Feministische Anmerkungen zur „Schönen Magelone“
Neulich hörte ich Tiecks Novelle „Die schöne Magelone“ in einer Rundfunkaufnahme, die ich per Phonostar mitgeschnitten hatte. Ich hatte gehofft, damit wunderbar einschlafen zu können. Wirklich ist die Novelle, zumindest bis zur Hälfte, schön einschläfernd: blumig, gefühlvoll und undramatisch. Aber ich hatte Halsschmerzen, und so hörte ich denn gepeinigt das ganze Märchen am Stück - und fing danach mit dem nächsten Hörbuch an.
Tieck entnahm den Stoff, der der Sagentradition der Provence entstammt und letztlich auf Tausendundeine Nacht zurückgeht, einer deutschen Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert. Der 24-Jährige versuchte 1797 „eine Wiederbelebung … des alten Stoffes aus dem Geiste der Romantik“ (Kindlers Literatur-Lexikon)
Mit vollem Titel heißt die Novelle „(Wundersame) Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence“. Wir lernen: Sie ist schön, und er ist von Adel - wie es sich für ein Märchen gehört.
Sie wird an erster Stelle genannt, allerdings nur mit ihrem Vornamen, er steht an letzter Stelle, dafür mit Titel und ganzem Namen. Das Prinzip „Ladies first“ wird also auch hier befolgt, allerdings kostet es Magelone den Titel und vollen Namen. Ja hat Magelone denn überhaupt einen Titel? Und ob - sie ist sogar die Ranghöhere, eine Prinzessin, Tochter des Königs Magelon von Neapel (und sicher auch seiner Ehefrau, aber von der ist nie die Rede).
Zum Inhalt: Peter und Magelone verlieben sich ineinander, er schenkt ihr drei Ringe, die seine Mutter ihm für seine Zukünftige mitgab, Magelone birgt diese an ihrem schönen Busen. Als sie einen anderen heiraten soll, flieht das Paar. In einem Wald ruhen sie sich aus, sie legt das Lockenköpfchen in seinen Schoß und schläft ein. Er öffnet ihr das Mieder, ist entzückt von ihrem Busen und findet das rote „Zindel“ (ein Stück Stoff) mit den 3 Ringen. Ein Rabe stiehlt das Zindel und fliegt damit fort. Peter hinterher, er wirft Steine nach dem Raben, trifft ihn aber nicht. Der Rabe fliegt aufs Meer hinaus, Peter steigt in einen Kahn und folgt ihm. Die Strömung trägt ihn weit hinaus, er findet nicht zurück, wird von einem „mit Heiden und Mohren besetzten Schiff“ gerettet und einem Sultan geschenkt. Die Tochter des Sultans verliebt sich in ihn, aber er denkt nur an Magelonen (die schöne Deklination der Namen übernehme ich von Tieck) und flieht mit einem Kahn über das Meer. Diesmal greift ihn ein Christenschiff auf, und nach langem Umherirren findet er schließlich Magelonen wieder, und ihr Glück kennt keine Grenzen mehr.
In meiner Jugend legte ich mir den Brahmsschen Liederzyklus „Die schöne Magelone“ zu, in der vielgepriesenen Aufnahme mit Fischer-Dieskau und Richter. Der Zyklus gefiel mir nicht besonders; ich habe ihn mir nicht oft angehört. Bei Brahms ist Graf Peter völlig aus dem Titel verschwunden, der Zyklus heißt nur noch „Die schöne Magelone“. Und diese Kurzform wird inzwischen auch für Tiecks Novelle benutzt.
So gekürzt wird allerdings der Titel vollends zum Etikettenschwindel. Denn die Novelle wie auch der Liederzyklus handeln fast ausschließlich von Petern. Die Novelle enthält inklusive „Vorbericht“ 18 Gedichte, meist Lieder bzw. Romanzen, die Peter zur Laute singt. Auch Magelone singt zwei Lieder, und eines singt Salima, die Tochter des Sultans. Hat also bereits Tieck der schönen Magelone vergleichsweise wenige Worte zugestanden, so wird die weibliche Stimme („the female voice“ der modernen Gendertheorie) bei Brahms vollständig eliminiert. Lieber lässt er den Sänger tapfer singen „Geliebter, wo zaudert dein irrender Fuß?“ - als dass er dieses Lied Magelonens einer Frau überließe.
Weshalb die Geschichte „Die schöne Magelone“ und nicht „Der schöne Peter“ heißt, ist also nicht recht einzusehen.
Bei Tieck ist Magelone zwar kein Sexobjekt, aber Objekt ist sie zweifellos, eine Art Übungsgerät. Sie dient Petern zu Training und Entfaltung seiner „männlichen“ Anteile wie Entschluß- und Kampfkraft und seiner „weiblichen Anteile“ wie Empfindungsfähigkeit und Seelentiefe, Voraussetzungen seiner Dicht- und Gesangskunst. Der romantische Jüngling und edle Ritter Peter ist nämlich ein androgyner „Kugelmensch“ im Platonschen Sinne. Er braucht keine „weibliche Ergänzung“; er ist selber weiblich - und männlich zugleich. Wir erfahren es gleich im ersten Satz:
In der Provence herrschte vor langer Zeit ein Graf, der einen überaus schönen und herrlichen Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters und der Mutter erwuchs. Er war groß und stark, und glänzende blonde Haare flossen um seinen Nacken und beschatteten sein zartes jugendliches Gesicht; dabei war er in aller Waffenübung wohlerfahren, keiner führte im Lande und auch außerhalb die Lanze und das Schwert so wie er, so daß ihn Jung und Alt, Groß und Klein, Adel und Unadel bewunderte.
Peter ist nicht nur schön und blondgelockt, sondern auch stark und mutig. Im Turnier ist er unschlagbar, zugleich aber ist er schüchtern und weint viel, und wenn Sehnsucht und/oder Liebe ihn übermannen, greift er frisch zur Laute und singt. Wenn alle Männer so wären, brauchte es keine Frauenbewegung mehr. Es brauchte nicht einmal Frauen.
Ich glaube, die Geschichte heißt „Die schöne Magelone“, damit wir nicht merken, dass sie eigentlich nur von Petern handelt. Auch der Minnesang, den Tieck mit seiner Novelle wohl auch „wiederbeleben“ will, diente nur scheinbar der Anbetung edler und unerreichbarer Frauen. Die realen Frauen interessierten nicht, sie waren nur ein Vorwand für kulturellen Wettstreit unter Männern. Aufgabe der Frau ist es, sich besingen zu lassen - und nicht, selbst zu singen. Sänge sie selbst, käme der Minnesänger aus dem Konzept, müsste ihr zuhören und sich mit ihr auseinandersetzen, statt von ihr zu träumen und seine Gedanken über sie in das Kunstwerk zu ergießen, mit dem er dann unter seinesgleichen Eindruck schinden kann. Eine selbst singende Frau wäre für den Minnesänger nur eines: zeitraubend.
Hätte ich das alles schon in meiner Jugend durchschaut, hätte ich mir die Brahms-Magelone, die ganz schön teuer war, gar nicht erst gekauft. Besser selber singen, als den (in)brünstigen Gesängen der Männer über uns andächtig zu lauschen. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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5 Kommentare
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29.12.2014 um 19:38 Uhr Marion Gerards
Ich danke für die Ausführungen zur “Schönen Magelone” - und wer sich mit diesem Werk noch etwas intensiver genderreflexiv musikwissenschaftlich ;-) beschäftigen möchte, kann dies im 4. Kapitel meiner Dissertation (S. 94-142) tun:
Marion Gerards, Frauenliebe - Männerleben. Die Musik von Johannes Brahms und der Geschlechterdiskurs im 19. Jahrhundert, Köln u.a. Böhlau Verl. 2010 (Musik-Kultur-Gender; 8).
Herzliche Grüße in die Runde!
Marion Gerards
10.12.2014 um 17:43 Uhr anne
ja, wieder viel neues erfahren , dank Luise!!!
einiges interessantes z.b. zur `hohen Minne`(eine art gesellschaftsspiel und männl. konkurrenz- und imponiergehabe im turnier-spiel) : ..die hingabe an die reine! frau, die mann durch eine eroberung nicht erniedrigen durfte, erhöhte den liebenden. aufgabe der immer adeligen frau war es, den liebenden zurückzuweisen, so dass er die kunst der liebe mehr und mehr beherrschte. merkwürdig, es ging vielleicht auch um die pflicht zum gehorsam des ritters zu seinem obersten dienstherrn? der ritter Lancelot , der sich nicht an die regeln hielt, musste dafür schwer büßen - von der liebe zu seiner angebetenen hätte er nur singen dürfen, mehr aber nicht ..
während später die `niedere Minne` von den (realen) qualitäten nicht-adliger `fräulein` berichtete - die frau, die es zu erobern galt, gehörte einem niederen stande an; später machte mann sich darüber lustig ... das verliebte (besungene) bauernmädchen z.b. wurde schnell zu einer dummen pute stilisiert, die allen ernstes daran glaubte, in einen höheren stand einheiraten zu können..
die angebliche frauenverehrung des minnegesang war der literarische ausdruck einer höfischen kultur, die nichts mit der gegenwärtigen realität zu tun hatt: “Sie war ein Alibi für eine Wirklichkeit, die völlig anders aussah. Immerhin befand man sich an der Schwelle zum Zeitalter der grausamen Hexenverfolgungen, Frauenverachtung und Frauenhaß hatten Hochkonjunktur. Nur wenige Männer setzten sich dafür ein, daß Frauen geachtet würden, von gleichen Rechten ganz zu schweigen. Die Sprachlosigkeit der Frauen erklärt ihr gesellschaftlicher Status der Unterdrückung und Abhängigkeit. Doch nicht alle schwiegen…
“...in meinem Innern war ich verstört und fragte mich, welches der Grund, die Ursache dafür sein könnte, daß so viele und verschiedene Männer, ganz gleich welchen Bildungsgrades, dazu neigten und immer noch neigen, in ihren Reden, ihren Traktaten und Schriften derartig viele teuflische Scheußlichkeiten über Frauen und deren Lebensumstände zu verbreiten. ...allerorts, in allen möglichen Abhandlungen scheinen Philosophen, Dichter, alle Redner (ihre Auflistung würde zuviel Raum beanspruchen) wie aus einem einzigen Munde zu sprechen und alle zu dem gleichen Ergebnis zu kommen, daß nämlich Frauen in ihrem Verhalten und ihrer Lebensweise zu allen möglichen Formen des Lasters neigen.”
ich glaube eher, dass damals auch die `burgfrauen oder -fräulein` nicht zu beneiden waren, zumal sie ab dem 12. lebensjahr verheiratet wurden und ihr leben dort mit handarbeiten und zwangerschaften fristen mussten; gegenüber den männern waren sie doch erheblich benachteiligt..
die Minne bedeutet “erinnerung, liebendes gedenken an gott, aber auch an die eltern und freunde (zitiert). es gibt einiges nachzulesen zum frauenbild in der höfischen dichtung , wenig erfreuliches über den altherrgebrachten verhaltenskodex , den mann frauen aufzwang, nur darüber wurde nicht gesungen!
(Christine de Pizan) http://www.judithmathes.de/history/christine_de_pizan.html
10.12.2014 um 14:05 Uhr Lena Vandrey
@ Luisen
Das ist ja eine Nepp-Story! Singende Männer gibt es in rauhen Mengen, und eigentlich besingen sie nur immer sich selber. Um sie herum dürfen Frauen als Chor fungieren oder sich in Verzückung verrenken. Wir kennen die Kathedrale am Strand, der Name ist geläufig, aber nicht die Geschichte. Die provenzalische Sagenwelt ist so ergiebig nicht - verglichen mit den deutschen mythischen und mysteriösen Erzählungen - das mag am Wetter liegen. Zwei Frauen nur haben Rechte in der Provence, MARIA und SANCTA MARTHA. Letztere befreite die Stadt Tarascon (Drachenstadt) von der TARASQUE, indem sie der wilden Bestie mit ihrem heiligen Finger drohte, ihr ein Halsband anlegte und sie gesittet in die Stadt führte, woselbst sie ihr mörderisches Unternehmen fallen ließ. Der Mythos aber bleibt als eine Art von Spuk: So erzählte uns ein Feuerwehrmann von riesigen Schlangen und Krokodilen am Rhône-Ufer. Wir hätten gerne noch ein paar Marthen mehr! Und selber-singende Magelonnen! Von ihr dürfte der provenzalische Vorname MAGALI stammen, als Letztes, was von ihr gehört wird. Warum besingen Frauen denn keine Frauen? Weil das lesbisch wirkt? Das könnte sein…
09.12.2014 um 01:57 Uhr Patricia Preikschat
Liebe Luise,
wieder etwas Neues gelernt, ich danke schön für Tieck und Brahms und den kugelmenschlichen Peter. Hat mich nicht gereut…das zu lesen. Und ich stimme Dir absolut zu: kein brahmsscher Höhepunkt, das Minnegesinge.
Die schöne Magelone aber ließ mich sofort an den überaus schönen Ort Maguelone (historisch-okzitanisch wohl Magalona) denken, liegt in Südfrankreich in der Nähe von Montpellier, eine alte Kathedrale, umringt von Weinreben, auf einer Insel inmitten der Lagune. Heute ein Projekt mit beschützenden Werkstätten. Dort in der Nähe darf ich zuweilen arbeiten, da gibt es ein Korrosionstestgebiet :-).
http://www.compagnons-de-maguelone.org
08.12.2014 um 21:22 Uhr Joey Horsley
Ich danke dir, Luisen, für diese schöne Glosse!
Sie sollte für jede/n Musik- und GermanistikstudentIn obligatorische Lektüre sein.