Emma
Heute habe ich den Roman „Emma“ (erschienen 1815) von Jane Austen beendet, vorgelesen von der wunderbaren Eva Mattes, von der ich mir vor ein paar Wochen auch schon Austens „Gefühl und Verstand“ (Sense and Sensibility) reingezogen habe. Mein Kindle könnte mir diese Werke auch auf Englisch vorlesen, oder ich könnte sie selber mal wieder lesen. Aber dann müsste ich auf die Kunst von Eva Mattes verzichten, und das möchte ich nicht. Sibel Kekilli hat „Sense and Sensibility“ (unter dem unsäglichen Titel „Sinn und Sinnlichkeit“) auch vorgelesen. Davon ertrug ich nicht mehr als fünf Minuten.
Eva Mattes, Sabine Postel (Spezialistin für die Krimis von Elizabeth George), Judy Winter (Spezialistin für die Krimis von Liza Marklund), Hannelore Hoger, Martina Gedeck, Dagmar Manzel, Corinna Harfouch, Iris Berben, Hannelore Elsner, Elke Heidenreich - was für grandiose Vorleserinnen! Wie viele genussreiche Stunden verdanke ich ihnen!
Zurück zu Emma. Bei „Emma“ denkt natürlich jede und jeder an die größte und älteste überlebende feministische Publikumszeitschrift Europas, Emma, herausgegeben von Alice Schwarzer seit 1977. Übrigens bin ich Abonnentin der ersten Stunde. Wenn „Emma“ einen Vorleseservice (Podcast) einrichten würde, so wie die Zeit seit vielen Jahren einen hat, würde ich wahrscheinlich von ihren wichtigen Texten mehr mitbekommen.
Eine sehr gute Vorleserin ist auch Alice Schwarzer. Vor kurzem habe ich den ersten Teil ihrer Autobiografie gehört, „Lebenslauf“. Sie äußert sich darin auch darüber, wie die Zeitschrift zu ihrem Namen kam. Der Freund einer Kollegin hatte „Ema“ vorgeschlagen, kurz für „Emanzipation“. Daraus machte sie dann „Emma“, was naheliegend ist, weil es nicht nur an Emanzipation anklingt, sondern auch noch ein kraftvoller und traditionsreicher weiblicher Vorname ist. Alles mehr als passend und entsprechend erfolgreich.
Alice Schwarzer stellt aber seltsamerweise keinen Bezug zu Jane Austens Emma her. Diese Abstammungslinie möchte ich hier nachzeichnen.
Die Aufmüpfigkeit, die bei Schwarzers „Emma“ Programm ist, kennzeichnet auch Emma Woodhouse, über die ihre Schöpferin meinte, sie sei „eine Heldin, die niemand außer mir besonders mögen wird (a heroine whom no one but myself will much like).“
Emma ist mit ihren 21 Jahren sehr emanzipiert, Heirat kommt für sie nicht in Frage (am Ende heiratet sie natürlich doch ihren edlen Ritter Mr. Knightley, der seinem Namen alle Ehre macht).
Ich will mich hier nicht lange über den Inhalt von „Emma“ verbreiten, sondern nur das für „Emmanzen“ vielleicht Wichtigste verraten: Emma ist hochintelligent, meistens guter Laune und gar kein Kind von Traurigkeit, und sie hält die Fäden energisch in der Hand, wenn sie sie auch bisweilen bös verheddert. Sie vertritt gegenüber Männern unerschrocken ihre Meinung und macht sich auch gern mal über sie lustig. Kurz, für ihre Zeit, das frühe 19. Jahrhundert, ist Emma enorm emanzipiert.
Damit ist sie eine für das 19. Jahrhundert ganz und gar außergewöhnliche Roman- und gar Titelheldin. Die normale Titelheldin des 19. Jahrhunderts bezahlt das Privileg, die Titelfigur zu sein, mit dem Tode; in der Regel begeht sie Selbstmord. Die selbstmörderischen Titelheldinnen des 19. Jahrhunderts (gemeinhin „goldenes Zeitalter des Romans“ genannt) wurden überwiegend von Männern ersonnen, und zwar den ganz großen:
• Tolstois Anna Karenina (1878) wirft sich vor einen Zug. • Flauberts Madame Bovary (1857; was für eine ganz andere Emma als Austens Emma!) nimmt Arsen und stirbt nach schrecklichem Todeskampf. • Fontanes Effi Briest (1896) stirbt mit 30 Jahren an gebrochenem Herzen. Warum mussten die drei sterben? Weil sie Ehebrecherinnen waren. • Zolas Nana (1880), Prostituierte, stirbt einsam an den Blattern. Übrigens scheint der Tod der Titelheldin in der romantischen Oper noch zwingender vorgeschrieben als im Roman: Carmen, Madame Butterfly, Tosca, Manon Lescaut, usw.
Und nun Jane Austens erstaunliche Schöpfung Emma. Selbstmord würde zu dieser Heldin überhaupt nicht passen!
Damit ist Emma in doppelter Hinsicht einzigartig. Eine Titelheldin, die von einer Frau konzipiert wurde (fast alle anderen von Männern) - und die sich weder umbringt noch sonstwie elend eingeht. Das eine bedingt vermutlich das andere.
Ich denke, es ist klargeworden, dass Schwarzers Emma und alle Emmas von heute in direkter Linie von Jane Austens Emma abstammen. Ehre, der Ehre gebührt! •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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12 Kommentare
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02.07.2012 um 18:38 Uhr Carola
Viel hat sich nicht geändert. Kennen Sie den Bechdel-Test?
http://bechdeltest.com/
Den bestehen nur Filme, in dem mindestens zwei Frauen vorkommen, die auch einen Namen haben - sich miteinander unterhalten - und zwar über etwas anderes als einen Mann.
Ein wahrer Augenöffner, der Kino, Fernsehen und Literatur “verdirbt” :-)
02.07.2012 um 14:23 Uhr anne
frau sieht wieder einmal, wie die herren `schöpfer` frauen lieber in den liebes-/tod verelenden lassen; ihre traditionelle frauenrolle führte gleich in den abgrund. nicht ins
`Abseits` oder ins `Aus` haben sich drängen lassen unsere vielen emanzipierten und aufmüpfigen emmas aus der frauenbewegung; einige haben sich todesmutig polizeipferden entgegengeworfen oder sind in den hungerstreik getreten, weil sie das wahlrecht wollten. olympe de gouges wurde sogar enthauptet. für die meisten männl. `frauen-schöpfer` waren emanzipierte, aufmüpfige, starke frauen ein dorn im auge, wünschte mann sich eher frauen, die aus liebesschmäh den tod suchten als die kämpferischen, die sich ihren `schöpfern` widersetzten?
in “frauenbilder in der literatur von männern” heisst es:
“Mithin produzierten die Bilder ein Verständnis von Weiblichkeit, welches letztlich doch nur der Entwurf des Mannes sei. ...Hierin drücken sich individuelle und kollektive Wünsche des männlichen Literaten bezüglich der Frau aus. Dieser Ansatz beruht auf psychoanalytischen Theorien und Interpretationsverfahren. “Männerphantasien” bedeuten, dass die Frauenfiguren in der von Männern stammenden Literatur lediglich individuelle und kollektive männliche Phantasien über das Wesen der Frau widerspiegeln.
Die feministischen Ansätze zeigen, dass in der Literaturgeschichte hauptsächlich männliche Autoren literarische Frauenbilder geschaffen haben, die mit dem realen Frauenbild in keinerlei Weise übereinstimmen, sondern ein klischeehaftes Bild der Frau wiedergeben.
(die imaginierte weiblichkeit v. Silvia Bovenschen)
http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/115429.html
02.07.2012 um 12:25 Uhr Jeannette
Danke, Luise :) - Sehr treffend!
02.07.2012 um 02:42 Uhr Joey Horsley
Sehr schön, Luise! Ich bin sehr stolz, dass meine Enkelin auch Emma heißt (Aeryn Emma Horsley). Mit ihren 10 Jahren ist sie schon mehr als aufmüpfig genug und natürlich auch em(m)anzipiert, genau wie ihre Zwillingsschwester Elisabeth.