Gandhi-Style: Eindrücke aus Südindien
Inspektion der Herrenkultur, Teil 2 Über Neujahr waren wir zwei Wochen in Kerala, Südindien. Joeys Tochter hat einen Indo-Amerikaner geheiratet, und am 29. Dezember wurde die Hochzeit im Kreise seiner großen indischen Familie nachgefeiert. Es war eine wunderbare, aufregende Zeit, aber viel zu heiß für mich, eine ständige tropisch-feuchte Hitze um 32 Grad.
Wir flogen zuerst nach Dubai und von dort über das arabische Meer nach Kochi.
Im Flughafengebäude von Dubai, wo wir um Mitternacht ankamen, sah ich zum ersten Mal einen echten Saudi in knöchellanger weißer Seide (Thobe), auf dem Kopf ein rotweißes Tuch (Shumagh), das von einem schwarzen Reif (Igal) gehalten wurde. Er sah jung, schön, elegant und arrogant aus. Sein Gefolge bestand aus einigen Frauen; sie waren von Kopf bis Fuß in schwarze Gewänder (Abayas) eingehüllt. Ihr Gesichtsausdruck war hinter den schmalen Schlitzen für ihre Augen nicht zu erkennen.
An einem Tisch sah ich einen bärtigen, westlich gekleideten Mann, der genießerisch seinen Espresso schlürfte. Ihm gegenüber saß eine in Schwarz gehüllte Frau, die gar nichts schlürfte. Wie hätte ihr das auch gelingen sollen!
Sonst kam ich mit der arabischen Mode nur wenig in Berührung. Die Stewardessen der Emirates-Fluglinie trugen beige Kostüme westlichen Zuschnitts und ein rotes Käppi, aus dem links sinnlos eine Art weißer Schleier heraushing, der um den Hals und nach hinten geführt wurde.
Zehn Tage vor unserem Abflug nach Kochi, am 16. Dezember, war in Delhi eine Studentin von sechs Männern in einem Bus stundenlang vergewaltigt und gefoltert worden und dann mit ihrem ebenfalls schwer mißhandelten Freund auf die Straße geworfen worden. Am 29. Dezember starb sie. Das ganze Land, ja die Welt explodierte förmlich vor Wut und Abscheu, und der Protest gegen die extreme Frauenfeindlichkeit der indischen Männer begleitete uns vor, während und nach dieser Indienreise. Mehr dazu hier.
Ich wunderte mich über diesen plötzlichen Aufschrei. War denn dies Verbrechen so viel schlimmer als all die anderen Vergewaltigungen mit Todesfolge, denen allein in den USA jede Minute eine Frau zum Opfer fällt? Schlimmer als die Untaten deutscher Sextouristen in Thailand, Malaysia, Indonesien, deren Opfer immer jünger sein müssen, am liebsten nicht älter als fünf Jahre?
Trotzdem, dieser weltweite Aufschrei gibt Hoffnung, dass die Frauen die Brutalität der Männer nicht mehr wehrlos hinnehmen wollen.
Die indischen Männer, denen wir auf unserer Reise begegneten, waren alle überaus freundlich und hilfsbereit. Aber wir waren westlich gekleidet und genossen wohl die entsprechenden Privilegien.
Was mir die indischen Männer - von ferne - auch so sympathisch machte, war ihre hübsche Kleidung. Sie trugen weiße oder cremefarbene knöchellange Wickelröcke, Dhoti (auf Hindi) oder Mundu (auf Malayalam) genannt, die sie nach Bedarf zu knielangen Röcken hochschürzten und blitzschnell auch wieder längen konnten. So wie westliche Frauen gern an ihrer Frisur nesteln und sich dauernd die Haare aus dem Gesicht streichen, waren in Indien viele Männer mit dem Hochschürzen und Runterlassen ihrer Dhotis beschäftigt. Meist taten sie das lässig im Gehen; sie brauchten dazu nicht einmal stehenzubleiben. (Hier zeigt eine Inderin einem Westler den Umgang mit dem Dhoti).
Hochgeschürzt sehen Dhotis gern wie Windeln aus; es erinnerte mich stark an Gandhis eigenwillige Kleidung, in der er die Kolonialmacht bezwang.
Viel gäbe es noch zu berichten über Kerala, das Land der Kokospalmen und Schattenbäume, des chaotischen Verkehrs und der tollkühnen Artisten, die sich „Fahrer“ nennen und uns gelassen, sanft und sicher durch das höllische Gewühl von Autos, Dreirad-Rikschas, Motorrädern, Fahrrädern, FußgängerInnen, Kühen und Ziegen kutschierten. Wie die Inderinnen in ihren eleganten Saris oder Salwar Kameezes es schaffen, im Staub und Dreck der Straße oder auch im Dschungel der Backwaters von Kerala immer frisch und sauber auszusehen, bleibt ihr Geheimnis.
Ähnlich wie Merkel, dachte ich, braucht die Inderin sich über ihr Outfit nicht mehr viele Gedanken zu machen. Sie trägt eine farbenfrohe Uniform, mit der sie immer und überall korrekt gekleidet ist. Und anders als die korrekt gekleidete Muslima sieht auch sie schön und elegant aus, mehr noch als ihr Mann in seinen Windeln. Und sie kann sogar in der Öffentlichkeit mühelos einen Espresso schlürfen oder - noch besser - einen wunderbar aromatischen Masala-Tee.
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2 Kommentare
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06.02.2013 um 12:39 Uhr Désireé
Ich habe einmal gelesen dass indische Frauen auch nicht einfach tragen dürfen was sie wollen. Die Saris sind auf ihren gesellschaftlichen Status abgestimmt. So müssen Witwen beispielsweise weiß tragen. Teilweise werden sie dann in Slum-Städte gebracht, wo sie unter sich sind und von der Bettelei leben müssen.
In diesem Zusammenhang kann ich das Buch “Indien und seine tausend Gesichter” von Tor Favorik empfehlen.
29.01.2013 um 23:46 Uhr anne
es gibt traditionelle, kulturelle bekleidungsstücke , die frauen UND männer tragen ,z.b. der kimono, der sarong (wickelrock), pareu (lendentuch/tahiti), paijama (hose f. frauen und männer/indien), kurta (langes hemd f. frauen und männer).
in westlichen ländern dagegen ist es verpönt, wenn männer röcke tragen - das trauen sich nur individualisten zu, dabei gab es männerröcke schon in prähistorischer zeit. lange hat es gedauert, bis frauen in hosen akzeptiert wurden. die frauenhosenbewegung ging hand in hand mit der emanzipationsbewegung - Amelia Bloomer, amerikanische frauenrechtlerin, war mit die erste, die sich für eine reformkleidung einsetzte und knöchellange weite hosen für frauen entwarf, die nach ihr bloomers genannt wurden. dazu trug sie ein etwa knielanges kleid.
über die sittsamkeit der frau bestimmen natürlich die muslimischen golf-araber. wenn frauen sich i.d. öffentlichkeit hinter einer schwarzen maskerade verstecken müssen, spricht das nicht unbedingt für den arabischen mann, der sich im gegensatz zu frauen auch bekleidungsmässig überall lautstark `sichtbar` halten darf. wie wäre es mal umgekehrt? arabische männer mit burka oder gesichtsschleier, tief in schwarz verhüllt, unsichtbar ? damit sie von frauen nicht massenhaft sexuell belästigt, vergewaltigt oder sonstwie traktiert werden? generell zieht es mich als frau überhaupt nicht in arabische länder, da können die luxus-herbergen noch so schön mit glanz überzogen sein und die herren sich überaus freundlich geben ...
zitiert: frauen in indien / auch in indien hängt der status der frauen stark davon ab, in welcher religion sie hineingeboren werden. in der vorvedischen zeit gab es in indien das matriarchalische system der Drawiden, eine verehrung der weiblichen gottheit und damit ein hohes ansehen der frau. im hinduistischen gesetzbuch manus steht, dass die frau ihr leben lang einem mann untertan zu sein hat, zuerst ihrem vater , später ihrem ehemann und dann dem sohn. männer nehmen sich einfach, was sie brauchen und gewalt gegen frauen gehört auch in indien zum alltag. nur 68 % der inderinnen können lesen , nur 49 % haben einen sekundarschulabschluss und 47 % sind im 18. lebensjahr bereits verheiratet. bis 2020 wird es schätzungsweise in indien 30 mio mehr männer als frauen geben - der männerüberschuss wird sich bestimmt nicht positiv auf die lage vieler frauen auswirken ...es heisst, wo ein männerüberschuss besteht, steigt auch die gewalt gegen frauen an .
http://www.bpb.de/themen/4GR5P8,0,0,Neues_Selbstbewusstsein_und_anhaltende_Unterdrückung.html