Fragen an FemBio, 2. Teil. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Frauen aus?
Den ersten Teil des Artikels "Fragen an FemBio" - zum Thema Transgender-Personen - finden Sie hier.
Nun zur Beantwortung der anderen Fragen: „Nach welchen Kriterien genau wählen Sie die Frauen für Fembio aus? Nach welcher Leistung? Muss bei den Frauen irgendeine Form beruflicher Praxis vorhanden sein? Wie 'finden' Sie die Frauen?“
Das frauenbiographische Web-Portal FemBio wurde mit der Absicht gegründet, die mühsam erarbeiteten Frauenbiographien aus dem Kalender „Berühmte Frauen“ nicht verkommen zu lassen (der Kalender erscheint seit 1988 als Suhrkamp-Taschenbuch und verschwindet wie alle Kalender jedes Jahr im Orkus), sondern für die Öffentlichkeit zu erhalten. Deshalb gab es zuerst zwei Insel-Bände, in denen 600 Kalender-Biographien auf dem damals aktuellen Stand versammelt wurden.
Und seit 2001 gibt es FemBio, das frauenbiographische Web-Portal.
Der Kalender „Berühmte Frauen“, der im Jahr 2018 sein 30jähriges Jubiläum feiert, war ein Kind der westdeutschen Frauenbewegung. In den 80er Jahren gab es fast kein öffentliches Bewusstsein über kulturelle Leistungen von Frauen. Auf den Geldscheinen: Köpfe berühmter Männer. Auf den Briefmarken: Köpfe berühmter Männer. Intercity-Züge trugen Namen berühmter Männer. Straßen, Plätze und Gebäude trugen Namen berühmter Männer. Die Botschaft dieser männlichen Selbstfeier für uns Frauen war: „Ihr habt nichts zur Geschichte und Kultur der Menschheit beigetragen, ihr seid nicht der Rede wert.“ Sogar die Feministinnen vergaßen im Jahre 1982, vor lauter Ärger über den Rummel zum Goethejahr (150. Todestag) und Joyce-Jahr (100. Geburtstag), das Virginia-Woolf-Jahr (100. Geburtstag) mit gehörigem Pomp zu feiern. Wir glaubten selbst an unsere Minderwertigkeit, denn wenn Frauen etwas geleistet hätten, dann würden ja wohl mal ein paar Straßen und Plätze nach ihnen benannt worden sein.
Aber so funktioniert die Erinnerungskultur nicht, wie wir inzwischen wissen. Eine Gesellschaft baut denjenigen Personen Denkmäler, die ihre Werte am besten verkörpern. Im Patriarchat sind das die Männer. Im Faschismus sind es Faschisten: Unter Hitler gab es Hitler-Briefmarken, Hitlerstraßen und Adolf-Hitler-Plätze. Dito in Italien für Mussolini. Die Straßen und Plätze heißen jetzt alle anders. Im Kommunismus sind es Kommunisten: Aber Leningrad heißt heute St. Petersburg, und Karl-Marx-Stadt heißt wieder Chemnitz. Die Männer wechseln und werden durch neue Männer ersetzt. Aber Männer sind es allemal. Erst mit der zweiten Frauenbewegung begann die Aufarbeitung der immer wieder vernachlässigten und mit Fleiß vergessenen weiblichen Geschichte und ihrer großen Persönlichkeiten.
Zu dieser Aufarbeitung sollen der Kalender und die aus der Kalenderarbeit entstandenen Projekte „Berühmte Frauen Band I und II“, die beiden Memory-Spiele „Berühmte Frauen I und II“ und seit 2001 das Web-Portal „FemBio“ einen nachhaltigen Beitrag leisten.
Zur Auswahl der berühmten Frauen und darüber, wie ich die ersten 2.000 berühmten Frauen überhaupt gefunden habe, habe ich mich in den Nachworten der beiden ersten Kalender (1988 und 1989) ausführlich geäußert.
Hier ein kleiner Ausschnitt: „Noch voller Verwunderung über das feministischerseits verschlafene Virginia Woolf-Jahr machte ich 1983 der Feministischen Zeitschrift Courage des Angebot, monatlich eine Rubrik „Frauengedenktage“ zu erstellen (eine Kostprobe findet sich hier). Um dies tun zu können, durchforstete ich zunächst meine 25 Bände Meyer-Lexikon nach Frauen. Im Vergleich zu den bändefüllenden Informationen über Männer fand ich erschütternd wenig über Frauen - sie machten genau 2 Prozent aus, d.h. von 100 Berühmtheiten waren 98 männlich und 2 weiblich! Bei den Namen für Straßen, Plätze und Gebäude war das Verhältnis ähnlich. Und doch war ich wie elektrisiert, so viel über offenbar große und bedeutende Frauen der Vergangenheit zu erfahren, von denen ich bis dahin nichts gewusst hatte.“
Wie bei den meisten Frauenprojekten wurde vieles von praktischen Gesichtspunkten diktiert, so auch die Auswahl. Wichtigster Punkt: Das Geld. Wir hatten keins, wohl aber viele Mitarbeiterinnen, die von dem Projekt begeistert waren. Geld für eigene Forschung war nicht vorhanden. Wir waren also auf biographische Vorarbeiten angewiesen, die wir für Kalenderzwecke ausschlachten konnten. Die Frauenforschung in den USA war 1987, als wir starteten, gut entwickelt - deshalb gibt es bei FemBio viel mehr Porträts von US-Amerikanerinnen als bspw. von Russinnen, Äthiopierinnen oder Japanerinnen.
Sprachlich hatten wir mit deutschen und englischen Quellen am wenigsten Mühe - für skandinavische, französische, italienische, polnische, russische Quellen hatten wir einige wenige Spezialistinnen, die mitmachten.
Rund 15 Jahre lang erinnerte der Kalender nur an verstorbene Frauen, bis der Verlag beschloss, lebende hinzuzunehmen, um den Verkauf anzukurbeln.
Anders als Google, die vor ein paar Wochen plötzlich an den 131. Geburtstag der US-amerikanischen Frauenrechtlerin Alice Paul erinnerten, hatten wir von Anfang an den Ehrgeiz, runde Jubiläen berühmter Frauen zu feiern, also für jeden Tag des laufenden Jahres an eine bedeutende Frau zu erinnern, die an genau diesem Tag ein rundes Jubiläum hat. (Für alle, die rechnen können, ist damit die implizite Botschaft verbunden: WOW - dahinter steht also eine Datenbank mit Tausenden berühmter Frauen. Was ja auch der Fall war!) Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Auswahl der Frauen ist also auch der kalendarische. Ein Beispiel: Frauke Geyken, Spezialistin für Frauen des deutschen Widerstands gegen Hitler, wünscht sich, dass ihr Porträt von Annedore Leber zu deren 50. Todestag in den Kalender 2018 kommt. Für den Oktober 2018 käme aber auch Abigail Adams in Frage, die zweite First Lady der USA und Mutter des 6. Präsidenten der USA. Sie starb 1818.
Entscheidend bei der Auswahl sind auch die Kenntnisse und Interessen der Biographinnen. Eine Weile schickte uns eine Spezialistin Biographien bedeutender Frauen aus Kolumbien. Die leider so früh verstorbene Andrea C. Busch war unsere Spezialistin für Niederländerinnen und Sportsfrauen. Christine Schmidt ist unsere Spezialistin für fast alles, besonders aber für Münchnerinnen und für Nazi-Frauen wie Gertrud Scholtz-Klink oder Magda Goebbels (links).
Dies bringt uns zur Frage der Leistung bzw. der Vorbildlichkeit. Nazifrauen sind alles andere als vorbildlich - trotzdem können wir aus ihren Biographien viel über weibliche Geschichte und weibliche Lebensbedingungen lernen. In dieser Hinsicht halten wir es mit dem US-amerikanischen Philosophen George Santayana, der feststellte: „Die sich nicht an die Vergangenheit erinnern können, sind verurteilt, sie zu wiederholen“ (“Those who cannot remember the past are condemned to repeat it” ). Eine Frau wie Eva Braun würde ich nicht in den Kalender aufnehmen, der vor allem weibliche Vorbilder feiern und bekannt machen soll. Wohl aber gehören Nazi-Frauen in die Sammlung der FemBiographien, die sich mehr und mehr zu einer feministischen Enzyklopädie von Frauenbiographien entwickelt. Was wäre von einem biographischen Nachschlagewerk zu halten, in dem Hitler, Himmler, Stalin, Pol Pot, Ceausescu und ihresgleichen fehlen? Wichtig ist hier vor allem die kritisch-aufklärerische Perspektive. Bei FemBio-Porträts von Frauen wie Magda Goebbels oder Margot Honecker kommt die feministische Perspektive hinzu, die in den gewöhnlichen Nachschlagewerken fehlt.
Dies bringt uns zur letzten Frage, die nicht gestellt wurde, die ich aber trotzdem behandeln möchte: Warum braucht es neben Wikipedia mit den abertausenden Frauenbiographien auch noch FemBio? Weil Wikipedia zu 90 Prozent von Männern gemacht wird. Es fehlt ihnen wie gesagt die feministische Perspektive und Sensibilität. Ähnlich wie den Transfrauen (die das Thema des 1. Teils waren) der Menstruationshintergrund fehlt und das früh anerzogene Gefühl der geschlechtlichen Minderwertigkeit durch die unablässig eingehämmerte Botschaft „Ihr seid weniger wert als Jungs“. Aber das ist ein anderes Thema und ein weites Feld.
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Zum Weiterlesen meine Glosse von 2007: Sag mir, wo die Frauen sind - Leistung und Schicksal bedeutender Frauen aus Frauen- und aus Männersicht. Typische Unterschiede.
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4 Kommentare
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19.02.2016 um 02:07 Uhr Alison
“fand ich erschütternd wenig über Frauen - sie machten genau 2 Prozent aus, d.h. auf 100 berühmte Männer kamen 2 berühmte Frauen!”
Das ist, in der Tat, wenig. Allerdings noch weniger als 2%, weil von 102 gezaehlte Personen, nur zwei Frauen waren, und 100 Maenner! Um auf 2% zu kommen, waeren nur 98 Maenner zugegen.;-)
Antwort von Luise F. Pusch: Danke, Alison. Ich hab das jetzt im Text korrigiert (26.2.16).
18.02.2016 um 16:06 Uhr Amy
Danke an Luise auch für den guten 2. Teil ihrer Glosse und ihre hervorragende Pionierinnenarbeit. Auch die feministische Sprachkritik ist mit das Beste , was ich bisher erfahren konnte. Ich bin so dankbar dafür!
Vor allem auch der Hinweis in der Glosse auf den fehlenden `Menstruationshintergrund` und die uns weibl. Menschen schon im Kindesalter seit ewiger Zeit eingehämmerte Botschaft, wir wären weniger `Wert` als die Jungs! Genau das ist es! Das ist leider ein Teil unserer Geschichte!
Was für viele von uns dazu geführt hat, sich schon früh im Frauen-Mädchen-Körper nicht wirklich wohlzufühlen, lieber und doch besser in das andere Geschlecht hineinzuschlüpfen, um akzeptiert zu werden oder sich frei zu fühlen. Ich könnte ein Lied dazu singen..
Jungs konnten herumtoben, mehr Freiheiten genießen, alle möglichen Berufswege standen ihnen offen; Mädchen dagegen wurde eher frühestmöglich u.a. vor ihnen `gewarnt`.
Wir Frauen haben eine andere Geschichte voller Misogynie, Abwertung und spezifischen Gewalterfahrungen. Mit der Frauenbewegung und dem Feminismus wurde unser Selbstwertgefühl auf Vorderfrau gebracht.
Germaine Greer hatte den Mut, nach ihrer Einschätzung zu sagen: `Transfrauen wären keine Frauen`. Darüber kann diskutiert werden: entweder pro oder contra; aber ein regelrechter Shitstorm in Maskulinismus-Manier ergoß sich über ihr Haupt, vulgäre Wutäußerungen bis hin zu Morddrohungen waren ihr gewiß; ihre Vorträge konnte sie nur noch unter Begleitschutz abhalten. Nicht anders erging bzw. ergeht es Sheila Jeffreys , eine der wenigen lesbischen Frauen , die ihre Meinungen und klugen Analysen auch zur lesbischen Identität sachkundig vorbringen und dafür von der Masku-Community `Schläge` angedroht bekommen. Wundert mich nicht, wenn sich das verqueerte `Maskulinum` sogar im Schriftbild als *Sternchen oder _Unterstrich einzwängt und die eine, weibliche Kategorie bildhaft auf das `innen` an den äußersten Rand gedrängt wird. Das scheint mir nicht verbindend (obwohl doch erwünscht) , sondern eher als trennend zu erscheinen - Frauen werden wieder einmal an den Rand gedrängt?
@ Lena Vandrey - ich kann dir nur zustimmen, auch diese von dir erwähnten Frauen empfinde ich als besonders patriarchös, aber in der Szene wurden sie gefeiert; es wäre wünschenswert, diese patriarchöse Seite nicht zu verheimlichen.
https://www.facebook.com/notes/stop-trans-chauvinism-20/sheila-jeffreys-the-mccarthyism-of-transgender-and-the-sterilization-of-transgen/1685910541647047?pnref=story
17.02.2016 um 18:22 Uhr Antje Scheumann
Liebe Luise,
Also als Erstes ganz herzlichen Dank, dass du jedes Jahr ganz verlässlich diesen tollen Kalender herausgibst ! Und 2. hier mal, meiner verschwindet nie im Orkus - seit 1998 stehen sie ganz ordentlich nebeneinander im Regal und leisten mir gute Dienste in der Erinnerung, “wann war ich eigentlich ...” und “wann war das eigentlich ...” und wenn ich eine Adresse oder Namen suche von ..., die ich längst nicht mehr in aktuellere Versionen des Kalenders übertragen hatte, weil ich sie aktuell nicht mehr brauchte, aber plötzlich “wie hieß diese Frau noch ?” oder so ähnlich.
Vor 1998 die Ausgaben sind wohl in New Mexico geblieben, als ich plötzlich leider nicht mehr nach Hause durfte.
Und danke auch für die differenzierte Betrachtungsweise über Transfrauen, mit der ich vor Jahren eine heftige Diskussion mit einer TransMann-zu-Frau hatte, die von Sozialisierungsunterschieden gar nichts wissen wollte (ihres/seines Zeichen PsychiaterIn).
Also vielen Dank und viele Grüße !
17.02.2016 um 13:34 Uhr Lena Vandrey
Wer kann unter den Lebenden ein Fembio-Portrait haben? Zuerst dachte ich, bloß nicht die Porno-Fotografin Bettina Rheims und ihre noch schlimmere Akolythin Catherine Millet, welche hochgejubelt von Männern, letztere mit dem Marquis de Sade verglichen, Situationen für Frauen erfinden, die unerträglich sind. Eine Frau liegt auf dem Boden, einen Schwanz im Mund, zwei in jeder Hand, einen im Gesäß und einen in der Vagina. Großer Beifall! Aber wenn das Portrait kritisch und drastisch wäre, um zu informieren und zu warnen? Und wie stünde es mit Hélène Cixous? Sie nannte das Sperma “die Milch des Vaters” und “wenn der Penis sich in ihrem Bauch bewegte, hatte sie das Gefühl einer wunderbaren Weiblichkeit”. Ihrem Lover Carlos Fuentes verpasste sie Fellationen “ich nahm dich in den Mund wie immer”, erfand “das feminine Schreiben” und nannte die Frauen-Forschung “feminine Studien”, usw… Das sind doch Feindinnen!!!
Aber über sie zu schreiben ist nicht einfach, siehe den Fall Waltraud Schade und ihr Buch über Alice Schwarzer. Wenn die Texte wirklich kritisch sind, sollten sie über alle Berühmtheiten berichten, auch die von trauriger Berühmtheit wie Eva Braun. Schlimmer als diese Porno-Schlinggewächse war sie doch wohl nicht. Auch für den Feminismus gilt: Wehret den Anfängen! Das aber haben wir nicht gemacht! Ich sehe noch Monique Wittig, wie sie tanzt und singt: Wir lieben alle Frauen! Einige Jahre später merzte sie das Wort “Frau” aus ihrem Vokabular, die Queer-Zeit war da und die Lesben wurden schwul.
In all diesem Irrsinn einen klaren Kopf zu behalten, ist nicht das Einfachste. Guten Mut trotzdem!