Ein Loblied auf Alchemilla
Am 9. November hatte ich die Ehre und das Vergnügen, in Bozen die Festrede zum 20jährigen Jubiläum des Frauenkalenders Alchemilla halten zu dürfen. Es war eine erhebende Veranstaltung, ein rauschendes Fest, wunderbar moderiert von Alchemilla Heidi Hintner, mit klangvollen und faszinierenden Einlagen, wie die Fotos von Mäggi von Wohlgemuth eindrucksvoll belegen.
Ich bringe nun Auszüge aus meiner Rede, damit noch mehr Menschen von der schönen, stattlichen Pflanze aus Südtirol erfahren, die die Alchemilla-Frauen dort seit 20 Jahren kultivieren und Jahr um Jahr zur Blüte bringen.
„Alchemilla“ ist der botanische Name für „Frauenmantel“, eine unscheinbar wirkende, widerstandsfähige Pflanze, die es in sich hat. Sie kommt in Europa und Asien vor, besonders in Gebirgen, pflanzt sich ungeschlechtlich fort und wird in der Volksmedizin „zur Behandlung von Wunden, Blutungen, Frauenkrankheiten, Geschwüren, Bauchschmerzen, Nierensteinen, Kopfschmerzen und anderen Beschwerden verwendet. Alle mitteleuropäischen Arten werden als Volksarzneipflanzen und als Kult- bzw. Zauberpflanzen verwendet.“ (Wikipedia).
Apropos „Zauberpflanze“: „Alchemilla“ bedeutet „kleine Alchemistin“ (Wikipedia) und eignet sich somit vorzüglich als Name für eine hocheffiziente Frauengruppe und für deren bekanntestes Produkt, den Frauenkalender Alchemilla.
Frauenkalender gibt es viele, ja es gibt sogar noch etliche feministische Frauenkalender. Ich z.B. mache auch einen Frauenkalender, den Kalender „Berühmte Frauen“, er erscheint seit 1988, ist also noch ein bißchen betagter als Alchemilla.
Konkurrenz zwischen dem Alchemilla-Kalender und meinem hat es nie gegeben, vielmehr arbeiten wir seit Jahren zusammen, wie denn überhaupt meine Beziehungen zu den beiden Frauengruppen in Bozen, Alchemilla und Tanna, sehr eng und fruchtbar sind.
Eine Laudatio soll die Jubilarin würdigen. Ich denke, das geht am besten, wenn ich ins Detail gehe (wie es ja ohnehin die Art von Frauen ist ;-)). Los geht’s:
• Der Kalender ist stabil und schön anzusehen in seinem strahlenden Blau, außerdem ist er haptisch äußerst angenehm, glatt und kühl wie die Haut - einer Alchemistin? Die grafische Gestaltung durch Isabella Fabris finde ich sehr gelungen; es ist schon eine Freude, die Kalenda nur durchzublättern und die Optik zu genießen. Und wie es sich für eine feine Kalenda gehört, hat auch Alchemilla 2013 ein Bändchen.
• Und erst ihr innerer Reichtum! Ich fand den Inhalt sehr anregend, die Vielfalt der Themen beeindruckend, ich habe beim Lesen sehr viel gelernt und hatte auch noch Spaß dabei. Rechts ein Überblick über den "Content" zum Kalendarium Juli bis Oktober (klicken):
• Im Einleitungskapitel finden wir aus Anlaß des Jubiläums Reflexionen der 15 Alchemilla-Frauen oder Alchemillen darüber, was die Alchemilla ihnen bedeutet: - Für Eva Cescutti sind ihre Freundinnen ein wärmender „Frauenmantel“. - Für Karin Dalla Torre ist eine Schürze aus der Alltagstracht ihrer Großmutter ihr Frauenmantel. - Judith Gögele: „Mein Frauenmantel ist mein Federbett, das mir meine Mama geschenkt hat.“ Die anderen poetischen Eingebungen bitte ich Sie selbst zu lesen. Es lohnt sich und wärmt - wie ein Frauenmantel.
• Die Kalenda ist großzügig gewürzt mit kraftvollen Sprüchen bedeutender Frauen wie Eleonora Duse und Margaret Thatcher und großer Feministinnen wie Virginia Woolf und Kate Millett. Es beginnt mit Virginia Woolfs Feststellung „In Wahrheit habe ich als Frau kein Land. Als Frau will ich kein Land haben. Als Frau ist mein Land die Welt.“ Gleich darunter eine Anzeige: „Luis Pichler - Reisedienst“. - Nur ein Beispiel für die liebevolle, intelligente Konzeption des Kalenders. (auf Abb. links klicken)
• Die Texte sind durchgehend geprägt von großer feministischer Sprachsensibilität - für mich als Sprachwissenschaftlerin ist das besonders wichtig und nahm mich beim Lesen immer mehr für Alchemilla ein.
• Auf Seite 32 werden die Tierkreiszeichen erläutert und bekommen teils neue Namen nach Ruth Devime, z.B. Krebsin, Löwin, Schützin, Steinziege und Wasserfrau. Als Steinziege bin ich berücksichtigt und beruhigt, aber Widder, Stier, Skorpion und Fische gehören auch noch feminisiert. Mein älterer Bruder wäre dann wohl eine Kuh, mein jüngerer ein Mutterschaf. Das fänden sie sicher herzig.
• Ein Beispiel für die Kunst des frauenzentrierten Denkens ist Claudia Messners Text über „Das rote Fest“ in Japan: „Wenn in Japan ein Mädchen zum ersten Mal ihre Menstruation hat, wird sie von ihrer Familie beglückwünscht und beschenkt. Ihr zu Ehren wird ein besonderes Reisgericht gekocht, mit Bohnensaft rot gefärbt, das nur an Festtagen auf den Tisch kommt.“ Was für eine schöne Anregung für jede Mutter von Mädchen, ihrer Tochter einen guten Start ins Frauenleben zu geben!
• Was Eva Cescutti über Aktivismus schreibt, hat mich getröstet und beschwingt. Ich gehe nämlich nicht gern auf Demos und habe deshalb manchmal Schuldgefühle. Da tat es mir gut, zu lesen: “Aktivismus hat viele Gesichter, die klassische Demo mit ihren Sprechchören ist dabei nur eines davon: Zeitungsartikel, Leserinnenbriefe, Gesetzesinitiativen, Unterschriftensammlungen, künstlerische Mittel wie Literatur und Musik, Theater und Film, Werbekampagnen, Massen-SMS, Email-Aktionen und vieles mehr.“
• Die Gruppe Alchemilla versteht offenbar sehr viel von Marketing. Sie hat mächtige und großzügige SponsorInnen und AnzeigenkundInnen gewonnen, die das Projekt finanziell seit 20 Jahren tragen, so dass die Südtirolerin jedes Jahr kostenlos einen wunderschönen, nützlichen Kalender bekommt, randvoll mit Wissenswertem, mit Texten, die fröhlich oder zutiefst nachdenklich stimmen. Wie etwa zum Jahresausklang die Texte zum Thema Sterben in Würde. Da geht es um Hospize und Palliativmedizin, und es gibt ein Porträt der Bestatterin Magdalena Schwienbacher.
• Überhaupt die Porträts in dem Kalender. Sie zeigen ein enormes Spektrum weiblicher Leistungen; es gibt bekannte Frauen wie Hildegard von Bingen und Adrienne Rich sowie wenig bekannte und zu Unrecht vergessene wie die Felskletterin Grete Rieder-Großmann oder die Komponistin Eliane Radigue.
• Das leidige Thema körperliche und strukturelle Gewalt gegen Frauen kann in einer feministischen Rundumschau ja nicht fehlen; die Alchemillen behandeln es aus vielen Blickwinkeln, kenntnisreich, verantwortungsvoll, informativ.
• Zur Erholung von den ernsten und traurigen Themen lesen Sie die kraftvollen Sprüche, die Berichte über all die großartigen Einrichtungen und Projekte, die die Frauen Südtirols geschaffen haben: Das Frauenarchiv, die Buchreihe „Frauen der Grenze / Donne di frontiera“, die Biblioteca della donna in Bozen, das Frauenmuseum Meran, das KNIT café meran/o, und viele mehr. - Von den Kunstprojekten sei nur Sybille Tezzeles „My Own Money Art Project“ genannt. Sie hat einen Geldschein gestaltet, auf dem vielfach die Zahl 6 erscheint. Sechs ist auf Italienisch „sei“ - auf Deutsch ist das der Imperativ des Verbs "sein". Jede, die schon einmal beim nächtlichen Fernsehen versehentlich in die Porno-Werbung der Privatsender geraten ist, weiß, wofür die 6 sonst meist steht: „Ruf mich an unter 666-666“ - mehr Sex als Sie je gewollt haben. Tezzeles Kunst transzendiert diesen Schmutz, eröffnet gerade mit der vielfach mißbrauchten Zahl 6 andere, heilsame Perspektiven.
• Am Ende der Kalenda finden Sie dichtgedrängt nützliche Adressen von Organisationen, Vereinen und Verbänden und zu den Themen Beratung und Unterstützung für Frauen, Arbeit, Gewerkschaften, Kinderbetreuung, öffentliche Ämter und und und.
• Vor den Adressen finden Sie die Buchtipps und auch ein paar Musiktipps. Ich habe sie alle gelesen und, wie immer mit Alchemilla, sehr viel dabei gelernt. Ich werde die Tipps besonders jetzt zu Weihnachten für Geschenke nutzen.
• Ganz am Schluß finden Sie das Wichtigste, das Impressum mit den Namen aller 15 Alchemilla-Frauen (auf Abb. rechts klicken). Ein Who’s Who der intellektuellen und politischen Avantgarde Südtirols.
Den Alchemilla-Frauenkalender gibt es kostenlos in allen Südtiroler Sparkassen, im Frauenbüro, im Frauenarchiv, im Frauenmuseum oder direkt bei den Alchemilla-Vereinsfrauen. 20.000 Stück wurden gedruckt; sie sind schon fast vergriffen.
Die Fotos von der Jubiläumsparty stammen von Mäggi von Wohlgemuth. Draufklicken, dann erscheinen sie in voller Größe!
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3 Kommentare
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05.12.2012 um 16:38 Uhr Alison
OK, welche ist es:
“Der Kalender ist stabil und schön anzusehen in seinem strahlenden “
oder
“Die Kalenda ist großzügig gewürzt mit”?
entweder, oda :-)
05.12.2012 um 15:53 Uhr Amy
Ja, eine wunderbare Glosse und ein schönes Kalenda-Projekt, um mehr Frauenbewusstsein und Frauensolidarität zu fördern und sichtbar zu machen.
Aber es sollte nicht vergessen werden, daß Du, liebe Luise, auch eine der (feministischen) Mütter und Netzwerkerin nicht nur der Frauenkalenda-Ideen bist - als Jubiläumsjahre und Gedenktage vorwiegend berühmte Männer vorsahen. Da ja in der herrkömmnlichen Geschichtsschreibung Frauen seltener vorkamen…ihre Namen und Leistungen einfach ignoriert oder ausgelöscht wurden. Danke auch für all DEINE/N Mut, Bemühungen, Arbeiten, Projekte.
Zitiert aus http://www.Frauenwissen.at: ” Als Geschichte und Kultur wurde und wird bis dato nur definiert, was männliche Gestaltung hervorgebracht hat. Frauen wurde und wird die Macht zur Gestaltung eigener Räume genommen, wenn nicht zumindest sehr schwer gemacht. Frauen werden nach wie vor daran gehindert, ihre Fähigkeiten anzuwenden und weiterzugeben. Bis heute kämpfen Frauen z.B. um den Zugang zu gut bezahlten Jobs und damit um den männerunabhängigen Zugang zu materiellen Ressourcen in Form von Geld. Feminismus und Frauengeschichte hängen zusammen. Je mehr wir Frauen an Autonomie gewinnen und unser eigenes Leben bestimmen, desto notwendiger wird eine Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Bedingungen unserer Existenz.
Geschichte ist ein Prozess, eine Rekonstruktion der Vergangenheit aus heutiger Sicht. Der feministische Blick ist dabei wesentlich.
Denn ohne eigene Geschichte ist uns Frauen die Möglichkeit einer kollektiven Identität und eines historischen Selbstbewusstseins abgeschnitten, denn “jede Frau ändert sich, wenn sie erkennt, dass sie eine Geschichte hat.”(Gerda Lerner)
“Wir sind die Heldinnen unsrer eigenen Geschichte”
(Mary McCarthy)
Frauen, die sich für ihre Geschichte interessieren, werden oft diffamiert. Wie Gerda Weiler so schön sagte:“Der weibliche Protest gegen männliche Definitionsmacht wird belächelt. Weibliche Forschungsansätze werden als ´unwissenschaftlich´ deklariert.”
Doch ohne eigene Geschichte sind wir auf die Definitionen von Männern angewiesen. Das gilt es zu ändern. Ein wichtiger Aspekt der feministischen Frauengeschichtsforschung ist es, den Lebensweg von Frauen aufzuzeigen, die von der herkömmlichen, patriarchalen Geschichtsschreibung ignoriert werden. ” Zitatende
Frau geht vor!
05.12.2012 um 12:36 Uhr Joey Horsley
Danke, Luise, dass du dieses schöne Projekt bekannt machst. Und Hut ab, den Alchemilla-Vereinsfrauen!