Endorsements für Hillary
Am vergangenen Montag (25.1.16) gab die Redaktion des Boston Globe (größte Tageszeitung Neuenglands und eine der angesehensten Zeitungen der USA) ihr Endorsement für Hillary Clinton bekannt (eine Erklärung des Wortes "Endorsement" findet sich am Ende dieser Glosse).
Wir freuten uns sehr über die Wahlempfehlung, denn vor acht Jahren hatte uns der Globe schwer enttäuscht mit seinem Endorsement für Obama. Massachusetts entschied sich in den Vorwahlen dann trotzig für Hillary - aber genützt hat es ja nichts.
Joey las mir den Text vor, während ich das Frühstücksgeschirr abwusch. Anschließend stellte sie fest: Das Wort „woman“ kommt in dem Text nicht vor. Auch nicht die Wörter „women“ oder „female“.
Tags darauf gab die Organisation Feminist Majority Foundation ihr Endorsement für Hillary Clinton bekannt. Der Text ist etwa halb so lang wie der des Boston Globe, dafür kam aber das Wort „women“ 18 mal darin vor.
Was mag den Boston Globe bewogen haben, das auffälligste Merkmal dieser Präsidentschaftskandidatur, nämlich dass Hillary Clinton eine Frau und (ganz anders zum Beispiel als Angela Merkel, der Göttin sei’s geklagt) sogar eine engagierte Feministin ist, unerwähnt zu lassen?
Wollen sie ihr damit einen Gefallen tun und sie behandeln wie alle anderen Kandidaten, deren Geschlecht ja auch meist kein Thema ist? Weil männliche Präsidentschaftskandidaten leider die Norm sind und das Stinknormale, auch wenn es noch so stinkt, normalerweise kein Thema ist?
Wollen sie erst gar nicht den Gedanken aufkommen lassen, dass Hillary für Frauen eintreten und dadurch eventuell Männer benachteiligen könnte? Das könnte Hillary männliche Wählerstimmen kosten. Und zu so unerwünschten Konsequenzen der Thematisierung von Frauen (und ihren Rechten) möchte der Boston Globe nicht beitragen?
Beim Endorsement des Boston Globe für Obama vor acht Jahren fehlten die Wörter „black“ und „African-American“. Schließlich sollte das ja ein Präsident für ALLE AmerikanerInnen sein, nicht nur für die Schwarzen oder für die, die ein Zeichen gegen die Rassendiskriminierung setzen wollten.
Aber es gab zahlreiche Synonyme aus dem heiklen Wortfeld, das zwar nur indirekt angesprochen wurde, aber keinesweg unter den Tisch fiel. Das wichtigste dieser Wörter war „race“, andere waren „multi-ethnic“, „diversity“, „roots“. Für Hillary wäre entsprechend mindestens das Wort „gender“ erwartbar gewesen. Aber sogar das fehlt!
Ich finde keine stimmige Erklärung für das "frauenfreie", widersprüchliche Hillary-Endorsement des Boston Globe. Vielleicht war der Text ein mühsam erstrittener Kompromiss verschiedener Fraktionen innerhalb der Redaktion. Inzwischen hat auch die New York Times sich offiziell für Hillary engagiert und zeigt uns, dass es auch anders geht. Unter den zahlreichen Wörtern kam an sehr prominenter Stelle das Wort „woman“ vor: "Hillary Clinton would be the first woman nominated by a major party". Und dann noch siebenmal das Wort „women“ im weiteren Text.
Die New York Times ist weitaus bedeutender und einflussreicher als der Boston Globe. Unbestritten ist sie die wichtigste und meistgelesene Tageszeitung nicht nur der USA, sondern der westlichen Welt. Der Boston Globe kann da keineswegs mithalten.
Aber natürlich hat er viel Einfluss in Neuengland und somit auch in New Hampshire, dessen Vorwahlen (am 9. Februar) von vielen als tonangebend, wenn nicht für den weiteren Verlauf der Vorwahlen als entscheidend angesehen werden. Was das Ergebnis betrifft, bin ich aus verschiedenen Gründen zuversichtlich, und immerhin hat der regional bedeutende Globe dem Wahlvolk der Democrats und Independents von New Hampshire ans Herz gelegt, Hillary zu wählen - wenn auch auf verdruckste, äußerst kuriose Weise.
Noch eine Bemerkung zu den Wörtern „to endorse“ und „Endorsement“. Sie stammen aus der Welt des Marketing und sind in Deutschland so ungebräuchlich wie sie in den USA alltäglich sind. „To endorse“ bedeutet ursprünglich, sich für ein Produkt einzusetzen und mit dem eigenen (möglichst guten und prominenten Namen) dafür zu werben. Eine überzeugende deutsche Entsprechung gibt es m.W. nicht, weshalb im deutschen Sport- und Musikmarketing denn auch meist einfach von Endorsement, Endorsern, etc. gesprochen wird. Wenn Thomas Gottschalk von Haribo-Gummibärchen schwärmt und die deutsche Männer-Nationalelf in Adidas-Klamotten aufspielt, so haben wir es mit (sehr lukrativen!) Endorsements zu tun. Die USA sind das Mutterland des Marketing - auch dies Wort scheint unübersetzbar - und sind diesbezüglich nicht zimperlich. PolitikerInnen werden gekauft, folglich sind sie Waren und werden beworben wie andere Waren auch. Hillary Clintons demokratischer Rivale Bernie Sanders verkauft sich zwar als Ausnahme, aber verkaufen muss auch er sich. In Europa fremdeln wir noch und haben die Praxis mitsamt den Ausdrücken für Menschen bisher noch nicht übernommen. Bisher hat m.W. noch niemand Angela Merkel endorsiert bzw. ein Endorsement für sie ausgesprochen. Aber die Wahlen sind ja auch noch ein Weilchen hin. Wenn es soweit ist, werden hoffentlich viele Zeitungen, Institutionen und Promi-Frauen sie endorsieren - damit dieses unwiderstehliche Szenario Wirklichkeit wird:
Die dann nur noch zweitmächtigste Frau der Welt, Angela Merkel, bringt zusammen mit der mächtigsten Frau bzw. Persönlichkeit, Hillary Clinton, der Chefin des IWF Christine Lagarde und der Chefin der Fed (US-Notenbank) Janet Yellen die Welt mit weiblicher Klugheit, Empathie, Umsicht sowie Vernetzungs- und Verhandlungskunst endlich auf Vorderfrau!
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11 Kommentare
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03.02.2016 um 14:47 Uhr Lena Vandrey
@ Amy
In Hunderttausenden von feministischen Texten werden LESBEN nicht erwähnt! Ist das immer noch das Resultat von Monique Wittigs fatalem Satz vor 40 Jahren: Nein, Lesben sind keine Frauen!? Das kann wohl kaum sein, da die jüngeren Frauen davon gar nichts wissen. Die feministischen Texte werden für Frauen geschrieben und Lesben nicht erwähnt, um den Frauen nicht zu schaden. Und so hat es wohl auch der “Globe” gemeint, indem er Frauen nicht erwähnte, um der Kandidatin nicht zu schaden. Eine Frau, Feministin, Lesben-Sympathisantin, das ist mehr als genug, sogar ein wenig zuviel… Eine sehr ärgerliche Sache war die frühere Presse-Schreibweise: FRAUEN/LESBEN! Der Strich in der Mitte trennte die beiden Kategorien. Eine Freundin meinte: Sagen wir doch nur einfach FRAUEN! Wir sind dort hineingegangen wegen der Einsamkeit der Lesben-Misere. Hat uns die Frauenbewegung davon etwa geheilt? Und WEN haben wir befreit? Eine sehr bittere Geschichte! “FRAUEN” mögen ihre Avant-Garde nicht, erkennen ihre Elite nicht an! Die Frauenbewegung ist eine Sache der Heteras, sagte eine und meinte aber, Lesben sollten doch aus Gründen der Hygiene mit Männern schlafen. Also sich beschmutzen lassen, um sauber zu sein?
Welch ein Wirrwarr in all diesen Köpfen!
02.02.2016 um 22:32 Uhr Felix Sachs
Liebe LFP
“endorsement”: Dieses englische Wort scheint mir kein Problem darzustellen. Ich habe das immer vom lateinischen “dorsum” hergeleitet. Laut Stowasser wird “dorsum” auch metaphorisch für alles Rückenähnliche verwendet. Für mich heisst “to endorse” dann so viel wie “den Rücken stärken”, zu “endorsement” passt wohl am besten “Unterstützung” (“Rückenstärkung” ist eher ungebräuchlich). Es gibt auch im Englischen etwas Ähnliches wie im Lateinischen: “dorsal” = “Rücken-” (z.B. dorsal fin = Rückenflosse). Mein Langenscheidts Bürowörterbuch bringt allerdings nichts von alledem: Einerseits kommen da diverse Begriffe im Zusammenhang mit dem Bankenwesen (Indossatar/in, Indossament usw.). Ziemlich gegenteilig zum “Rücken stärken” wird es, wenn “to endorse” bedeutet, “eine Strafe vermerken” (auf einem Fahrschein). Von “unterstützen finde ich hier gar nichts. Ganz anders im Oxford Advanced Learner’s Dictionary (ich gebe das nur stichwortartig wieder): 1. eine Person öffentlich unterstützen; 2. ein Produkt für den Kauf empfehlen; 3. (wörtlich): to write your name on the back of a cheque so that it can be paid into a bank account - aha: auf die Rückseite schreiben, da haben wir’s ja!; 4. Strafvermerk in einen Fahrausweis schreiben (sicher auch irgendwo auf einer Rückseite); ein Beispiel: “You risk having your licence endorsed” (darauf verzichten wir wohl alle gerne). Bei “endorsement” fehlt nur die dritte dieser vier Bedeutungen.
So finde ich “to endorse / endorsement” im Sinne von “jemandem öffentlich den Rücken stärken” sehr schön.
Wenn Hillary Clinton wirklich feministisch ist im Sinne von empathisch, mutig, erneuernd - nicht nur mit Worten wie Obama “Yes we can” - dann hätte sie meine Unterstützung (endorsement) zu 100%. Ich fürchte leider, dass sie zu sehr zum Establishment gehört und kaum viel ändern würde - zu ähnlich wie Angela Merkel? Bernie Sanders scheint den Kraftakt gegen die Plutokratie überzeugender wagen zu wollen. Wenn er damit wirklich Ernst macht, ist nur zu hoffen, dass ihm nicht das Gleiche droht wie den Kennedys… Freilich müssten wir ihn noch besser kennenlernen, auch was seine Haltung zu den Frauen anbelangt. Schade wär’s auf jeden Fall, wenn wir weitere vier oder acht Jahre auf die erste Frau an der Spitze der USA warten müssten. Als Schweizer darf ich immerhin mit einigem Stolz erwähnen, dass wir in unserer Exekutive (Bundesrat) wenigstens ein paar Jahre ein Frauenmehrheit hatten (vier Frauen, drei Männer). Gleichzeitig muss ich aber beklagen, dass seit Januar die Frauenquote wieder unter 30% gefallen ist: zwei Frauen, 5 Männer, und zwar auf besonders beschämende Weise durch unsere rechtspopulistische SVP (Blocherpartei). Ich habe das gleich danach in einem Leserbrief im St. Galler Tagblatt kommentiert unter dem Titel “Frauenquote statt Zauberformel”: „Vielleicht hätten wir die Initiative der SVP für die Volkswahl des Bundesrates am 9. Juni 2013 annehmen sollen: Eveline Widmer-Schlumpf wäre weitere vier Jahre im Amt. Und jetzt? Die anerkannt beste Finanzministerin muss „dem geringsten von drei Übeln“ Platz machen, der ihr nicht das Wasser reichen kann.
Seltsam: Es scheint niemanden zu stören, dass der Frauenanteil im Bundesrat wieder unter die 30%-Marke fällt. Die „Zauberformel“ orientiert sich einzig an der Parteienstärke. Erst in zweiter Linie kommen die sprachlichen und die regionalen Landesteile zum Zug. Von den Frauen spricht schon niemand mehr, ihnen wird der Vorrang der Qualifikation entgegengehalten. Welche Rolle die Qualifikation wirklich spielt, hat die Realsatire der letzten Wochen vordemonstriert: Mit ihrer menschenverachtenden Ausschlussklausel (wo bleiben Unabhängigkeit und Rückgrat als Führungsqualitäten für das Amt?) hat die SVP den Parteiprimat in ein nie gekanntes Extrem gesteigert und die Auswahl auf ein beschämendes Niveau gedrückt. Qualifikation? Nebensache.
Nüchtern betrachtet sollte sich keine Partei allzu wichtig nehmen. Gemessen an der Stimmbeteiligung haben nämlich nur 14% effektiv die SVP gewählt (jeder 7. Stimmbürger, Frauen eingeschlossen), die anderen entsprechend noch weniger. Müssten da die 50% Frauen nicht ernster genommen werden?”
Felix Sachs
02.02.2016 um 15:16 Uhr Amy
Vielen Dank für die aufschlußreiche Glosse und die vielen Hinweise! Was Werbung in eigener Sache betrifft, so zumindest hatte der Mietwagen-Blog der Firma Sixt Angela Merkel schon einmal vor einem `Auto-Spoiler` geparkt. http://www.autobild.de/bilder/sixt-werbung-mit-merkel-4253625.html#bild1
Vielleicht wird ja bei der nächsten Bundestagswahl noch mehr daraus?
In intimer Pose - eher als provokante Pose - wurde Merkel werbemäßig als Double im Berliner Lesben-Magazin `Straight` hergerichtet oder missbraucht? Bislang scheinen die Werbeleute `Fürsprechende` nur dann zu sein, wenn es um Spott oder Hohn geht, vor allem dann, wenn es sich um eine starke Frauenpersönlichkeit handelt?
Aber evtl. erleben wir es noch, dass Angela Merkel zur Bundestagswahl 2017 auf einem Werbeplaket der `Grünen` landet, weit fernab ihrer `buckligen` Verwandtschaft? http://www.welt.de/politik/deutschland/article144263754/Dann-kuesst-eine-junge-Frau-der-Kanzlerin-den-Nacken.html