Geh deinen Weg - aber geh
An diesem Wochenende überschwemmen uns die Medien mit einem neuen Slogan: „GEH’ DEINEN WEG“. Er soll für Integration werben.
Das ist ja auch gut und schön und richtig. Aber wer ist bloß für diesen sprachlichen Missgriff und seine ebenso missratene grafische Gestaltung verantwortlich?!
Die Deutschlandstiftung Integration steht dahinter; sie verbreitet den Spruch. Aber wer hat ihn sich ausgedacht und wer hat das Design des Logos verbrochen? Das habe ich noch nicht herausbekommen. Im Internet lese ich folgendes über die guten Absichten der Aktion:
Der Aktionstag Integration ist eine der zentralen Zukunftsaufgaben in Deutschland und es gibt kein besseres Vorbild für gelebte Integration als den Fußball. Integration ist auf dem Platz kein Thema, Integration gelingt spielend. Mit dem Bundesliga-Aktionstag will die Deutschlandstiftung Integration gemeinsam mit der Bundesliga das Thema Integration in den öffentlichen Fokus rücken. Am Wochenende des 14. bis 16. September 2012 - dem dritten Spieltag der Fußball-Bundesliga - verzichten alle 18 Bundesligavereine und deren Sponsoren auf Trikotwerbung und laufen stattdessen einheitlich mit dem Aktionsmotto "Geh’ Deinen Weg" auf. Auch die Spielbälle der Bundesliga werden mit dem Logo der Initiative versehen sein. Die Botschaft ist klar: Egal, woher ein Mensch kommt, er soll die gleichen Chancen haben wie alle anderen, seinen Weg in unserer Gesellschaft zu finden. Bereits vor 20 Jahren machte sich die Bundesliga unter dem Eindruck der fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock und Solingen mit der Kampagne "Mein Freund ist Ausländer" öffentlich für ein friedliches Miteinander stark. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gab als Schirmherrin der Stiftung gemeinsam mit DFL-Präsident Dr. Reinhard Rauball, FC Bayern München Präsident Uli Hoeneß und Vorstandsvorsitzender der Deutschlandstiftung Integration Wolfgang Fürstner den Startschuss für die Aktion. (Quelle: [url=http://www.geh-deinen-weg.org/der-aktionstag/]http://www.geh-deinen-weg.org/der-aktionstag/[/url])
Ich hätte es ja besser gefunden, wenn die Fußballer bei ihren Spielen an diesem Wochenende demonstrativ ein Kopftuch getragen hätten. Aber an die Integration der Weiblichkeit in die männliche Spielkultur ist wohl noch nicht gedacht. Alles zu seiner Zeit. Nicht zu ihrer.
"Geh deinen Weg" - für Zwangsprostituierte und Menschen in Abschiebehaft, um nur einige zu nennen, die keine Wahl haben - für all diese wird der Spruch ohnehin wie glatter Hohn klingen.
Ob ich will oder nicht, sehe ich an Wochenenden Ausschnitte aus den Spielen der Bundesliga; wenn ich die Wettervorhersage mitkriegen will, muss ich erst Fußball gucken. Und was sah ich diesmal? Alle Spieler trugen auf ihren Hemden das Logo „GEH WEG!“ Das „DEINEN“ ist kleiner gedruckt und deshalb kaum erkennbar.
Geh weg! Schöne Botschaft! Ist das vielleicht der eigentliche Sinn der hehren Sportsaktion? Ihr Subtext, wie die moderne Textwissenschaft es nennen würde?
Der Spruch scheint eine Freudsche Fehlleistung zu sein wie sie im Buche steht. Vordergründig wird Integrationsbereitschaft bekundet, aber der Hintergrund scheint deutlich durch: „GEH WEG!“ Hätten sie doch wenigstens Groß- und Kleinschreibung gewählt („Geh Weg“) statt all der Großbuchstaben!
Linguistinnen werden ja für solche Großaktionen nicht zu Rate gezogen, sondern eher unsere „Kreativen“. Was hätte ich denn vorgeschlagen, wenn mann mich gefragt hätte? Nun, vermutlich sowas wie:
„Du bist willkommen!“ „Du bist ok, ich bin ok!“ „Wir brauchen dich!“ "Frauen gemeinsam sind stark!" "Hochinklusiv!"
Denn bei der Integrationsproblematik ist ja nicht die Minderheit das Problem, sondern die Mehrheit, die sich mit dem Integrieren „der anderen“ schwertut. Rosa von Praunheim brachte es schon vor vierzig Jahren mit seinem Film auf den Punkt: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Deshalb sollte die Mehrheit nicht der verfolgten Minderheit leutselig auf die Schulter klopfen und ihr gute Ratschläge erteilen, sondern sich vielmehr selbst aufmuntern, „die anderen“ besser willkommen zu heißen und aufzunehmen.
Gut gemeint ist oft nicht gut genug. Sprüche sind gut, aber sie müssen auch gut sein. Am besten aber wäre natürlich eine Kopftuchaktion unserer Helden der Nation gewesen. Aber so tapfer sind die Helden noch nicht. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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6 Kommentare
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17.09.2012 um 16:54 Uhr Amy
Nachtrag: “Mach meinen Kumpel nicht an” war 1986 eine Aktion der DGB-Jugend gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Ein Kumpel-Verein aller Gewerkschaften im DGB. Frauen kamen sprachlich nicht vor, waren aber herzlich mitgemeint ? Ähnlich der frühere Bundesliga-Slogan “Mein Freund ist Ausländer” .
“Frauen gemeinsam sind stark” wäre als Pendant zu “Geh deinen Weg” eine wichtige Aufforderung gegen die heutigen antifeministischen Strömungen, vor allem bei Frauenhaß. Lt. Taz-Kommentar zu Antifeminismus im italienischen Gesetz vom 29.7.2012 mehren sich auch in Italien Webseiten mit frauenfeindlichen Inhalten - vor allem auf Facebook. Das Online-Netzwerk unternimmt nichts dagegen.
“Die italienische Gruppe mit dem Namen „Nein der Gewalt gegen Frauen“, ist das Flaggschiff einer Bewegung im Netz, welche systematisch Frauenrechte auszuhöhlen versucht. Zwar handelt es sich bislang um ein italienisches Phänomen, Nachahmer finden sich aber auch schon in Deutschland. Während aber die Originalseiten sich tatsächlich für die Belange von Frauen einsetzen und zum Beispiel Informationen über Frauenhäuser bereitstellen, versuchen die misogynen Kopien im schlimmsten Fall darzulegen, dass Frauenhäuser voll von „Nazis“, „Pädophilen“ oder „Verleumdern“ seien. Frauenfeindlichkeit und Geschichtsrevisionismus
„Was diese Internetseiten vereint, ist die Negation der real existierenden Gewalt an Frauen, die Überhöhung von tendenziösen Berichten und eine Form des Geschichtsrevisionismus“, schrieb unlängst die italienische Journalistin Ilaria Lonigro in einem Artikel über das Netzphänomen für die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano.
Erstaunlich ist, dass die „erfolgreichste“ und offenkundig frauenfeindliche Facebook-Gruppe „Nein der Gewalt gegen Frauen“ so viele Fans hat. Inzwischen zählt die Seite über 460.000 Freunde. Dabei finden sich unter den tendenziösen Artikeln regelmäßig solche mit Titeln wie „Feministin wegen Genozid verurteilt“, oder „Frau tobt sich in Diskothek aus, vergisst ihre Kinder und lügt dann: Ich wurde vergewaltigt“. Auch unter den Favoriten der Gruppe finden sich zahlreiche andere frauenfeindliche Facebook-Gruppen. Dennoch befand Facebook Italien, dass die Gruppe nicht die Nutzungsbedingungen des Unternehmens verletze, und daher nicht zu beanstanden sei. Die Nutzer hätten lediglich die Möglichkeit einzelne Kommentare zu melden. Eine Sprecherin von Facebook Deutschland wollte sich nicht zu dem Fall äußern und verwies auf die italienischen Kollegen. Diskriminierung auch in Deutschland
In Deutschland finden sich keine Facebook-Gruppen mit offenkundig frauenfeindlichen Inhalten. Allerdings finden sich auf der Seite bloganddiscussion.com mehrere frauenfeindliche Internetseiten. So zum Beispiel die Seite „Frauenhaus – Von Frauen. Für Frauen“. Ein nach eigenem Bekunden „nicht-religiöser, weltanschaulicher, Anti-sozialistischer, evolutionsphilosophischer Mitte-links Ratgeber zur häuslichen Gewalt, Rolle der modernen Frau und Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. zitiert Taz vom 29.7.2012
16.09.2012 um 21:55 Uhr Amy
So nebenbei: Sämtliche Proteste gegen Frauenhandel, Prostitution, Sextourismus anläßlich und nach der EM-Auslosung f.d. Fußball-EM 2012 der Männer in der Ukraine waren bei den Herren Organisatoren und Spielern auf taube Ohren gestossen. Da gab`s keine Aktionen oder Aufschriften auf den Fußballtrikots gegen Sextourismus. Großer Medienrummel dagegen f.d. Protestgruppe `Femen`, aber auch nur, weil mann nackte Brüste fotografieren wollte und mit aufreisserischen Fotos passende Schlagzeilen erhoffte. Kampagnen gab es früher mal z.B. “Keine Macht den Drogen” .
Ich warte auf das Medieninteresse auch bei sportlichen Großveranstaltungen, welches sich generell gegen die Mio Freier richtet bzw. die Käufer von Frauenkörpern in die Verantwortung nimmt - ganz im Sinne der schwedischen Gesetzgebung; es ist in Schweden uncool geworden, Sex zu kaufen, Freier heissen hier Verlierer - eine Mehrheit der Schweden findet, dass es nicht richtig ist, jemanden für Sex zu kaufen. Der obige äusserst missglückte Slogan soll für Integration werben. Werbung im großen Stil gegen Frauenbenutzer im Sexgewerbe könnte langfristig ebenso hilfreich sein für ein neues Bewusstsein..
Er kann gehen, Sie nicht - Werbung gegen Zwangsprostitution
http://www.youtube.com/watch?v=JJqBv6GXoks
16.09.2012 um 18:18 Uhr Karin
Liebe Luise, Danke für diesen exzellenten Beitrag! Ich bin entsetzt über die eklantante Insensitivität dieses Spruches, der auf dem Trikot wirklich wie “Geh weg” aussieht. Wie kommt es bloß, dass dies keinem der Zuständigen aufgefallen ist? Welch interesselose Oberflächlichkeit bei allen Organisatoren und Beteiligten der Aktion!
16.09.2012 um 15:22 Uhr lfp
@Anne: Danke für die Erinnerung an die Parallele Fremdenhaß / Frauenhaß und ihre ungleiche politische Behandlung!
@Gudrun Nositschka:
Ich meine, daß die Kopftuchpraxis, durch die Frauen als Eigentum der Männer markiert werden, nicht mehr greift und ad absurdum geführt wird, wenn Männer das Kopftuch tragen. Ein Zeichen wird ungültig gemacht.
Hätten doch die Deutschen damals ALLE demonstrativ den Judenstern getragen - -
16.09.2012 um 15:05 Uhr anne
prima, liebe luise !
zu fremdenhass/frauenhass fällt mir das zitat ein: “der frauenhass ist die mutter allen hasses. auf diesem früh eingeübten und alltäglich gelebten hass vor der fremden nächsten wuchert der hass vor allem anderen. warum sollte der herrenmensch nicht auf fremden herumtrampeln, wenn er gewohnt ist, seine nächsten unterm stiefel zu haben? wer frauen schlägt, schlägt auch fremde. so sensibel beim fremdenhass reagiert wird, so gleichgültig lässt der frauenhass” (Alice Schwarzer, dt. journalistin, feministin)
ich hoffe, dass auch der `frauenhass` endlich den gesellschaftl. stellenwert einnimmt wie der existierende `fremdenhass bzw. fremdenfeindlichkeit` - frauen sind keine minderheit sondern die mehrheit , unterliegen aber aufgrund ihrer geschlechterzugehörigkeit weltweit gleichen feindseligkeiten wie fremdenhass - welche kategorie nimmt eigentlich der `frauenhass` ein? gegen rassismus und fremdenhass wird juristisch und politisch vorgegangen… so heisst es, misogynie ist die älteste diskriminierung der welt und auch bei uns allgegenwärtig, dass sie von vielen nicht einmal wahrgenommen wird. das sollte endlich mal gesellschaftlich anerkannt werden… wo sind die helden, auf dem fußballplatz vermute ich, werden wir sie weniger antreffen; sind sie zu sehr mit sich selbst und dem ball beschäftigt - zumeist sind/waren es frauen, die das allgegenwärtige, tief in unserer kultur verwurzelte phänomen der misogynie aufdeckten und bekämpften..
http://www.welt.de/politik/ausland/article13430936/Diese-Laender-sind-fuer-Frauen-die-gefaehrlichsten.html
16.09.2012 um 14:42 Uhr Gudrun Nositschka
Jetzt habe ich begriffen, was mich an diesem Slogan gestört hatte, als ich ihn gestern in den Nachrichten über die Bundesliga sah. Gar nicht begreife ich allerdings, warum die Fußballspieler demonstrativ ein Kopftuch hätten tragen sollen. Als wessen Eigentum hätten sie sich damit bekennen sollen? Als Eigentum des jeweiligen Kapitalseigners des Vereins, in dem sie spielen, von dem sie gekauft und verkauft werden dürfen? Das Haare und Hals bedeckene Kopftuch sowie andere Formen der Verhüllung in monotheistischen Religionen für Frauen in diesen Religionen belegen, dass Frauen Eigentum von Männern sind, zuerst das der Väter, evtl. Brüder, dann Ehemänner. Unverhüllte Frauen “verletzen die Ehre der sie besitzenden Männer” und gelten zumindest im Islam als Huren. Meine Ausführungen dazu schicke ich an Fembio zum Weiterreichen.
Herzlich