Granny und Nanny im US-Wahlkampf
In den USA tobt der Wahlkampf; es geht dabei nicht nur um die Präsidentschaft, sondern auch um das Repräsentantenhaus und um ein Drittel der Sitze des Senats. Einer der meistbeachteten Teilkämpfe geht um einen der beiden Senatssitze von Massachusetts. Der Demokrat Ted Kennedy hatte ihn bis zu seinem Tod fast ein halbes Jahrhundert inne, dann fiel er dank massiver Wahlhilfe der Wirtschaft an den Republikaner Scott Brown. Und jetzt wollen die DemokratInnen „ihren“ Senatssitz wiederhaben und schicken eine beliebte, geachtete und hochqualifizierte Bewerberin ins Rennen: Elizabeth Warren, Jura-Professorin an der Harvard-Universität, Finanzexpertin und schärfste Kritikerin der Machenschaften der Finanzindustrie. 2010-2011 war Warren Sonderberaterin beim Consumer Financial Protection Bureau (Amt für Verbraucherschutz, Abtlg. Finanzen), das sie initiiert hatte.
Es verwundert nicht, dass fast niemand bei den Republikanern unbeliebter ist als Elizabeth Warren; sie kommt auf der Abschussliste gleich nach Obama. Wie schon bei der Lancierung Scott Browns werden massive Finanzmittel gegen sie eingesetzt, daneben aber auch das Mittel der Verunglimpfung und des systematischen Rufmords, das schon bei der Verhinderung der Präsidentschaft John Kerrys (2004) so gut geholfen und Bush die zweite Amtszeit beschert hat.
Für mich als Linguistin ist hier interessant, wie die Häme gegen Elizabeth Warren gestrickt ist.
Die 63jährige Warren ist geschieden und wiederverheiratet; sie hat zwei Kinder und drei Enkelkinder. Folglich redet die republikanische Seite nur noch von „Granny Warren“ (Oma Warren).
Zum Vergleich: Mitt Romney ist 65 Jahre alt, hat fünf Söhne und 18 Enkelkinder. Deswegen wird er aber von niemandem „Grampa Romney“ (Opa Romney) genannt. Er fühlt sich als Mann in den besten Jahren und nicht als Greis, und so wird er auch dargestellt. Vielleicht sollten die DemokratInnen die Häme endlich mit gleicher Münze heimzahlen und nur noch von „Opa Romney“ sprechen, solange die Gegenseite „Granny Warren“ sagt.
Leider aber tun sich die DemokratInnen schwer mit mit dem Einsatz sprachlich-rhetorischer Mittel zur Verteidigung ihrer Interessen. Das hat schon George Lakoff in seinem spannenden Buch Moral Politics: What Conservatives Know That Liberals Don't (1997) nachgewiesen und heftig bedauert. Die Republikaner hingegen sind Virtuosen der sprachlichen Verunglimpfung:
Das Ergebnis der Gesundheitsreform heißt bei ihnen nur höhnisch „Obamacare“. Die Erbschaftssteuer heißt "Todessteuer" (death tax), ihre Anti-Abtreibungsbewegung nennen sie „pro life“ undsoweiter. Die Tea Party, der rechtsradikale Flügel der RepublikanerInnen, lehnt den Staat als solchen ab und diffamiert staatliche Regulierungen prinzipiell als Bevormundung durch einen „nanny-state“ (Kindermädchen-Staat). In ihren Augen braucht „der mündige Bürger“ überhaupt keinen Staat. Dass sie damit ihrer eigenen Abschaffung das Wort reden, scheint ihnen nicht aufzufallen.
„Granny“ und „nanny“ - es wundert nicht, dass zwei Bezeichnungen für Frauen, die mit unserer angeblich „ureigensten“ Aufgabe des Kinderkriegens und -betreuens zu tun haben, von republikanischer Seite als abstoßende Schreckgespenster aufgebaut werden, die das Wahlvolk davon abhalten sollen, demokratisch zu wählen. Grannies und Nannies in allen Ehren - aber Politik ist Männersache! Auf diese krude Formel läuft ihre Sprachartistik letztlich hinaus.
Um endlich zum Schluß zu kommen: Grampa Romney ist gut sieben Monate älter als Hillary Clinton. Falls er gewinnt, was die gute Göttin verhüten möge, wird sich der rüstige Greis mit 69 Jahren um eine zweite Amtszeit bewerben. Dann wird hoffentlich Jung-Hillary gegen ihn antreten, auf die wir dann lange genug gewartet haben, nämlich 20 Jahre lang, hieß es doch schon 1992: „Hillary in 96!“. Wenn Obama gewinnt, wird Hillary ihn hoffentlich in vier Jahren ablösen. Denn auch die US-AmerikanerInnen brauchen eine Mutti! Da sie Angie nicht haben können, ist Hillary doch ein prima Ersatz. Und wenn Chelsea mitmacht, könnte Hillary bis dahin sogar auch Granny sein und mit den Supergrannies Pelosi und Warren in einem wunderschönen Granny-State allerlei Nützliches bewerkstelligen!
•••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Mehr Glossen von Luise F. Pusch gibt es hier. Jeder Band enthält rund 50 Glossen und kostet 9,90 EUR:
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
2 Kommentare
Nächster Eintrag: Die Entjunkerung
Vorheriger Eintrag: Die Olympiade, MicroSoft und gerechte Sprache
09.08.2012 um 13:19 Uhr Amy
Angela Merkel hat in Stuttgart auch mal Nerven gezeigt , gegen lautstarke Trillerpfeifen bemerkte sie “Wenn ich Argumente habe, stehe ich hier nicht mit einer Trillerpfeife im Maul.”
Ansonsten finde ich, dass sie bei politischen Auseinandersetzungen nie ausfallend geworden ist oder sich im Ton vergriffen hat, im Gegensatz zu manchen ihrer GegnerInnen, die in die unterste Schublade griffen, um sie mit Haeme, Spott zu zerlegen. Hillary Clinton kann auch ein Lied davon singen, mit welchen rueden Methoden GegnerInnen schon mal zur ‘Hantel’ greifen.
08.08.2012 um 16:33 Uhr sabine
Das ist die “Mutti” “Angie”, die in Stuttgart Protestierenden einen der dümmsten und am leichtesten zu widerlegenden Sprüche entgegenschleuderte:“Wer schreit hat Unrecht”; und dann noch irgendwas mit “Maul”...
Hillary als Ersatz? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hillary sich öffentlich oder privat so vulgär zeigt.