Hadrian ist besser als Baldrian: Bücher zum Einschlafen
Nichts gegen Bücher zum Einschlafen! Für Menschen mit Schlafstörungen sind sie ein Segen. Und da wir immer älter werden und somit immer schlechter schlafen, brauchen wir ein wirksames Mittel gegen Schlafstörungen. Ich habe eins gefunden.
Schon vor Jahren wollte ich eine Glosse über Bücher zum Einschlafen schreiben, aber meine Recherchen und mein Selbstversuch sind erst jetzt zur Reife gelangt, dank einer bösen Schlafkrise im Sommer. Das Ratgeberbuch Say Good Night to Insomnia hatte leider bei mir den gegenteiligen Effekt, genau wie die Werke von unserem Schlafpapst Zulley: Die Sorge, ob ich auch alle Ratschläge der Experten befolgt hatte, machte mich jeweils so nervös, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war.
Ich besann mich auf gute Erfahrungen, die ich mit Christa Wolfs dröger Stimme beim Einschlafen gemacht hatte: Während ich normalerweise ein Hörbuch zügig durchhöre, dauerte es mit Christa ewig, weil ich jeweils nach zehn Minuten sanft entschlummert war. Es war das Buch Ein Tag im Jahr, und es lieferte mir die erste wichtige Regel:
Ein Buch zum Einschlafen sollte interessant sein, aber nicht aufregend. Für mich jedenfalls sind Thriller nichts zum Einschlafen: Entweder interessieren sie mich nicht, oder sie halten mich wach.
Im August, auf dem Höhepunkt meiner Schlaflosigkeit, die mich mehr und mehr entmutigte und besorgt machte, weil ich tagsüber nur noch herumschlich und jeglichen Elan verloren hatte - im August entdeckte ich mit Kaiser Hadrian die ultimative Schlaftablette oder besser Einschlafhilfe. Tabletten wollen wir ja gerade vermeiden.
Marguerite Yourcenars berühmtes Buch Ich zähmte die Wölfin: Die Memoiren des Kaisers Hadrian stand schon lange vorwurfsvoll und ungelesen in meinem Regal; eigentlich sollte Frau das Hauptwerk der ersten Frau in der Académie Française doch mal gelesen haben. Aber ich brachte es nicht über mich. Das Buch ist intelligent und kenntnisreich und voller Weisheit, aber nur leidlich interessant.
Als Buch zum Einschlafen aber ist es unübertroffen. Seit drei Monaten höre ich es jede Nacht, und nie verfehlt es seine Wirkung! Jetzt habe ich es einmal durch und fange damit wieder von vorne an, denn große Teile habe ich verschlafen. Trotz ständiger Wiederholungen einzelner Kapitel habe ich nur einen verschwommenen Eindruck von dem Werk.
Besonders zu loben ist auch die angenehme Stimme von Johannes Steck, sanft modulierend, aber nicht zu sehr.
Und so wird es gemacht: Am besten kaufen Sie sich eine Ipod oder eine sonstige MP3-Player mit Einschlaf-Timer-Funktion. Sie stellen das Gerät so ein, dass es nach 30 Minuten mit dem Abspielen aufhört. Schließen Sie es an irgendeine Lautsprecheranlage an, ein kleiner Computen-Lautsprecher für 10 Euro reicht völlig. Die Lautstärke sollte so sein, dass Sie es grade noch verstehen können, und ab geht die Post.
Früher las uns die Mutter etwas vor, damit wir besser einschliefen. Älteren Menschen sind die Eltern meist schon weggestorben, oder sie wohnen ganz woanders, außerdem würden sie uns was husten.
Die Ipod oder etwas Ähnliches ist ein vorzüglicher Ersatz. Früher las ich immer was im Bett, das mache ich jetzt nicht mehr, das Licht und das krampfhafte Halten des Buchs helfen nicht beim Einschlafen. Mein Hörbuch wird mir im Dunkeln vorgelesen, und das ist optimal für das Hinübersinken in den Schlaf.
Und warum hilft es beim Einschlafen, wenn wir etwas vorgelesen bekommen? Ablenkung ist das Zauberwort - wie bei kleinen Kindern. Deswegen darf das Buch auch nicht langweilig sein! Ich brauche Ablenkung von Alltagssorgen, aber auch von Ängsten der Marke “Alle Menschen müssen sterben, vielleicht auch ich?”, die nachts viel nagender und unangenehmer sind als tagsüber - eine Folge der Melatonin-Ausschüttung: Wenn das Melatonin uns nicht zum Schlafen bringt, wie es geplant ist, verstärkt es schwarze Gedanken.
Was mache ich, wenn Hadrian mal nicht mehr wirkt? Das nächste Buch zum Einschlafen wartet schon: Orhan Pamuks Der Blick aus meinem Fenster machte beim Reinhören einen vielversprechenden Eindruck.
Einen wichtigen Rat noch aus dem Artikel über “Schlafräuber” in der letzten HörZu (Nr. 45/2008, S. 18): “Ohne Mann schlummern Frauen besser, ergab eine Untersuchung der Universität Wien. Studienleiter John Dittami: 'Sie reagieren auf Männer, als ob diese Babys wären, und registrieren empfindlich jede Bewegung.' Dreht er sich um, wird sie wach.”
Auf die spannende Frage, ob frau mit einer Frau besser schläft, ist der Studienleiter wohl gar nicht erst gekommen.
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6 Kommentare
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02.02.2009 um 13:05 Uhr Cornelia
Also, Bücher sind mir nach wie vor die liebsten Einschlafhilfen. Allerdings bleib ich bei den mir uninterssanten Exemplaren eher munter - zumindest so lange, bis ich mich mit einem anderen Nachttischfund müde gelesen habe.
Zum Thema Frau schläft neben Frau kann ich Ergebnisse aus jahrelanger Feldforschung liefern: für meine Liebste ist es DIE Einschlafhilfe wenn ich ihr - unmittelbar daneben liegend oder (weil Arbeitsemigrantin in der Schweiz) am Telefon - vorlese. Ein kurzes fragendes “pffft pffft” nach einer halben Seite bestätigt mir meist schon den Erfolg. Dreh- und Wendestörungen gibts nur nach dem arbeitsbedingten Getrenntsein in der ersten Nacht…
23.11.2008 um 21:46 Uhr Christina
Ich wollte nur sagen, dass die Stimme von Christa Wolf ein sprudelnder Quell ist im Vergleich zu Anna Seghers. Ihre Lesung “Ausflug der toten Mädchen” ist die perfekte Einschlafhilfe. Leider gibt es das wohl nicht auf CD oder anderen Speichern, ich habe es zweimal mit großem Erfolg (Müdigkeitseffekt stellt sich sofort ein) im Radio gehört.
18.11.2008 um 21:11 Uhr ema
Ich hatte mit Hermann Hesses “Glasperlenspiel” mein größtes Müdigkeitserlebnis. Ich müßte mal einen neuen Versuch wagen, ob das immer noch so ist. Ähnlich erging es mir mit dem vielfach gelobten Erstlingsroman von Javier Marias, “Mein Herz so weiß”. - Einschlafprobleme mit einem Mann an meiner Seite habe ich überhaupt nicht, im Gegenteil: ich schlafe wie ein Baby und hole mir am anderen Morgen schon mal den Vorwurf ab, ich hätte geschnarcht. Macht nichts - macht er ja auch ;-)
17.11.2008 um 20:41 Uhr Anne
Danke für die wunderbaren Tipps - als Schlummertrunk 1 Glas Rotwein soll ja ebenfalls ein gutes Hausmittelchen sein - bestätigen jetzt ital. Forscher, die das Schlafhormon Melatonin in den Rotweintrauben entdeckt haben.
Das hört sich doch gut an - auch ein leerer Magen ist für mich keine Einschlafhilfe, da der nächtliche Gang zum Kühlschrank vorprogrammiert ist.
“Ohne Mann schlummern Frauen besser”.
Die Forderung v. Virginia Woolf `Ein Zimmer für sich allein`(1929) - die feministische Abhandlung wurde zu einem der meistzitierten Texte der Frauenbewegung - ist auch heute kein bisschen veraltet und gilt natürlich für die Nächte in obiger Konstellation mehr denn je….
Viele Grüsse
16.11.2008 um 20:54 Uhr Brigitte Menne
Matronen (wie auch ich) leiden ungern und besonders beim Zubettgehen unter kalten Füßen, Ohrwascheln, Nasen. Berichtet wird von diffusen Kältegefühlen an exponierten Körperstellen, besonders nach der Menopause. Frieren bedeutet Stress und Ruhelosigkeit, ist also ein absolutes Einschlafhindernis. Kalt, sprich: einsam, wälzt frau sich stundenlang. Da hilft nur Wärme! Also braucht es Nachthauben, Bettpatschen, Wärmeflaschen, Heizdecken etc. Darüber hinaus empfiehlt sich, über die Fragestellungen der Wiener Studien hinausgehend in Eigenregie dort anzuknüpfen, wo jene, der Konvention entsprechend, Halt machen. Forschungen anderer Institute bestätigen die Wiener Ergebnisse, ergänzen sie aber dahingehend - darauf möchte ich hinweisen - dass gemeinschaftlich Schlafen in der Konstellation Frau / Frau nach dem Ausklingen temporärer Aufregungen ein umfassend wohliges Wärmegefühl nach sich ziehen soll und prompt Einschlafen (meist auch Durchschlafen).
16.11.2008 um 14:24 Uhr Joey Horsley
Brava, Luise, dass Du eine so wirksame Selbsthilfemethode gefunden hast!
Über die erfolglosen aber witzig erzählten Versuche einer Amerikanerin, in den Schlaf zu kommen, kann frau in der Geschichte “Awake” von Jenny Allen lesen (“Shouts and Murmurs,” “The New Yorker,” pardon, “New Yorka,” 2. Juni 2008): http://www.newyorker.com/humor/2008/06/02/080602sh_shouts_allen
Alles Gute für einen weiterhin tiefen, ruhigen Schlaf!