Die Hebamme - der Film und das Wort
Am vergangenen Montag zeigte das ZDF den Film „Die Hebamme - Auf Leben und Tod“ von Dagmar Hirtz. Dass das deutsche Fernsehen überhaupt imstande ist, einen so radikal feministischen und künstlerisch so hinreißenden Film hervorzubringen, hätte ich nie für möglich gehalten. Regie, Fotografie, Drehbuch, alles stimmte. Und die SchauspielerInnen! Allen voran Brigitte Hobmeier in der Titelrolle - eine Offenbarung. Wie überhaupt dieser ganze, unglaubliche Film.
Dagmar Hirtz wird Ende Mai 70 Jahre alt - möge sie jetzt schnell viele Preise einheimsen und noch viele großartige Filme wie ihren jüngsten finanziert bekommen. Denn die Finanzierung ist, wie wir wissen, wie eh und je das Haupthindernis für anspruchsvolle Projekte guter Regisseurinnen (vgl. hierzu die Biografische Zwiesprache der Regisseurinnen Iris Gusner & Helke Sander, 2009).
Der Film beschreibt eine dramatische Zeit (vor zweihundert Jahren) im Leben der Tiroler Hebamme Rosa Koelbl (Brigitte Hobmeier), die mit Talent, Erfahrung, Intelligenz und Mut versucht, "ihre" Schwangeren vor den unermüdlichen Anfeindungen der Kirche, der Medizin und der Gockelgesellschaft zu retten.
In einer Zeit, in der Ärzte das Kindbettfieber von der Pathologie in die Kreißsäle schleppten, in der die Kirche bei Gefahr für das Kind auf einer „Nottaufe“ im Mutterleib mittels der sogenannten Taufspritze und (meist verkeimtem) Weihwasser bestand und in der die Männer Gehorsam bis in den Tod von den Frauen verlangten, war das keine leichte Aufgabe. (So urteilt eine Rezensentin namens Jury bei Amazon - mit Ergänzungen und Korrekturen von mir)
Kaufen Sie sich die DVD oder sehen Sie sich den Film an, wenn er in Ihrer Stadt oder im Fernsehen gezeigt wird. Er hat sämtliche Oscars verdient und alle Grimme-Preise sowieso.
Die Hebammen (Englisch midwives) und „weisen Frauen“ wussten viel von alters her. Wie an den sehr alten Bezeichnungen ablesbar, sind das sehr alte Berufe, sicher viel älter als das sogenannte „älteste Gewerbe“. „Hebamme“ hat nichts mit „Amme“ zu tun, sondern geht zurück auf das althochdeutsche hev(i)anna (Hebe-Ahnin): ältere, erfahrene Verwandte, die das Kind auffängt oder greift. „Midwife“ hat nichts mit „wife“ (Ehefrau) oder mit „mid“ wie in „midnight“ zu tun. Die midwife ist eine Frau, die der Gebärenden beisteht (she is with (mid) her). Das lateinische Wort für Hebamme bzw. midwife ist obstetrix. Dazu meldet etymonline.com:
obstetrics 1819, from obstetric (adj.), 1742, from Mod.L. obstetricus "pertaining to a midwife," from obstetrix (gen. obstetricis) "midwife," lit. "one who stands opposite (the woman giving birth)," from obstare "stand opposite to" (see obstacle). The true adjective would be obstetricic, "but only pedantry would take exception to obstetric at this stage of its career." [Fowler]
Wie so oft, ist auch hier die Sprache ein getreues Abbild der Machtverhältnisse. Das Wort obstetrics "Geburtshilfe als Fachdisziplin der Medizin" ist seit 1819 belegt; der Film spielt um 1813 und zeigt genau die Übergangszeit, als die Männer sich der Hebammenkunst bemächtigten: Ein Medicus führt ohne Not einen Kaiserschnitt durch, nur zum Ruhme der Wissenschaft bzw. zu seinem eigenen Ruhm. Die Hebamme versucht verzweifelt, es zu verhindern, denn sie weiß: noch jede Frau, die einen Kaiserschnitt durchlitt, ist daran gestorben. So auch diese. Mengele lässt grüßen.
Als die Männer die Hebammenkunst besetzten, übernahmen sie nicht die weibliche Bezeichnung. Eine männliche Hebamme ist auf Deutsch weder Hebamme noch Hebammer noch Hebammerich, sondern Geburtshelfer, auf Englisch ist die männliche Hebamme keine midwife, erst recht kein midman, natürlich auch keine obstetrix, sondern ein obstetrician. Die lateinische weibliche Endung -trix ist nur noch für Eingeweihte erkennbar. Sie wurde für den Mann tragbar gemacht durch die Anhängung von -ian.
In ihrem berühmten Buch Gyn/Ökologie behandelt Mary Daly die US-amerikanische Gynäkologie als einen Teil des „Sado-Rituellen Syndroms“ und als nahtlose Fortsetzung der Nazimedizin und wirft ihr „Frauenmord durch die heiligen Geister der Medizin und Therapie vor“. Wer ihrer radikalen Analyse nicht folgen mag, braucht sich nur den Film „Die Hebamme“ anzusehen. Dort werden Folter und Frauenmord im Dienste des „Heiligen Geists der Medizin“ vorgeführt, wie sie schon 120 Jahre vor den Nazis stattfanden.
Was neu ist, ist die Tatsache, dass diese grauenvolle Wahrheit inzwischen in einem Mainstream-Medium wie dem ZDF zur besten Sendezeit verkündet, dokumentiert und millionenfach verbreitet wird. Das lässt wirklich hoffen.
•••••••••••••••••• Schönes Interview mit Dagmar Hirtz über ihren Film, die histor. Vorlage, die Drehorte, die SchauspielerInnen, den Kameramann... Mit vielen weiteren Links zu Gesprächen mit Brigitte Hobmeier, anderen SchauspielerInnen, einer Medizinhistorikerin, dem Drehbuchautor ...
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11 Kommentare
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03.10.2011 um 00:13 Uhr anne
auf twitta habe ich eine interessante info entdeckt:
“hebamme erhält alternativen nobelpreis 2001”
“Ina May Gaskin ist ein vorbild für hebammen, die es wagten, andere wege zu gehen im versuch, geburtshilfe menschlicher zu gestalten, und die den frauen die möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, welche art der entbindung für sie persönlich die richtige ist. das “Gaskin Manöver” werde heute international gelehrt. dabei handelt es sich um eine methode , die gaskin von traditionellen hebammen aus guatemala lernte. damit sollen langwierige wehen , routinemäßige dammschnitte vermieden sowie streß- und zwillingsgeburten erfolgreich entbunden werden.” (zitiert)
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47519/Hebamme_erhaelt_alternativen_Nobelpreis_2011.htm
21.05.2011 um 15:55 Uhr Joey Horsley
Danke für die wichtigen Infos, Anne! Der Hexenhammer erschien allerdings zuerst 1486, wurde dann bis ins 17. Jh. immer wieder veröffentlicht (29 Auflagen).
Joey
19.05.2011 um 17:50 Uhr anne
falls von interesse etwas info?
“der katholische glaube hat keine gefährlicheren feinde als die hebammen” - auszug: der hexenhammer, lehrbuch für inquisitoren, 1648.
vor allem verstiess die hebamme gegen die biblische forderung “unter schmerzen sollst du gebären” und die vorstellung von der unreinheit der körperfunktionen, die sich vor allem auf die frau als verkörperung der natur bezog.
die autonome mittelalterliche hebamme und ärztin beweist, dass die medizin nicht immer eine von männern entwickelte und betriebene wissenschaft war. die heute noch weit verbreitete existierende hierarchie von männlicher ärzteschaft und weibl. krankenschwestern ist erst nach der verdrängung der frauen aus dem heilberuf entstanden. (hexen, mittelalter, ärzte)
1685 kam es zum erlaß der ersten medizinalordnung in brandenburg, durch die u.a. eine examinierung der hebammen durch die ärzte eingeführt wurde. justine siegemund (autorin dt. hebammen-lehrbuch, hof-wehe-mutter) musste sich danach mehrmals den angriffen der ´medici` erwehren. auch wurden ihre kupferstiche und die von ihr dargestellten gedoppelten handgriffe nach ihrem tod von bekannten und unbekannten autoren teils einfach übernommen oder als errungenschaften der chirurgie präsentiert. ihr lehrbuch diente fast einhundert jahre lang deutschsprachigen wehemüttern und ärzten als fundierte praktische beratung und wissenschaftliche inspiration.
elias von siebold (1775-1828, arzt) forderte in seinem hebammenbuch dagegen die bereitschaft der hebammen zur unterwerfung unter den arzt, u.a. “...gehorsam, ehrerbietung und dankbarkeit gegen ärzte, geburtshelfer und ihre lehrer.” parallel zur etablierung des neuen berufsbildes durch die ärzteschaft verlor der hebammenberuf seine einstige selbständigkeit und die hebammen mussten sich den weisungen der ärzte beugen. zangengeburten waren damals übrigens die häufigsten operationen, der sich die frauen als lehrobjekte unterziehen mussten. sie verpflichteten sich mit dem eintritt i.d. accouchiranstalt, dem arzt für med. experimente und operations-techniken zur verfügung zu stehen. neben den bedeutenden hebammen bourgeois, siegemund gehören marie-louise lachapelle (1769-1821) - sie setzt sich mit der lehre der fruchtlagen auseinander - und marie-anne victorine boivin (1773-1841). sie schrieb werke über fehlgeburten, inneren uterusblutungen; übersetzte englische fachliteratur ins französische, entwickelte ein spekulum mit einer vorrichtung, die das einführen i.d. vagina erleichterte.
justine siegemund (1636-1705) entwarf ferner einen kreißstuhl, der sich in ein bett umbauen ließ.
darauf hinweisen möchte ich auch auf die einstigen gebärhaltungen. denn seit jahrtausenden wissen frauen aus allen kulturkreisen, dass eine geburt im sitzen natürlicher und unkomplizierter ist als die liegende position. auch in europa war bis vor ca. 200 jahren die sitzende stellung im bett oder die sitzende position im schoß der helferin üblich. die frauen benutzten zur geburt auch einen gewöhnlichen stuhl, ab dem 15. jh. den sog. gebärstuhl.
älteren und neueren schriften ist zu entnehmen, dass das verschwinden des gebärstuhls dem einfluss der franz. geburtshilfe zuzuschreiben ist. mit ein grund wird die bequemlichkeit des arztes genannt. das bedeutet auch, mit dem aufkommen d. sog. accouchiranstalten wurde die vertikale gebärposition verdrängt und damit eines ihrer wichtigsten hilfsmittel: den gebärstuhl. erst in den 50er jahren entwickelten schweizer hebammen und lieselotte kuntner den sog. maihocker. (quelle: der hebammenberuf und das gebärverhalten einst und heute/internet)
ebenso die frühere verbreitete ansicht einer leichteren geburt eines knaben (fröhliche geburt) geht z.t. auf die oftmals grössere wertschätzung eines sohnes und stammhalters zurück ....
http://www.frauenwissen.at/frauenleben_neuzeit.php
19.05.2011 um 08:38 Uhr Henry Gärtner
Schade, dass der Film “Die Hebamme” bereits wieder aus der ZDF-Mediathek genommen wurde.
18.05.2011 um 08:46 Uhr Henry Gärtner
Ein sehr interessanter - und auch für mich, der ich bereits 11 Jahre mit und für Hebammen arbeite, - informativer Beitrag zu einem wirklich bemerkenswerten Film.
17.05.2011 um 23:10 Uhr anne
in österreich gilt die bezeichnung `hebamme` auch für männer in diesem beruf. lt. wikipedia heisst es: die in deutschland benutzte bezeichnung entbindungshelfer(in) oder -pfleger(in) wird in österreich als zu eng beurteilt, weil sie die sehr wesentlichen aufgaben der hebammen in der pränatalen beratung und betreuung und in der postpartalen versorgung von mutter und kind nicht berücksichtigt. formen wie `hebammer` sind nicht zulässig.
bis in die neuzeit genossen auch kräuterfrauen i.d. nordeurop. ländern als weise frauen, heilerinnen, hebammen hohes ansehen. zur zeit der `hexen-verfolgung` wurde diese besondere gabe als schwäche und werkzeug des bösen ausgelegt. die frau als heilerin wurde im 13. jhdt. aus ihren beruf vertrieben, ca. 1 jhdt. vor Beginn der hexen-verfolgung, als der arzt als berufsstand aufkam.
das gesetz, das den frauen das heilen verbot, besagte: wenn eine frau sich anmaßt zu heilen, ohne studiert zu haben, ist sie eine hexe und muß sterben. (quelle: heilkunst der frauen)
in der antike ist es brauch, daß nur frauen hebammen sein können, die schon einmal geboren haben, aber ihres alters wegen nicht mehr schwanger werden können.
schon die babyl., ägypt., hebräischen hebammen kannten das problem von frauen, die zu viele kinder oder keine kinder hatten und darunter litten. sie vermittelten kinder an kinderlose frauen. das später ergangene verbot dieses `menschlichen ausgleichs` beruht auf dem patriarchalen prinzip der vererbung an die nur selbstgezeugten nachkommen.
prostitution, eine gesellschaftliche erscheinung im patriarchat, ist das `älteste gewerbe` des patriarchats. matriarchale kulturen kennen keine prostitution, vergewaltigung,genitalverstümmelung, kindesmißbrauch, sexualisierte gewalt.
interessantes gibt es zu `mainzer hebammen in früheren jahrhunderten/inhalte, tätigkeiten im wandel(z.b. die hebamme als amtsperson)
http://www.mainz.de/C1256D6E003D3E93/files/HilpertGeschichteMainzerHebammen.PDF/$FILE/HilpertGeschichteMainzerHebammen.PDF
17.05.2011 um 21:17 Uhr Flo
Dieses “Aufheben” des Kindes war von großer Bedeutung. Die Hevianna nahm das Kind hoch, UM ES DEM VATER ZU ZEIGEN. Dieser durfte dann nämlich entscheiden, OB DAS KIND LEBEN DURFTE - ansonsten hatte die Hevianna “es zu beseitigen”.
Interessant. Heute entscheidet die Mutter alleine darüber ob das Kind leben darf. Sie beseitigt es auch gleich. Also Richter und Henker in einer Person.
“In der heutigen Hebammenausbildung wird die Wichtigkeit des Schutzes der Familien vor männlichem/ ärztlichem Machtgehabe weiterhin vermittelt, weswegen die Wortbedeutung uns bereits am ersten Tag erklärt wurde”
Und wie ist es mit dem Schutz vor weiblichen Machgehabe? Vor der Kinder-in-den-kühlschrank-Fraktion? Wie sehen da konkret der Schutz aus?
Ich bitte um Beantwortung, denn diese Frage interessiert mich.
17.05.2011 um 12:03 Uhr Julia Stolp
Im Text steht “„Hebamme“ hat nichts mit „Amme“ zu tun, sondern geht zurück auf das althochdeutsche hev(i)anna (Hebe-Ahnin): ältere, erfahrene Verwandte, die das Kind auffängt oder greift.”
Dieses “Aufheben” des Kindes war von großer Bedeutung. Die Hevianna nahm das Kind hoch, UM ES DEM VATER ZU ZEIGEN. Dieser durfte dann nämlich entscheiden, OB DAS KIND LEBEN DURFTE - ansonsten hatte die Hevianna “es zu beseitigen”.
So weise die Frauen vor während und nach der Geburt auch waren, das entscheidende Wort hatte selbst in grauen Vorzeiten der Mann.
In der heutigen Hebammenausbildung wird die Wichtigkeit des Schutzes der Familien vor männlichem/ ärztlichem Machtgehabe weiterhin vermittelt, weswegen die Wortbedeutung uns bereits am ersten Tag erklärt wurde.
Julia Stolp/ Hebamme