Die Fernseherin und ihr Fernseher
Ich bin eine bekennende Fernseherin. Die meisten Menschen, denen ich es frischweg oder mehr nebenbei bekenne, sehen mich verwundert an oder sprechen es sogar aus: „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“
Doch, es darf. In meiner Jugend, die mich geprägt hat wie sie uns alle prägt, war das Fernsehen etwa eine so große Sache wie heute Facebook oder die Social Media überhaupt. Meine allein erziehende Mutter (früher hieß das noch „geschieden mit drei Kindern“) konnte sich weder ein Radio noch gar einen Fernseher leisten, und so mietete ich mir denn selbst einen, wenn sie mit meinen Geschwistern in die Ferien fuhr und ich die Wohnung für mich allein hatte. Tagsüber arbeitete ich in meinem Ferien-Knochenjob, abends gab es zur Belohnung Fernsehen.
Ähnlich halte ich es bis heute, eine Belohnung abends muss sein, sonst fühle ich mich vernachlässigt, aber die Belohnung soll bequem und gemütlich sein. In-Schale-Werfen und Ins-Theater-fahren oder ähnliches - das wäre keine Belohnung, sondern Stress. Und das deutsche Fernsehen bietet genug Unterhaltsames und Gehaltvolles, dass ich täglich stundenlang fernsehen könnte, ohne mir blöd vorzukommen. Sie sehen, ich bin tatsächlich eine bekennende Fernseherin.
Ich kenne außer mir nur noch zwei andere bekennende Fernseherinnen, beide etwas älter als ich und also wohl ebenfalls von der Großen Zeit des Fernsehens geprägt: Gabriele Wohmann und Erika Pluhar. Über Gabriele Wohmann schrieb ich im Frühjahr ein Porträt zu ihrem 80. Geburtstag im kommenden Jahr. Sie war mir schon immer irgendwie sympathisch, trotz ihrer oft reichlich miesen Frauengestalten. Bei den Recherchen nun wurde ich wieder an eine Wohmannsche Marotte erinnert, die ich schon früher nett und wesensverwandt gefunden hatte: Ihr regelmäßiger und ritueller Fernsehkonsum. Das abendliche Fernsehen muss sein, sonst ist der Tag nicht richtig geglückt. Es fehlt etwas Entscheidendes, das Abschalten vor der Glotze eben.
Die andere bekennende Fernseherin ist - wahrscheinlich - Erika Pluhar. Das entnehme ich ihrem jüngsten Buch „Spätes Tagebuch“, das ich mir in den letzten Tagen als Hörbuch, gelesen von der Autorin, reingezogen habe. Zwar heißt die Ich-Erzählerin und Schreiberin des Späten Tagebuchs nicht Erika Pluhar, sondern Paulina Neblo, auch ist sie nicht Schauspielerin, sondern Tänzerin und Choreografin, aber es wird von so vielen Dingen erzählt, die sich auch im Leben der Pluhar zugetragen haben (z.B. der Tod ihrer Tochter), dass der Schluss erlaubt ist, dass auch andere Mitteilungen autobiografisch sind. Wie dem auch sei, Pluhar/Neblo ist eine passionierte Fernseherin, die sich nach des Tages erschöpfender Tagebuchschreiberei abends vor das Fernsehprogramm setzt und dazu reichlich Rotwein trinkt.
Fernseherinnen scheinen also eher selten - Fernseher gibt es dafür millionen- ja milliardenfach. In jedem Haushalt gibt es mindestens einen, häufig gibt es sogar Zweit- oder Drittfernseher. Die Fernseherin ist unter Garantie ein menschliches Wesen, der Fernseher hingegen in der Regel nicht, er ist ein Gerät, ähnlich wie der Geschirrspüler, der Staubsauger, der Rasenmäher, der Rechner, der Drucker, der Korkenzieher, der Büchsenöffner, der Wasserkocher und der Handtuchhalter. In Hannover haben wir einen Geschirrspüler, in Boston bin meist ich die Geschirrspülerin.
Es ist an der Zeit, dass die feministische Linguistik auch mal zugibt, dass die Endung -in, erdacht zur Diskriminierung des weiblichen Geschlechts, ihre klaren Vorteile hat. Sie stellt immerhin sicher, dass wir nicht mit Geräten verwechselt werden - eine Kränkung, die Männern routinemäßig widerfährt.
Immer wieder lese ich Schmähreden gegen geschlechtersensible Ausdrücke wie die Studierenden (statt: die Studenten), die Teilnehmenden (statt die Teilnehmer). Gerätbezeichnungen wie Fernseher und Geschirrspüler liefern einen weiteren guten Grund für die Wahl dieser Ausdrücke: Fernsehende, Geschirrspülende und Kartoffelschälende sind eindeutig Menschen und keine Geräte. Sollen doch die Männer froh sein, dass es endlich auch für sie Ausdrücke gibt, die sie nicht wie Maschinen aussehen lassen.
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6 Kommentare
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13.12.2011 um 21:07 Uhr anne
hier einige weitere infos über die medienkultur, z.b. “coole powerfrauen und kämpfende glucken” - auf den ersten blick scheinen selbstbewusst, emanzipierte frauenfiguren im fernsehen konjunktur zu haben. immer neue kommissarinnen , anwältinnen und ärztinnen dominieren die serien. bei einer genauen rollenanalyse wird jedoch sichtbar, daß die alten weibl. rollenklischees weiter wirken. (zit.)
frau muß heutzutage nur einmal einen blick auf die vielen daily soaps werfen - attribute wie jugendlichkeit, schönheit, schlankheit offenbaren sich und die suche nach einer hetero-beziehung, so früh wie möglich. wichtig die sexy ausstrahlung.
so heisst es: “viele kindersendungen im fs bedienen rollenklischees und zeigen das stereotype bild des superschlanken, schönen mädchens. das ist eines der ergebnisse der weltweit größten medienanalyse des internat. zentralinstituts f.d. jugend- und bildungsfernsehen, in der das tv-programm in 24 ländern untersucht wurde. pippi langstrumpf ist demnach bei vielen kindern out. beate winke vom wuppertaler verband der mädchenarbeit in nrw : mädchen suchen figuren, an denen sie sich orientieren können, und dazu gehört heutzutage ein attraktives aussehen, lange haare, hübsches gesicht, enge klamotten.
in zeichentrickserien haben mädchen übernatürlich lange beine und eine wespentaille. mit den überwiegend aus japan kommenden anime-serien habe die zahl der sexbomben im kinderfernsehen stark zugenommen, kritisiert die IZI-leiterin maya götz. das ist besorgniserregend. sie macht das unnatürliche schlankheitsbild, das die vorbilder im tv präsentieren, mitverantwortlich für die immer größer werdende anzahl essgestörter teenager. wenn kinder schon von kleinauf mit superdünnen tv-figuren konfrontiert werden, brennt sich das ein. zudem werden die alten rollenklischees bemängelt. viele kinder sehen im zunehmenden alter nach dem kinderfernsehen dann soaps und reality-shows. dort wird ihnen zusätzlich noch ein antiquiertes bild von partnerschaft vermittelt. oft spielen die frauen i.d. soaps nur die rolle der schönen geliebten, in deren leben sich alles um den mann drehe.(zit. 28.7.2008/m. brandes/wunschliste.de)
oder : so haben us-forscher festgestellt, daß viele kinderbücher das stereotype denken beeinflussen, da männl. charaktere immer noch die kinderliteratur dominieren. Janice McCabe, eine jungprofessorin für soziologie a.d. florida state universität, ist der frage nachgegangen, inwieweit sich die kinderliteratur dem gender mainstream i.d. vergangenen jahrzehnten angepaßt hat. sie untersuchte gemeinsam mit kollegInnen fast 6000 bücher, die zwischen 1900 und 2000 veröffentlicht wurden. das ergebnis: seit über 100 jahren dominieren männl. figuren die kinderliteratur. im schnitt sind 57 prozent der charaktere i.d. büchern, die veröffentlicht werden, männlich und nur 31 prozent sind weiblich. kinderbücher spiegeln die wertvorstellung eines kulturkreises wider, sagt McCabe. das starke ungleichgewicht zwischen männl. und weibl. literaturfiguren würde kindern das signal senden, daß frauen weniger wichtige rollen als männer innerhalb der gesellschaft einnehmen würden. große diskrepanz gibt es in märchenbüchern. die autorInnen der studie sehen als ursache für die diskrepanz z.t. auch das gut gemeinte bemühen der us-bücherindustrie. viele verleger setzen auf geschlechtsneutrale literatur und veröffentlichen deshalb tendenziell mehr tiergeschichten, sagt McCabe. doch das sei kontraproduktiv. ...etwa 23 prozent der fabeln handeln von männl. tieren und nur 7,5 prozent von weibl. gerade in vielen preisgekrönten büchern waren protagonisten männlich. bei genaueren untersuchungen zeigte sich, daß viele mütter , wenn sie ihren kleinen vorlesen, die tiere in den geschichten als männlich identifizieren. diese gewohnheit führen die wissenschaftler darauf zurück, daß es zu wenige weibl. figuren in kinderbüchern gibt. dadurch würden sogar geschlechtsneutrale fabelwesen als männlich eingestuft. (zit. aus focus-online-schule v. 4.5.2011)
12.12.2011 um 13:32 Uhr D. Hollstein
Ich habe vor 2 oder 3 Jahren komplett aufgehört fernzusehen. Ich habe nicht einmal mehr einen Fernseher.
Ich habe dazu einen interessanten Link gefunden, den ich auch in ähnlicher Form schon in meinem Blog besprochen habe:
http://www.eduhi.at/dl/maenner_helden.pdf
28.11.2011 um 14:47 Uhr anne
supra, luise ! gerne oute ich mich ebenso als leidenschaftliche fernseherin , zumeist zum abend - wie @ lena schreibt genüßlich in gesellschaft mit rotwein und chips. auf vieles im fernsehER-programm - von den machERn aus männlicher sicht maschinell aus der retorte produziert, verzichte ich dabei gerne. ebenso auf widerliche und blutrünstige action-filme voller gewaltverherrlichung, männergetöse und selbstdarstellung. “männer, die wie maschinen aussehen”: richtig, zumal diese nur ihre gerätschaften im blick haben - das zeigt sich u.a. in text-anleitungen zu diesen gerätschaften , die in einem kauderwelsch verfasst, schlecht übersetzt und häufig unbrauchbar sind.
28.11.2011 um 12:10 Uhr lfp
@Lena Vandrey & Barbara: Herzlich willkommen unter uns bekennenden Fernseherinnen! Bin gespannt, welche sich sonst noch outen.
@Barbara: Eine andere Freundin schwärmt auch von ihrem Staubsauger-Roboter, so einen schaffen wir uns auch bald an!
28.11.2011 um 10:49 Uhr Barbara
Auch ich bin Fernseherin. Wenn man nicht in Deutschland lebt ist das deutsche Fernsehen ueber Satellit eine gute Moeglichkeit, den Kontakt zur dt. Realitaet nicht zu verlieren. Sendungen wie “Das perfekte Dinner” in denen mehr oder weniger “echte” Privatmenschen sich selbst propagieren zeigen deutsche Wohn-, Ess-, Bade- und Schlafzimmer und deren Ausstattung, Essgewohnheiten usw. Ich erspare mir seit einiger Zeit schon Dinnerparties…...
Der grosse deutsche Philosoph Sky DuMont sagte einmal: “Man kann ja nur noch Auswanderer- und Kochshows gucken.”
Offtopic:
Ich bin neuerdings stolze und ueberglueckliche Besitzerin eines Staubsauger-Roboters, der hat sogar einen liebevollen Spitznamen, den ich aber nicht verrate; Geschirrspueler hatte ich schon immer.
28.11.2011 um 10:19 Uhr Lena Vandrey
Zu den passionierten Fernseherinnen kann Luise auch uns rechnen,und was mich betrifft,mit dem gleichen Hintergrund: das Gerät kam erst in mein Leben, als ich mehr als 40 war. Insgesamt 21 Jahre ohne Strom, also hellauf begeistert von Staubsauger, Kühlschrank, Waschmaschine und ganz am Anfang von einem kleinen s/w-Fernseher, der noch auf Batterie lief. Die Kiste oder Büchse versorgte uns mit Informationen über die schlechte Welt, die Nachrichten dauern in France beinahe 2 Stunden, und über allerhand Dinge, an denen wir von unserem Hoch-Plateau aus nicht (mehr) teilnehmen konnten: Kino, Oper, Theater, Konzerte. Zusätzlich sahen wir unsere feministischen Vertreterinnen - oder ihr genaues Gegenteil - fanden Gründe für Empörung oder Lachen und Gespächsstoff, konnten schimpfen, lästern und über die Sachen an Gleichgesinnte etwas schreiben.
Das war also der Honey-Moon dieser Geschichte in noch jüngeren Jahren. Im Alter jedoch stelle ich fest, dass wir ungeheure Männer-Massen ins Haus lassen, dass die Bilder tagelang aus dem Kopf nicht herausgehen, dass wir Dummheiten absorbieren, die unnötig zu wissen sind, dass die Empörung Überhand nimmt, unsere Vertreterinnen und Freundinnen nicht mehr zu sehen sind, dass für beinahe jedes Thema vorrangig Männer auftreten, dass sich Langeweile einschleicht, und dass meine Kommentare sich auf Wörter wie “Drecksfratze” beschränken. Nachts bin ich dann in einem Nacherzählungszwang, der auch noch in drei Sprachen stattfindet und nirgendwo landen kann.
In der Zeit ohne Strom habe ich viele FS-Filme machen können und kenne den Betrieb - dass er eitel und verlogen ist und für wirkliche Kultur-Arbeiterinnen nicht das Richtigste, darf ich behaupten…
Trotzdem werden die FS-Programme täglich gelesen, die Sprache studiert und hin und wieder gibt es die Freude über einen der groBen Hollywood-Filme, ein prima Handwerk…
Und wer zeitweilig im Bett liegen muss, kann sich an Lady Agatha Christies Geschichten ergötzen, Miss Marple und Hercule Poirot, hervorragend gemacht, und sich sagen, dass Lady Agatha mehr als S.Freud dazu beigetragen hat, zu erkennen, wie monströs die Menschen sind. Alles spielt in abgeschlossenen Räumen: Zimmer, Haus, Schloss, Zug, Schiff, Insel, und mit ebenfalls abgeschlossenen Beziehungen. Zu dieser Erkenntnis würden wir beim Lesen viel längere Zeit brauchen.
Also “Ja” doch zur Fernseherin mit Rotwein - aber beides in MaBen - zur Krönung des Abends und zur Bestätigung, dass auch wir zu dieser Welt gehören, was ein wenig surrealistisch anmutet, aber warum nicht?