Eine Formulierkunst, die seinesgleichen sucht
Eigentlich müsste es ja heißen „Eine Formulierkunst, die ihresgleichen sucht“. Aber die korrekte feminine Form verschmähte der Autor zugunsten des Maskulinums. Hier der Satz in seinem Kontext - oder sollte ich vielleicht sagen „in ihrem Kontext“?
Er besitzt eine Formulierkunst, die seinesgleichen sucht. Man muss diesen Mann lieben und ich würde ihn ohne zu zögern für zwei Nobelpreise vorschlagen: zum ersten für Literatur, zum zweiten, viel wichtiger, viel passender: für Frieden! Gefunden hier bei Amazon.
Das Engagement des Amazon-Rezensenten für Karlheinz Deschner ist herzerwärmend, seine eigene Formulierkunst allerdings gewöhnungsbedürftig.
Sätze, in denen uns statt des zu erwartenden Femininums ein Maskulinum überrascht, häufen sich. Hier zwei weitere Beispiele aus meiner Sammlung:
"Die Algarve punktet mit seinen vielen Stränden, malerischen Städten, dem vielfältigen Sport -und Freizeitprogramm sowie mit ganz viel Sonne." (Aus dem Newsletter meines FIRST Reisebüros)
"Die erlangte Ritterschaft hat seinen Preis." Gefunden hier
Komisch, dass die Umkehrung NIEMALS vorkommt, also Ausdrücke wie "Der Olymp mit ihren Göttern“, „Vater Rhein mit ihren Burgen und Schlössern“, „Der Witz und ihre Beziehung zum Unbewussten“.
„Was geht hier ab?“ fragte schon vor drei Jahren Ursula Müller (früher Frauenbeauftrage von Hannover und Staatssekretärin in Schleswig-Holstein) in ihrer Glosse „Ein Vorschlag gegen die Vermännlichung der Sprache“, in der sie das Phänomen aufs Korn nimmt. Sie hält sich mit der Frage nicht lange auf und entwirft lieber eine Gegenstrategie: Eifrige Benutzung des Femininums auch an dafür grammatisch nicht vorgesehenen Stellen. Mir gefällt diese Strategie sehr!
Trotzdem will ich noch mal die Frage nach dem Warum aufwerfen: Was geht hier ab? Inzwischen fallen nämlich nicht nur Ursula Müller und mir diese vermännlichten Feminina auf. Gestern bekam ich eine Mail von C.C., die sich auch fragt, was da abgeht und etliche Beispiele schickte. Sie macht sich jeweils sogar die Mühe, die Urheber der vermännlichten Feminina auf ihre Fehler hinzuweisen.
Meine Antwort auf die Frage „Was geht hier ab?“ ist ganz einfach: Die Leute mögen keine Frauen. Frauen sollen im Hintergrund bleiben und am liebsten unsichtbar sein. In unserer deutschen Männersprache sorgt das generische Maskulinum für sofortiges Verschwinden sämtlicher Frauen, sowie nur ein einziger Mann auftaucht. Das generische Maskulinum macht die Frau unsichtbar, besser als jede Burka es vermöchte, denn es erledigt gleich ganze Scharen von Frauen auf einmal.
Dass die Leute die Frauen und das ihnen zugeordnete Genus Femininum nicht mögen, wurde uns vor kurzem wieder vorgedröhnt in den endlosen gehässigen Kommentaren zu der Entscheidung der Universitäten Leipzig und Potsdam, in ihren offiziellen Verlautbarungen ab sofort das generische Femininum zu benutzen. Für die, die nicht wissen, was das generische Femininum ist, hier ein paar Beispiele, in denen ich das übliche generische Maskulinum in ein generisches Femininum umgewandelt habe:
„Wer wird Millionärin“ (beliebte Quizsendung)
„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Ihre Ärztin oder Apothekerin.“
"Die Bundeskanzlerin bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jede Bundesministerin ihren Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministerinnen entscheidet die Bundesregierung. Die Bundeskanzlerin leitet deren Geschäfte nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und von der Bundespräsidentin genehmigten Geschäftsordnung". (Artikel 65 Grundgesetz)
Wenn wir solche stärkenden Sätze lesen, entstehen vor unserem inneren Auge ganz ungewohnte, schöne Bilder von Frauen. Frauen, die wir in derartigen Zusammenhängen nie vermutet hätten - bis auf die Bundeskanzlerin, die uns nun schon eine Weile vertraut ist.
Manche Gegner der feministischen Sprachkritik und des generischen Femininums behaupten, wir regten uns über Nichtigkeiten auf, und überhaupt sei das Deutsche eher eine Frauen- als eine Männersprache, denn der gesamte Plural sei doch weiblich: aus „der Vater“ wird „DIE Väter“, pronominalisiert durch was? Durch „sie“! Woraufhin ich meist nur antworte, wenn „Väter“ weiblich ist, dann sind "Dame" und „Mutter“ männlich, denn es heißt schließlich "der Dame" und „der Mutter“. „Hä?“ macht dann das Publikum. Ja doch, fahre ich unbeirrt fort: „der Mutter“, wie in „Gib der Mutter einen Kuss!“. "Der Dame" wird unten verbildlicht (Dank an Daniel Elmiger für sein ein ausdrucksstarkes Foto):
Längliche linguistische Erörterungen, weshalb die Behauptung, der Plural (und die Anrede „Sie") seien weiblich, Unsinn ist, erspare ich mir hier - ich werde sie bald nachliefern. Das häufige Vorkommen des vermännlichten Femininums wie in „Eine Formulierkunst, die seinesgleichen sucht“ widerlegt diese Behauptung sehr schön. Wäre die deutsche Sprache so durchgehend und überwiegend weiblich, wie es die Anhänger der These von der Weiblichkeit des Plurals behaupten, dann müsste es statt vermännlichter Feminina verweiblichte Maskulina geben (denn üblicherweise setzt sich das Übliche durch). Die gibt es aber nicht. Weder habe ich je einen Beleg dafür gefunden, noch wurde mir je einer zugeschickt.
Damit sich das ändert, liebe Frauen, sollten wir Ursula Müllers Vorschlag folgen und fröhlich Feminina überall dort in die Welt setzen, wo sie niemand vermuten würde. Das wird ein Spaß, der ihresgleichen sucht!
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9 Kommentare
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07.08.2013 um 18:31 Uhr Amy
Vielleicht sieht sich Jürgen lieber als weiblicher Mensch? Völlig korrekt und Gratulation.
06.08.2013 um 19:55 Uhr Jürgen A.
Puh, Julia, möchtest du mich vor femininen Verunreinigungen bewahren, damit meine Maskulinität umso makelloser erstrahlen kann? Ich fühle mich an archaische Reinigungsrituale erinnert!!
06.08.2013 um 13:38 Uhr Julia H.
Hallo Luise,
ich lese, dass Dein Ziel eine Gleichberechtigung der deutschen Sprache ist. Wenn das stimmt, hast Du bestimmt einen Lösungsvorschlag für diesen “diskriminierenden” Satz:
“Jürgen ist eine Person, die die Hauptfigur spielt.”
Wie wäre es mit: “Jürgen ist ein Person, der den Hauptfigur spielt.”?
Was meinst Du?
Weibliche Gruß
Julia
04.08.2013 um 16:43 Uhr Julia H.
Hallo Luise,
um fair zu sein, was wir Frauen ja sind, sollten wir männliche Formen für manche weiblichen Wörter auch vorschlagen, finde ich. Schließlich klingt der folgende Satz nach Deiner Logik ziemlich diskriminierend:
“Jürgen ist eine Person, welche die Hauptfigur spielt.”
Hast Du ein paar gute Vorschläge? Bin gespannt auf Deine berühmte Kreativität!
Julia
03.08.2013 um 05:19 Uhr Jürgen A.
Liebe Luise F. Pusch,
weder die Formulierkunst noch die Algarve sind Frauen. Deshalb erscheint mir auch der Verdacht unsinnig, dass mit den Ausdrücken “seinesgleichen” und “seinen” Frauen unsichtbar gemacht werden sollten.
Aber die Frage bleibt: “Was geht hier ab?” Ich finde es nicht seltsam, dass die feminine Umkehrung nicht vorkommt, und würde dieses Phänomen erst recht nicht wie Frau Müller als eine “Vermännlichung der Sprache” beurteilen. Das hieße in diesem Falle, wo es nicht um Personen geht, tatsächlich Sexus und Genus gleichzusetzen.
Ich biete eine andere Antwort an: Die Autoren (oder Autorinnen) waren genusinsensibel. Sprich: Sie achteten einfach nicht auf den Genus des Bezugswortes. Also mussten sie eine Default-Form wählen. Und wählten quasi automatisch das Maskulinum. Warum? Weil im Deutschen das Maskulinum die bevorzugte unmarkierte Form ist und diese Sprachgewohnheit dadurch gefestigt wird, dass es per definitionem nur eine unmarkierte Form geben kann. Für die Formwahl braucht man keinerlei Ressentiments seitens der Autoren bemühen, die genausogut auch Autorinnen sein können.
Die Tendenz, die Genusdifferenzierungen einzuebnen, ist doch eigentlich ein gutes Zeichen. Wenn kein Clash mehr wahrgenommen wird zwischen femininem Substantiv (Formulierungskunst, Algarve) und maskuliner Wiederaufnahme (seinesgleichen, seinen), dann gehen die formalen Maskulina ihrer Männlichkeit doch immer mehr flöten. Irgendwann wird es sogar so weit kommen, dass die “maskulinen Männer” einen neuen Genus fordern, weil das alte Maskulinum ihnen zu verwässert, verweichlicht und verweiblicht daherkommt!
Liegt in dem Problem, das Sie sehen, nicht eigentlich die Lösung genau dieses Problems?
18.07.2013 um 23:09 Uhr Anne Beck
der gesamte plural wird doch weiblich, aus der vater wird die väter” - diese argumentation höre ich auch oft und dient sie dazu, die feministische sprachkritik zu ver/leugnen? währenddessen sich die männer im plural einfach `kopieren` lassen, verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen usw. - `weiblicher plural, wer denkt da schon an frauen, wenn es die väter, die brüder, die männer, die söhne, die onkel heisst`? auf keinen fall wünschen sich männer `weiblich` zu sein - aus angst vor dominanzverlust , denn alles was weiblich ist, wurde bewusst in die zweite oder letzte reihe versetzt oder unsichtbar gemacht, was sich überdeutlich akustisch und bildhaft im begriff `jedermann` niederschlägt?
dennoch wundert mich, wenn frauen von sich sprechen, wie z.b. ich bin jemand, niemand ...DER gut zuhören kann, anstatt zu sagen ..DIE gut zuhören kann.
weshalb gelingt`s vielen frauen auf sich bezogen nicht, z.b. `jemand, niemand` nicht mehr durch ...DER sondern durch ...DIE zu besetzen?
oder: ich bin einer, keiner ...DER..
in diesem fall tauchen vor meinem geistigen auge tauchen wieder nur männer auf.
immerhin ist es heute nach viel häme und unverständnis völlig normal, daß es neben `jedermann` auch `jedefrau` gibt.
17.07.2013 um 01:41 Uhr Irene
Nebenbei interessant: Vermännlichungen, die über das generische Maskulinum hinaus gehen, machen auch Leute nachdenklich, die sonst keine Ambitionen in gendergerechter Sprache haben und dachten, das sei kein Thema für sie.
Eine Marketing-Fachfrau berichtete z.B. in einem Forum, dass sich Männer über ihren Newsletter beschwert hatten, weil er ausnahmsweise in der weiblichen Form geschrieben war. Dabei ging es darin um Schwangerschaften! Da fasst sich dann auch die pragmatische Nichtfeministin und mancher Mann an den Kopf.
16.07.2013 um 11:08 Uhr Lena Vandrey
Das sind richtig nette Fundstücke, liebe Luise!
Gibt es denn kein Lektorat, welches diese Schreibefehler korrigieren würde? was im umgekehrten Falle wohl vorkäme? oder dass die Compute den Fehler von sich aus richtig stellt?
Die Algarve mag ja im Portugiesischen männlich sein, aber im Deutschen ist sie es nicht, und es geht hier um deutsche Sätze. Wie oft haben wir schon gehört, dass Deutsch eine weibliche Sprache ist - und was wollt ihr eigentlich noch? Wobei sich das “noch” so anhört, als habe man uns einen riesigen Gefallen getan mit der Anrede per “Sie”. Vielleicht tut es unseren Kontrahenten weh, jedenfalls “dort” der weiblichen Form zu unterliegen?
Sie da, kommen Sie ‘mal her! klingt sehr scharf. Früher hieB es: Er da, komme Er ‘mal her! Ich habe mit Ihm zu reden!
In exklusiven Männergesprächen klingt das “Sie” wie fehl am Platze… und wenn gebildete Männer mit Frauen reden, so merken wir die verzweifelte Anstrengung, feministisch korrekt zu sein, und zwar ist das derart schlauchend, dass auch wir uns bemühen müssen, denn es kann vorkommen, dass der Herr es auch “da” besser weiB, und wie vor einem Tribunal zur Ordnung ruft und sich ins Fäustchen lacht, uns erwischt zu haben.
Beispielsweise der hamburgische Ausdruck: “Oh Mann, Oh Mann!” Nein, da müssen sie jetzt sagen: “Oh Frau, Oh Frau!”
Die Leute mögen keine Frauen, das ist wohl wahr!
Ich lese gerade “Die Elenden” von Victor Hugo. Die Abschaffung der Sklaverei gibt es nicht, schreibt der Dichter. Sie existiert weiterhin und heiBt Prostitution, die Hauptschande der Menschheit! Das ist wohl 150 Jahre her! und geändert hat sich nichts!
Apropos Schande musste ich hören, dass Margareth Thatcher eine Schande für die Frauen war…
Hitler aber keine für die Männer?...