Eine Ruderin schlägt Wellen
Gestern waren Berit, Angelika, Charlotte und ich in einem Orgelkonzert in der Marktkirche; hinterher feierten wir das Wiedersehen mit Charlotte noch im Extrablatt mit geistigen Getränken, Pizzen und Süßkartoffelchips.
Charlotte erzählte, sie hätte nachmittags am Maschsee eine Ruderin erblickt. Wir fanden alle, das sei ein sehr komisches Wort. Ob es vielleicht nicht eher „Rudererin“ heißen sollte? „Hast du sie gefragt, wie sie sich nennt?“ fragte ich Charlotte. Und Charlotte entgegnete, ganz ernsthaft, nein, das wäre nicht gegangen, da die Ruderin mitten auf dem See am Rudern war. Wir lachten alle.
Tatsächlich ist aber „Ruderin“ eigentlich nichts besonderes. Die sogenannte „weibliche Form“ muss ja sowieso alle möglichen Veränderungen der männlichen Grundform „erleiden“. Manchmal bekommt sie einen Umlaut: Ärztin, Anwältin, Gräfin - und warum nicht Fotogräfin, bitteschön? Manchmal verliert sie ein „e“: Schwedin, Beamtin, Gattin, Genossin. Manchmal bekommt sie den Umlaut UND verliert ein "e": Französin. Und manchmal verliert sie eben ein -er: Bewunderin, Kletterin, Märtyrin, Stotterin, Ruderin, Wanderin, Zauberin, Zauderin, Zimmerin.
Natürlich kann frau den Vorgang auch ganz anders analysieren: Die Frau „verliert“ kein -er, das sie von allem Anfang an gar nicht gebraucht und gewollt hat. Die scheinbaren Ausnahmen à la Ruderin, Kletterin und Wanderin können so zum Vorbild für die gesamte Klasse der Maskulina auf -er werden. Frau setzt ihr -in gleich an den Wortstamm, genau wie mann mit seiner Endung -er verfährt:
der Lehrer, die Lehrin der Kassierer, die Kassierin der Arbeiter, die Arbeitin der Anfänger, die Anfängin der Verkäufer, die Verkäufin der Informatiker, die Informatikin der Ober, die Obin. [zugegeben, "ob" ist nicht der Wortstamm, aber macht nix]
Eine Lösung, für die frauenbewegte Sprachkritikerinnen bzw. -kritikinnen schon lange plädieren - sie fiel uns gestern nur nicht gleich ein, vielleicht wegen der geistigen Getränke. Ihr entscheidender Vorteil ist, dass das Gerede vom Mitgemeintsein endlich passé ist. Die Formen sind so neu und „unerhört“, dass niemand behaupten wird, die Frauen seien jeweils mitgemeint.
Statt „Liebe Hörerinnen und Hörer“, das sowieso zunehmend zu „Liebe Hörer und Hörer“ verkommt, hieße es also demnächst „Liebe Hörinnen und Hörer“. Und das uralte Problem „Wie reden wir bloß die Kellnerin bzw. Kellnin an?“ wäre auch vom Tisch. Wir sagen „Frau Obin, bitte zahlen“ - und geben der Verdutzten wegen der gewöhnungsbedürftigen Anrede ein fürstinliches Trinkgeld.
Gestern waren wir mit unseren von der „Ruderin“ ausgelösten Überlegungen so weit noch nicht gediehen. Wir redeten die nette Kellnin wieder mit gar nichts an und baten sie, ein Gruppenfoto von uns zu machen. Das Foto, wenngleich notgedrungen ohne Ruderin und Obin, ist sehr hübsch geworden, finden wir:
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9 Kommentare
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08.07.2012 um 15:10 Uhr Irene
Wenn ich mir sowas durch den Kopf gehen lasse, bin ich froh, dass ich Deutsch nicht als Fremdsprache lernen muss…
27.06.2012 um 22:21 Uhr Bridge
Mein vergnügen fing wie so oft mit der überschrift an. Das kann doch nicht wahr sein, was der lfp schon wieder einfällt, dachte ich, und zu dieser überschrift noch eine glosse! Aber dass eine ruderin ungewöhnlich wäre fiel mir nicht auf. -Bevor ich das ansprechende gruppenbild aus damen von der kellnin zu gesicht bekam, stellte ich mir einen von ruderERn bevölkerten wörtersee vor und die glossarin mitten drin als wellenschlagende sich pfeilschnell vorantreibende ruderin. Sogar die frage an Charlotte schien mir von rethorischer list, weil die anderen vielleicht nicht gewusst haben, dass lfp selbst die ruderin war. So gingen mir wieder fast bei jedem absatz die ohren auf und vor mich hin schmunzelnd über neue endungen und wendungen traute ich meinen eigenen ohren plötzlich neue schallwellen zu. Ahoi mesdames!
26.06.2012 um 08:10 Uhr Teda
Die Patin hat’s doch schon immer in sich..
Schönes Bild, weil schöne Modells!
Gruß Teda
25.06.2012 um 10:41 Uhr Barbara von Lingen
Was fuer ein schoenes Foto -
und wie schoen Dich mal wieder zu “sehen”.
Liebe Gruesse von der Insel,
Barbara
25.06.2012 um 09:54 Uhr anne
prima idee, um z.b. das `er` zu umgehen, wofür gibt es unsa weibliches `in` - in da privaten korrespondenz lasse ich ihn völlig ablaufen, ersetze ihn durch `a` , z.b. supra, lehra, weita etc. - das macht viel spass und liest sich sogar gut.
schließlich musste ich lange genug die deutsche männersprache verinnerlichen bis zum erbrechen, ohne kenntnis von da feministischen sprachkritik.
wenn bei lehrerin beide geschlechta sichtbar sind, müsste es doch für den lehrer ein leichtes sein, nur noch das umfassende femininum zu gebrauchen, wofür braucht der anfänger den lehrer? warum nicht gleich lehrerin und lehrin ?
übrigens, ein sehr schönes foto !
25.06.2012 um 09:09 Uhr lfp
@Alison: Wenn Du den Cursor eine Weile über das Bild hältst, erscheint die Legende: “von links: Berit, Luise, Angelika, Charlotte”.
25.06.2012 um 07:54 Uhr Schubidu
Ich bleib bei Lehrerin, Rudererin, ... weil hier beide Geschlechter eindeutig sichtbar sind.
Merkregel:
In der Anfängerin,
ist der Anfänger drin :)
25.06.2012 um 02:43 Uhr Alison
“Berit, Angelika, Charlotte und ich” Wer auf das Bild “ich” ist, erkenne ich. Wer von welche sind die anderen drei Schönen?