Frauenhilfe
Am Donnerstag war ich in Soest; die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen hatte mich anlässlich ihrer Frühjahrskonferenz zu einem Vortrag und Workshop eingeladen. Die Einladung weckte Erinnerungen an meine Kindheit: Meine Patentante war als Diakonisse und Hebamme in Soest tätig gewesen; einmal hatte sie mich in ihr Schwesternheim eingeladen, und ich erfuhr damals als Sechsjährige von ihr und ihren Mitschwestern viel liebevolle Fürsorge. Seitdem bewahre ich Soest - sehr von ferne - eine kindliche Anhänglichkeit.
Die Frauenhilfe, so schrieb ich den Veranstalterinnen, war mir schon als Kind ein Begriff: Meine damals etwa 70-jährige Großmutter ging jede Woche zu den Veranstaltungen der Frauenhilfe in Gütersloh.
Ich entwickelte schon früh einen Widerwillen gegen allerlei „christliches Getue“ und überdies ein arrogantes Überlegenheitsgefühl; die Gründe sind komplex. Einmal gehörte es zum Rebellionsmuster der Jugend: Meine Familie war sehr christlich, also war ich schon mal dagegen. Meine Großmutter schickte mich mit Sammelbüchsen für die Mission und fürs Müttergenesungswerk in die Nachbarschaft - ich war gar nicht begeistert! Schon diese Ausdrücke - „Müttergenesungswerk“, „Frauenhilfe“ oder gar „Frauenhülfe“ - wirkten so lächerlich, fast so blöd wie „Suffragette“, das in meiner Kindheit nur noch als Schimpfwort gegen eigenwillige Frauen in Gebrauch war. Ich erkannte die Perfidie des Spottes nicht, sondern lernte nur, was „lächerlich“ war und was nicht. Die „Frauenhülfe“ war irgendwie altmodisch und schon deshalb lächerlich. Etwas für alte Frauen wie meine Großmutter. Übrigens war sie damals etwa so alt wie ich jetzt.
Nun die Frauenhilfe mich so freundlich eingeladen hatte, machte ich mir natürlich Gedanken über sie und meinen lächerlichen Dünkel. Seit Beginn der Frauenbewegung gibt es Frauenselbsthilfegruppen wie „Frauen helfen Frauen“. Ich bin Mitglied bei "Terre des Femmes" und bei „Women for Women“ - irgendwie bezwecken alle diese Gruppen dasselbe, aber die Frauenhilfe als älteste und ehrwürdigste von ihnen kam mir seit der Kindheit fast nie mehr ins Bewusstsein.
Ich wurde dann von den Veranstalterinnen aufgeklärt, dass die Frauenhilfe eng mit der Frauenbewegung zusammenarbeite und sich als ein Teil von ihr begreife. In Julia Paulus’ Artikel über die Gründung der Westfälischen Frauenhilfe im Jahre 1906 (zu lesen hier) heißt es zum Schluss:
[Nach 1984] weitete die Frauenhilfe ihre sozial-diakonische Arbeit auf Menschen mit psychischen Erkrankungen, auf die stationäre Altenarbeit, auf die Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und Kindern sowie Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution aus. Heute gehören dem Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen 39 Bezirks- und Stadtverbände an, die fast 80.000 Frauen in etwa 1350 Gruppen in fast allen westfälischen Gemeinden repräsentieren.
Also ein machtvoller Verband mit feministischen Zielen und Tätigkeitsbereichen. Oder doch nicht so ganz?
Da ist zum einen die Geschichte, die so ehrwürdig eben doch nicht ist. 1899 wurde die Ev. Frauenhülfe auf Anregung der Kaiserin Auguste Victoria gegründet; Ziel war es, „die Folgeerscheinungen der gesellschaftlichen Modernisierung, wie Industrialisierung und politische Emanzipation zu bekämpfen, um der schleichenden Säkularisierung in den Gemeinden Einhalt zu gebieten.“ (Paulus) Zu Anfang der NS-Zeit „unterstützte die Westfälische Frauenhilfe das NS-Regime ohne Vorbehalte“, wandte sich dann aber von den regime-konformen „Deutschen Christen“ ab, schloss sich der dissidenten „Bekennenden Kirche“ an - und bekam die Folgen zu spüren: "Es kam immer wieder zu Konflikten zwischen dem NS-Frauenwerk (NSF) / dem Deutschen Frauenwerk (DFW) und der Westfälischen Frauenhilfe, bei denen die Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS die Frauenhilfe aus dem öffentlichen Leben weitgehend zu verdrängen suchte.“ (Paulus).
Da ist zum anderen das Etikett „evangelisch“, d.h. die kirchlich-patriarchalische Prägung ist wohl nur schwer zu überwinden.
Und schließlich: Das Wort "Frauenhilfe" selbst. Lange vor der Gründung der Frauenhilfe gründete der katholische Pfarrer Adolph Kolping ein Männerhilfswerk, das sich im Laufe der Jahre zum Kolpingwerk entwickelte. Obwohl es also Männerhilfe betreibt (Männer helfen Männern) - heißt es nicht „Männerhilfe“. Männer brauchen doch keine Hilfe, vielmehr sind sie stark und autark!
Das Wort „Männerhilfe“ in ähnlichem Sinne wie „Frauenhilfe“ ist bei Google nahezu unbekannt. Für „Frauenhilfe“ finden sich hingegen 353.000 Einträge.
Denn Frauen sind ja so hilfsbedürftig, und die Kirche greift ihnen gern unter die Arme. Was also der autonomen Frauenbewegung wohl vor allem verdächtig ist, ist dieser Aspekt der Bevormundung und „Hilfe von oben“, der einem kirchlichen Verband zwangsläufig anhaftet. Die Frauenhilfe, das erfuhr ich auf der Rückreise von einer der Frauen, die an dem Workshop teilgenommen hatten, ist überaltert. Die meisten Mitfrauen sind um die siebzig, Nachwuchs findet sich nur wenig ein.
Die Frauenhilfe leidet am Imageproblem ihres Umfelds, der evangelischen Kirche. Deren Image ist derzeit zwar besser als das der katholischen Kirche - trotzdem bleiben die Kirchen leer und müssen zunehmend mit MusikliebhaberInnen gefüllt werden, die wegen der Bachkantatenaufführungen kommen und dafür die Predigt und den Rest des Gottesdiensts „in Kauf nehmen“. Das erzählte mir gestern Berit, die in einem Kirchenchor singt. Zunehmend werden die musikalischen Leckerbissen als Lockspeise in den Gottesdienst integriert und nicht mehr wie früher ausschließlich in Kirchenkonzerten aufgeführt.
Die „Women Religious“, der Dachverband der US-amerikanischen Nonnen, wird derzeit von einer Woge der Sympathie getragen, weil der Vatikan sie rügte, sie kümmerten sich mehr um die Armen als um den Kampf gegen Abtreibung und Homosexualität. Schon herzig, die Vatis im Vatikan. Mehr hier.
Liegt hier vielleicht ein Schlüssel zur Lösung der Imageproblematik? Beharrlicher und beherzter Widerstand gegen die patriarchalen Zumutungen der Kirchenoberen und anderer Obrigkeiten? Damit würden Frauen dann nicht nur Frauen helfen, sondern vor allem den Männern auf die Sprünge.
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9 Kommentare
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07.05.2012 um 11:48 Uhr Barbara J. Speck
Das ist bei uns hier in Basel genau so: Ich muss mir die schönen Bach-Kantaten-Konzerte in der reformierten mittelalterlichen Prediger-Kirche abverdienen und mir zu Beginn einen salbungsvollen Introitus eines Pfarrers anhören -zum Thema der Kantaten natürlich. Damit ich ja nicht vergesse, wo wir stehen im Kirchenjahr etc.
Herzlich Barbara