Geschlechtsverkehr
Gestern Nacht, nach dem Annika-Bengtzon-Krimi, sah ich mir noch die Tagesthemen an. Und da hörte ich zum ersten Mal von dem großen Wunder, das sich schon vor drei Wochen in aller Stille vollzogen hat: Die Neufassung der Straßenverkehrsordnung in geschlechtergerechtem Deutsch, kurz: die gegenderte StVO!
Diese Neufassung (vom 12. März 2013) sieht vor, dass alle Geschlechter am Verkehr teilnehmen dürfen, nicht nur Männer. War früher nur von Radfahrern, Mofafahrern und Fußgängern die Rede, heißt es jetzt „Rad Fahrende“, „Mofa Fahrende“ und „zu Fuß Gehende“. Wer es nicht glaubt, kann sich das epochemachende Dokument hier herunterladen. Genaueres Studium ergibt, dass sich das Verkehrsministerium ernstlich um geschlechtergerechte Sprache bemüht hat, wenn auch noch etliche Patzer und Inkonsistenzen zu beanstanden sind. Beim nächsten Durchgang empfiehlt sich Hinzuziehung einer feministischen Linguistin. Noch einfacher wäre eine Korrektur nach dem Rotationsprinzip: Alles im Femininum; Männer sind herzlich mitgemeint.
Wie kommt es nun, dass die Tagesthemen erst gestern auf die Zeitenwende eingingen? Weil die Neuregelungen erst zum 1. April in Kraft treten. Und weil die Tagesthemenredaktion wohl meinte, die gegenderte StVO eigne sich gut als Ersatz für einen zünftigen Aprilscherz, den sie sich als seriöse Nachrichtenredaktion ja in echt nicht leisten können. „Zu Fuß Gehende“ - nein, kein Aprilscherz, versicherte Caren Miosga mit freundlichem Grinsen, es war kurz vor Mitternacht, in wenigen Minuten brach der 1. April an.
Ich recherchierte danach ein wenig im Internet und fand heraus, dass die meisten von gerechter Sprache nichts wissen wollen und es wieder mal nicht fassen konnten, „wozu unsere Steuergelder missbraucht werden.“
Am 28.3. titelte ein Spiegel-Kolumnist im gewohnten sexistischen Spiegelsound: "Geschlechtsneutrale StVO: Dummdeutsch im Straßenverkehr"
Erstaunliches passiert auf der Webseite des ACE (Autoclub Europa). Dort findet sich eine Pressemitteilung, die die Bemühungen Ramsauers um eine geschlechtergerechte Sprache mit Hohn und Spott begießt. Ich zitiere in einiger Ausführlichkeit, weil dabei weitere geschlechtergerechte Lösungen zur Sprache kommen:
Volker Lempp, Leiter Verkehrsrecht beim ACE, dachte erst April, April, dann rieb er sich beim weiteren Lesen verwundert die Augen. Dem Juristen kommt es so vor, als habe der Verkehrsminister „kurzerhand einen Studienabbrecher im Fach Germanistik“ engagiert und mit dem Auftrag betraut, die bisherigen Formulierungen in der Verordnung auf die Erfordernisse der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu trimmen. Was dabei herauskam, entbehrt nicht der unfreiwilligen Komik. Kostproben gefällig?
In § 17 Abs. 2a StVO hieß es bisher bündig aber sprachlich unscharf: Krafträder müssen auch am Tag mit Abblendlicht fahren. Künftig ist klar: Nicht das Kraftrad, sondern eine Person, die dieses steuert ist in der Pflicht. Die neue Formulierung „Wer ein Kraftrad führt…“ schließt jedes Missverständnis aus. Folgerichtig wird aus dem Fußgänger (alt) in § 25 StVO ein jemand, „ der zu Fuß geht“ (neu) und in § 26 werden Fahrzeuge angehalten „den zu Fuß Gehenden…das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen“ Aber auch vor dem Autofahrer macht das sprachliche Großreinemachen nicht halt: Fahrzeugführer war mal, jetzt bitte nur noch „Fahrzeugführende“ beziehungsweise „wer ein Fahrzeug führt“ (§ 23 StVO). Geradezu mit Erleichterung nehmen Verkehrsjuristen des ACE zur Kenntnis, dass in § 28 StVO auch die notorischen Reiter, Treiber und Führer (!) von Tieren, Pferden und Vieh verschwunden sind und – den Schriftgelehrten des Ministeriums sei Dank – Personen Platz gemacht haben, die „reiten, treiben und führen“.
Polizistinnen unter die Räder geraten – ACE ruft nach Alice Schwarzer […] wird es dort weiterhin nur Mannsbilder als Polizeibeamte (§ 36) geben. Der Anordnung einer Polizistin muss man(n) demnach also nicht Folge leisten, oder doch? Verzweifelter Aufruf des ACE: Alice Schwarzer, übernehmen Sie! (Quelle: hier)
So weit, so schlecht und altbekannt. Was mir aber gänzlich ungewohnt war, waren die wütenden Kommentare, die die Häme dann auf sich zog:
„Man kann gegenderte Sprache aus verschiedenen Gründen mögen oder ablehnen. Aber mit einem Text wie diesen disqualifizieren Sie sich selbst. Sie begeben sich mit Ihren Vergleichen (Studienabrecher Germanist und den populistischen Ruf nach Alice Schwarzer) in die Ecke von unseriösen Vereinen wie z.B. Manndat.“ (Frank)
"Uij, da fühlt sich ein ein älterer, heterosexueller, weißer Mann mal wieder diskriminiert, weil er nicht bevorteilt wird. Das ist asozial, aber in diesem Land ja alltäglicher Rassismus!" (Mensch)
"Der zotige Charakter der Pressemitteilung legt den Schluss nahe, dass der ACE geschlechtergerechte Sprache für zu vernachlässigenden Quatsch hält." (Gendalus)
Ich fasse zusammen:
Die feministische Sprachkritik hat einen erstaunlichen und gänzlich unerwarteten Sieg errungen. Und ihre AnhängerInnen melden sich lautstark zu Wort. Hohn und Spott der Androzentriker reizen die bis dato schweigende Mehrheit erstmals zu wortgewaltigem Widerspruch - und die Spötter rudern prompt zurück: „Möglicherweise ist der ironisch-humoristische Unterton in unserer Pressemitteilung nicht so wie beabsichtigt rübergekommen. Sorry.“
Nein, kein Aprilscherz! •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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7 Kommentare
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28.04.2013 um 15:37 Uhr anne
frauen sichtbar machen - auch bei den strassenbezeichnungen wurden frauen namentlich - wie üblich - übergangen. eine flut der empörung und mann sprach hämisch von einer posse, weil in berlin bei der benennung des platzes vor dem jüdischen museum in berlin der name Fromet, ehefrau von Moses Mendelssohn, mit aufs straßenschild kommen sollte . es geht darum, sichtweisen zu ändern, offen zu sein und traditionen zu überdenken ...Fromet Mendelssohn, geb. Gugenheim, überstand zehn schwangerschaften, war eine kluge frau - inzwischen gab es eine einigung zum “Moses-und Fromet-Mendelssohn-Platz”. als alternativen waren u.a. die rabbinerin Regina Jonas und die schriftstellerin Rachel Varnhagen genannt. empören sollte frau sich - wie auch zur geschlechtergerechten sprache - über die immer noch teils diskriminierenden, hämischen, altertümlichen reaktionen im 21. jahrhundert ...
zitiert: Warum Mendelssohns frau mit aufs Schild darf - Seien wir so frei:
Und es gibt noch ein Argument, dass die Possigkeit bei genauerem Hinhören reduziert: Bei der Suche nach einem angemessenen Namen sei deutlich geworden, dass auf Grund der patriarchialen Geschichte Deutschlands und Europas eine Frau von der Bedeutung Moses Mendelssohns schwerer zu finden sei, so Jaresch.
Keine Frage: Eine rückwirkende Emanzipation ist nicht möglich. Aber vielleicht geht es hier um etwas ganz anderes, darum, Sichtweisen zu ändern, offen zu sein und Traditionen zu überdenken, eben das, wofür Moses Mendelssohns Name steht. Fromet war ihrem Mann im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Partnerin auf Augenhöhe. Ganz sicher hat sie, die auch seine Buchhalterin war, ihm den Rücken freigehalten. Also warum eigentlich nicht Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz? Seien wir so frei.
http://www.stern.de/politik/deutschland/berliner-posse-um-quote-bei-strassennamen-warum-mendelssohns-frau-mit-aufs-schild-darf-2002893.html
06.04.2013 um 21:33 Uhr Dürr
@Roswitha: JAAAA! Auf Bundesebene seit 1971, auf Kantonsebene - es fehlte nur noch d.Kanton Appenzell Innerrhoden - seit 1990! Huch!!
Und: Wir hatten sogar schon einmal, während eine GANZEN Jahres (!!) 4 von 7 Bundesräten FRAUEN!!
Nichtsdestotrotz: Wenn ich als Dozentin d.Fachhochschule Winterthur, die weibliche Form zuerst u.dann d.männliche angewendet habe, gab es von Seiten der Studenten nicht selten Protest… Ausrede: Das sei zu kompliziert, um sich dann meine ganze Aussage merken zu können. Das störe. Also benutzte ich nur noch die weibliche Form - was natürlich auch wieder nicht recht war! ;-) Kompromiss: 1x weiblich, nächste Vorlesung männlich. Folge: ich hatte einfach immer in der Vorwoche die männliche Form benutzt…
Lg
Dürr
04.04.2013 um 18:21 Uhr Sabine
zu STVO >>
http://www.radioeins.de/programm/sendungen/der_schoene_morgen/kommentar/ulrike_bieritz.html
Dieser redundante, wirre und hinterwäldlerisch daherkommende öffentl.-rechtl. Beitrag von Kommentator Ulrike wurde von unser aller Gebühren finanziert.
04.04.2013 um 15:14 Uhr Roswitha Feiner
Sind jetzt die Frauen in der Schweiz eigentlich schon DURCHGÄNGIG wahlberechtigt?
03.04.2013 um 23:27 Uhr Amy
Frauen und Mobilität: und genau diese werde ich nutzen und als langjährige ACE-Mitfrau meine Kündigung einreichen. Ich habe die Grundhaltung in der Pressemitteilung sehr gut verstanden, auch wenn jetzt versucht wird, mit dem Argument `Ironie` zurückzurudern. Darüber bin ich sehr mürrisch; ich habe auch die Schnauze gestrichen voll von den ewigen Querschlägen, den dümmlichen, hämischen Bemerkungen, Kommentaren (zumeist kommen sie von Männern) , sobald es um das Thema gerechte Sprache geht. Denn es be/trifft vor allem uns Frauen. Danke an Luise für die prima Aufklärung!
03.04.2013 um 17:19 Uhr Dürr
So langsam wir SchweizerInnen auch sind, hier sind wir tatsächlich seit mind. 15 Jahren dabei: Amtlich ist, dass genderneutral zu formulieren ist - überall!
Und: In öffentlichen Reden sind Frauen und Männer zu nennen, also: Wählerinnen und Wähler. Inzwischen - ja - immer Männer voran. Soviel Privileg muss sein! Bloss spielen nun immer mehr PolitikerInnen nicht mehr mit u.meinen, soviel Gentleman muss sein, dass man die Frauen, höflicherweise bitte schön, zuerst nennt.
Wie sagte doch unser neofaschistenfreundlicher, frischgewählte Regierungsrat aus dem Wallis: Auf solche Nebensächlichkeiten wie Frauen kann nicht immer Rücksicht genommen werden!
Möge die Zeit kommen, wo auf Nebensächlichkeiten wie Männer verzichtet werden kann!
02.04.2013 um 12:48 Uhr mo jour
na, das wurde aber auch zeit!
und wer verdanken wir’s?
unter anderen ganz gewiss auch Ihnen, liebste Luise Pusch, und Ihrer herzhaften, humorvollen hartnäckigkeit.
DANKE SCHÖN!