Endlich dürfen auch wir in wilder Ehe leben
Ich habe die Ehe immer für eine Institution gehalten, in der das uralte patriarchale Machtgefälle zwischen den Geschlechtern auch noch gesetzlich zementiert wird. Wie Thomas Oppermann bei Maybrit Illner am Donnerstagabend zu Recht bemerkte (sinngemäß zitiert): „Früher konnte die Ehefrau ohne die Erlaubnis des Gatten keine Verträge abschließen und keinen Beruf ausüben. Kurz, wenn die Ehe noch heute so wie früher organisiert wäre, würde keine Frau heiraten.“
Bei gleichgeschlechtlichen Paaren gibt es kein historisch gewachsenes, gesellschaftlich bedingtes Machtgefälle, höchstens ein individuelles. Wenn es nun dank der am Freitag im Bundestag „für alle“ geöffneten Ehe mehr und mehr schwule und lesbische Ehepaare geben wird, wird die alte eheliche Geschlechterhierarchie unterspült und hoffentlich bald eingeebnet.
Als vor etwa 30 Jahren die Debatte um die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule begann, war ich - wie viele Feministinnen der Zweiten Frauenbewegung - strikt dagegen. Wir waren progressiv und fanden die Ehe überholt. Deshalb traten wir für die Abschaffung der Ehe ein: „Ehe für niemand“ statt „für alle“. Warum sollten diejenigen, die keineN EhepartnerIn gefunden hatten, gesetzlich (und vor allem steuerlich!) benachteiligt werden? „Besonderen Schutz“ hatten nach unserer Meinung nur diejenigen verdient, die sich um die Erziehung von Kindern und die Pflege von kranken und/oder altersschwachen Angehörigen kümmern. Solche Gruppen wären dann „Familien“ zu nennen, und diese Art Familien stünden unter dem „Schutz der staatlichen Ordnung“ (Artikel 6,1 GG).
Für die Idee der Ehe für Lesben und Schwule konnte ich mich nur unter dem Aspekt erwärmen, dass wir dadurch dem Ziel „Abschaffung der Ehe“ näherkämen: Die heterosexuellen Paare würden die Tatsache, dass auch Lesben und Schwule dem Club der Verehelichten beitreten können, so widerwärtig und ehrenrührig finden, dass sie dankend abwinken würden: „Eine Ehe, die auch für den Abschaum der Menschheit offen ist, wollen wir nicht. Nein danke. Ohne uns.“ Und so würde sich das Institut Ehe allmählich von selbst auflösen. Dachten wir.
Nun ist es also alles ganz anders gekommen. Die Gesellschaft strebt mit Macht ins Ehebett, besonders die bis dahin Ausgegrenzten.
Alle - na sagen wir, fast alle - freuen sich über den gesellschaftlichen Fortschritt, es knallen die Sektkorken, im Bundestag regnete es Konfetti. Wir freuen uns mit und werden nun wohl - nach 31 Jahren wilder Ehe - auch bald heiraten. Wird Zeit, dass wir nach dem langen Lotterleben unsere Zweisamkeit nun mal in gesetzlich geordnete Bahnen lenken. Das hätten wir zwar schon vor 16 Jahren tun können, aber „verpartnert werden“ wollten wir nicht. Nicht nur war uns das Wort zuwider, wir lehnten auch eine Ehe zweiter Klasse ab.
Eigentlich war unsere Lebensgemeinschaft nicht einmal eine „wilde Ehe“. Auch die gab es bisher nämlich nur zwischen Frau und Mann. Aber nun dürfen auch wir in wilder Ehe leben, wie schön.
Überhaupt die sprachlichen Verrenkungen um diese Entwicklung. Da hatten wir erst die „Verpartnerung“, eine selten gemeine und blöde Bezeichnung, über die ich mich schon 2001 entrüstet habe. Dann die „Homo-Ehe“, die ich 2013 zum Unwort des Jahrzehnts erklärt habe (ebenda). Das Wort ist so diskriminierend wie das Wort „Mischehe“, mit dem früher die Ehen zwischen jüdischen und „arischen“ Hetero-Paaren oder, in den USA, zwischen Schwarzen und Weißen gebrandmarkt wurden.
Ich schlug damals vor, lieber von „alter“ und „neuer Ehe“ zu sprechen. Es wurde demnach am Freitag über die neue Ehe abgestimmt, und sie wurde vom Parlament abgesegnet.
Aber der Ausdruck „Ehe für alle“ hat sich anscheinend durchgesetzt, vielleicht auch, um Klagen der BTTIQ-Abteilung (Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle, Intersexuelle, Queer) aus der LGBTTIQ-Community zuvorzukommen. Die weiteren 50 sexuellen bzw. Gender-Identitäten, die Facebook ausgemacht hat und vorsieht, wenn wir Auskunft über unser Geschlecht geben sollen, sind mit „Ehe für alle“ auch gut versorgt. Paragraph 1353 BGB soll künftig lauten: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." Was für ein Geschlecht, wird dabei ausdrücklich offengelassen. Keine Rede von „Mann“ und „Frau“.
Witzbolde verkünden, sie würden nun umgehend ihr Meerschweinchen oder ihr Fahrrad heiraten. „Für alle“ ist „für alle“, da dürfen Meerschweinchen und Fahrräder nicht diskriminiert werden. Dabei übersehen die Witzbolde, dass tatsächlich nur diejenigen heiraten dürfen, die auch vor der „Ehe für alle“ schon heiraten durften. Meerschweinchen und Fahrräder sind keine Personen und gehören schon deshalb nicht zu dieser Gruppe. Ein Fahrrad ist ein Gefährt, keine Gefährtin. Aber sogar ich eingefleischte alte Lesbe durfte schon immer heiraten. Die Ehe stand mir sogar in Deutschland schon immer offen. Einzige Bedingung: Ich musste einen Mann heiraten. Da blieb ich natürlich lieber ledig.
Es gibt viele Lesben und Schwule, die Scheinehen miteinander eingegangen sind, um gemeinsam der nicht selten tödlichen Homophobie ein Schnippchen schlagen zu können. In der Nazizeit war das eine besonders naheliegende Lösung lebensbedrohlicher Probleme: Erika Mann und Therese Giehse, ein Liebespaar, heirateten beide schwule englische Schriftsteller (Wystan H. Auden bzw. John Hampson-Simpson).
Wenn wir dann verheiratet sind, kann ich Joey ganz offiziell „meine Frau“ nennen, klipp und klar. Kein verschämtes Herumeiern mehr mit „meine Lebensgefährtin/ Lebenspartnerin“ oder „meine Freundin“ (Version für HandwerkerInnen, Hotelpersonal und ähnliche Mitmenschen, vor denen frau nicht unbedingt ihr Coming-Out machen wollte). Neulich sagte die Verkäuferin in unserer Bäckerei fröhlich: „Schönen Gruß an Ihre Frau“. Ja so ist sie, die Jugend. Keinen Begriff haben sie von den Wunden, die wir uns im jahrzehntelangen Versteck zugezogen haben, von der geradezu paranoiden Empfindlichkeit, mit der wir unser „Privatleben“ vor Einblicken schützten. Glaubten schützen zu müssen, selbst da, wo keine Gefahr mehr drohte. Für mich war dieser freundliche Gruß „an meine Frau“ ungewohnt, fast ein bisschen distanzlos bis übergriffig, aber doch auch: erfrischend geradeheraus und unkompliziert. Ich werde bald viel Gelegenheit haben, emotional dazuzulernen und bei „Grüßen an meine Frau“ nicht wie unfreiwillig geoutet zusammenzuzucken, sondern mit „gay pride“ und einem Lächeln reagieren. Ganz normal eben ;-)
9 Kommentare
Nächster Eintrag: King Kung und die deutsche Männersprache: Ein krasser Fall von Mansplaining
Vorheriger Eintrag: Leget euch dem Heiland unter
04.07.2017 um 16:04 Uhr Joey Horsley
Well finally! Not only that Germany has gotten this far, but that Luise has “come out” in favor! We could have married in Massachusetts as early as 2004. About time, sweetheart!