Die neue Verbrüderung zwischen Mann und Hahn
In unserem Alnatura-Laden gegenüber las ich vor ein paar Tagen vom Einsatz der Firma für sogenannte „Bruderküken“. Mit der poetischen und bedeutungsgeladenen „Bruder“-Bezeichnung werden neuerdings männliche Küken bedacht, die bis vor kurzem allgemein als so überflüssig galten, dass sie gleich nach dem Schlüpfen erst vergast und dann geschreddert - oder sogar lebend geschreddert werden. Vielmillionenfaches Elend, denn die Hähne „taugen … nicht wirklich als Masthähnchen […], weil diese Rassen darauf gezüchtet sind, viele Eier zu legen, nicht als Fleischlieferant.“ (Focus) Weibliche Küken „dürfen“ überleben und zu Legehennen heranwachsen, die erst getötet werden, nachdem sie in qualvoller Enge 12-15 Monate lang fast achtmal so viele Eier legen mussten wie in „naturbelassenem“ Zustand (bis zu 300 Eier im Jahr statt bis zu 40) und sich dabei gegenseitig zerhackten in ihrer Not.
Beim Wort „Bruder“ wird jede Feministin hellhörig, wenn nicht missmutig. Zu oft werden wir Frauen schlicht vergessen oder, wenn wir uns beschweren, rückwirkend als Brüder vereinnahmt, wenn die Brüder bspw. ihre „Woche der Brüderlichkeit“ zelebrieren und Widersinniges wie „Alle Menschen werden Brüder“ brüllen. Ich beschloss also, dieser Sache mal nachzugehen.
Neben Alnaturas „Bruderküken-Initiative“ gibt es noch die „Bruderhahn-Initiative Deutschland“, erfuhr ich. Andere Namen anderer Lebensmittelketten für dieselbe Idee sind „Herzbube“ (Penny) und „Spitz&Bube“ (Rewe).
Die Idee ist folgende: Die hochgezüchtete Legehennenrasse, deren männliche Abkömmlinge als nutzlos gelten, wird zurückgefahren zugunsten einer „Zweinutzungsrasse“: Die weiblichen Exemplare legen noch reichlich Eier, nur nicht ganz so viele wie die „richtigen Legehennen“, und die männlichen Exemplare setzen ein wenig Fleisch an, so dass sich ihr Weiterleben für den Hühnerhalter lohnt. Erwachsene Bruderhähne haben sogar schon ihre ganz speziellen Fans gefunden auf der Webseite Kochmonster: Hier kocht der Mann.
Die Namen für dies neue „Tierwohlprojekt“ sind herzig (Herzbube), denn sie sollen ja unser verstocktes Herz anrühren. Oder sie sind gar religiös getönt. Franz von Assisi sah in allen Geschöpfen Gottes seine Brüder und Schwestern. An diese Sehweise sollen uns die Bezeichnungen „Bruderhahn“ und „Bruderküken“ sicher auch unterschwellig erinnern. Die Küken, die da herzlos geschreddert werden sollen, sind unsere Mitgeschöpfe, und deshalb ist es ja wohl selbstverständlich, dass wir für jedes Alnatura-Ei jetzt 4 Cent mehr zahlen, damit die Bruderküken ihr Leben noch eine Weile fristen können, bevor sie geschlachtet werden.
Zweitens sind die Bruderküken „Brüder“ insofern sie männlichen Geschlechts sind. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Nicht nur wird Männlichkeit „in netter Form“ zur Sprache gebracht, es wird auch zugleich ein Familienbild heraufbeschworen - die Vermarktungsstrategen kennen unsere Schwachpunkte. Die „Schwestern“ dürfen leben und Eier legen, die Brüder dürfen nicht leben, da sie nicht legen können. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch ungewohnt (denn sonst ist eher das Weiblichsein mit Nachteilen verbunden) - und muss besonders das männliche Gemüt irritieren.
Ich meine, wenn die Tierwohl-Anwälte uns schon ins Gewissen reden, sollten wir sie unsererseits daran erinnern, dass bei Massentierhaltung heutzutage weder von Tierwohl noch von Menschenwohl die Rede sein kann.
Statt auch das Bruderküken eine Weile im Elend leben zu lassen, um es dann zu schlachten, sollten wir - besonders wir Frauen natürlich - an die Schwesterküken denken und daran, welches „Leben“ ihnen zugedacht ist: Der reine Horror, nachzulesen hier.
Wenn wir unsere Schwestern, die geschundenen Legehennen, und unsere Brüder Hähne wirklich achten, respektieren (und was der schönen Ausdrücke mehr sind) wollen, dürfen wir sie nicht schlachten und ihre Eier nicht essen.
Zu dieser Konsequenz habe ich mich erst vor zwei Monaten durchgerungen. Bis dahin glaubte ich, wie wohl die meisten, dass die Menschen leider zum Leben Eiweiß brauchen und deshalb Eier essen müssen, so leid es uns tut. Tiere fressen auch andere Tiere und ihre Eier; wir sind in bester animalischer Gesellschaft und haben keine Wahl. Mir war diese Lehrmeinung nur Recht, ich konnte damit mein Gewissen beruhigen, denn ich esse sehr gerne Eier (- und Käse, aber das arme Milchvieh lassen wir heute mal außen vor). Zudem wird dieser lebenswichtige Nährstoff auf Deutsch meist nicht „Protein“ genannt wie in anderen Ländern, sondern „Eiweiß“, als sei Protein mit dem Eiweiß des Eis geradezu identisch.
Als ich meinen Freundinnen erzählte, dass ich mich seit kurzem vegan ernähre, fragten sie sofort: „Und woher bekommst du dann genügend Eiweiß?“ Ich erklärte, naturbelassene Pflanzen enthielten mehr als genug Eiweiß, aber sie konnten es nicht glauben und begannen, sich Sorgen um meine Gesundheit zu machen. Aber es geht mir gut, viel besser als früher. Das ist hier aber nicht das Thema.
Das Thema ist, dass es lächerlich ist, von Tierwohl zu reden, wenn männliche Küken eine Weile am Leben gelassen und dann doch nach kürzester Zeit geschlachtet werden. Von dem maßlosen Elend ihrer Schwestern Legehennen und der Schädigung des Menschenwohls durch den Verzehr von Tieren und ihren Produkten ganz zu schweigen.
Denken wir doch auch ein wenig an unsere Schwestern Frauen und Brüder Männer! Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Übergewicht sind entsetzliche Krankheiten, an denen jährlich Abermillionen Menschen zugrunde gehen. Diese Krankheiten sind die Folge falscher und grausamer Ernährungspraktiken und zu 90 Prozent vermeidbar. Mehr dazu hier und vor allem hier.
7 Kommentare
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05.10.2017 um 08:03 Uhr Brigitte
Liebe Luise,
leider sind auch Pflanzen Lebewesen, die leben möchten. Manche Pflanzen warnen sich sogar untereinander, wenn eine getötet wird (Bäume z. B. via chemische Botenstoffe oder das unterirdische Wurzelgeflecht). Das ist mittlerweile gut erforscht (s. das Buch des Försters Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume). Wir töten also fast immer, wenn wir essen (ausgenommen FruktarInnen, die nur essen, was Pflanzen freiwillig geben, also Nüsse, Obst, etc.). Insofern ist eine vegane Ernährung eine persönliche Entscheidung, in der eine klare Wertung der Lebensformen vorgenommen wird. Tierisches über pflanzliches Leben.
Die Natur ist leider nicht so einfach, wie sich das Menschen gerne vorstellen. Insofern achte ich eher darauf, wie etwas produziert wird, esse reduziert tierische Produkte und bin mir bewusst, dass fast jedes Gemüse, das ich esse, eben auch eine Pflanze ist, die leben wollte.
03.10.2017 um 16:42 Uhr Lovis
Das denke ich auch, denn Tiere sollten frei sein, ich bin gegen Tierhaltung, es ist einfach nicht richtig Tieren die Freiheit zu nehmen, nicht dem Legehun, nicht dem Brathähnchen und auch nicht dem Meerschweinchen. Ein Tier zu halten, um sich daran zu freuen ist meiner Meinung nach einfach falsch. Wenn eine Katze bei mir vor der Tür steht und bei mir wohnen möchte und ich sie lasse, dann ist das eine Partnerschaft, beide haben die Freiheit zu gehen, wir sind dann freiwillig zusammen. Das ist weder beim Zuchthun, noch bei der Eidechse im Terarirum oder bei Pferden auf einer Koppel gegeben, ich bin gegen Tierhaltung, und ich kämfe auch oft mit mir, so viel zu lesen, was ist in diesem Produkt, kann ich hier essen gehen, aber so setze ich mich mit meiner Ernährung auseinander und fühle mich wohl mit meinem Margarinenbrot mit Paprika drauf, und es ist richtig, was ich an meinem Nachwuchs sehe, der es lieber mag, als Käsebrot!!!
26.09.2017 um 13:05 Uhr Antje
Toll, Luise, ich kämpfe noch. Vielleicht hilft mir dein Vorbild. Danke und viele Grüße nach Boston/Hannover !
26.09.2017 um 12:44 Uhr Amy
@ Lena Vandrey - Auch die Eier werden nach Gewicht (S-XL) sortiert und verkauft. Die kleineren Bio-Eier gelangen häufiger an lebensmittelverarbeitende Betriebe. Ich glaube, die Belastung f.d. Hennen, die Bio-Eier produzieren müssen, ist geringer als bei den anderen und somit sind die Eier auch kleiner? Alnatura bietet jetzt die kleinen Eier an. Aber die Menschen denken ja nur in der Größenordnung , was Klein ist, taugt weniger? Ein Steak, ein Schnitzel zum Verzehr kann nicht groß genug sein. Es gibt auch hier Restaurants, die prahlen und werben mit der Größe ihrer Schnitzel ; natürlich zieht das das Publikum an.
Interessantes lese ich über die Erkenntnis , dass sogar vegane Bodybuilder mit einer erheblichen Muskelmasse aufwarten können ; d.h. FleischEssen ist nicht unbedingt notwendig , um Muskelmasse hervorzubringen. Linsen mit Spätzle sei z.B. eine Möglichkeit für eine proteinreiche Ernährung. Aber leider hält sich die alte Denkweise der Maskus `Ohne Fleisch ist der Mann kein Mann` , vor allem in der Werbung: Zitiert: Hier ist beispielsweise von der Rippe die Rede, aus der Gott schon immer das Schönste erschaffen hat (Männermagazin BEEF 2011). Oder davon, dass die Abkehr von vegetarischer Kost den Mann wieder zurück zu seiner wahren Natur führt (BURGER KING Werbespot 2010). Auch wenn solche Beispiele recht humorvoll daher kommen, unterschwellig tragen sie dazu bei, Fleisch männlich aufzuladen.” (Zitatende) Männer, die regelmäßig Fleisch essen, werden lt. Untersuchung deutlich maskuliner als ihre vegetarischen Artgenossen wahrgenommen. Männer brauchen wohl den Kick und die Bestätigung , was ein richtiger Mann sein soll. Der Unterschied zum Hahn ist, dass der Hahn auch gerne Körner pickt, also Vegetarier sein kann. Um Eier zu legen, brauchen die Hennen zumindest keinen Hahn , werden sie nicht von ihm getreten, gerupft und drangsaliert und die Henne kann sogar das Kommando übernehmen und über den `Hahn` lauthals krähen.
25.09.2017 um 15:34 Uhr Lena Vandrey
Wenn Ratten und wilde Affen zu zahlreich werden, heißen die Folgen Vergewaltigung, Sodomie und Totbeißen. Die schwangere Ratte tötet ihre Nachbarin. Genauso sieht es in der Männergesellschaft aus, die Männermassen brauchen massenhaft Fleisch.
Das grauenhafte Schicksal der Legehennen ... Steht es bei Bio anders ? Ich habe festgestellt, dass die Bio-Eier sehr klein sind, was auf junge Hennen schließen lässt, und wenig Gelb und die Schale ist brüchig. Die meisten Menschen im reichen Westen scheinen nicht zu wissen, was Nahrung eigentlich ist. Die erste Nahrung ist das heilige Wasser, und mit dem steht es sehr schlecht. Dann das Getreide, das heilige Brot, und schließlich das ebenfalls heilige Olivenöl. Dann folgen alle Kräuter und Pflanzen, Obst und Gemüse, Milchprodukte und Fisch, obwohl es im Mittelmeer so gut wie keinen Fisch mehr gibt.
Eine Zeitschrift bietet zum xten Mal ihre Hähnchendiät an. Stubenküken und Spanferkel werden gefressen, und kleine Lämmer. Meine Mutter sagte in den fünfziger Jahren, Eier seien die Menses der Hühner, darauf hat meine Schwester in ihrem Leben kein Ei gegessen. Ich kenne nur eine Hühnerhaltung von Niveau, das ist die Marke “Loué”, die Hühner sind in großen Zelten untergebracht, laufen draußen herum und gehen zu Bett, wann sie wollen. Sie bekämpfen sich nicht, weil sie Platz und Futter in Genüge haben. Ob wir über unseren Verzicht etwas erreichen können ...? Ich denke an ein besonders widerliches Essen aus Hamburg, das berühmte Labskaus. Wenn wir das Rind, das Spiegelei, die rohen Heringe und den Camembert weglassen würden, so ergäbe es einen Kartoffelbrei mit roter Bete. Weglassen aber alleine macht es nicht, die Nahrung müsste neu erfunden werden, und Kinder gar nicht erst an Fleisch gewöhnt. Übrigens ist es im Alter schon einmal ratsam, sich mehr oder minder vegetarisch zu ernähren, der Körper braucht kein Fleisch mehr und hat große Mühe mit der Verdauung.
Wir müssten die Einkäuferinnen, also die Frauen, beeindrucken können und sie zu einem anderen Verhalten bringen. Bio wird mit der Zeit als eine Ausrede erscheinen, hinter der sich sonst was verbergen kann. Legebatterien sind KZ, Punktum.
24.09.2017 um 21:57 Uhr Barbara von Lingen
Ralf und Barbara gratulieren zur Entscheidung vegan zu leben.
Wir tun es auch seit ein paar Jahren.
Den Anstoß gab übrigens Ralf.
Seitdem machen uns die Zubereitung und das Essen viel mehr Freude.
Und ich bin ganz neu kreativ geworden!
Herzliche Grüße von uns beiden!
24.09.2017 um 15:15 Uhr Amy
Hervorragend! Aber was für eine Verdoppelung mit den Begriffen BruderHahn . Wie die Brüder der Bruderschaft , der Blutsbruder- und Schwurbruderschaft ticken und die Welt mit ihren Vernichtungsphantasien ins Unglück stürzen, müssen nicht nur auch die armen Hennen tagtäglich zu spüren bekommen. Da ist mir nicht nach der Symbolik Brüderschaft trinken zumute . Wir sehen alltäglich, wozu die BrüderOrganisationen fähig sind - das beginnt mit der Idee der Legehennen-Batterie. In manchen Erdteilen werden Frauen und Mädchen von den Brüdern ebenso wie Legehennen malträtiert und im Namen der Ehre ermordet. Aber es gibt noch genügend Alte Bruderschaften, die sich nach Blutrünstigkeit , Heldentaten vergangener Zeiten und sogar Blutrache zurücksehnen. Ein echter Mann verzichtet auch nicht auf das Fleisch . Dabei wäre ein Besuch in einem Schlachthaus zwecks Empathieverhalten mal vonnöten. Es ist eigentlich schwer nachzuvollziehen, dass ausgerechnet in der MenschenrechtsCharta von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geschwärmt wird, wo wir doch wissen müssten, wie die Brüder seit Jahrtausenden ticken. Mann und Hahn kommen sich bildhaft immer näher?