Figaros Hochzeit und der Tristan-Akkord
Nein, Mozart hat in seiner Oper Figaros Hochzeit nicht den Tristanakkord vergessen - aber bevor das Mozartjahr zu Ende geht, möchte ich doch noch folgende Geschichte loswerden:
Ende August schrieb mir eine wagnerbegeisterte Freundin: "Ich war in Bayreuth und habe Tristan und Isolde mit Nina Stemme gesehen. Warum spricht man immer nur vom Tristan-Akkord, wo Isolde doch auch Sehnsucht hat und dies auch musikalisch ausgedrückt wird? Ist doch wieder eine Frechheit."
Sie hat ja so recht - und mir war das noch nie aufgefallen!
Wahrscheinlich liegt es an der ungalanten Erstnennung von Herrn Tristan im Operntitel. Hieße die Oper "Isolde und Tristan", würden wir wahrscheinlich "in die Isolde" statt "in den Tristan" gehen. Die Bezeichnung "Tristan-Akkord" hat vielleicht eher etwas mit der zu "Tristan" abgekürzten Oper als mit ihrem Helden Tristan zu tun.
Andererseits sagen wir brav und ausführlich: "Heute abend gehen wir in Hänsel und Gretel, oder in Romeo und Julia, nicht "in den Hänsel" oder "in den Romeo". Sehr seltsam. Ich kann es mir nicht erklären. Vielleicht will das Volk Energie sparen für das Durchsitzen der vierstündigen Oper, vielleicht hat es auch mit dem alten Macho Wagner zu tun ...
Zum Trost dafür, daß Tristan sich den Tristan-Akkord gegrapscht hat, wird "Isoldes Liebestod" für Isolden reserviert, obwohl sich doch auch Tristan den Liebestod tapfer erröchelt. Aber das Sterben der Frau ist ja sowieso der Höhepunkt (fast) jeder romantischen Oper. Wird ein Mann bei derselben Tätigkeit erwischt, soll es jedenfalls nicht auch noch zum Mythos verklärt werden.
Schluß jetzt mit Liebesnot und -tod! Kommen wir endlich zu Figaros Hochzeit, bzw. gehen wir in den Figaro! Vor drei Jahren war ich in Salzburg mit einem Vortrag zum Thema "Die Frau ist nicht der Rede wert". Ich eröffnete meine Rede mit der Feststellung, daß das Thema besonders gut zu Salzburg passe. Großes ungläubiges Staunen. Ungerührt fuhr ich fort: "Ist Ihnen an dem Titel Die Hochzeit des Figaro nicht schon mal was aufgefallen?" Langes Schweigen des Publikums, man zerbrach sich die Köpfe, nichts war ihnen jemals aufgefallen. Schließlich meldete sich eine, die die Oper anscheinend kannte, und erzählte, daß die Hochzeit ohne Susanna ja nix wäre und sie auch viel mehr zu tun hätte in der Oper. Eigentlich müßte die Oper also "Susannas Hochzeit" heißen, oder wenigstens "Die Hochzeit von Susanna und Figaro". Das Publikum war völlig platt, aber einverstanden.
Mir fällt in diesem Zusammenhang noch das Wort "Gespräch" ein. In der Frühzeit der Feministischen Linguistik ging es vor allem um Gesprächsanalyse. Endlich konnten wir unser bis dahin mehr vages Gefühl, daß wir in Gesprächen mit Männern nie zu Wort kommen, "wissenschaftlich" (mit der Stoppuhr nämlich) belegen. Wir fanden heraus, daß wir in Gesprächen die Rolle der Zuhörerin haben, damit das Gespräch erst ermöglichen und mit unserem emsigen Kopfnicken, "hm" und "ja" den Redefluss des Herrn in Gang halten. Unterlassen wir diese "Minimalreaktionen", erstirbt das "Gespräch" umgehend, und er fragt irritiert: "Hörst du mir eigentlich zu?"
Obwohl also das Zuhören die Voraussetzung eines Gesprächs ist, kommt diese wichtige Funktion in dem Wort "Gespräch" nicht zur Sprache, sie bleibt unter dem Teppich, wie Isolde im Tristanakkord und wie Susanna in Figaros Hochzeit.
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1 Kommentar
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04.10.2006 um 14:33 Uhr Fritz
Nun ja, ein grundsätzlich berechtigter Artikel - jetzt wäre nur interessant, wie die Meinung zB zu Cosi fan Tutte ist? Oder zu den - zugegebenermaßen verhältnismäßig seltenen - weiblichen Dramentiteln. Die Abkürzung Tristan würde ich eher auf das als “Tristan-Stoff” allseits bekannte Motiv (die Weglassung Isoldens hat also schon etwas Tradition) als auf Wagner-Macho zurückführen, während “Hänsel” allein noch keine ausreichende Bestimmung ist, und in den “Romeo” zu gehen eher nach einem Restaurantbesuch klingt.