Die ZEIT findet, Frauen sind schlechter als ihr Ruf
Am 2. März flog ich nach sieben Wochen USA von Boston nach München und von dort weiter nach Hannover. In München lagen Freiexemplare der neuen ZEIT aus, Nr. 10 - an jenem Mittwoch schon fast eine Woche alt. Titelthema des inliegenden ZEIT-Magazins: „Schlechter als ihr Ruf: Frauen“.
Ach nee, dachte ich. Da hatten beide Häuser des US-amerikanischen Kongresses gerade mit gewaltigem Medienecho den Violence against Women-Act von 1994 reautorisiert und verabschiedet, Obama hatte ihn unterzeichnet - und die ZEIT titelt gleichzeitig über die „schlechten Frauen“? Wie seltsam! Sind die denn hier mal wieder total „out of touch“?
Wikipedia listet auf, was allgemein unter "Violence against Women" verstanden wird:
Zu Deutsch: Mit Säure verätzen, Brustbügeln, Brautverbrennung, Mißbrauch beim Dating, häusliche Gewalt, Mitgiftmorde, Ehrenmord, Genitalverstümmelung (Gishiri cutting, Infibulation), Füßeeinbinden, Zwangsabtreibung, Zwangsschwangerschaft, Zwangsprostitution, Frauenhandel, Vergewaltigung in der Ehe, Schwangerenmord, Vergewaltigung, Schwangerschaft durch Vergewaltigung, Witwenverbrennung, sexuelle Sklaverei, sexuelle Gewalt, Gewalt gegen Prostituierte.
Als Autorin gewann die ZEIT für ihr anachronistisches Projekt des Blaming the victim eine Frau, natürlich, denn es wirkt immer überzeugender, wenn eine Frau diese schmutzige Arbeit übernimmt. Autorin des Pamphlets ist Elisabeth Raether, die vor fünf Jahren mit Neue deutsche Mädchen (geschrieben zusammen mit Jana Hensel) einen großen Wirbel um einen angeblich „moderneren, weniger altbackenen“ Feminismus auslöste. Ich habe das Werk, das Alice Schwarzer als „Wellness-Feminismus“ einordnete, nicht gelesen. Der Titel „Neue deutsche Mädchen“ ließ nichts Gutes erwarten: immerhin waren die „Mädchen“, als sie es veröffentlichten, um die 30.
In dem Aufsatz von Elisabeth Raether geht es, wieder mal, um die Zerstörung des Mythos von der „Friedfertigkeit der Frau“. Mit vielen Beispielen versucht Raether zu beweisen, dass die Frau dem Mann - mal ganz grundsätzlich gesprochen - an Bosheit, Gemeinheit und Niedertracht nicht nachsteht. Im Umkehrschluß führt das zu einem Freispruch der Männer in der Sache "Violence against women": Im Prinzip sind auch sie lieb und stehen der Frau an „weiblichen Eigenschaften“ wie Empathie, Friedfertigkeit und Fürsorglichkeit nicht nach. Mal ganz grundsätzlich gesprochen bestreitet das auch keine Feministin. Aber wie wir ja schon anderweitig mühsam lernen mussten, gibt es da den Sozialismus einerseits und den „real existierenden Sozialismus“ andererseits, den (friedliebenden) Mann einerseits und den real existierenden Mann andererseits.
Ich nehme mal an, dass Elisabeth Raether, wenn sie abends allein durch einen dunklen Tunnel geht und bemerkt, wie ein Mann ihr folgt, auch unwillkürlich, wie jede Frau, in Angst gerät, was ihr nicht einfallen würde, wenn eine Frau ihr folgte. Obwohl doch - im Prinzip - die Frau genau so gewalttätig ist wie der Mann.
Zentraler Satz des Artikels ist: „Weibliche und männliche Eigenschaften gibt es wahrscheinlich gar nicht. Wohl aber gibt es eine Idee von Weiblichkeit und eine Idee von Männlichkeit, und diese Ideen ändern sich über die Epochen.“
Das Dumme ist nur, daß sich die männliche Idee „Er soll ihr Herr sein“ bzw. „Frauen sind Menschen zweiter Klasse, wenn nicht gar der letzte Dreck“ seit Jahrtausenden nicht ändert.
Ein brandaktuelles aus dem stetig fließenden Strom von Beispielen: Täglich werden 39.000 Mädchen zwangsverheiratet.
Angesichts dieser Tatsachen fragt frau sich, was dieser ZEIT-Artikel soll. Die ganze Welt erbost sich über die Massenvergewaltigungen im Kongo, die öffentlichen Vergewaltigungen auf dem Tahrirplatz, die Gruppenvergewaltigungen in Indien, und DIE ZEIT und Elisabeth Raether haben nichts besseres zu tun, als zu beteuern, „Frauen sind genau so wie Männer zu extremer Gewalt fähig“.
Variieren wir mal diesen Satz: „Schwarze sind genau so wie Weiße zu extremer Gewalt fähig“, „Juden sind genau so wie Nazis zu extremer Gewalt fähig“.
Diese Sätze sind wahr, insofern sie menschliche Möglichkeiten beschreiben. Möglich ist schließlich fast alles. Die Sätze sind allerdings perfide in einer politischen Situation, in der Schwarze von Weißen unterdrückt und Juden von Nazis ausgerottet werden.
„Niedertracht ist keine männliche, sondern eine menschliche Eigenschaft“, schreibt Elisabeth Raether. Das hat sie mit ihrem Aufsatz „schlagend“ bewiesen.
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10 Kommentare
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11.03.2013 um 01:04 Uhr anne
danke, lb. Luise !! ich bin etwas entsetzt über den zeit-artikel. ich habe noch nie gehört, dass männer zu opfern von massen-/vergewaltigungen durch frauen werden; dass frauen auf männerfang gehen und diese zur prostitution zwingen; diese mio-fach (sexuell) `missbrauchen`etc.
das buch von Christine Ockrent “Das Schwarzbuch zur Lage der Frauen - eine Bestandsaufnahme” wäre empfehlenswert und die etlichen berichterstattungen über die anhaltende “militarisierung und männer-gewalt an frauen”. kriege, völkermorde an juden, armeniern oder kurden gehen auf das konto von männern, ebenso die massenvergewaltigungen und die verschleppung von frauen in militär-bordelle. soldatinnen der amerk. armee berichteten vor jahren über das enorme ausmaß an sexualisierter gewalt seitens ihrer männlichen kollegen. mehr als die hälfte aller behinderten frauen in europa, nordamerika, australien sind opfer von gewalttaten. im vergleich erleiden nur 1/3 der nichtbehinderten frauen ähnliche angriffe (zit.) die kosten , die gewalt gegen frauen verursacht, sind extrem hoch. in den usa ca. 5,8 mrd. us-dollar, 4,1 mrd. für direkte medizinische und gesundheitliche versorgung usw.
die fundamentale abwertung des weiblichen durchzieht die gesamte menschheitsgeschichte; missachtung, misshandlungen, gewalt, der frauen ausgesetzt waren, WEIL sie frauen waren/sind. die verteufelung des weiblichen und die männer-gewalt gegen weibliche menschen hat eine lange geschichte. ich habe noch nie vor frauen angst haben müssen oder mich in ihrer gesellschaft unwohl gefühlt. ganz anders in männergesellschaft, von jugend an dagegen war vorsicht geboten. den ersten busengrabscher erlebte ich mit 12 jahren..sexismus war schon damals allgegenwärtig ..
Bernhard Grimm, Dr. phil., schreibt zu der abwertung des weiblichen (abschied vom patriarchat - die frau, der bessere mensch) ....die frau ist der bessere mensch, und zwar insofern, als frauen in einem sehr viel intensiveren, in einem dichteren, tieferen, umfassenderen und integrativeren sinne menschsein verwirklichen als die kopflastigen, auf kontrolle, äußere macht und leistung, auf zweckrationalismus und verstandeseinseitigkeit gepolten männer mit ihrer überheblichen penis-/potenzfixiertheit und gockelhaften überlegenheitsallüre. ein anfang des endes des patriarchats lässt sich erst feiern, wenn die frauen sich solidarisieren und ihren wert als frau erkennen und sich nicht mehr vom manne her definieren, einerseits, und wenn die männer sich bequemen, abschied zu nehmen von gewinnermentalität und überlegenheitsallüre und bereit sind zum machtverzicht und zu einer art von `entmännlichung` im sinne zunehmender emotionalisierung, andererseits. der krieg war damals wie heute und im laufe der gesamten menschheitsgeschichte das symmetrische gegenstück zur mutterschaft, das gegenstück zum prinzip der schaffung und hege, der förderung und bewahrung von leben. die christl. frauenfeindlichkeit hat letztlich biblischen hintergrund und mündet/e in die vorherrschaft d. mannes - an dem umstand, dass die genesis die frau zur untergebenen des mannes gemacht hat, ist das fatale dies: es hat sich nicht nur die gesamte abendländische kultur daran orientiert, sondern diese aussage hat den machtanspruch des mannes, die zweitrangigkeit und die nachordnung der frau hinter dem manne quasi aus göttlicher ordnung und allmacht legitimiert und als natürliche schöpfungsordnung festgeschrieben. (zitiert: Die Abwertung des Weiblichen - Abschied vom Patriarchat, B. Grimm, 2007)
http://www.tagesschau.de/inland/gewaltgegenfrauen102.html
10.03.2013 um 20:21 Uhr Joey Horsley
Brava, Luise! By the way, the Violence Against Women Act was not merely reauthorized, but also, over the original objections of Republicans, expanded to include Native American women, undocumented immigrant women and women in same-sex relationships. The law’s provisions for legal and social services have significantly reduced violence against women over the years, and even reduced cases of women’s “violence” against men, which occur almost exclusively as acts of desperation in self-defense.