Enzensbergers “tückische Tellerminen”
Ich hielt Enzensberger immer für einen scharfsinnigen Essayisten und feinsinnigen Poeten. Nun hat er sich plötzlich doch, wenn auch in gespreizter Prosa, als ganz gewöhnlicher Mann und dumpfsinniger Macho geoutet.
Die Vorgeschichte: Mitte Mai wurde Professor Siegfried Mauser, 61, angesehener Pianist, Komponist, Leiter des Salzburger Mozarteums und ehemaliger Rektor der Münchner Musikhochschule im Gasteig, für schuldig befunden, zwei seiner Kolleginnen an der Hochschule sexuell genötigt zu haben: „Das Amtsgericht München sah es […] als erwiesen an, dass Mauser die beiden Frauen 2009 und 2012 in Räumen der Hochschule massiv bedrängt hatte.“ (Abendzeitung 13.5.16).
Er bekam 15 Monate Gefängnis auf Bewährung und eine Geldstrafe von 25.000 EUR. Von seiner Leitungsfunktion am Mozarteum hat er sich beurlauben lassen, da der Kampf um die Wiederherstellung seiner Ehre all seine Ressourcen beanspruche. Er ist sich keiner Schuld bewusst; seine Anwälte werden Berufung einlegen. Mausers Frau, die Sängerin und Schauspielerin Amelie Sandmann, veröffentlichte auf ihrer Webseite ein kämpferisches Bekenntnis zu ihrem Mann und ihrer Ehe. Mich erinnert das sehr an den Skandal um Dominique Strauss-Kahn, genannt DSK, dessen Ehefrau zunächst auch unverbrüchlich zu ihm hielt und seine immensen Prozesskosten bezahlte. Inzwischen sind die beiden längst geschieden.
Der Prozess gegen den Musikprofessor fand im April und Mai statt statt; er versetzte die Kulturszene der Stadt München in erheblichen Aufruhr. Die Süddeutsche und die Abendzeitung berichteten regelmäßig darüber.
Nachdem das Urteil gesprochen war, schickten Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer, 75, Altpräsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Michael Krüger, 72, Schriftsteller, früher Leiter des Hanser Verlags, seit Juli 2013 Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Udo Schmidt-Steingraeber, Leiter der gleichnamigen altehrwürdigen Klaviermanufaktur in Bayreuth und Hans Magnus Enzensberger, 86, Essayist, Dichter und Chef-Intellektueller der Bundesrepublik, Leserbriefe an die Süddeutsche, in denen sie ihre Empörung über die Verurteilung ihres guten Freundes Mauser zum Ausdruck brachten. Als einzige Frau mit von der Partie war Sibylle Selberg. Die SZ veröffentlichte die Briefe am 27. Mai unter dem Titel „Münchens Kulturwelt ist entsetzt“.
Schmidt-Steingraeber schreibt u.a. „Den Richtern war es anscheinend verwehrt, ein fremdes Leben in einem ihnen selbst fernen und fremden Kontext angemessen zu werten, ein künstlerisches Umfeld zu würdigen und einen libertär geprägten Lebensentwurf, der allenfalls an den Grenzen des Erlaubten kratzt, aber das Gegenteil von kriminalisierungswürdig bleibt.“
Da hat der libertäre Mauser also allenfalls an den Grenzen des Erlaubten gekratzt. Die Opfer sehen das natürlich völlig anders, ihre Aussagen sind so erschreckend wie erschütternd - und ihnen glaubte das Gericht.
So mosern die Herren Kollegen des Musikprofessors fort. Enzensberger aber setzt all dem die Krone auf:
Tückische Tellerminen
Der Leserbrief ist nicht mein Lieblingsmedium; doch sehe ich mich gezwungen, die angebliche Affäre, von der Siegfried Mauser betroffen ist, zu kommentieren. Damen, deren Avancen zurückgewiesen werden, gleichen tückischen Tellerminen. Ihre Rachsucht sollte man nie unterschätzen. Sie wissen sich der überforderten Justiz virtuos zu bedienen. Der Rufschaden, den sie bei dem, der sie verschmäht hat, anrichten können, ist beträchtlich. Man muss in Fällen, bei denen Aussage gegen Aussage steht, die Glaubwürdigkeit der Anklägerin prüfen. Herrn Mausers berufliche und private Reputation ist tadellos. In einem vergifteten und hysterischen Klima, wie es heute herrscht, sollten ihm alle, die ihn kennen, zur Seite stehen. Hans Magnus Enzensberger, München
Sexuelle Übergriffe von Männern in Machtpositionen sind ja eine uralte Landplage, und die Gewohnheit deutscher Dichter, die sexuelle Gewalt schönzureden, hängt uns zum Halse raus. Wir erinnern uns mit einem gewissen Ekel an Goethes „Heideröslein“:
Knabe sprach: „Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden.“
Röslein sprach: „Ich steche dich,
Dass du ewig denkst an mich,
Und ich will’s nicht leiden.“
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach
’s Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Musst es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Der moderne Dichter nun, Hans Magnus Enzensberger, behandelt das beliebte Thema nicht mehr in Versen, sondern in einem Leserbrief. Und statt die Tat schönzureden, dreht er den Spieß einfach um. Der Geschlechterkampf ist heute prosaischer und grausamer, aus dem „wilden Knaben“ wurde ein „libertärer Professor“ und aus dem „Röslein rot“ eine Tellermine. Das Röslein „wehrte sich und stach“. Die Tellermine explodiert, wenn mann auf sie tritt, und mit der Getretenen explodiert auch der Tretende.
Merkwürdigerweise scheint Enzensberger bei seiner Gleichsetzung der „Damen“ mit „tückischen Tellerminen“ übersehen zu haben, dass die Tellermine erst dann explodiert, wenn sie getreten wird, ähnlich wie die Biene nur sticht, wenn sie angegriffen wird. Auch die Tellermine zerstört dabei vor allem sich selbst - von dem Tretenden mag noch allerlei übrigbleiben. Rumort da in Enzensbergers Metapherngenerator etwa eine Art Schuldeinsicht?
In seinem Verteidigungs-Leserbrief schiebt Enzensberger, in Umkehrung der durch das Gericht sorgfältig ermittelten Tatsachen, den Opfern die Schuld in die Schuhe. Mauser hat die Frauen nicht angemacht, belästigt, begrapscht und befummelt und dadurch traumatisiert, sondern im Gegenteil: verschmäht. Laut Enzensberger waren es die Frauen, die einem Mann von „tadelloser Reputation“ nachgestellt haben. Wer dem Dichter diese Idee geflüstert hat, ist nicht klar, ich vermute, es war Mauser selbst. Aber vielleicht greift Enzensberger auch in einen reichen Schatz persönlicher Erfahrungen mit „Tellerminen“ bzw. von ihm begrapschten Frauen, die sich gegen ihn zur Wehr setzten.
Erfreulich an der Geschichte ist, dass sich heute immer mehr Frauen gegen sexuelle Gewalt wehren und die Täter anzeigen, dass das eine oder andere Gericht ihnen sogar Glauben schenkt - und dass schließlich die Öffentlichkeit energisch gegen die unsäglichen Kommentare der Altherrenriege der „kulturellen Elite“ protestiert:
LeserInnenbriefe an die SZ vom 10. Juni 2016
FAZ-Kommentar von Patrick Bahners
Blog Musikunrat.de
Besonders gut gefallen hat mir diese Klarstellung des Klavierbauers Christoph Kern in der SZ:
Ich entnehme den Beiträgen, dass sich deren Verfasser nicht mit der Typologie von Sexualstraftaten auseinandergesetzt haben. Es ist viel von Verdiensten, von Ehre und von der gesellschaftlichen Stellung des Verurteilten die Rede. Es ist bekannt, dass dies nicht im Widerspruch zu einem möglichen Täterprofil steht, sondern sogar oft Voraussetzung ist, da sich gerade in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten zu Übergriffen ergeben und der Schutz vor Entdeckung stark erhöht ist. Mit einem Machtgefälle zwischen Täter und Opfer verhält es sich ebenso. Dabei spielt das Niveau des gesellschaftlichen Rahmens und die Frage, ob diese Macht institutionell oder anderweitig begründet ist, keine Rolle. Was hier zur Ehrenrettung von Herrn Mauser angeführt wird, dient also gerade nicht dazu, den Richterspruch in Zweifel zu ziehen und es berechtigt schon gar nicht, aus Opfern kurzerhand Täter zu machen und sie zu diffamieren.
Die Zeiten haben sich geändert. Die Herren täten gut daran, nicht mehr nach Belieben auf Frauen zu treten. Die Gefahr wächst, dass sie dabei eine tückische Tellermine erwischen, die auch mit einer tückischen Mauser-Pisstole fertigwird.
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Dank an Eva Rieger für den Hinweis auf den Skandal um Siegfried Mauser.
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12 Kommentare
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13.06.2016 um 20:20 Uhr Luise F. Pusch
Bei Herrn Enzensberger merkt man, dass hier ein blutiger Laie sich äußert, der von solchen Vorfällen keine Ahnung hat, was ihn nicht daran hindert eine dezidierte Meinung zu haben. Er glaubt, wenn der Beschuldigte „Nein“ zu den Vorwürfen sagt, die betroffenen Frauen jedoch ihre Position dem Gericht glaubhaft haben vermitteln können, hier stünde Aussage gegen Aussage. Das muss aber keineswegs so sein. In meiner Zeit als Frauenbeauftragte der Landeshauptstadt Hannover war ich mehrfach mit Fällen sexueller Belästigung befasst. Einmal behauptete der Amtsleiter, in dessen Bereich es zu dem Übergriff gekommen war, ebenfalls, es stünde Aussage gegen Aussage. Aber die beiden Personen unterschieden sich in ihrer Darstellung sehr. Der Mann hat nur gesagt, er habe die Frau nicht belästigt, die Frau dagegen hatte detailliert beschrieben, wo sie sich aufhielt, wo der Mann stand, was genau er gesagt und getan hat. Solche ausführlichen Schilderungen sind für die Polizei ein Hinweis auf Glaubwürdigkeit, das lernen PolizistInnen in ihrer Ausbildung. Wenn es in Fällen, in denen keine weiteren Zeugen oder Zeuginnen vorhanden sind, so leicht wäre, Vorwürfe abzuwehren, nur weil die KontrahentInnen nicht übereinstimmen, gäbe es noch weniger Verurteilungen und noch mehr Täter, die ungeschoren davon kommen.
Ich will hier nicht behaupten, dass es in dem Fall auch so gewesen sei, fern sei dies von mir. Da würde ich aus meiner Erfahrung dem Bericht einfach eine Version überstülpen, die von außen kommt. Damit stünde ich mit Herrn Enzensberger auf ein Niveau begeben und das möchte ich nun wirklich nicht. Was ich vielmehr sagen möchte: Sowohl PolizistInnen als auch RichterInnen sind ausgebildet, um in solchen Fällen, die einem Laien wie „Aussage gegen Aussage“ vorkommen, anhand von weiteren Kriterien die Glaubwürdigkeit der Beteiligten zu beurteilen. Natürlich können auch dann noch Irrtümer vorkommen. Aber grundsätzliche Zweifel anzumelden wie Herr Enzensberger es tut, ist sexistische Fantasie mit Schneegestöber!
13.06.2016 um 12:20 Uhr Bridge
Ich wurde selbst als Kunst-Studentin von einem Assistenten in Wien und einem Professor in Rom sexuell belästigt. Das ist lange her, es wurmt mich noch immer. Vor allem, weil ich zu abhängig war um es sofort abzustellen. Dank L. F. P. weiß ich nun was eine “Tellermine” ist. Damit sie hochgeht (=explodiert) braucht es einen ge/wichtigen Angreifer, der sie für harmlos nehmend, ignoriert und drüberfährt. So ein Kaliber war nun, siehe da, H. M. Enzensberger, der einen “Mauser” unterstützend, sich disqualifiziert hat. Mit seinem Leserbrief hat er sich selbst eine Tellermine gelegt. Schande über ihn. Aber die Idee, dass Studentinnen, Assistentinnen, Kolleginnen in der Kunstszene (das grausame Schicksal von Camille Claude vor Augen), die von männlichem Personal an den Universitäten und Akademien, von Galeristen oder von wem auch immer belästigt werden, scharfe Minen auslegen, ist gut. Sexisten sollen hochgehen. “Vorsicht, ich hab eine Tellermine!” ist auch eine gute Kampfansage. Das mit den Tellerminen könnte sich herumsprechen. (Und wir könnten auch TellermiEnen aufsetzen, dass auf unserer Seite gute Mienen nicht mehr gemacht werden.)
13.06.2016 um 11:18 Uhr anne
dass die alten männer sich gegenseitig unter-/stützen, vor allem dann, wenn deren verhalten öffentlich gemacht wird und frauen sich mal gegen die grabschereien zur wehr setzen, ist ja nichts neues; aber dass ausgerechnet frauen sex. gewalttätern beispringen und - obwohl im o.a. fall der nachweis einer sexuellen nötigung vorliegt - die täter zu opfer machen wollen, empfinde ich abscheulich. ob es sich um frauenkäufer , sexuelle gewalttäter oder um männer handelt, die frauen aus dem escort-service gegen honorar für sexuelle dienste buchen, die empathie mancher frauen geht häufig in die falsche richtung. ich stelle immer wieder fest , dass die solidarität unter frauen mit den weiblichen opfern zu wünschen übrig lässt, die solidarität unter männern aber mit den grabschern sehr gut funktioniert. frau S. , die dem grabscher in vorauseilendem gehorsam in die bresche springt , kennt den professor zwar seit jahren , schätzt sein wissen, seine kollegialität und hilfsbereitschaft , auch sein temperament und seine neugier. tja, aber richtig gekannt hatte sie ihn doch nicht? wie lange hat es gedauert, bis endlich männergewalt, vergewaltigung (sowohl in der ehe) an frauen, häusliche gewalt ernst genommen und zum thema wurden. bei der gelegenheit, denn es passiert ja so häufig : der liebe nachbar und gute freund, familienvater, der in der nachbarschaft und im freundeskreis einen angenehmen ruf pflegte, fiel eines tages als pädokrimineller oder frauenmörder oder als vergewaltiger auf; keine/r hatte es ihm zugetraut , bis eines tages die maske fiel.
12.06.2016 um 15:55 Uhr sylvia salomon
in meiner bibliothek fanden enzensbergers werke stets einen ehrenplatz. ab heute liegen sie jedoch in einer der unteren schreibtischladen, deren öffnen mir fast nie einfällt. enzensberger (aber nicht goethe, zu seiner lebenszeit wirkte die emanzipation der frau noch nicht), der sein dasein offenbar in unterbelichteten räumen zu zerleben pflegt, in denen er sich stets an wänden zu stoßen scheint, hinterlässt überall ecken, auch im kopf.