Frauenhass ist ein Politikum wie Fremdenhass und gehört genau so streng geahndet, ja strenger, ist Frauenhass doch viel weiter verbreitet. Er ist, wie gesagt, völlig alltäglich. Hier geht's zum Schwarzer-Artikel.
Eines wird durchaus zugegeben, es lässt sich ja auch nicht verheimlichen: Dass die Amokläufer alle männlich sind. Und mit diesem widerwilligen Eingeständnis hat es sich dann aber auch schon. Da wird nie weitergefragt: Wieso denn nur Jungen und Männer? Was machen wir falsch bei der Erziehung von Jungen, was uns bei Mädchen anscheinend mühelos gelingt? Was können Jungen von Mädchen lernen?
Eben. Das ist der Punkt. Jungen sollen und wollen von Mädchen nichts lernen. Das wäre nämlich unter ihrer Würde. Sie würden dadurch ja - zu Mädchen, es bestünde jedenfalls die Gefahr. Und nichts ist in unserer Herrenkultur schrecklicher für einen Jungen.
Aus den so abgerichteten Jungen werden unsere Männer - die, die wir zu Hause haben und die in Politik, Medien und Wirtschaft. Sie haben kein Interesse und wohl auch nur selten das Rüstzeug, dem wahren Motiv dieses Verbrechens und all der anderen alltäglichen Männerverbrechen an Frauen auf den Grund zu gehen. Hier kommt ein wenig Nachhilfe von Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Uni Hannover:
Zur männlichen Identität gehört das unbewusste Bedürfnis, sich aufzuwerten, indem Frauen abgewertet werden. Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktion abzugrenzen ist sehr schwer. Die Ambivalenz gegenüber Frauen prägt sich dem kleinen Jungen ein - und erfährt immer wieder Nachprägungen. Interviewer: Die Abwertung von Frauen gehört fest zur männlichen Identität? Wenn man sich anschaut, was in unserer Gesellschaft als männlich gilt, dann finden sich immer wieder zwei dominante Merkmale: zum einen eine Hierarchie innerhalb der Männergruppe - Status- und Rangkämpfe sind für eine männliche Identität sehr wichtig. Und zum anderen die Abgrenzung zur Weiblichkeit, die alle Männer in ihrer Überlegenheit miteinander vereint.
Auf RTL gab der Psychologe Gebert heute früh zum besten, was er für den Grund hält, dass Tim Kretschmer gezielt Frauen und Mädchen ermordet und angeschossen hat: Nein, sagte er, das sei wohl nicht gezielt gewesen. "Jungs werfen sich blitzschnell untern Tisch, während Frauen zur Salzsäule erstarren und nicht wissen, was sie machen sollen." Selber schuld, die dummen Frauen.
So lange die Mehrheit auf diesem Niveau der Reflexion verharrt, werden Männer weiter Gewalt ausüben, gegeneinander, vor allem aber gegen Frauen.
Aber schuld daran ist niemand, es ist und bleibt ein Rätsel, und wir sind alle fassungs-, rat- und sprachlos.
Oder noch besser, wie oben: Die Frauen sind schuld. Wie hieß doch der vereinbarte Code-Spruch zur Ankündigung des Grauens: "Frau Koma kommt!"
(Dank an Brigitta Huhnke für einen hilfreichen Email-Austausch und die Hinweise auf den Pohl-Artikel und das RTL-Interview mit Gebert. Dank an Evelyn Thriene für den Hinweis auf den Artikel von Alice Schwarzer.)
Über das Thema Jungengewalt und ihre gängige sprachliche Verunklarung als "Jugendgewalt" habe ich schon vor einem Jahr eine Glosse geschrieben: "Busch, Beauvoir und böse Buben". Sie finden sie hier.
Inzwischen (16.3.09) hat die Medienwissenschaftlerin Dr. Brigitta Huhnke die ersten fünf Tage der Berichterstattung zum Mädchen- und Frauenmord in Winnenden analysiert: Ihren Artikel "Fünf Tage MedienGAU: Der Mädchen- und Frauenmord in Winnenden" finden Sie hier.
Der zweite Teil ihrer Untersuchung ist nun auch online: Ein Interview mit dem Pornografieforscher und Kommunikationswissenschaftler Robert Jensen, betitelt: "Am Ende angekommen: Pornografie und männliche Normalität". Jensen appelliert an seine Geschlechtsgenossen, angesichts zunehmender profitgetriebener und verrohender Pornografisierung der Kultur ihre Humanität einzuklagen und zu verteidigen.
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72 Kommentare
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25.03.2009 um 15:59 Uhr Gertrud
Da schliesse ich mich meiner Vorvorschreiberin an:
dieses Schulattentat ist die Konsequenz aus falsch erlerntem Rollen- und sonstigem Verhalten. Selber Mutter von Jungen und Mädchen kämpfe ich einen schier unendlichen Kampf gegen gängige Rollenklischees. Meine Mädchen ermutige ich gelegentlich zum Draufschlagen, statt zuzusehen, dass sie sich heulend irgendwohin flüchten und meine Jungs halten ihr Zimmer inzwischen sauberer als die Mädchen.
Zum Thema Gewaltspiele bin ich der Überzeugung, dass diese Spiele, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum gewalttätigen Verhalten beitragen, gezielt verbreitet werden, um Jungen zu harten Männern und brutalen Kämpfern zu erziehen. Die schleichende Militarisierung unserer männlichen Jugend ist bis vor kurzem anscheinend an der gesellschaftlichen Wahrnehmung vorbeigegangen.
Jungen haben heutzutage schlimmere Identitätsprobleme als Mädchen:
Beispielsweise finden Jungen in den Schulbüchern noch weniger als Mädchen Identitätstiftendes. Mode, alle möglichen Konflikte und Problematiken werden dort thematisiert, es muss die moderne Welt mit ihrer Überbewusstheit und Problemorientiertheit sein. Rollenvorbilder, ja welche sind denn genehm?
Viele Jugendliche flüchten daher mehr denn je in Scheinwelten.
Die Gegenstände bei der Trauerfeier zeigen dann die Träume, die eigentlich nicht sein dürfen: Tanzen, Lieben, Heiraten, Kinder haben - solch “spiessige Bedürfnisse”, fehlen nur noch die traditionellen Rollenverteilungen - die wollen wir doch nicht haben oder? War jetzt die ganze Emanzipation umsonst? Oder wurde hier gegenmanipuliert, interpretieren wir dies jetzt als (verständliche) Flucht in alte Rollenmuster? Denn der Zwang zur Emanzipation ist auch eine Manipulation - diese Zerrissenheit erlebe ich immer noch.
Mutter werden? Vater werden? Viel zu altmodisch. Kinder kommen selbst in Schulbüchern nur noch auf Nebenschauplätzen vor. Kinder werden zur narzisstisch dargelebten Nebensache, die irgendwie versorgt werden müssen (kann das Kind nicht zur Oma - ach, die ist berufstätig?) Was ist, wenn diese Generation sich der immer perfekteren Manipulationen bewusst wird, sich ihrer entledigen will und (was zu hoffen ist) irgendwann in ihrem Leben an ihre innere Identität herankommt?
Und zum Schluss: nicht der junge Mann ist nicht frauenfeindlich, er ist nur das Medium einer menschenverachtenden Maschinerie gewesen.
25.03.2009 um 13:38 Uhr Lila
ich habe ihren artikel von einer kollegin empfohlen bekommen und bin erschüttert. wenn ich zunächst auch interessiert war an der idee des frauenhasses hinter den taten von tim k und dem medialen desinteresse, so enttäuschter, nein entsetzter war ich im nachhinein. ihr artikel strotzt doch gerade zu vor männerhass. ihre argumentation erscheint mir sehr verkürzt, ebenso wie die allgemein verbreitete mediale meinung. männer sind an allem bösen schuld, frau=gut=opfer, mann=böse=täter. schön wenn’s so einfach wäre…
dass hier außerdem gepostete meinungen gelöscht werden spricht nicht gerade für eine doch zu vermutende demokratische gesinnung. schade!
24.03.2009 um 21:20 Uhr papierschiff
@lfp… wo ist denn der letzte artikel im blog hin? also der, dass die berichterstattung zu mehr amoklaufen führt? oder warum wurde er zurückgezogen?
lg
papierschiff
19.03.2009 um 10:09 Uhr Ricky D.
liebe @dürr,
du bist wie immer wieder einmal klasse* besser gesagt: auf den punkt gebracht!
in der knuddelrunde wäre ich auch gerne dabei ;-)
buchempfehlung: wahnsinnsfrauen
heute nennen wir es ” die schere im kopf ” .sie ist teil der allgem. verunsicherung von frauen.
feministinnen werden per se als männerfeindlich angesehen * dabei sind heutige diskudannten nutzniesser dieser brotlosen arbeit.
wir erinnen uns: feministinnen haben immer für frauen & kinder gekämpft ...aus machen kindern sind männer geworden, die keinen schimmer davon haben, was sie diesen frauen verdanken.
ergo kann feministin nicht männerfeindlich sein, sonst würden sie ... na, das lass ich lieber;-)
liebe @anne auch von mir beste dank für deine tollen beiträge*!*
19.03.2009 um 08:37 Uhr Papierschiff
@Duerr auf ihre frage habe ich schon versucht zu antworten, ein weitere auseinandersetzung fand ich als sinnlos, solange sie darauf nicht geantwortet haben.
das andere ist, die diskussion wird hier sehr unübersichtlich. es gibt z.b. das emma forum oder http://feministinnen.de/ -ich lade sie also alle ein da mal vorbeizu schauen :)
ich hab keine probleme damit männer zu kritisieren, auch nicht wenn man verallgemeinert nach dem motto “die meisten männer machen aber xyz” -aber die kritik wurde anders rübergebracht.
und wenn hier männer nicht mit schreiben soll, dann bitte schreibt das doch drüber, da weiß man jedenfalls bei was für “feministinnen” man ist.
dennoch hätte ich das recht mitzuschreiben..
papierschiff halt.
19.03.2009 um 08:23 Uhr Duerr
@ katja,
Klasse! Jetzt haben die Herren, die hier im Blog mitgemacht haben, weider einmal erreicht, was sie wollten: Wir diskutieren über alles, nur nicht über das Problem! So recht Du hast mit der Differenzierung, Katja, so unnötig ist sie. Du rennst nicht nur offene Türen, sondern Portale ein! Wissen wir längst und tun es auch. Bloss können nicht dauernd alle diese “Romane” erzählt werden. Männer tun das auch nicht. Sie reden von den Weibern, Frauen…. und dann TUN sie, das was ihnen passt - und meist auf Kosten der Frauen. Und zwar in der Mehrheit. Gesellschaftliche Zustände spiegeln nicht individuelle, sonder mehrheitliche Verhaltensweisen, Werte und Gesetze, und diese sind nun einmal so, wie sie Luise Pusch, Ricky D. und auch ich beschreiben. Und wenn wir Frauen uns ewig auf diese blöde Dieffenzierungsmasche einlassen und jede Kritik an unseren Beobachtungen von Seiten der Männer dazu führt, dass wir das Thema vergessen, erreichen wir exakt das, was die Männer wollen, nämlich: nichts! Keine Veränderung, kein Umdenken, keine anderen Einstellungen Frauen gegenüber, und schon gar nicht, dass Männer einmal über Ihr Verhalten und über SICH nachdenken. Winnenden ist KLASSISCH und Luise Pusch hat das gesehen und artikuliert.
Wer von diesem Blog hat eigentlich einen Brief/Mail an eine der TV-Anstalten geschickt und protestiert gegen dieses Verschweigen der weiblichen Opfer?! DAS würde helfen, wenn jedesmal ein paar Hundert Reklamationen einträfen!
Rücksichtnahme ist gut, aber hier nun wirklich nicht angebracht!
Lg Dürr
18.03.2009 um 22:39 Uhr Katja
Ich fürchte, mein erster Beitrag auf dieser Seite (vom 15.3.) gehört zu denen, die Luise Pusch als “nicht hilfreich” eingestuft hat, und ich finde das sehr schade. Ich bin wirklich überzeugt davon, daß die geschlechtsspezifische Erziehung von Kindern - nicht nur ab dem Kindergarten, sondern letztendlich schon von Geburt an - einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung des Patriarchats leistet. Denn hierbei wird den Jungen von vornherein ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Männlichkeitswahn eingeimpft, verbunden mit der Vorstellung, daß sie, um ein “richtiger Mann” zu sein, stark, aggressiv, hart gegen sich selbst und andere und natürlich den Frauen überlegen sein müssen. Mädchen hingegen werden durch den ihnen zugeteilten rosa Kitsch und die Behauptung, daß sie von Natur aus mathematisch und technisch weniger begabt sind als Jungen zu albernen, geradezu lächerlichen Figuren, denen sich die Jungen dann wunderbar überlegen fühlen können und die leider oft selbst an den Blödsinn von den geschlechtsspezifischen Neigungen, Interessen und Fähigkeiten glauben (so habe ich gerade gestern wieder den Spruch von einer Frau gehört, sie hätte wohl ein Junge werden sollen, da sie sich immer mehr für Technik als für Puppen interessiert hat). Auf diese Weise werden dann auch gleich die traditionell den Frauen zugeordneten Tätigkeiten, beruflich aber vor allem auch in der Familie (wie die Versorgung und Erziehung der Kinder und das Führen des Haushaltes) einerseits durch entsprechendes Spielzeug den Mädchen nahegebracht und andererseits den Jungen als für unter ihrer männlichen Würde dargestellt (zum Glück wird es allerdings inzwischen in der Gesellschaft – wenn leider auch noch eher selten von den Arbeitgebern - immer mehr akzeptiert, wenn auch Männer sich um ihre Kinder kümmern - sicherlich auch dank des Elterngeldes, das ja offenbar von mehr Männern und für mehr Monate angenommen wurde als vorhergesehen - und es sind glücklicherweise auch immer mehr Männer nicht nur in der Lage, sondern auch willens, sich an Arbeiten im Haushalt angemessen zu beteiligen. Dies ist doch schon mal ein positiver Aspekt.)
Kinder beiderlei Geschlechts, die aus ihrer jeweiligen Rolle fallen, werden ausgelacht und oft ausgegrenzt - sie sind eben keine “richtigen” Jungen bzw. “richtigen Mädchen”.
So werden die Kinder darauf programmiert, den vom Patriarchat vorgegebenen Geschlechterrollen zu entsprechen - und natürlich auch durch entsprechende Vorbildern in den allgegenwärtigen Medien werden die Jungen zu Aggression, Rücksichtslosigkeit und Dominanz erzogen, die Mädchen zu Nachgiebigkeit, Sanftheit, bis hin zur Unterwerfung.
Stellen die Jungen später fest, dass sie, entgegen ihrer Überzeugung von der männlichen Überlegenheit, in der Schule mit vielen Mädchen nicht mithalten können und dass diese vielleicht sogar in Mathe und Naturwissenschaften (den traditionell “männlichen” Domänen) besser sind als sie, müssen sie sich natürlich als Versager fühlen - weil sie eben dem männlichen Rollenbild nicht entsprechen - und somit hat sich bei ihnen ein Keim für das Gefühl, von Frauen bedroht zu werden, bzw. für Frauenhass gebildet.
Leider sind es aber oft eben auch die Frauen, die ihre Töchter und Söhne unterschiedlich erziehen und sogar entsetzt sind, wenn sie ihren Sohn mal mit einer Puppe spielen sehen (“ist vielleicht bei ihm nicht alles in Ordnung?”) oder ihre aus der Rolle fallenden Töchter dazu bringen wollen, sich besser anzupassen und sich “femininer” zu verhalten bzw. auszusehen (“sonst bekommt sie ja später nie einen Mann ab”) und die somit eine neue Runde Männerdominanz und Frauenbenachteiligung einläuten. Deshalb würde ich mir wirklich wünschen, daß sich endlich auch in den Köpfen der Leute (auch und besonders derjenigen, die Kinderspielzeug und -kleidung herstellen bzw. dafür werben) die Rollenbilder nicht nur ändern, sondern gänzlich auflösen würden. Aber vielleicht haben Sie, Ricky D., ja tatsächlich recht mit der Vermutung, daß diese Rollenklischees absichtlich verbreitet werden, um das Patriarchat aufrechtzuerhalten, denn es ist schon auffällig, daß die Flut an rosa Mädchen- und gewaltverherrlichendem Jungenspielzeug (und, zumindest was die Mädchen angeht, auch entsprechender Kleidung) gerade zu der Zeit begann, mit größerer Macht denn je über uns hereinzubrechen, als die Unterschiede zwischen Männern und Frauen endlich geringer zu werden schienen (zumindest habe ich es so empfunden).
Der Klage, daß es dadurch, daß in Kindergarten und Grundschule hauptsächlich Lehrerinnen arbeiten
(weil nur wenige Männer diese vergleichsweise schlecht bezahlte und prestigearme Arbeit machen wollen), den Jungen an männlichen Vorbildern fehlt, finde ich auf den ersten Blick blöd und albern. Bei näherem Nachdenken aber denke ich, dass da durchaus etwas dran ist - Kindergärtner und Grundschullehrer wären nämlich den Jungen ein positives Beispiel für ein neues, besseres Männerbild, bei dem nicht Aggressivität und das Streben nach Erfolg, sondern sozialer Einsatz und das Sorgen für andere im Vordergrund stünden. Und es würde ihnen zeigen, daß die Arbeit im Kindergarten und in der Grundschule keine minderwertige, für Männer unwürdige Arbeit ist - und deshalb auch die Frauen, die sie ausüben, nicht minderwertige und den Männern unterlegene Menschen sind.
Sorry für den überlangen Beitrag - aber ich hoffe, ich habe damit wenigstens bewiesen, dass ich dieses Thema für extrem wichtig halte, wenn auch ansonsten wohl weiterhin alle an ihrer jeweiligen Meinung festhalten werden.
18.03.2009 um 22:36 Uhr Katja
Werte @Ricky D.
zu Ihrer Antwort vom 16.3. auf meinen ersten Beitrag: Allein die Anrede “Werte…” ist schon eine Unverschämtheit, da an Herablassung und Selbstgerechtigkeit kaum zu überbieten.
Ich bin übrigens auch Wissenschaftlerin, aber das nur nebenbei. Und ich habe mich ganz und gar nicht negativ über Luise Pusch geäußert, im Gegenteil, ich finde ihre Arbeit sehr wichtig und würde mir wünschen, dass WissenschaftlerInnen wie ihr und ihren Mahnungen an die Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde.
Ferner tun Sie in Ihrer Antwort genau das, was ich zuvor beklagt habe: Sie stecken Menschen in Schubladen. Aha, nur weil ich meinen Mann erwähnt habe, schließen Sie gleich daraus, daß ich nur ein kleines, dummes Weibchen bin, das sich der patriarchalischen Gesellschaft untergeordnet und es sich darin bequem gemacht und deshalb keine Ahnung davon hat, wie schwer es für eine Frau ist, ohne Mann in ihr zu überleben.
Zufälligerweise habe ich mehrere Freundinnen, die gänzlich ohne einen Mann an ihrer Seite leben oder die dies zumindest, so wie ich selbst, sehr viele Jahre lang getan haben. Keine von uns hat meines Wissens je das Gefühl gehabt, schwer benachteiligt worden zu sein oder gar “die volle Härte des Patriarchats” abbekommen zu haben.
Dabei will ich gar nicht in Abrede stellen, daß auch in unserer Gesellschaft, ganz zu schweigen von anderen Gegenden der Erde, Frauen immer noch benachteiligt oder sogar (fast überall) unterdrückt und misshandelt, ja auch aus Frauenhass (oft unter dem Vorwand irgendwelcher, meist religiös begründeter Gesetze oder Vorschriften) ermordet werden. Und dass das ein unerträglicher Zustand ist, ist auch klar. Ich bin auf jeden Fall immer auf der Seite der Frauen und auch Männer - denn auch solche gibt es offenbar; schließlich werden sogar in Luise Puschs und Alice Schwarzers Artikeln männliche Wissenschaftler mit vernünftigen Ansichten erwähnt - die dagegen ankämpfen. Aber ich denke, es ist wenig hilfreich, einfach alle Männer in einen Topf zu werfen und als eiserne Verfechter des Patriarchats zu brandmarken. Es sind nicht alle Männer so - und auf der anderen Seite gibt es tatsächlich sehr viele Frauen, die ihrerseits das Patriarchat voll unterstützen und sogar denjenigen Frauen, die versuchen, sich (und/oder andere) daraus zu befreien, in den Rücken fallen. Sei es aus Opportunismus - weil sie sich persönliche Vorteile davon versprechen, sei es, weil es eben “immer schon so gewesen ist” und sie nicht einsehen, warum es den Frauen der jüngeren Generationen besser gehen soll, als es ihnen selbst ergangen ist (so, wie z.B. in vielen extrem patriarchalischen Gesellschaften offenbar viele Frauen, wenn sie als Mütter von erwachsenen Söhnen endlich zu Familienmatrone aufgestiegen sind, ihre Schwiegertöchter drangsalieren und mißhandeln) oder sei es, weil sie religiös verblendet sind und so tatsächlich glauben, daß das Patriarchat die “natürliche”, “von Gott gewollte” Ordnung sei, nach der eben alle Menschen leben müssten, notfalls unter Zwang. Letzteren kann man wohl auch nicht damit kommen, dass all die entsprechenden, frauenfeindlichen Religionen von Männern erdacht und die dazugehörigen Gesetzbücher von Männern geschrieben wurden, die natürlich bei der Gelegenheit die Unterwerfung der Frau unter den ach so überlegenen Mann gleich ein für allemal in ihren angeblich von ihrem jeweiligen Gott stammenden Gesetzen zementiert haben.
Und es gibt auch Frauen (mit einer solchen musste ich mich selbst jahrelang auseinandersetzen), die es anscheinend irgendwie romantisch finden, wenn der Mann der große, starke Dominierer (wohl auch Beschützer) ist und natürlich in der Familie das Sagen hat - ja die sogar versuchen, solchen Männern, die darauf überhaupt keinen Wert legen und lieber eine auf Gleichheit beruhende Partnerschaft mit ihrer Frau hätten, diese “Herr-im-Haus”-Rolle zu oktroyieren. Konnte ich selbst beobachten (hat aber zum Glück nicht geklappt).
Aber bevor man mir das jetzt wieder vorwirft: Nein, ich versuche nicht, den Frauen die Schuld zuzuschieben, ebensowenig wie ich jemals z.B. einen Vergewaltiger damit entschuldigen würde, dass sein Opfer ein zu knappes Röckchen getragen oder ihn sonstwie “gereizt” hat (das bringt mich auf Gesellschaften, in denen man, anstatt die Vergewaltigung zu verdammen und Vergewaltiger schwer zu bestrafen, lieber die Frauen zwingt, sich möglichst vollständig zu verhüllen - um die armen Männer nicht auf falsche Gedanken zu bringen - und Vergewaltigungsopfer steinigt, weil sie ja Unzucht betrieben haben… Aber ich schweife ab).
Was ich nur versuche zu sagen ist, dass, wer für die Rechte von uns Frauen kämpft, nicht automatisch alle Männer zum Feind hat (und deshalb diejenigen, die auf der Seite der Frauen stehen - auch wenn sie vielleicht nicht gleich deswegen eine Revolution starten - nicht durch ungerechte Anklagen antagonisieren sollte) und dafür aber auch gegen viele Frauen wird kämpfen müssen, die nach meinem Eindruck (und aus mir unbegreiflichen Gründen) oft noch verbissener um den Erhalt des Patriarchats kämpfen als viele patriarchalisch eingestellte Männer. Man nehme doch nur z.B. mal Frauen wie Sarah Palin oder gar Eva Herman mit ihren kruden Ideen, nach denen sie interessanterweise selbst nicht lebt (wobei ich wirklich eher verstehen kann, warum ein Mann seine Vormachtstellung auf keinen Fall aufgeben will - vor allem, wenn er außer seiner Männlichkeit sonst nichts vorzuweisen hat - als warum eine Frau dagegen kämpft, die ihr als Mensch zustehenden Rechte zugesprochen zu bekommen).
Wenn man gegen oder für etwas kämpft, muss man einfach genau wissen, wer die wirklichen Feinde sind.